Urteil des OLG Celle vom 19.05.2011

OLG Celle: treu und glauben, erdgas, allgemeine vertragsbedingungen, tarif, allgemeine geschäftsbedingungen, vertragsschluss, erlass, billigkeit, vertragsinhalt, realakt

Gericht:
OLG Celle, 19. Mai 2011
Typ, AZ:
Urteil, 13 U 6/10 (Kart)
Datum:
19.05.2011
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 307, AVBGasV § 4, GasGVV § 5
Leitsatz:
1) Zu der Frage, ob das in der AVBGasV bzw. der GasGVV enthaltende Preiserhöhungsrecht als
allgemeine Geschäftsbedingung in einen Sondervertrag betreffend den Gasbezug einbezogen worden
ist.
2) Die Preisanpassungsklausel „bei nachhaltiger Preisänderung im Heizölmarkt werden die
Erdgaspreise entsprechend angepasst“, benachteiligt den Vertragspartner unangemessen.
3) Zu der Frage, ob dem Versorgungsunternehmen ein einseitiges Preis änderungsrecht im Wege der
ergänzenden Vertragsauslegung zuzubilligen ist.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
13 U 6/10 (Kart)
18 O 52/07 Landgericht Hannover
Verkündet am
19. Mai 2011
M.,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In der Kartellsache
1. E. AG, vertreten durch den Vorstand, S., H.,
2. E. Vertrieb GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer, S., H.,
Beklagte und Berufungsklägerinnen,
Prozessbevollmächtigte zu 1, 2:
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Dr. G. & Partner, H., M.,
Geschäftszeichen: #####
gegen
1. R. B., M., H.,
bis 63. pp.
Kläger und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte zu 1 - 63:
Anwaltsbüro R. G. COLLEGEN, L., H.,
hat der 19. Mai 2011
des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. K., die Richterin am
Oberlandesgericht Z. und den Richter am Oberlandesgericht B. auf die mündliche Verhandlung vom 5. April 2011 für
Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 1. Dezember 2009 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des
Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.
Von den Kosten der Berufung hat die Beklagte zu 1 zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten der Kläger und der
Gerichtskosten zu tragen, die Beklagte zu 2 jeweils ein Drittel. Ihre eigenen Kosten tragen die Beklagten jeweils
selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe
von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 42.000 € festgesetzt.
G r ü n d e
I.
Die Kläger begehren die Feststellung der Unwirksamkeit von Gaspreiserhöhungen, die die Beklagten als
Gasversorger der Kläger in den Jahren 2004 bis 2008 vorgenommen haben. Auf die tatsächlichen Feststellungen im
angefochtenen Urteil wird insofern Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat der Klage, soweit sie nicht durch Rücknahme seitens der Kläger zu 38, 40 und 53
gegenstandslos geworden war, stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich ein Erhöhungsrecht nicht
aus der AVBGasV herleiten lasse. Die unmittelbare Anwendung scheitere daran, dass es sich bei den
streitbefangenen Verträgen um Normsonderkundenverträge handele. Eine entsprechende Anwendung scheide im
Hinblick auf die Vereinbarung einer abweichenden Preisanpassungsklausel aus. Diese indes benachteilige die
Kunden unangemessen und halte der AGBrechtlichen Inhaltskontrolle nicht stand. Eine ergänzende
Vertragsauslegung komme nicht in Betracht, da die nachteiligen Auswirkungen der entstandenen Vertragslücke für
die Beklagten durch ihre Möglichkeit zur kurzfristigen Kündigung kompensiert worden sei. Auch nach Inkrafttreten
der GasGVV sei kein Preiserhöhungsrecht der Beklagten entstanden, weil die GasGVV nur dort Geltung
beanspruchen könne, wo zuvor die AVBGasV Anwendung gefunden habe. Soweit die Kläger weiter widerspruchslos
Gas bezogen hätten, beinhalte dies für sie als Normsonderkunden keinen Erklärungswillen.
Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten ihr erstinstanzliches Klageziel (Klageabweisung) in vollem Umfang weiter.
