Urteil des OLG Dresden vom 25.02.2003

OLG Dresden: positive vertragsverletzung, ampel, gefahr, kollision, bademeister, einsichtsfähigkeit, schwimmbad, schmerzensgeld, abgrenzung, präsenz

Leitsatz:
Zur Verkehrssicherheitspflicht eines Schwimmbadbetreibers -
hier Vermeidung von Unfällen auf einer Wasserrutschbahn -
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: 9 U 2245/02
1-O-112/01 LG Görlitz
Verkündet am 25.02.2003
Die Urkundsbeamtin:
Reinhardt
Justizsekretärin
IM
URTEIL
In dem Rechtsstreit
Kläger und Berufungsbeklagter
Prozessbevollmächtigte:
gegen
Beklagte und Berufungsklägerin
Prozessbevollmächtigter:
wegen Forderung
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hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden auf-
grund der mündlichen Verhandlung vom 11.02.2003 durch
Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Kindermann,
Richter am Oberlandesgericht Rein und
Richter am Landgericht Dr. Lames
für Recht erkannt:
1.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des
Landgerichts Görlitz vom 24.10.2002, Az.: 1 O 112/01,
aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
2.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung
durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe
des jeweils beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 % ab-
zuwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte in gleicher Hö-
he Sicherheit leistet.
4.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schmerzensgeld und
Feststellung des materiellen Schadens aufgrund eines Un-
falls, den er bei Benutzung der Wasserrutsche in einem von
der Beklagten betriebenen Schwimmbad erlitten hat.
Für den Sachverhalt wird auf den Tatbestand des landgericht-
lichen Urteils Bezug genommen.
Ergänzend wird festgestellt, dass der Kläger innerhalb der
Rutschenröhre mit einem anderen Badegast, einer älteren Da-
me, zusammengestoßen ist.
Das Schwimmbad ist mit einer Video-Überwachungsanlage aus-
gestattet. Diese überträgt in die Schwimmmeisterzentrale
entweder ein Bild des Rutscheneinstiegs oder des Rutschen-
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ausstiegs. Beides gleichzeitig kann nicht angesehen werden.
Auf den Bildschirm können auch Bilder anderer Überwachungs-
kameras übertragen werden, die dann eine Übertragung aus dem
Bereich der Rutsche ebenfalls ausschließen. Die Schwimmmeis-
ter können den Bereich der Rutsche persönlich aufsuchen oder
in diesem Bereich Lautsprecherdurchsagen machen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Beklagte ha-
be ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Die Badegäste
der Beklagten müssten sich darauf verlassen können, dass die
Rutsche frei sei, wenn die Ampel auf Grün schalte. Dieses
Vertrauen werde in dem voraussehbaren und auch nicht völlig
fern liegenden Fall enttäuscht, dass ein Badegast bei Rot
und damit nicht bestimmungsgemäß rutscht, da der zweite rut-
schende Badegast noch in der Rutsche ist, wenn der erste die
untere Lichtschranke passiert und damit wieder die Ampel auf
Grün schaltet. Diese Verkehrssicherungspflichtverletzung sei
auch ursächlich für den Unfall, da die Verletzung des Klä-
gers nicht ernsthaft durch gemeinsames Rutschen mit dem
Freund des Klägers verursacht sein könne.
Gegen das am 04.11.2002 zugestellte Urteil richtet sich die
am 02.12.2002 eingegangene Berufung der Beklagten, die mit
Eingang vom 24.12.2002 begründet wurde.
Die Beklagte macht geltend, das Landgericht überspanne die
Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht. Es müsse ge-
nügen, dass die technischen Vorschriften, wie unstreitig der
Fall, eingehalten seien. Das Landgericht fordere letztlich,
dass eine Aufsichtsperson an der Rutsche tätig werde, was
nicht geschuldet sei. Zudem habe der Kläger die Rutsche
nicht ordnungsgemäß benutzt. Er sei zusammen mit einem
Freund gerutscht. Nur so seien die Verletzungsfolgen zu er-
klären. Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei nicht zu-
treffend.
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Die Beklagte beantragt:
Unter Aufhebung des Urteils des LG Görlitz vom
24.10.2002 (Az.: 1 0 112/01) wird die Klage abgewie-
sen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte müsse bei der Ausgestaltung der Sicherheit der
Rutsche Fehlbenutzungen durch die Badegäste einkalkulieren.
Die Videoüberwachung reiche nicht aus, weil der Bademeister
immer nur den Einstieg oder Ausstieg der Rutsche oder aber
das Bad insgesamt überwachen könne. Der Bademeister hätte
sofort nach der Fehlbenutzung der Anlage die Benutzung der
Rutsche verbieten können, so dass es zur Verletzung nicht
gekommen wäre. Eine zweite Schutzmöglichkeit wäre eine voll-
ständige mechanische Absperrung des Rutscheneingangs gewe-
sen, die so lange geschlossen bleibt, bis die zuerst rut-
schende Person die Rutsche verlassen hat.
