Urteil des OLG Dresden vom 14.03.2017

OLG Dresden: tagesordnung, aufsichtsrat, präsenz, abstimmung, vollversammlung, einstweilige verfügung, aktionär, satzung, erlass, unternehmen

Leitsatz:
1. Dem Anwendungsbereich von § 112 AktG unterfallen auch
Streitigkeiten darüber, ob ein Prätenden um das Vor-
standsamt wirksam berufen wurde oder nicht.
2. Die Grundsätze zur organschaftlichen Vertretung von Ka-
pitalgesellschaften bei Statusklagen gelten nicht nur
für Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen, sondern auch
für Streit- und einstweilige Verfügungsverfahren, in de-
nen über die Wirksamkeit organschaftlicher Bestellungs-
akte gestritten wird.
3. Nach Wortlaut und Normzweck von § 121 Abs. 6 AktG liegt
eine Vollversammlung nur dan vor, wenn entweder sämtli-
che - auch die gemäß § 20 Abs. 1, Abs. 7 AktG nicht
teilnahmeberechtigten - Aktionäre bei Beginn der Haupt-
versammlung präsent sind oder aber eine gesetzgemäße Be-
kanntgabe nach § 121 Abs. 3 AktG erfolgt ist.
2
Oberlandesgericht
Dresden
2. Zivilsenat
Aktenzeichen: 2 U 1539/06
5 O 2281/06 EV LG Dresden
Verkündet am 04.09.2006
Die Urkundsbeamtin:
Ruczynski
Justizobersekretärin
IM
URTEIL
In dem Verfahren der einstweiligen Verfügung
MDL Mxxxxxxxxxxxxx Lxxxxxx AG
vertreten durch den Vorstand Rxxxxx Bxxx,
Lxxxstr. xx,
0xxxx Lxxxxxx
Rxxxxx Bxxx
Lxxxxxxx Str. xx,
9xxxx Wxxxxxxx
Hxxxx-Gxxxxx Gxxxxxx
c/o CxxxxxxxCxxxxx Partnerschaft,
Mxxxxxx Lxxxstr. xx,
6xxxx Fxxxxxxxx
Verfügungskläger und Berufungskläger
Prozessbevollmächtigte zu 1)
bis 3): bei den Oberlandesgerichten
zugelassene Rechtsanwälte der
Rechtsanwaltskanzlei
Nxxx, Sxxxxxxxxxxx, Lxxx,
Lxxxx-Bxxxxxx-Str. x,
0xxxx Dxxxxxx
gegen
3
Kxxx Sxxxx
Txxxxxxxxx Str. xx,
0xxxx Dxxxxxx
Verfügungsbeklagter und Berufungsbeklagter
Prozessbevollmächtigte:
bei den Oberlandesgerichten
zugelassene Rechtsanwälte der
Rechtsanwaltskanzlei Mxxxxxxxxx,
Kxxxxxxxxxxxxx xx,
1xxxx Bxxxxx
IIL Ixxxxxxxx- und Ixxxxxxxxx-Lxxxxxx GmbH
vertreten durch den Geschäftsführer Lxxxxx M. Hxxxxxxxxx,
Txxxxxxxxx Str. xx,
8xxxx Txxxxxx
- Nebenintervenientin, beigetreten auf Beklagtenseite -
Prozessbevollmächtigte:
bei den Oberlandesgerichten
zugelassene Rechtsanwälte der
Rechtsanwaltskanzlei
Hxxxx, Rxxxxxx & Oxxx Rxxxxxxx x,
8xxxx Mxxxxxx
wegen aktienrechtlicher Forderung
4
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden auf-
grund der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2006 durch
Vizepräsident des Oberlandesgerichts Hagenloch,
Richterin am Oberlandesgericht Bokern und
Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schönknecht
für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Verfügungskläger gegen das Urteil der
5. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 11.08.2006 -
5 O 2281/06 EV - wird zurückgewiesen.
2. Die Verfügungskläger tragen zu jeweils 1/3 die Kosten
des Berufungsverfahrens einschließlich der im Rechtsmit-
telverfahren angefallenen Kosten der Nebenintervention.
-
Streitwert der Berufung: EUR 50.000,00 -
Gründe:
A.
Die sich auf eine organschaftliche Vertretungsbefugnis durch
den Verfügungskläger zu 2) (im Folgenden: Kläger zu 2)) be-
rufende Verfügungsklägerin zu 1) (im Folgenden: Klägerin zu
1)) begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung, dem Verfü-
gungsbeklagten (im Folgenden: Beklagten) zu untersagen, als
ihr Vorstand zu handeln. Das gleiche Rechtsschutzziel ver-
folgen der Kläger zu 2) und der Verfügungskläger zu 3) (im
Folgenden: Kläger zu 3), die jedenfalls bis zu den in ihren
Wirkungen strittigen Beschlussfassungen der Hauptversammlung
bzw. des Aufsichtsrats der Klägerin zu 1) vom 27.07.2006 de-
ren Vorstand bzw. Aufsichtsratsvorsitzender waren.
Die Klägerin zu 1) wurde im Mai 2000 errichtet und im Juli
2000 in das Handelsregister eingetragen. An ihrem Grundkapi-
tal von EUR 500.000,00 waren die L S G (im Folgenden: Sach-
sen LB) zu 51 % und die Nebenintervenienten zu 49 % betei-
ligt. Zwischen diesen beiden Aktionären bestehen seit Jahren
5
erhebliche Meinungsverschiedenheiten, die sich seit der au-
ßerordentlichen Hauptversammlung der Klägerin zu 1) vom
30.09.2003, auf welcher mit den Stimmen der Sachsen LB be-
schlossen wurde, das Grundkapital um EUR 5 Mio. zu erhöhen,
verschärft haben. Nachdem die gegen diese Beschlussfassung
gerichtete Anfechtungsklage der Nebenintervenientin rechts-
kräftig
abgewiesen
worden
war
(vgl.