Sie wiederholen und vertiefen im Wesentlichen ihr Vorbringen aus erster Instanz und vertreten die Ansicht, das
Landgericht sei von einer unzutreffenden Vertragsgrundlage ausgegangen und habe den Vertragsinhalt zu Unrecht
der Broschüre (Anlage B 9) entnommen. Zutreffend sei von der Geltung der AVBGasV bzw. der GasGVV
auszugehen und die Billigkeit der streitbefangenen Preise zu prüfen. Abgesehen davon habe das Landgericht den
Inhalt der Broschüre nicht vollständig ausgewertet und entscheidungserheblich verkürzt. Das Ergebnis der vom LG
vorgenommenen AGBrechtlichen Inhaltskontrolle und die Ablehnung einer ergänzenden Vertragsauslegung führten
zu einer Vorteilsgewährung für den Kunden, auf die er auch bei billiger Vertragsgestaltung keinen Anspruch habe und
die daher objektiven Gerechtigkeitserwägungen zuwiderlaufe. Nicht zuletzt habe das Landgericht die widerspruchslos
hingenommenen Preisanpassungen zu Unrecht nicht als vereinbart angesehen. insofern dürfe der Sonderkunde nicht
besser stehen als der Tarifkunde.
Die Beklagten beantragen,
das am 1. Dezember 2009 verkündete Urteil des LG Hannover (Az.: 18 O 52/07) aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
Für die weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien und den Sach und Streitstand im Übrigen wird auf die
gewechselten Schriftsätze und den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig. die Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass kein Rechtsmittel
eingelegt worden ist, soweit die Klage durch die Kläger zu 38, 40 und 53 bereits in erster Instanz zurückgenommen
worden ist. Die Berufung bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat den Klagen zu Recht
stattgegeben. Die Einwände der Beklagten rechtfertigen keine abweichende Entscheidung. Im Einzelnen:
1. Bei den streitbefangenen Vertragsverhältnissen handelt es sich um Sonderverträge und nicht um Verträge im
Rahmen der Grundversorgung. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts (S. 22/23 LGU unter Ziffer I Nr.
1 a) wird insofern Bezug genommen.
2. Den Beklagten stand ein Preiserhöhungsrecht nicht zu.
a) Die Beklagten hatten im Hinblick auf die streitbefangenen Rechnungen kein unmittelbar aus § 4 Abs. 1 und 2
AVBGasV resultierendes Preiserhöhungsrecht.
Die AVBGasV fand auf Sonderverträge - wie sie hier vorliegen (siehe oben Nr. 1) - keine unmittelbare Anwendung.
Auch insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen (S. 22/23 LGU, Ziffer I Nr.
1 a).
b) Dasselbe gilt für das in § 5 Abs. 2 GasGVV geregelte Preiserhöhungsrecht. Auch die GasGVV ist unmittelbar nur
auf Grundversorgungsverträge anzuwenden (s. S. 22/23 LGU, Ziffer I Nr. 1 a).
c) Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die AVBGasV bzw. die GasGVV hier auch nicht entsprechend
anwendbar.
aa) Eine Einbeziehung der AVBGasV als „allgemeine Bedingungen“ in den Tarif „Erdgas Classic“ ist schon
deswegen zu verneinen, weil die AVBGasV den Klägern unstreitig nicht, erst recht nicht vor Vertragsschluss (vgl.
Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 305, Rn. 31 und 33), übergeben bzw. übersandt worden sind. Dies wäre indes
selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Gaskunden aufgrund der Realofferte der Beklagten Gas
bezogen haben, für eine wirksame Einbeziehung erforderlich gewesen (§ 305 Abs. 2 BGB). Den Beklagten hätte es
insofern freigestanden, die Kunden zunächst auf der Grundlage des Basistarifs zu versorgen und ihnen sodann -
unter ausdrücklicher Bekanntgabe ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen - den Abschluss der Sonderverträge
anzubieten.
Auch die Privilegierung aus § 305 a BGB, die für bestimmte branchenspezifische Massengeschäfte Ausnahmen von
den strengen Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB vorsieht, greift ihrem Wortlaut nach
hier nicht. Gaslieferungsverträge werden von der Regelung nicht erfasst. Eine analoge Anwendung verbietet sich
bereits wegen des Ausnahmecharakters der Privilegierung.
bb) Daraus folgt, dass sich die Beklagten auch nicht mit Erfolg darauf berufen können, dass ab dem 8. November
2006 die AVBGasV aufgehoben und durch die GasGVV ersetzt wurde, womit das Preisanpassungsrecht für die
streitbefangenen Verträge aus § 5 Abs. 2 GasGVV Geltung erlangt habe.