Für die Einzelheiten wird auf den schriftsätzlichen Vortrag
der Parteien sowie das Terminsprotokoll vom 11.02.2003 Bezug
genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Dem Klä-
ger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Das er-
gibt sich für alle maßgeblichen Anspruchsgrundlagen (§ 847
BGB für das Schmerzensgeld, im Übrigen positive Vertragsver-
letzung des Schwimmbadbenutzungsvertrages sowie § 823 Abs. 1
BGB) daraus, dass die Beklagte ihrer Verkehrssicherungs-
pflicht genügt hat.
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1. Nach der Rechtsprechung des BGH (zuletzt Urteil v.
21.03.2000, VI ZR 158/99, NJW 2000, 1946), der sich der
Senat anschließt, ist der Benutzer einer Freizeiteinrich-
tung vor den Gefahren zu schützen, die über das übliche
Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen, vom Benutzer
nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkennbar
sind. Dabei muss nicht jeder abstrakten Gefahr vorgebeugt
werden, da eine Verkehrssicherheit, die jeden Gefähr-
dungsfall ausschließt, nicht erreichbar ist. Es bedarf
nur solcher Sicherheitsmaßnahmen, die ein verständiger
und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger
Mensch für ausreichend halten darf, um andere Personen
vor Schäden zu bewahren, und die ihm nach den Umständen
zumutbar sind. Dabei ist nicht nur auf die ordnungsgemäße
Benutzung der Einrichtung abzustellen, sondern insbeson-
dere bei Benutzung durch Kinder auch auf eine zwar miss-
bräuchliche, aber nicht ganz fern liegende Benutzung
(BGH, Urt. v. 21.02.1978, VI ZR 202/76).
2. Die Verletzung der so bestimmten Verkehrssicherungs-
pflicht vermag der Senat nicht festzustellen.
a) Die Anlage entspricht den Vorschriften der maßgebli-
chen DIN-Norm. Dies hat die erstinstanzliche Beweis-
aufnahme ergeben; Bedenken hiergegen werden von keiner
Seite vorgebracht.
b) Auch unter dem Gesichtspunkt einer darüber hinausrei-
chenden Verkehrssicherungspflicht der Beklagten ergibt
sich unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrages,
er habe die Rutsche ordnungsgemäß benutzt und sich bei
dem Zusammenstoß mit einem noch in der Rutsche befind-
lichen Badegast verletzt, keine Verantwortlichkeit der
Beklagten. Denn die Beklagte hat die ihr zumutbaren
Vorkehrungen gegen Zusammenstöße und Verletzungen ge-
troffen.
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Die Beklagte hat eine Vielzahl von Maßnahmen ergrif-
fen, um ihrer Verkehrssicherungspflicht zu genügen.
Durch die am Aufgang zur Rutsche ausgehängte Anleitung
wird mit Hilfe eines Symbols und des dazugehörigen
Textes aufgefordert, Abstand zu halten. Zudem ist die
Benutzung durch Kinder von 0 - 6 Jahren verboten. Ein
weiteres Symbol fordert zusammen mit einem entspre-
chenden Text dazu auf, nach dem Rutschen den Bereich
des Rutschenausgangs sogleich zu verlassen, damit es
nicht zu Kollisionen kommen kann. Bei ordnungsgemäßer
Benutzung durch alle Badegäste gewährleistet auch die
sensorgesteuerte Ampel, dass sich immer nur eine Per-
son in der Rutsche befindet, eine Kollisionsgefahr al-
so ausgeschlossen ist. Die Einhaltung dieser Regeln
kann durch eine Videoanlage überwacht werden. Die Be-
einflussung von Badegästen, die sich nicht an die Re-
geln halten, ist durch Lautsprecherdurchsagen und
durch die persönliche Präsenz der Schwimmmeister mög-
lich.
Ein noch weiter gehender Zwang zur Vermeidung von Kol-
lisionen ist der Beklagten als Betreiberin des Bades
nicht zuzumuten. Dafür ist zunächst maßgeblich, dass
nach allgemeiner Lebenserfahrung bei Weitem nicht aus
jeder Kollision eine ernst zu nehmende Verletzung re-
sultiert. Ein Schutz vor Kollisionen durch eine mecha-
nisch wirkende Einrichtung müsste so beschaffen sein,
dass diese von Badbesuchern nicht überwunden werden
könnte, insbesondere nicht von übermütigen Kindern.