BGH,
Urteil
vom
24.04.2006 - II ZR 30/05 - AG 2006, 501 ff.), betrieb die
Sachsen LB die Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsre-
gister weiter. Mit Urteil vom 25.07.2006 - 2 U 969/06 - (An-
lage HRO 8, Bl. 190 ff. dA) wies der Senat einen Antrag der
Nebenintervenientin auf Erlass einer einstweiligen Verfü-
gung, mit welcher der Klägerin zu 1) die weitere Durchfüh-
rung der Kapitalerhöhungsverfahren untersagt werden sollte,
zurück. Zwei Tage später, am 27.07.2006, fand nach Darstel-
lung der Nebenintervenientin in den Räumen ihrer Prozessbe-
vollmächtigten eine außerordentliche Hauptversammlung der
Klägerin zu 1) statt. In der hierüber errichteten notariel-
len Niederschrift heißt es (vgl. Anlage AG 2, Bl. 137 ff.
dA):
I. Teilnehmer
Anwesend waren:
1.
Vom Aufsichtsrat: niemand
2.
Vom Vorstand: niemand
3.
Der Aktionär und der Aktionärsvertreter, wie sie in dem dieser
Niederschrift als Anlage 1 beigefügten Teilnehmerverzeichnis
aufgeführt sind.
II.
Vorsitz, Präsenz, Tagesordnung, Art der Abstimmung
Der Vertreter des einzigen teilnahmeberechtigten Aktionärs be-
stimmte Herrn R E zum Versammlungsleiter, dieser übernahm den
Vorsitz und eröffnete um 12:25 Uhr die Versammlung.
Der Vorsitzende stellte fest, dass es sich um eine Spontanversamm-
lung handele und keine Einladungen bekanntgemacht und ver-
schickt worden seien. Die Verwaltungsorgane seien als solche e-
benfalls nicht förmlich informiert. Es handele sich jedoch um eine
Vollversammlung, da dem weiteren Aktionär wegen der Verlet-
zung von § 20 Abs. 1 AktG weder ein Stimmrecht noch ein Teil-
nahmerecht zustehe:
Zwar habe die Gesellschaft (Anmerkung des Senats: die Klägerin
zu 1)) die Mitteilung des weiteren Aktionärs Sachsen LB L S G über
seine Beteiligung an der Gesellschaft im elektronischen Bundesan-
zeiger vom 05.05.2004 und vom 14.03.2005 bekanntgemacht. Über
diese Mitteilung hinaus sei gemäß § 20 Abs. 1 i.V.m. § 16 Abs. 4,
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Abs. 1 und § 17 Abs. 2 AktG jedoch auch der Umstand mittei-
lungspflichtig, dass die Sachsen Finanzgruppe durch ihre Beteili-
gung an der Aktionärin Sachsen LB L S G (mittelbar) mehr als 25 %
an der Gesellschaft erworben habe. Eine solche Mitteilung sei
nicht erfolgt. Damit sei die Aktionärin Sachsen LB L S G temporär
sämtlicher Verwaltungsrechte verlustig (BGH II ZR 30/05, Urteil vom
24.04.2006). Durch Einsicht in den elektronischen Bundesanzeiger
kurz vor Beginn der Hauptversammlung habe er sich davon über-
zeugt, dass die Gesellschaft keine diesen Annahmen entgegen-
stehende Mitteilung gemacht habe.
Demgegenüber habe die Aktionärin IIL I- und I-L GmbH durch Mit-
teilung vom 12.02.2004, bekanntgemacht von der Gesellschaft
durch Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger vom
05.05.2004, ihre Mitteilungspflichten erfüllt. Des Weiteren haben die
herrschenden Unternehmen der IIL I- und I-L GmbH, denen jeweils
die Anteile der IIL I- und I-L GmbH an der Gesellschaft gemäß § 16
Abs. 4 AktG zuzurechnen sind, entsprechende Mitteilungen vor
Beginn der Hauptversammlung abgegeben. Kurz vor der Haupt-
versammlung hat mich Herr A W telefonisch darüber informiert,
dass er als Bote der herrschenden Unternehmen der IIL I- und I-L
GmbH (nachfolgend auch IIL GmbH) um 12:00 Uhr eine Meldung
der BBFG B B und Fxxxxxvermittlung GmbH und eine Meldung von
Herrn L M. H z.H. des Vorstands der Gesellschaft persönlich über-
geben habe.
Der Vorsitzende gab die Präsenz der Hauptversammlung wie folgt
bekannt:
Von dem Grundkapital der Gesellschaft in Höhe von
EUR 500.000,00, eingeteilt in 10.000 Stück-Aktien ohne Nennbetrag,
sind alle teilnahme- und stimmberechtigten Aktien, nämlich dieje-
nigen der IIL GmbH (4.900 Stück) vertreten. Der Zahl der Aktien
entspricht jeweils die gleiche Zahl an Stimmen (§ 17 Abs. 1 Satz 2
der Satzung). Sämtliche Aktien sind voll eingezahlt. Der Aktionär
bzw. Aktionärsvertreter hat seine Berechtigung zur Teilnahme an
der Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechts nach-
gewiesen.
Aus den Aufzeichnungen der Gesellschaft über ihre Aktionäre und
dem Teilnehmerverzeichnis ergibt sich, dass alle teilnahmeberech-
tigten Aktionäre erschienen oder vertreten sind und das gesamte
teilnahme- bzw. stimmberechtigte Grundkapital repräsentieren.
Die heutige Hauptversammlung ist damit als Vollversammlung be-
schlussfähig, solange alle teilnahmeberechtigten Aktionäre bzw.
