Urteil des OLG Celle vom 13.12.2011

OLG Celle: körperliche untersuchung, körperliche unversehrtheit, unverletzlichkeit der wohnung, ärztliche untersuchung, vorführung, unterliegen, eingriff, durchsuchung, überprüfung, anhörung

Gericht:
OLG Celle, 02. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 2 Ws 341/11
Datum:
13.12.2011
Sachgebiet:
Normen:
StPO § 81 a, StPO § 102, StPO § 105, StPO § 230 Abs 2
Leitsatz:
1.
Die Beschwerde gegen eine Anordnung des erkennenden Gerichts, mit der die körperliche
Untersuchung des Angeklagten zur Überprüfung seiner Verhandlungsfähigkeit angeordnet wird, ist
jedenfalls dann zulässig, wenn der angefochtene Beschluss zugleich die Anwendung von
eingriffsintensiven Zwangsmitteln erlaubt.
2.
In diesen Fällen ist die Beschwerde auch bei prozessualer Überholung wegen eines fortbestehenden
Feststellungsinteresses zulässig.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
2 Ws 341/11
4 KLs 9/11 LG Bückeburg
305 Js 3025/11 StA Bückeburg
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen M. L.,
geboren am xxxxxxxxxxx 1975 in B.,
wohnhaft W.K.Str., B.
Verteidiger: Rechtsanwalt S., R.
wegen schweren Bandendiebstahls
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx und den
Richter am Amtsgericht xxxxxx am 13. Dezember 2011 beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Bückeburg
vom 02. Dezember 2011 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
G r ü n d e :
I.
Dem Angeklagten wird mit der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Bückeburg vom
17.08.2011 schwerer Bandendiebstahl in sieben Fällen, davon in vier Fällen im Versuch, vorgeworfen. Er hat sich in
dieser Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bückeburg vom 18.05.2011 bis zum 28.06.2011 in
Untersuchungshaft befunden. Am 28.06.2011 hat das Amtsgericht Bückeburg den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt.
Neben dem Angeklagten L. waren drei weitere Personen als Bandenmitglieder angeklagt. Nach Eröffnung des
Hauptverfahrens bestimmte die Vorsitzende der Kammer 5 Hauptverhandlungstermine im November und Dezember
2011 und veranlasste u.a. die Ladung von 41 Zeugen.
Am dritten Hauptverhandlungstag, dem 28.11.2011, erschien der Angeklagte nicht. Er ließ sich mit einem
MagenDarmInfekt entschuldigen und legte am Folgetag ein ärztliches Attest vom 28.11.2011 vor, wonach der
Angeklagte erkrankt und aus ärztlicher Sicht nicht verhandlungsfähig sei.
Nach Aufforderung der Vorsitzenden, ein detailliertes ärztliches Attest vorzulegen, gelangte am 01.12.2011 eine
ärztliche Bescheinigung zu den Akten, worin dem Angeklagten attestiert wurde, seit längerem unter Angst,
Spannungs und Unruhezuständen zu leiden, die behandlungsbedürftig seien. Durch die bestehende Konfliktsituation
sei es zu einer erheblichen Verschlechterung mit abdominellen Beschwerden gekommen, die sich in Übelkeit,
Spasmen und Durchfällen zeigten. Des Weiteren komme es zu Schwindelattacken, Schweißausbrüchen,
Schlafstörungen und Kribbelparathesien. Durch die Konzentrationsstörungen bestehe eine reduzierte psychische
Belastbarkeit, die ein adäquates Zuhören und Aussagen in einer Gerichtsverhandlung nicht ermöglichten. Es laufe
eine medikamentöse Einstellung auf ein Antidepressivum/Anxiolytikum.