Eine solche mechanische Einrichtung würde ihrerseits
Unfallgefahren bergen (z.B. Quetschungen), insgesamt
aber auch den Charakter des Badebetriebes als Frei-
zeitvergnügen in Frage stellen. Denn jeder Badbenut-
zer, der sich der mechanisch wirkenden Sperre gegen-
über sähe, würde den Eindruck gewinnen, dass er als
Gefahr für die anderen Badegäste wahrgenommen und als
solche ohne Appell an die eigenen Entscheidungsmög-
lichkeiten vom Benutzen der Rutsche abgehalten wird.
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Dies ist der Beklagten als Betreiberin einer Freizeit-
einrichtung nicht zumutbar.
Aufgrund derselben Überlegungen wäre es auch nicht zu-
mutbar, durch eine weiter gehende Beaufsichtigung der
Badegäste die gleichzeitige Benutzung der Rutsche zu
verhindern. Denn eine solche zusätzliche und ständige
Aufsicht würde die Kollisionsgefahr nur dann aus-
schließen, wenn jeder Benutzer, einschließlich der
Kinder, konsequent und letzten Endes mit Einsatz von
Zwang daran gehindert würde, die Rutsche zu benutzen,
solange sich noch eine andere Person auf der Rutsche
befindet. Auch das mit dem Charakter des Schwimmbades
als Freizeiteinrichtung nicht zu vereinbaren. Zudem
kann allgemein nicht die ständige Beaufsichtigung ver-
langt werden (RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823 BGB
Rn. 229).
Dem steht entgegen dem Vorbringen des Klägers in der
mündlichen Verhandlung nicht entgegen, dass die Rut-
sche gerade auf die Benutzung auch durch Kinder ausge-
richtet ist. Denn das Verbot der Benutzung durch Kin-
der bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres zeigt, dass
die Beklagte bei ihrem Sicherheitskonzept auf die Ein-
sichtsfähigkeit der Badbenutzer setzt. Darin wird sie
durch die gesetzliche Wertung des § 827 BGB bestätigt,
wonach die deliktische Einsichtsfähigkeit von einem
Kind ab Vollendung des 7. Lebensjahres erwartet werden
kann. Diese Wertung des Gesetzes muss auch für die Be-
wertung des Umfangs der Verkehrssicherungspflicht maß-
geblich sein.
Gegen die Unzumutbarkeit einer mechanisch wirkenden
Zugangssperre lässt sich auch nicht mit Erfolg einwen-
den, dass die Badbetreiber Drehkreuze und ähnliche
Sperren beim Eingang in die Schwimmbäder verwenden.
Solche Sperren sind mit Sperren innerhalb des Badbe-
reiches nicht vergleichbar, weil sie eher dem Zutritt
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zur Freizeiteinrichtung zugeordnet werden als der
Freizeiteinrichtung selbst.
Soweit schließlich darauf abgestellt wird, der Benut-
zer habe in der Rutsche keinen Einfluss auf die beste-
hende Gefahr, weil er nichts sehe, vermag dies nicht
zu begründen, warum ein absoluter Schutz gegen die e-
ben damit verbundenen Risiken gewährt werden soll.
3. Die veröffentlichte Rechtsprechung veranlasst den Senat
nicht zu einer anderen Beurteilung. Soweit das Oberlan-
desgericht Köln (Urteil vom 20.07.2000, 7 U 201/97, VersR
2002, 859) eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht
angenommen hat, waren die getroffenen Vorkehrungen, ins-
besondere der Verhaltenshinweis "Rutschabstand ca. 10 s",
nicht mit den vorliegend getroffenen Maßnahmen vergleich-
bar. Das gilt auch für die Entscheidung des Oberlandesge-
richts Hamm vom 28.02.1997, 9 U 16/95, ZfS 1999, 50. Das
Kammergericht (Urteil vom 09.12.1988, Az.: 9 U 964/88,
VersR 1990, 168) hat bei einer lediglich durch eine Zeit-
schaltung, und nicht wie vorliegend durch Sensoren gere-
gelten Ampelanlage einen hinreichenden Schutz angenommen,
dass bei ordnungs- und bestimmungsgemäßer Benutzung Ge-
fahren von den Benutzern abgewendet werden.
4. Da der Senat keine Verletzung einer Verkehrssicherungs-
pflicht feststellen kann, kommt es auf die Frage nicht
an, ob, gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt des
Schutzzwecks der Norm, gegenüber dem Kläger als dem, der
von den an der Kollision Beteiligten als Zweiter ge-
rutscht ist, geringere Anforderungen an die Verkehrssi-
cherungspflicht zu richten sind.
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III.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1, 708
Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 ZPO. Die Zulassung der Revision ist
insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung zu den vom Senat
geteilten Erwägungen in der Entscheidung des Oberlandesge-
richts Köln vom 20.07.2000 zur Wahrung einer Einheitlichkeit
der Rechtsprechung geboten.
Kindermann Rein Dr. Lames