Aktionärsvertreter anwesend bzw. vertreten sind und kein Aktionär
bzw. Aktionärsvertreter der Beschlussfassung widerspricht. Der Ver-
treter des allein stimm- und teilnahmeberechtigten Aktionärs ver-
zichtete vorsorglich auf die Einhaltung sämtlicher nach Gesetz o-
der Satzung erforderlicher Form- und Fristvorschriften für die Einbe-
rufung und Abhaltung einer Hauptversammlung.
...
Der Vorsitzende gab die dieser Niederschrift als Anlage 2 beige-
fügte
Tagesordnung
7
bekannt.
Der Vorsitzende stellte nach entsprechender Frage an die Aktionä-
re fest: keiner der anwesenden Aktionäre bzw. Aktionärsvertreter
hat der Beschlussfassung zu diesen Tagesordnungspunkten wider-
sprochen. Der Vorsitzende bestimmte satzungsgemäß die Art
(Form und Verfahren) der Abstimmung wie folgt:
Die Abstimmung erfolgt durch Handaufheben.
III.
Erledigung der Tagesordnung.
Pkt. 1. der Tagesordnung:
Der Vorsitzende stellt ohne Aussprache den in der Tagesordnung
zu Pkt. 1 bekannt gemachten Beschlussvorschlag des Aktionärs
über die Aufhebung des Kapitalerhöhungsbeschlusses vom
30.09.2003 zur Abstimmung.
Die Abstimmung nach dem festgelegten Verfahren ergab
Präsenz:
4.900
Ergebnis Ja-Stimmen:
4.900
Der Vorsitzende gab dieses Ergebnis bekannt. Er stellte fest:
Bei einer Präsenz von 4.900 Stimmen ist der zu diesem Tagesord-
nungpunkt 1. unterbreitete Beschlussvorschlag über die Aufhe-
bung des Kapitalerhöhungsbeschlusses vom 30.09.2003 einstimmig
angenommen. Der Kapitalerhöhungsbeschluss ist damit aufgeho-
ben.
Pkt. 2. der Tagesordnung:
Der Vorsitzende stellte ohne Aussprache den in der Tagesordnung
zu Pkt. 2 bekannt gemachten Beschlussvorschlag des Aktionärs
über den Vertrauensentzug gegen das Vorstandsmitglied des R B
zur Abstimmung.
Die Abstimmung nach dem festgelegten Verfahren ergab:
Präsenz 4.900
Ergebnis Ja-Stimmen: 4.900
Der Vorsitzende gab dieses Ergebnis bekannt. Er stellte fest:
Bei einer Präsenz von 4.900 Stimmen ist der zu diesem TOP 2. un-
terbreitete Beschlussvorschlag über den Vertrauensentzug gegen
das Vorstandsmitglied R B einstimmig angenommen.
Pkt. 3. der Tagesordnung:
Der Vorsitzende stellte ohne Aussprache den in der Tagesordnung
zu Pkt. 3. bekannt gemachten Beschlussvorschlag des Aktionärs
über die Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder G und Z zur Ab-
stimmung.
Die Abstimmung nach dem festgelegten Verfahren ergab:
Präsenz: 4.900
Ergebnis Ja-Stimmen: 4.900
Der Vorsitzende gab dieses Ergebnis bekannt. Er stellte fest:
8
Bei einer Präsenz von 4.900 Stimmen ist der zu diesem Tagesord-
nungspunkt 3. unterbreitete Beschlussvorschlag über die Abberu-
fung der Aufsichtsratsmitglieder G und Z einstimmig angenommen.
Pkt. 4. der Tagesordnung:
Der Vorsitzende stellte ohne Aussprache den in der Tagesordnung
zu Pkt. 4 bekannt gemachten Beschlussvorschlag des Aktionärs
über die Neuwahl von Aufsichtsratsmitgliedern zur Abstimmung.
Die vorgeschlagenen Aufsichtsratsmitglieder hätten für den Fall ih-
rer Wahl erklärt, das Amt anzunehmen.
Die Abstimmung in getrennten Wahlgängen nach dem festgeleg-
ten Verfahren ergab jeweils:
Präsenz: 4.900
Ergebnis Ja-Stimmen: 4.900
Der Vorsitzende gab dieses Ergebnis bekannt. Er stellte fest:
Bei einer Präsenz von 4.900 Stimmen sind die zu diesem Tagesord-
nungspunkt 4. unterbreiteten Beschlussvorschläge über die Neu-
wahl von Aufsichtsratsmitgliedern einstimmig angenommen und
somit Herr R E und Herr Dr. U G zu Mitgliedern des Aufsichtsrat be-
stellt und zwar für die Zeit bis zur Beendigung der Hauptversamm-
lung, die über die Entlastung für das 4. Geschäftsjahr nach dem
Beginn der Amtszeit beschließt, wobei das Geschäftsjahr, in dem
die Amtszeit beginnt, nicht mitgerechnet wird.
Pkt. 5. der Tagesordnung:
Der Vorsitzende stellte ohne Aussprache den in der Tagesordnung
zu Pkt. 5. bekanntgemachten Beschlussvorschlag des Aktionärs
über die Bestellung des Abschlussprüfers für das Geschäftsjahr
2006 zur Abstimmung.
...
Der Vorsitzende gab dieses Ergebnis bekannt. Er stellte fest:
Bei einer Präsenz von 4.900 Stimmen ist der zu diesem Tagesord-
nungspunkt 5. unterbreitete Beschlussvorschlag über die Bestellung
des Abschlussprüfers für das Geschäftsjahr 2006 einstimmig ange-
nommen.
IV.
Anfechtungsfrist
Schließlich erklären sämtliche erschienenen Aktionäre und Aktio-
närsvertreter auf nochmalige Rückfrage ausdrücklich, dass sie un-
widerruflich für sich und ihre Vollmachtgeber auf das Recht zur An-
fechtung sämtlicher in dieser Hauptversammlung gefassten Be-
schlüsse sowie auf die Erhebung von Widersprüchen gegen diese
Beschlüsse verzichten, ferner auf etwaige weitergehende Berichte,
Bekanntmachungen und dergleichen.
