Urteil des OLG Dresden vom 04.07.2002

OLG Dresden: ablauf der frist, zustellung, mitbewerber, gefahr, verfügung, verzicht, verschleppung, anschluss, auftragsvergabe, kontrollorgan

WVerg 11/02
Leitsatz
Stellt die Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag nicht zu,
weil sie ihn für offensichtlich unbegründet hält, so ist
eine sofortige Beschwerde des Antragstellers mit dem Ziel,
das Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB mittels einer vom
Beschwerdegericht unmittelbar veranlassten Zustellung her-
beizuführen, grundsätzlich unstatthaft, solange eine den
Nachprüfungsantrag ablehnende Entscheidung der Vergabekammer
noch nicht ergangen ist.
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: WVerg 0011/02
1/SVK/020-02 1. Vergabekammer Sachsen
Beschluss
des Vergabesenats
vom 04.07.2002
In dem Vergabenachprüfungsverfahren
,
,
Antragsteller und Beschwerdeführer
Verfahrensbevollmächtigte:
,
gegen
,
,
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Dresden durch
Richter am Oberlandesgericht
als Vorsitzenden,
Richterin am Landgericht
und
Richter am Landgericht
beschlossen:
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Die
sofortige
Beschwerde
des
Antragstellers
vom
04.07.2002 wird auf seine Kosten als unzulässig
verworfen.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer ist Bieter in einem von der Antragsgeg-
nerin betriebenen Vergabeverfahren. Nach deren ursprüngli-
cher Wertung hatte der Beschwerdeführer das wirtschaftlichs-
te Angebot abgegeben. Aufgrund eines von einem Mitbewerber
eingeleiteten
Nachprüfungsverfahrens
hat
die
Vergabekammer
der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 03.04.2002 aufgegeben,
die Wertung unter Beachtung der darin geäußerten Rechtsauf-
fassung zu wiederholen; der Beschluss ist inzwischen rechts-
kräftig. Als Ergebnis der neuen Wertung hat die Antragsgeg-
nerin dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 20.06.2002 mit-
geteilt, sein Angebot werde mangels technischer Gleichwer-
tigkeit ausgeschlossen; es sei beabsichtigt, am 04.07.2002
den Zuschlag auf das Angebot eines (namentlich genannten)
Mitbewerbers zu erteilen. Hiergegen hat der Beschwerdeführer
am 01.07.2002 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer
anhängig gemacht, der bisher nicht zugestellt ist; auf tele-
fonische Rücksprache hat die Vergabekammer mitgeteilt, sie
halte den Antrag für offensichtlich unbegründet und beab-
sichtige nach § 110 Abs. 2 GWB zu verfahren. Der Beschwerde-
führer sieht darin eine Verletzung seines Anspruchs auf ef-
fektiven Primärrechtsschutz und beantragt mit seiner sofor-
tigen Beschwerde vom heutigen Tage, seinen Nachprüfungsan-
trag der Antragsgegnerin unmittelbar durch das Oberlandesge-
richt zustellen zu lassen.
II.
Vor
diesem
Sachverhaltshintergrund
erweist
sich
die
Be-
schwerde als unstatthaft. Der Senat hält sich nicht für be-
fugt, zu einem Zeitpunkt, da eine Entscheidung der Vergabe-
kammer noch nicht ergangen ist, von sich aus eine Zuschlags-
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sperre im Sinne des § 115 GWB durch Zustellung des Nachprü-
fungsantrags an die Antragsgegnerin herbeizuführen.
Soweit in der Rechtsprechung eine derartige Kompetenz des
Vergabesenats bejaht worden ist (vgl. Kammergericht NZBau
2000,
262;
OLG
Düsseldorf,
Beschluss
vom
13.11.2000,
Verg 25/00;
OLG
Koblenz,
Beschluss
vom
25.03.2002,
1 Verg 1/02),
war
Grundlage
dieser
Erwägungen
stets
ein
statthafter
Rechtsbehelf
gegen
eine
dem
Beschwerdeführer
nachteilige
Entscheidung
der
Vergabekammer;
gerade
daran
fehlt es hier jedoch.
1. Voraussetzung für die Entstehung der Zuschlagssperre des
§ 115 Abs. 1 GWB ist die Zustellung des Nachprüfungsan-
trags an den Auftraggeber; solange diese nicht wirksam
erfolgt ist, darf die Vergabestelle den Auftrag ungeach-
tet des begonnenen Nachprüfungsverfahrens erteilen. Hält
die Vergabekammer den Antrag für offensichtlich unzuläs-
sig oder unbegründet, so unterbleibt dessen Zustellung
(vgl. § 110 Abs. 2 GWB), und das Zuschlagsverbot entsteht
nicht; das hält den Auftraggeber frei von Bindungen, die
der
Gesetzgeber
angesichts
der
Beurteilung
der
Er-
folgsaussichten des Nachprüfungsantrags durch das in die-
sem Verfahrensstadium dafür zuständige Kontrollorgan im
Lichte des Interesses der Allgemeinheit an einer zügigen
Vergabe öffentlicher Aufträge nicht für angemessen gehal-
ten hat. Ob die Vergabekammer zu Recht angenommen hat,
der Nachprüfungsantrag müsse offensichtlich ohne Erfolg
bleiben, unterliegt der richterlichen Kontrolle im Be-
schwerdeverfahren nach den §§ 116 ff. GWB. Teilt der nach
Maßgabe dieser Vorschriften zulässigerweise mit der Ange-
legenheit befasste Vergabesenat die Ansicht der Vergabe-
kammer in diesem Punkt nicht, mag das Zuschlagsverbot
entsprechend § 115 Abs. 1 GWB durch Nachholung der Zu-
stellung des Nachprüfungsantrags durch das Beschwerdege-
richt - erstmals - hergestellt werden (vgl. die oben an-
geführten
Rechtsprechungsnachweise).