Das Landgericht hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass die Regelungen der GasGVV nur insoweit greifen konnten,
als zuvor die Regelungen der AVBGasV gegriffen haben (S. 28/29 LGU, Ziffer 1 Nr. 1 g). Da diese aber - wie
dargelegt - weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung gefunden haben, können sie auch nicht durch § 5 Abs.
2 GasGVV ersetzt worden sein.
Unbeschadet dessen haben die Beklagten zudem gegen sich gelten zu lassen, dass ihrem Informationsschreiben
vom Frühjahr 2007 (Anlage B 81) nicht einmal eindeutig zu entnehmen war, dass die vertraglich vereinbarte
Preisanpassungsklausel durch die betreffende Bestimmung in der GasGVV abgelöst sein sollte. Die Beklagten
haben in dem Schreiben vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich „am Vertragsverhältnis“ nichts ändere.
Den weiteren Hinweis, dass die GasGVV die „bisher geltende“ AVBGasV „ablöse“, konnten die Kläger daher auch
nur so verstehen, dass sich zwar die rechtlichen Rahmenbedingungen geändert hatten (nämlich GasGVV statt
AVBGasV), nicht aber die vertraglich vereinbarten Sonderbedingungen.
Der Verweis der Beklagten auf die Urteile des Bundesgerichtshofs vom 15. Juli 2009 (VIII ZR 56/08 und VIII ZR
225/07) sowie ihre Einlassung, dass eine Vertragsänderung, die lediglich einer Gesetzesänderung Rechnung trage,
nicht unbillig i.S. des § 315 Abs. 3 BGB sein könne, gehen deshalb ins Leere. Hier wurde das Preisanpassungsrecht
des § 5 Abs. 2 GasGVV eben gerade nicht in die Sonderverträge der Kläger überführt.
d) Selbst wenn im Übrigen die AVBGasV bzw. die GasGVV Vertragsbestandteil geworden wären, wie die Beklagten
meinen, wäre dies nicht in unveränderter Form geschehen. Die in der Broschüre (Anlage B 9) für den Tarif „Erdgas
Classic“ enthaltene Preisanpassungsklausel „bei nachhaltiger Preisänderung im Heizölmarkt werden die
Erdgaspreise entsprechend angepasst“ stellt nämlich in jedem Fall eine abweichende vertragliche Regelung dar.
Daher kann hier auch die Frage dahinstehen, ob die Regelung des Preisanpassungsrechts in § 4 AVBGasV
überhaupt richtlinienkonform ist (vgl. RiL 93/13/EWG, „KlauselRichtlinie“ sowie BGH, Vorlagebeschluss v. 9. Februar
2011, VIII ZR 162/09).
Auf die in der Broschüre enthaltene Preisanpassungsklausel indes kann ein Preiserhöhungsrecht der Beklagten
ebenfalls nicht gestützt werden.
aa) Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich bei dieser Klausel um eine Allgemeine Geschäftsbedingung
und nicht lediglich um reines „Informationsmaterial“ ohne weitere rechtliche Bedeutung. Auf die zutreffenden
Ausführungen des Landgerichts hierzu (S. 23/24 LGU, Ziffer I Nr. 1 c, aa) nimmt der Senat zur Vermeidung von
Wiederholungen Bezug.
bb) Auch die Einwände, die die Beklagten gegen diese vom Landgericht vorgenommene Bewertung erheben, führen
nicht zu einer anderen Beurteilung:
(1) Insbesondere der Einwand, das Landgericht habe den Text der Broschüre, in der es zum Tarif „Erdgas Classic“
heißt: „Günstig über 23.571 kWh Jahresverbrauch“ unzutreffend gewürdigt, indem es auf Seite 24 des angefochtenen
Urteils festgestellt habe: „daraus ergibt sich zunächst, dass der Tarif nur bei einem Jahresverbrauch ab 23.571 kWh
einsetzt“, ist diesbezüglich ohne Relevanz.
Es kann dahinstehen, ob die genannte Schlussfolgerung des Landgerichts richtig, falsch oder nur sprachlich
missverständlich ist. Selbst unter Zugrundelegung des Textverständnisses der Beklagten, wonach der Tarif auch bei
einem geringeren Jahresverbrauch wählbar, aber erst ab 23.571 kWh wirtschaftlich sinnvoll sei, ändert dies nichts an
der - zutreffenden - Bewertung des Landgerichts, dass es sich bei den „Merkmalen“ um Allgemeine Bestimmungen
handelt. Denn jedenfalls hat die Beklagte zu 1 in ihrer Broschüre durch ihre Verweisung auf die „allgemeinen
Bestimmungen“ im Abschnitt „Der rechtliche Rahmen“ auf die „Merkmale“ Bezug genommen und dadurch zum
Ausdruck gebracht, dass mit ihnen rechtliche Regelungen im Sinne Allgemeiner Geschäftsbedingungen getroffen
werden.