Damit war die Tagesordnung erledigt. Der Vorsitzende schloss die
ordentliche Hauptversammlung um 12:42 Uhr.
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V.
Feststellungen des Notars
...
Über die Frage der ordnungsgemäßen Einberufung habe ich im
Vorfeld der Hauptversammlung mit den anwaltlichen Vertretern
der Aktionärin IIL GmbH ein ausführliches Rechtsgespräch geführt.
...
Rechtliche Anhaltspunkte, die Sanktionen des § 20 Abs. 7 AktG bei
Verletzung der Mitteilungspflichten durch das nur mittelbar betei-
ligte Unternehmen nach den Grundsätzen des BGH-Urteils vom
24.04.2006 milder zu gestalten, sehe ich nicht. Dass § 121 Abs. 6
AktG vor dem Hintergrund des heutigen Sachverhalts vor Gericht
eine einschränkende Auslegung erfahren könnte (Vollversamm-
lung nur bei Präsenz auch der nichtteilnahmeberechtigten Aktio-
näre), etwa, weil die Treuepflicht des Aktionärs es gebieten könn-
te, dem anderen Aktionär die Nachholung der nach § 20 AktG er-
forderlichen Mitteilung zu ermöglichen, habe ich ebenfalls mit den
anwaltlichen Vertretern der Aktionärin IIL Ixxxxxxxx- und Ixxxxxxxxx-
Lxxxxxx GmbH erörtert. Unter Abwägung der mit der Vornahme
bzw. der Ablehnung meiner Amtshandlung verbundenen Nachtei-
le habe ich keine Gründe gesehen, die Amtstätigkeit zu versagen.
...
Im Anschluss an diese Hauptversammlung fand eine - nach der
Satzung der Klägerin zu 1) (vgl. Anlage K 4, Bl. 29 ff. dA;
dort § 11 Abs. 7, Bl. 33 dA) zugelassene - telefonische Auf-
sichtsratssitzung statt, an der die neu bestellten Auf-
sichtsratsmitglieder R E und Dr. U G sowie das dem Auf-
sichtsrat mittels Berufung durch die Nebenintervenientin
(vgl. § 9 Abs. 3 der Satzung, Bl. 19 dA) bereits zuvor ange-
hörende Aufsichtsratsmitglied Dr. J G teilnahmen. Hierbei
wählte der Aufsichtsrat zu seinem Vorsitzenden R E und zu
dessen Stellvertreter Dr. U G. Sodann fasste er den Be-
schluss, den bisherigen Vorstand R B, den Kläger zu 2), mit
sofortiger Wirkung abzuberufen, seinen Dienstvertrag außer-
ordentlich mit sofortiger Wirkung zu kündigen und zum neuen
Vorstand für die Dauer von fünf Jahren den Beklagten zu
bestellen (vgl. Protokoll in Anlage K 9, Bl. 55 f. dA). In
unmittelbarem Anschluss hieran führte der Beklagte als aus
seiner Sicht neu bestellter Vorstand der Klägerin zu 1) mit
Billigung von R E eine außerordentliche Gesellschafterver-
sammlung der MDL F S GmbH, einer 100 %-igen Tochtergesell-
schaft der Klägerin zu 1), durch. In deren Rahmen wurden mit
10
sofortiger Wirkung der Kläger zu 2) als Geschäftsführer ab-
berufen und der Beklagte zum neuen Geschäftsführer bestellt
(vgl. Anlage K 11, Bl. 59 dA).
Mit Schreiben vom 27.07.2006 unterrichtete der Beklagte als
neuer Vorstand den Kläger zu 2) von diesen Entwicklungen und
erteilte ihm zugleich Hausverbot (vgl. Anlage K 10, Bl. 57
dA). Zeitgleich forderte der Beklagte die Mitarbeiter der
Klägerin zu 1) auf, mit deren bisherigen Organmitgliedern
weder persönlich noch schriftlich oder fernmündlich in Kon-
takt zu treten (vgl. Anlage K 12, Bl. 60 dA). Des Weiteren
kündigten der Beklagte und R E in ihrer Funktion als Vor-
stand bzw. Aufsichtsratsvorsitzender der Klägerin zu 1) das
von dieser ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten erteilte
Mandat (vgl. Schreiben vom 27.07.2006 in Anlage K 13, Bl. 61
dA). Mit Schreiben vom 14.08.2006 sagte der Beklagte die be-
reits vor dem 27.07.2006 auf den 17.08.2006 angesetzte
Hauptversammlung der Klägerin zu 1) ab (vgl. Anlage BK 1,
Bl. 354 dA).
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, eine Vollversamm-
lung habe am 27.07.2006 nicht ohne Ladung und Mitwirkung der
Klägerin zu 1) stattfinden können. Diese sei an der Haupt-
versammlung teilnahmeberechtigt gewesen, weil sie nicht von
der Sachsen Finanzgruppe (im Folgenden: SFG) beherrscht wer-
de und von daher ihre Mitteilungspflicht aus § 20 Abs. 1
i.V.m. § 16 Abs. 4 AktG nicht verletzt habe. Die SFG sei
zwar an der Klägerin zu 1) mit rund 63 % beteiligt (vgl.
Satzung in Anlage K 15, Bl. 247 ff. dA); einer Beherrschung
stehe aber entgegen, dass alle wesentlichen Entscheidungen
der Sachsen LB mit einer 3/4-Mehrheit gefasst würden und da-
her nicht allein mit den Stimmen der SFG ergehen könnten.