Daraufhin beauftragte die Vorsitzende eine Amtsärztin des Landkreises S. telefonisch mit der Untersuchung des
Angeklagten auf seine Verhandlungsfähigkeit für den Fortsetzungstermin vom 02.12.2011. Diese konnte den
Angeklagten aber nicht antreffen. Telefonisch versicherte der Angeklagte an diesem Tag der Vorsitzenden, dass er
nochmals seine Ärztin aufsuchen und die Möglichkeit einer Sitzungsteilnahme am 02.12.2011 besprechen wolle. Ihm
wurde eine Verhandlungsdauer von maximal 45 Minuten für diesen Tag in Aussicht gestellt sowie die Möglichkeit
zugesichert, jederzeit um eine Unterbrechung bitten zu können. Der Angeklagte erschien jedoch auch an diesem
Verhandlungstag nicht.
Deshalb ordnete die Kammer am 02.02.2011 mit dem angefochtenen Beschluss die körperliche Untersuchung des
Angeklagten durch einen Amtsarzt zwecks Feststellung seiner Verhandlungsfähigkeit bzw. Verhandlungsunfähigkeit
an. Ferner ordnete sie die zwangsweise Vorführung des Angeklagten für die Untersuchung sowie die Durchsuchung
seiner Wohnung zum Zweck seiner Ergreifung an.
Mit seiner Beschwerde vom 05.12.2011 wendet sich der Angeklagte gegen diese Anordnungen. Er hält sie für
unverhältnismäßig, da die relevanten Tatsachen bereits durch ärztliches Attest nachgewiesen seien und das Gericht
die Hauptverhandlung aussetzen könne. Ferner bezweifelt der Angeklagte, dass ein Amtsarzt, der den Angeklagten
nicht persönlich kenne, aus einem einzigen Explorationsgespräch zutreffende Schlüsse ziehen könne.
Die Kammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Im Übrigen hat sie das Verfahren gegen den Angeklagten
abgetrennt, gegen die drei bisherigen Mitangeklagten ist mittlerweile ein Urteil ergangen. Die angeordnete
amtsärztliche Untersuchung ist am 06.12.2011 nach Festnahme des Angeklagten erfolgt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unzulässig, hilfsweise als unbegründet, zu
verwerfen.
II.
1.
Die Beschwerde ist mit ihrer ursprünglichen Zielrichtung prozessual überholt, weil die amtsärztliche Untersuchung
mittlerweile erfolgt ist. Ein Feststellungsinteresse des Angeklagten über die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer
amtsärztlichen Untersuchung besteht aber fort.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 30. April 1997 die Notwendigkeit eines
nachträglichen gerichtlichen Rechtsschutzes für die Fälle verlangt, in denen es um schwerwiegende
Grundrechtseingriffe geht, die zwischenzeitlich erledigt sind (BVerfGE 96, 27, BVerfG NJW 1989, 2131, vgl. auch
MeyerGoßner, StPO, 54. Aufl., vor § 296 Rnr. 18 a m.w.N.). Um solche schwer wiegenden Grundrechtseingriffe
kann es sich vor allem handeln bei Freiheitsentziehungen (BVerfG NJW 1999, 273), Wohnungsdurchsuchungen
(BVerfG NJW 1999, 273) oder Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit (BVerfG NJW 2007, 1117).
Diese Grundsätze gelten auch hier. Der angefochtene Beschluss ordnet eine Freiheitsentziehung des Angeklagten
und eine Durchsuchung seiner Wohnung sowie eine körperliche Untersuchung an. Diese Anordnungen unterliegen,
auch wenn sie erledigt sind, der Überprüfung im Beschwerdeverfahren.
2.