(2) Auch der Einwand der Beklagten, die „Merkmale“ seien in ihrem Abrechnungssystem i. S. der
ABVGasVRegelungen „behandelt“ worden, ist ersichtlich ohne rechtliche Bedeutung. Entscheidend ist der
vereinbarte Vertragsinhalt, nicht eine eventuell abweichende Handhabung durch die Beklagten.
(3) Soweit die Beklagten einwenden, das Landgericht habe den Sachverhalt sinnentstellend dahingehend verkürzt,
dass es von der Vereinbarung vorrangiger „Allgemeiner Bestimmungen“ für die Sonderverträge ausgehe, während es
in der Broschüre tatsächlich heiße: „Sofern in den allgemeinen Bestimmungen der Verträge nicht anders vereinbart“,
verhilft dies der Berufung ebenfalls nicht zum Erfolg. Denn das Landgericht hat - zu Recht - festgestellt, dass es für
den hier betroffenen Tarif „Erdgas Classic“ solche von den AVBGasV abweichende Bestimmungen, nämlich
insbesondere die Regelung des Preiserhöhungsrechts und der Kündigungsfrist, gab (vgl. S. 23 LGU, Ziffer I Nr. 1 b).
Außer den in der Broschüre enthaltenen Bestimmungen gab es dagegen - worauf das Landgericht ebenfalls zu Recht
hingewiesen hat - keine konsolidierte Fassung der Lieferbedingungen für den Tarif „Erdgas Classic“ und somit auch
keine Möglichkeit anderweitiger Informationen (vgl. S. 24/25 LGU, Ziffer I Nr. 1 c, aa). Vor diesem Hintergrund
konnten sich die „Allgemeinen Bestimmungen“ gerade nicht „aus den Verträgen“ ergeben.
(4) Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht auch der Umstand, dass die „Merkmale“ des
Grundversorgungstarifs „Erdgas“, für den die AVBGasV unmittelbar galten, dieselbe Preisanpassungsklausel
enthalten wie der Tarif „Erdgas Classic“, nicht gegen die Qualifizierung der „Merkmale“ des Tarifs „Erdgas
Classic“ als Allgemeine Geschäftsbedingungen. Insofern mögen Fehler in der Ausgestaltung der
Grundversorgungsverträge vorliegen. diese haben jedoch keine Auswirkung auf die Normsonderkundenverträge.
Deren Qualifizierung sowie die Bewertung der für sie geltenden „Merkmale“ bleibt unberührt von der Frage, ob im
Grundversorgungsvertrag unzulässige Abweichungen von den AVBGasV enthalten sind (so auch die zutreffenden
Ausführungen auf S. 25 Mitte LGU, Ziffer I
Nr. 1 c, aa). Insbesondere lässt die Parallelität der Formulierungen in den jeweiligen „Merkmalen“ nicht den Schluss
zu, dass die „Merkmale“ des Tarifs „Erdgas Classic“ lediglich anpreisenden Charakter hätten, wie die Beklagten
geltend machen.
e) Die in der Broschüre enthaltene Preisänderungsklausel ist jedoch unwirksam. Sie benachteiligt die Kläger
unangemessen und hält daher der Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB nicht stand. Indem die Klausel das Recht zur
Preiserhöhung ausschließlich an „nachhaltige Preisänderungen im Heizölmarkt“ anbindet, ohne die Berücksichtigung
etwaiger Kostensenkungen in anderen Bereichen vorzusehen, verschiebt sie das vertraglich vereinbarte
Äquivalenzverhältnis zum Nachteil des Kunden. Dasselbe gilt im Hinblick darauf, dass die Klausel nur ein
Preisanpassungsrecht, nicht dagegen eine Preisanpassungspflicht, insbesondere bei sinkenden Gasbezugskosten,
vorsieht (vgl. hierzu umfassend BGH, Urteil vom 15.07.2009, VIII ZR 225/07, zitiert nach juris, Rn. 25 ff.). Die
Klausel ist zudem unbestimmt, da sie weder Angaben zu den Zeitpunkten der möglichen Preisanpassung enthält
noch zu den Maßstäben, anhand derer die Nachhaltigkeit der Preisänderungen am Heizölmarkt festzustellen sein
soll. Der Vertrag sieht auch keine Kompensation für diese Benachteiligung vor. Auf die auch insoweit zutreffenden
Feststellungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (S. 26/27 LGU, Ziffer I Nr. 1 c, bb).