Jedenfalls seien aber die Beschlussfassungen vom 27.07.2006
sittenwidrig, weil der Vorstand der Klägerin zu 1) über die
Durchführung der Hauptversammlung nicht unterrichtet worden
sei und daher keine Gelegenheit erhalten habe, noch vor dem
Hauptversammlungstermin etwaigen Mitteilungspflichten nach-
zukommen.
11
Die Kläger haben beantragt,
dem Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes zu
untersagen, als Vorstand der Klägerin zu handeln,
insbesondere in deren Namen Erklärungen abzugeben,
sich als Vorstandsmitglied der Klägerin zu gerieren
und Hauptversammlungen einzuberufen.
Der Beklagte hat beantragt,
die einstweilige Verfügung zurückzuweisen.
Nachdem das Landgericht Dresden mit Beschluss vom 31.07.2006
dem - zu diesem Zeitpunkt allein von der Klägerin zu 1) -
gestellten Antrag zunächst entsprochen hatte (Bl. 63 dA),
hat es auf entsprechenden Widerspruch des Beklagten sowie
der Nebenintervenientin mit Urteil vom 11.08.2006, unter
Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 31.07.2006, den
Antrag
auf
Erlass
einer
einstweiligen
Verfügung
zurückgewiesen (Bl. 337 ff. dA). Den von der Klägerin zu 1)
gestellten
Antrag
hat
das
Landgericht
für
unzulässig
erachtet, da jene entgegen § 112 AktG nicht durch ihren
Aufsichtsrat, sondern durch ihren Vorstand vertreten sei.
Die Anträge der Kläger zu 2) und 3) seien unbegründet, da
der Beklagte nicht in deren persönlichen Rechte eingreife.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung, in der
sie ihr erstinstanzliches Vorbringen bekräftigen und bean-
tragen,
unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils vom
11.08.2006 gemäß seinem erstinstanzlichen Begehren zu
erkennen.
Der Beklagte und dessen Nebenintervenientin beantragen,
die Berufung zurückzuweisen
Sie
vertiefen
ihr
erstinstanzliches
Vorbringen
und
verteidigen die landgerichtliche Entscheidung.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf
das wechselseitige Vorbringen der Parteien nebst Anlagen so-
12
wie die Protokolle zu den mündlichen Verhandlungen vor dem
Landgericht sowie dem Senat verwiesen.
B.
Die Berufung der Kläger ist unbegründet.
I.
Das Landgericht hat den von der Klägerin zu 1) gestellten
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht
mangels einer gesetzgemäßen organschaftlichen Vertretung als
unzulässig erachtet.
1. Im vorliegend verfahrensgegenständlichen Rechtsverhält-
nis zum Beklagten wird die Klägerin zu 1) nicht vom Vor-
stand, sondern vom Aufsichtsrat vertreten.
a) § 112 AktG erfasst nicht nur die Rechtsbeziehungen
zu gegenwärtigen und ehemaligen Vorstandsmitgliedern
(vgl.
BGHZ
130,
108
[111 f.];
BGHZ 157,
151
[153 f.]; BGH NZG 2004, 327; BGH NJW 1999, 3263).
Vielmehr unterfallen dem Anwendungsbereich von § 112
AktG auch Streitigkeiten darüber, ob ein Prätendent
um das Vorstandsamt wirksam berufen wurde oder nicht
(vgl. Großkommentar AktG/Hopt/Roth, § 112 Rn. 40
m.w.N.; Semler, Festschrift Rowedder, 1994, 441
[447]).
b) Die vorstehende Fallgestaltung gibt nicht Anlass,
aus Normzweckaspekten von dieser Kompetenzzuweisung
des § 112 AktG abzuweichen.
Im Ausgangspunkt geht der Senat allerdings davon
aus, dass die Zuständigkeitsverlagerung des § 112
AktG
eine
organschaftliche
Sonderrechtsbeziehung
zwischen der Aktiengesellschaft und dem Prätendenten
für das Vorstandsamt voraussetzt, also nicht ein-
13
greift, wenn sich ein Dritter ohne jedwede Be-
schlussfassung des Aufsichtsrats einer Vorstands-
stellung berühmt und hierdurch in deliktsrechtlich
relevanter Weise in den eingerichteten und ausgeüb-
ten Gewerbebetrieb der Aktiengesellschaft eingreift
(vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 09.05.2006 -
4 U 334/05; OLG Hamm NZG 1999, 597 f.). Eine derar-
tige Situation, bei der es bei der organschaftlichen
Vertretung durch den Vorstand nach § 78 AktG zu
verbleiben hat, ist aber vorliegend auch nach dem -
für die organschaftliche Vertretungskompetenz maß-
geblichen - Sachvortrag der Klägerin zu 1) nicht ge-
geben. Selbst auf der Grundlage ihres Vorbringens
handelt es sich nämlich bei der am 27.07.2006 in den
Kanzleiräumen der Prozessbevollmächtigten der Nebe-
nintervenientin durchgeführten Versammlung nicht um
eine bloße Schein-Hauptversammlung, da immerhin mit
der Nebenintervenientin 49 % des Grundkapitals ver-
treten war, der äußere Ablauf den aktienrechtlichen
Anforderungen der §§ 129 ff. AktG genügte und die
Einschätzung der Nebenintervenientin, dass mangels
einer Teilnahmeberechtigung der Sachsen LB die Vor-
aussetzungen für die Durchführung einer spontanen
Vollversammlung vorlägen, - wie bereits die Erwägun-
gen im Urteil des Landgerichts München II vom
14.08.2006 (9 O 4357/06) zeigen - nicht schlechthin
unvertretbar war.
c) Auch das Gebot effektiven Rechtsschutzes erfordert
nicht, den Anwendungsbereich von § 112 AktG bei
Fallgestaltungen der vorliegenden Art in verfas-
sungskonformer Weise gegen den Wortlaut zu beschrän-
ken und es für Rechtsverfolgungen gegen den Präten-
denten für das Vorstandsamt bei der allgemeinen or-
ganschaftlichen Vertretungskompetenz des § 78 AktG
zu belassen.