Die Beschwerde ist auch im Übrigen gemäß § 304 StPO zulässig. Es liegt eine Ausnahme vom Grundsatz des §
305 Satz 1 StPO vor, nach der Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die dem Urteil vorangehen, grundsätzlich
der Beschwerde entzogen sind. Von diesem Grundsatz finden sich Ausnahmen in § 305 S. 2 StPO im Hinblick u. a.
auf Entscheidungen über freiheitsentziehende Maßnahmen, eine Entziehung der Fahrerlaubnis oder die Festsetzung
von Ordnungs und Zwangsmitteln, die Aufzählung ist aber nicht abschließend (so auch OLG Brandenburg,
Beschluss vom 16.01.2008, 1 Ws 309/07, Rnr. 8f., zitiert nach juris, vgl. ferner MeyerGoßner StPO, 54. Aufl., § 305,
Rnr. 7). Es sind deshalb auch andere Maßnahmen in der laufenden Hauptverhandlung anfechtbar, die in ihrer
Eingriffsintensität den in § 305 S. 2 StPO aufgezählten Maßnahmen gleichstehen. Dazu gehört auch die mit
Freiheitseinschränkungen verbundene zwangsweise Vorführung bei einem Amtsarzt, die ebenfalls mit einer
Einschränkung der Freiheitsgrundrechte verbundene körperliche Untersuchung durch den Arzt (anders zur
psychiatrischen Untersuchung OLG Düsseldorf VRS 99, 123) und der mit der angefochtenen
Durchsuchungsanordnung verbundene Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung. Der Beschwerde steht deshalb
auch § 305 S. 1 StPO nicht entgegen.
3.
Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
a)
Die Anordnung der körperlichen Untersuchung sowie der zwangsweisen polizeilichen Vorführung beruhen auf §§ 81
a, 230 Absatz 2 StPO. Die Kammer war gehalten, in Anbetracht der nichtssagenden und widersprüchlichen
ärztlichen Atteste und der widersprüchlichen Angaben des Angeklagten dessen Verhandlungsfähigkeit zu
überprüfen.
Die Anordnungen des angefochtenen Beschlusses waren daher erforderlich und auch im Übrigen verhältnismäßig.
Gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnungen spricht letztlich auch nicht, dass sie nicht zwischen einer einfachen
körperlichen Untersuchung im Sinne des § 81 a Abs. 1 Satz 1 und den invasiven Untersuchungen des § 81 a Abs. 1
Satz 2 StPO differenzieren. Dabei muss eine gerichtliche Anordnung auf der Grundlage von § 81 a StPO die Art der
Eingriffe genau bezeichnen und darf die einzelnen Untersuchungsmethoden nicht dem untersuchenden Arzt
überlassen (vgl. OLG Düsseldorf, StV 2005, 490), weil Blutentnahmen und andere ärztliche Eingriffe dem
Richtervorbehalt nach § 81 a Abs. 2 StPO unterliegen. Sollen körperliche Eingriffe mit der Untersuchung zugelassen
werden, muss das Gericht dies ausdrücklich anordnen.
Eine solche Anordnung enthält der angefochtene Beschluss nicht, er äußert sich dazu auch nicht. Darin liegt hier
aber kein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme
zutreffend darauf hingewiesen, wegen der dem Amtsarzt für die Untersuchung zur Verfügung gestellten ärztlichen
Atteste sei für diesen offensichtlich gewesen, dass lediglich eine einfache körperliche Untersuchung sowie eine
Exploration des Angeklagten zur Feststellung seiner körperlichen Befindlichkeit aufgrund der psychischen
Belastungen in Betracht gekommen sei. Eine darüber hinausgehende Untersuchung, die mit einem Eingriff in die
körperliche Unversehrtheit des Angeklagten einherginge, seien dem Beschluss im Hinblick auf die übersandten
Unterlagen nicht zu entnehmen. Dem schließt sich der Senat an.
b)
Die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung zwecks Ergreifung des Angeklagten war durch die §§ 102, 105 StPO in
Verbindung mit § 230 Abs 2 StPO gedeckt und damit rechtmäßig. Da der Angeklagte sich bereits mehrfach der
Hauptverhandlung und einmal auch der amtsärztlichen Untersuchung entzogen hatte, war die Anordnung erforderlich,
um die ärztliche Untersuchung durchzuführen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
xxxxxxxxx xxxxxxxxx xxxxxx