Die
Grenzen
des
Rechtsbehelfssystems werden indes verlassen, wenn der Se-
5
nat eine solche Maßnahme im Vorgriff auf einen Beschluss
der Vergabekammer nach § 110 GWB treffen soll.
2. Nach § 116 Abs. 1 S. 1 GWB ist die sofortige Beschwerde
gegen
Entscheidungen
der
Vergabekammer
zulässig;
eine
solche ist bisher nicht ergangen, der Beschwerdeführer
ist daher im rechtstechnischen Sinne nicht beschwert. Der
Sache nach läuft sein Rechtsbehelf auf eine "Untätig-
keitsbeschwerde" hinaus, die in den §§ 116 ff. GWB jedoch
- von der im vorliegenden Zusammenhang nicht interessie-
renden Konstellation des § 116 Abs. 2 GWB abgesehen -
nicht vorgesehen ist. Der Senat verkennt nicht, dass dem
Beschwerdeführer rein tatsächlich an einer Herbeiführung
des Zuschlagsverbots bis zum Ablauf des heutigen Tages
gelegen sein muss, da mit Ablauf der Frist des § 13 S. 2
VgV
die
Auftragserteilung
an
einen
Mitbewerber
droht;
dies kann im Ergebnis dazu führen, dass der Primärrechts-
schutz des Beschwerdeführers aus Zeitgründen leer läuft.
Diese Gefahr ist aber in der Fristenregelung des § 13 VgV
angelegt, die einen effektiven Schutz des Bieters nur
dann gewährleistet, wenn es diesem gelingt, innerhalb der
Frist ein Zuschlagsverbot herbeizuführen. Dass dies in
direkter Anwendung von § 115 Abs. 1 GWB nur zu erzielen
ist, wenn die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag nicht
für
offensichtlich
unzulässig
oder
unbegründet
hält,
folgt ebenfalls unmittelbar aus dem Gesetz, das dem An-
tragsteller
eben
dieses
Risiko
aufbürdet.
Wenn
damit
letztlich nur wenige Tage zur Verfügung stehen, um zumin-
dest
die
Auftragsvergabe
vorläufig
zu
verhindern,
so
rechtfertigt diese zeitliche Enge (zu der im vorliegenden
Fall der Beschwerdeführer, aus welchen Gründen auch im-
mer,
nicht
unwesentlich
beigetragen
hat,
weil
er
den
Nachprüfungsantrag
erst
am
01.07.2002
anhängig
gemacht
hat) es grundsätzlich nicht, dass das Beschwerdegericht
hierüber unter Verzicht auf eine beschwerdefähige Ent-
scheidung der Vergabekammer unmittelbar befindet.
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3. Ob die Zulässigkeit einer Beschwerde der vorliegenden Art
anders zu beurteilen wäre, wenn der Vergabekammer vorge-
worfen werden müsste, sie habe die Zustellung des Nach-
prüfungsantrags
in
verfahrensfehlerhafter
Weise
verzö-
gert, mag dahinstehen. Diese vom Beschwerdeführer im An-
schluss an Byok in: Byok/Jaeger, Vergaberechtskommentar
2000, § 110 GWB Rn. 704 vertretene Ansicht wird jeden-
falls von den dort angegebenen Belegstellen nicht ohne
weiteres getragen: Die Kommentierung von Lüke im Münche-
ner Kommentar zu § 271 ZPO, Rn. 19 bejaht eine Beschwer-
demöglichkeit (nur) im Fall einer endgültigen Ablehnung
einer Klagezustellung; gerade diese ist hier aber - bis-
her - nicht erfolgt. Ungeachtet dessen vermag der Senat
anhand der vom Beschwerdeführer selbst mitgeteilten Ein-
zelheiten zum Verfahrensverlauf vor der Vergabekammer ei-
ne verfahrensfehlerhafte Verzögerung auch nicht festzu-
stellen. Der am 01.07.2002 eingegangene Nachprüfungsan-
trag ist dort nicht etwa unbearbeitet geblieben; die Ver-
gabekammer hat vielmehr durch mehrfache Rückfragen beim
Beschwerdeführer versucht, ihre Bedenken gegen die Zu-
stellungsfähigkeit des Antrags zu beseitigen; die letzte
darauf ergangene Stellungnahme des Beschwerdeführers da-
tiert vom Morgen des heutigen Tages. Wenn die Kammer an-
gesichts
dessen
einen
gegebenenfalls
beschwerdefähigen
Beschluss noch nicht vorgelegt hat, so vermag der Senat
darin keine unzumutbare Verschleppung zu sehen, die es
erforderlich machen würde, mittels eines im Gesetz nicht
vorgesehenen, also letztlich außerordentlichen Rechtsbe-
helfs einer Untätigkeitsbeschwerde (vgl. dazu allgemein
Zöller-Gummer, 23. Aufl. 2002, § 567 ZPO Rn. 21 b) eine
dem
Beschwerdeführer
günstige
Entscheidung
durch
das
Rechtsmittelgericht erst herbeizuführen.
Nach alledem ist die sofortige Beschwerde mit der sich
aus einer entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO
ergebenden
Kostenfolge
zu
Lasten
des
Beschwerdeführers
zurückzuweisen.