Jene Erschwernisse, welche die Klägerin zu 1) bei
einer wirkungsvollen Rechtsverfolgung gegenüber dem
14
Beklagten treffen, resultieren nämlich nicht aus ge-
setzessystematischen Gründen oder normativen Lücken,
sondern allein daraus, dass sich das Aufsichtsrats-
mitglied Dr. Jxxxxx Gxxxxxxxx nach dem Vortrag der
Klägerin zu 1) der Erfüllung seiner organschaftli-
chen Pflichten versagen soll. Beruht aber das ver-
fahrensrechtliche Dilemma der Klägerin zu 1) darauf,
dass - ihrem Vortrag zufolge - ihre Aufsichtsrats-
mitglieder an Sitzungen des Aufsichtsrates nicht
vollständig teilnehmen, kann dies zu keiner Ver-
schiebung der organschaftlichen Vertretungskompetenz
von § 112 AktG auf § 78 AktG führen. Auch vermag der
Senat nicht zu erkennen, dass auf die Herbeiführung
einer Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrates gerich-
tete Maßnahmen von vornherein nicht Erfolg verspre-
chend wären:
aa) Die Klägerin zu 1) wird im verfahrensgegen-
ständlichen
Rechtsverhältnis
zum
Beklagten
durch den Aufsichtsrat in der früheren perso-
nellen Besetzung organschaftlich vertreten.
(1) Es spricht bereits viel dafür, dass dies
schon aus jenen Erwägungen folgt, die zur or-
ganschaftlichen Vertretung von Kapitalgesell-
schaften bei Statusklagen entwickelt wurden
(vgl. BGH NJW-RR 1992, 993; BGH WM 1981, 1353
[1354]; OLG Köln NZG 1999, 773). Dies gilt umso
mehr, als der Senat bereits mehrfach dahin er-
kannt hat, dass diese Prinzipien nicht auf ge-
sellschaftsrechtliche Anfechtungs- oder Nich-
tigkeitsklagen beschränkt sind, sondern darüber
hinaus auch in jenen Streit- oder einstweiligen
Verfügungsverfahren zu gelten haben, in denen
in der Sache über die Wirksamkeit organschaft-
licher Bestellungsakte gestritten wird. Ansons-
ten müsste über die materielle Rechtslage nicht
auf der Ebene der Begründetheit, sondern -
systemwidrig - bereits bei der Prozessfüh-
15
rungsbefugnis, also der Zulässigkeit, entschie-
den
werden
(vgl.
u.a.
Senatsurteile
vom
30.08.1999 - 2 U 2119/99 - und vom 30.10.2003 -
2 U 1494/03 -; vgl. des Weiteren: OLG Hamm
GmbHR 1993, 743 [745]).
(2) Unabhängig hiervon besteht aber auch objek-
tiv der Aufsichtsrat in seiner früheren Beset-
zung fort, weil die auf der Hauptversammlung
vom 27.07.2006 beschlossene Bestellung zweier
neuer Aufsichtsratsmitglieder wegen eines Ver-
stoßes gegen § 121 Abs. 2 bis 4 AktG nichtig
ist (vgl. § 241 Nr. 1 AktG).
(2.1) Im Ausgangspunkt ist dem Beklagten aller-
dings zuzugeben, dass die Sachsen LB ihrer Mit-
teilungspflicht gemäß § 20 Abs. 1, § 16 Abs. 4
AktG nicht nachgekommen ist und daher an der
Hauptversammlung vom 27.07.2006 nicht teilnah-
me- und stimmberechtigt war.
(2.1.1) Die Klägerin zu 1) hat die aus § 17
Abs. 2 AktG folgende Vermutung dafür, dass die
Sachsen LB von der SFG beherrscht wird, nicht
widerlegt.
Zwar kommt der SFG, die eine Mehrheitsbeteili-
gung von 62,96 % an der Sachsen LB hält, nicht
die Möglichkeit zu, bei dieser Personalent-
scheidungen alleine zu treffen, insbesondere
ohne Mitwirkung anderer die Besetzung des Ver-
waltungsrats - und damit mittelbar des Vorstan-
des - vorzugeben, da nach § 6 der Satzung der
Sachsen LB für die Bestellung des Verwaltungs-
rats eine Mehrheit von 3/4 der abgegebenen
Stimmen erforderlich ist. Die fehlende perso-
nelle Alleinbestimmungsbefugnis (vgl. hierzu:
MünchKommAktG/Bayer,
§ 17
Rn. 20
und
§ 17
Rn. 95 ff.) ändert aber bei der gebotenen Ge-
16
samtschau nichts an einer aus der Mehrheitsbe-
teiligung folgenden Beherrschung (vgl. Münch-
KommAktG/Bayer, § 17 Rn. 32 und 97). Für diese
spricht bereits, dass zumindest insoweit eine
personelle Verflechtung besteht, als der stell-
vertretende Vorstandsvorsitzende der SFG auch
Vorstandsvorsitzender der Sachsen LB ist. Zudem
hat
die
Nebenintervenientin
unwidersprochen
ausgeführt, dass die SFG zum einen über die
neue Ausrichtung der Sachsen LB entschieden und
hierbei die Führungsrolle übernommen habe und
zum anderen die Einhaltung dieser Konzeption
durch ein spezifisches Steuerungsmodell sicher-
stelle.
(2.1.2) Damit sind der SFG als herrschendem Un-
ternehmen ohne Aktienbesitz gemäß § 20 Abs. 1,
§ 16 Abs. 4 AktG die Aktien der Sachsen LB als
abhängigem Unternehmen zuzurechnen und hätten
für beide, Sachsen LB und SFG, entsprechende
Mitteilungspflichten bestanden (vgl. BGHZ 114,
203 [217]; MünchKommAktG/Bayer, § 20 Rn. 9 und
Rn. 15).
(2.1.3) Wurden diese Mitteilungspflichten ver-
letzt, stand der Sachsen LB kein Teilnahmerecht
an einer Hauptversammlung zu (vgl. BGH AG 2006,
501
[502];
MünchKommAktG/Bayer,
§ 20
Rn. 46 ff.).
(2.2) Die fehlende Teilnahmeberechtigung der
Sachsen LB ändert aber nichts daran, dass es
sich bei der - nicht unter den Anforderungen
von § 121 Abs. 2 bis 4 AktG einberufenen -
Hauptversammlung um keine (spontane) Vollver-
sammlung i.S.v. § 121 Abs. 6 AktG handelt.
17
(2.2.1) Hierfür genügte nicht, dass mit der Ne-
benintervenientin die einzige teilnahme- und
stimmrechtsbefugte Aktionärin anwesend war.
[1] Entgegen dem missverständlichen Wortlaut
von § 121 Abs. 6 AktG ist zwar für die Durch-
führung einer Vollversammlung nicht erforder-
lich, dass auch jene Aktionäre, denen gemäß
§ 20 Abs. 7 AktG eine Teilnahmebefugnis nicht
zusteht, bei Beginn der Hauptversammlung zuge-
gen sind und diese dann nach Feststellung ihrer
Präsenz zu verlassen haben. Solches wäre eine
unnütze Förmelei, die der Gesetzgeber mit § 121
Abs. 6 AktG nicht gewollt haben kann.
[2] Andererseits kann der Nebenintervenientin
aber nicht darin beigetreten werden, dass ein
seine Mitteilungspflichten aus § 20 AktG ver-
letzender Aktionär wegen des Ruhens seiner
mitgliedschaftlichen Rechte im Rahmen von § 121
Abs. 6 AktG wie ein Nichtaktionär zu behandeln
sei. Vielmehr gebieten Wortlaut und Normzweck
von § 121 Abs. 6 AktG, dass eine Vollversamm-
lung nur vorliegt, wenn entweder sämtliche -
auch
nicht
teilnahmeberechtigte -
Aktionäre
bei Beginn der Hauptversammlung präsent sind
oder aber eine gesetzgemäße Bekanntgabe nach
§ 121 Abs. 3 AktG erfolgte (zumindest im Kern
ebenso: Quack, Festschrift Semler, 1993, S. 581
[588]).
Mögen auch jenen Aktionären gegenüber, die ihre
Anzeigepflicht aus § 20 Abs. 1 AktG verletzt
haben, nicht nach näherer Maßgabe von § 125
AktG Mitteilungen zu machen sein, muss ihnen
doch eröffnet werden, sich die nach § 121
Abs. 3 AktG erforderlichen Mindestinformationen
durch Einblick in die Gesellschaftsblätter ver-
schaffen zu können (ebenso: Quack a.a.O.). Nur
18
so können sie Gelegenheit erhalten, die Konse-
quenzen einer anhaltenden Verletzung der Mit-
teilungspflicht sachgerecht einzuschätzen und
durch eine umgehende Anzeige abzuwenden.
Welch unangemessenen Eingriffe in die Rechts-
stellung der gemäß § 20 Abs. 7 AktG nicht teil-
nahmeberechtigten Aktionäre ansonsten entstün-
den, zeigt die vorliegende Sachgestaltung, bei
welcher die Nebenintervenientin die sie selbst
treffende Mitteilungspflicht weniger als eine
halbe Stunde vor der durchgeführten Hauptver-
sammlung erfüllt hat, sinnfällig. Wären derar-
tige Anforderungen an das Vorliegen einer spon-
tanen Vollversammlung entbehrlich, könnte bei
Aktiengesellschaften, bei denen zunächst keiner
der Aktionäre den Pflichten aus § 20 Abs. 1,
§ 16 Abs. 4 AktG nachgekommen ist, jeder Aktio-
när nach eigenem Belieben und zu einem ihm ge-
nehm erscheinenden Zeitpunkt durch eine Erfül-
lung seiner eigenen gesetzlichen Pflicht seine
Teilnahmeberechtigung an einer Hauptversammlung
herbeiführen und eine solche im unmittelbaren
Anschluss hieran spontan als Vollversammlung
durchführen. Ein derartiges Normverständnis wä-
re aber mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen
der Rechte der anderen Aktionäre verbunden und
kann daher der objektiven Rechtslage nicht ent-
sprechen.
(2.2.2) Dahinstehen kann deshalb, ob die Nebe-
nintervenientin mit ihrem Vorgehen nicht ohne-
hin ihre gesellschaftsrechtliche Treuepflicht
verletzt hat und deshalb von einer wirksamen
Stimmabgabe nicht ausgegangen werden kann.
bb) Besteht aber der Aufsichtsrat in seiner alten
Besetzung fort, kann die Klägerin zu 1) der aus
ihrer Sicht kumulierten Rechtsverletzung durch
19
Hauptversammlung und Aufsichtsrat nicht derart
begegnen, dass dem früheren Vorstand in einer
Art
Durchgriff
die
Vertretungsbefugnis
in
Rechtsangelegenheiten mit dem Beklagten als
Prätendenten für das Vorstandsamt erwächst.
Vielmehr hat sie sich an der Kompetenzvorgabe
des § 112 AktG festhalten zu lassen und - so
sie ihr Sachbegehren weiterverfolgen will - zu-
nächst die Beschlussfähigkeit ihres Aufsichts-
rates herbeizuführen. Dies ist ihr auch trotz
Eilbedürftigkeit mit Aussicht auf Erfolg mög-
lich:
Sollte sich das Aufsichtsratsmitglied Dr. G
auch in Kenntnis der vorliegenden Senatsent-
scheidung
weigern,
an
Aufsichtsratssitzungen
teilzunehmen, könnte ihn die Klägerin zu 1) im
Verfahren der einstweiligen Verfügung zur Teil-
nahme an einer ordnungsgemäß einberufenen Auf-
sichtsratssitzung anhalten lassen. Einen derar-
tigen Antrag könnte die Klägerin zu 1) auch un-
abhängig davon durch ihren früheren Vorstand in
prozessordnungsgemäßer Weise stellen, ob die
Beschlussfassungen des ("neuen") Aufsichtsrats,
wovon der Senat im Übrigen ausgeht, nichtig
sind. Bei derartigen Sachlagen wären nämlich -
spiegelbildlich
zu
gesellschaftsrechtlichen
Statusklagen - jene Personen zur organschaftli-
chen Vertretung berufen, die dies bei einer
Nichtigkeit der auf die Abberufung und Neube-
stellung von Vorstandsmitgliedern gerichteten
Aufsichtsratsbeschlüsse wären.
Ein derartiges Rechtsschutzverlangen hätte auch
in der Sache Aussicht auf Erfolg, da es zu den
elementaren Pflichten eines Aufsichtsratsmit-
gliedes gehört, an ordnungsgemäß einberufenen
Sitzungen
teilzunehmen
(vgl.
Großkommentar
AktG/Hopt/Roth § 109 Rn. 16 m.w.N.; MünchKom-
20
mAktG/Semler, § 109 Rn. 19 m.w.N.). Auch wird
der Erlass einer Leistungsverfügung angesichts
der Offenkundigkeit dieser Mitwirkungspflicht
und der schwerwiegenden Nachteile, welche die
Klägerin zu 1) durch eine von einem einzelnen
Aufsichtsratsmitglied herbeigeführte Beschluss-
unfähigkeit erleidet, zumindest ernsthaft in
Betracht kommen. Dies gilt umso mehr, als Dr. J
G jedenfalls Mitglied des Aufsichtsrates ist
und es grundsätzlich einem Aufsichtsratsmit-
glied nicht zukommen kann, durch eine Verweige-
rung eigener Mitwirkung eine Art eigene Ent-
scheidungskompetenz darüber zu beanspruchen, ob
andere Personen wirksam zu Aufsichtsratsmit-
gliedern bestellt sind.
2. Liegt aber die organschaftliche Vertretungskompetenz für
die Klägerin zu 1) bei deren Aufsichtsrat, ist ihr An-
trag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unzulässig
(vgl. BGHZ 130, 108 [110 ff.]; BGH WM 1999, 2026; BGH AG
1991,
269;
BGH
WM 1990,
630
[631];
Großkommentar
AktG/Hopt/Roth, 4. Aufl., § 112 Rn. 112 m.w.N.).
II.
Zu Recht hat das Landgericht des Weiteren dahin entschieden,
dass der vom Kläger zu 2) gestellte Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung unbegründet ist.
Diesem stehen eigene Abwehrrechte gegen den Beklagten man-
gels einer organschaftlichen oder sonstigen Sonderrechtsbe-
ziehung nicht zu. Insbesondere vermögen die vom Kläger zu 2)
erwogenen Gründe keine subjektiven Rechtsbeziehungen zum Be-
klagten zu schaffen. Ebenso wenig greift der Beklagte in ir-
gend einer Weise in absolut geschützte Rechtsgüter des Klä-
gers zu 2) ein.
21
III.
Ebenso wenig stehen dem Kläger zu 3) irgend welche Ansprüche
gegen Beklagten zu.
1. Soweit
der
Kläger
zu
3)
Ansprüche
des
Gesamt-
Aufsichtsrats verfolgen will, ist für eine Prozessfüh-
rungsbefugnis nach den Grundsätzen der actio pro socio
nichts erkennbar.
Abgesehen davon, dass dieses Rechtsinstitut nur restrik-
tiv zur Anwendung kommt, besteht vorliegend kein zu
vollziehender Beschluss des Aufsichtsrates, der von dem
Kläger zu 3) als einzelnem Aufsichtsratsmitglied im Wege
der actio pro socio verfolgt werden könnte. Unabhängig
hiervon kommt einem einzelnen Aufsichtsratswmitglied oh-
nehin nicht die Befugnis zu, Konflikte, die zwischen
Mehrheit und Minderheit im Aufsichtsrat auftreten, über
den Umweg einer gerichtlichen Inanspruchnahme des Vor-
standes (vgl. BGHZ 106, 54 [66]) oder der von diesem
vertretenen Aktiengesellschaft (vgl. hierzu Senatsurteil
vom 09.05.2006 - 2 U 372/06 -; OLG Celle AG 1990, 264)
auszutragen. Entsprechendes muss erst recht gelten, wenn
ein solcher Konflikt noch gar nicht offen zutage getre-
ten ist, weil es an einer Beschlussfassung des Auf-
sichtsrates fehlt, der 3-köpfige Aufsichtsrat vielmehr
in seiner Gesamtheit noch keinen Beschluss gefasst hat.
Im Übrigen können dem Aufsichtsrat keine subjektiven
Rechte gegen den Beklagten zustehen.
2. Ebenso wenig vermag der Senat eine aus einem eigenen
Recht des Klägers zu 3) abzuleitende Anspruchsgrundlage
gegen den Beklagten zu erkennen. Zwischen diesen Verfah-
rensbeteiligten ist eine organschaftliche Sonderrechts-
beziehung, aus der Ansprüche des Klägers zu 3) erwachsen
könnten, nicht ersichtlich. Insbesondere sind auch die
22
von diesem herangezogenen Aspekte nicht geeignet, sub-
jektive Rechte gegenüber dem Beklagten zu begründen.
C.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen gemäß § 97 Abs. 1,
§ 101 ZPO den Klägern zu je 1/3 zur Last.
Hagenloch
Bokern
Dr. Schönknecht