3. Entgegen der Ansicht der Beklagten schulden die Kläger auch nicht in jedem Fall deshalb einen variablen und
angemessenen bzw. billigen Gaspreis, weil der Parteiwille beider Seiten von Beginn an auf einen veränderlichen
Preis gerichtet gewesen sei. Eine ergänzende Vertragsauslegung in diesem Sinne ist nicht vorzunehmen.
a) Sind Allgemeine Vertragsbedingungen nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, so bleibt der Vertrag
grundsätzlich nach § 306 Abs. 1 BGB im Übrigen wirksam und richtet sich sein Inhalt gemäß § 306 Abs. 2 BGB
nach den gesetzlichen Vorschriften. Dazu zählen zwar auch die Bestimmungen der §§ 157, 133 BGB über die
ergänzende Vertragsauslegung. Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt aber nur in Betracht, wenn sich die mit
dem Wegfall einer unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht durch dispositives Gesetzesrecht füllen lässt und
dies zu einem Ergebnis führt, das den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt,
sondern das Vertragsgefüge völlig einseitig zu Gunsten des Kunden verschiebt (BGH, Urteile vom 14.07.2010, VIII
ZR 246/08, zitiert n. juris, Rn. 50, und - bestätigend - vom 09.02.2011, VIII ZR 295/09, zitiert n. juris, Rn. 38).
b) Eine solche völlig einseitige Verschiebung des Vertragsgefüges liegt hier nicht vor, so dass es auf die von den
Beklagten aufgeworfene Frage, „was die typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise bei
sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten“,
genauso wenig ankommt wie auf den von ihnen behaupteten möglichen Willen der Parteien bei Vertragsschluss, eine
„Preisvariabilität“ zu vereinbaren.
aa) Zutreffend ist das Landgericht zu dem Schluss gekommen, dass ein Bestehenlassen der durch die unwirksame
Preiserhöhungsklausel entstandenen
„Lücke“ für die Beklagten nicht im oben genannten Sinne unzumutbar ist. Die Beklagten waren insbesondere durch
ihre Kündigungsmöglichkeit geschützt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 9. Februar 2011, a. a. O., Rn. 39. OLG Hamm,
Urteil vom 29.05.2009, I19 U52/08, zitiert n. juris, Rn. 60 und 70 ff.). Da erste Widersprüche der Kläger bereits im
Herbst 2004 und weitere in den Jahren 2005 und 2006 erhoben wurden (vgl. Anlagenband I, Anlagenkonvolut K 2),
war für die Beklagten bereits damals ein Risiko im Hinblick auf ihre Preiserhöhungen klar erkennbar. Ob insofern -
und wann genau - daraufhin auch bereits ein Kündigungsanlass bestand und ob im Rahmen der betreffenden
Beurteilung auf das jeweilige individuelle Vertragsverhältnis und die jeweilige mit dem Widerspruch angegriffene
Preiserhöhung abzustellen wäre, kann hier indes ebenso dahinstehen wie die Frage, ob und welche Konsequenz eine
Kenntnis der Beklagten von Widersprüchen Dritter gegen die Preiserhöhungen hätte. Denn jedenfalls gab die
Zustellung der Klage der Kläger zu 1 bis 63 an die Beklagte zu 1 im Dezember 2006 Anlass, diesen gegenüber zu
kündigen. In seiner Entscheidung vom 9. Februar 2011 hat der Bundesgerichtshof (a. a. O., Rn. 39) das Bestehen
eines Kündigungsanlasses allein vom Verhalten der Kunden (Widerspruch, Klage) und der daraus resultierenden
Erkennbarkeit der Nichtakzeptanz der Preiserhöhungen für den Energieversorger abhängig gemacht. Darüber hinaus
hat er festgestellt, dass es kein von vornherein unzumutbares Ergebnis darstelle, wenn sich der Energieversorger
erst „nach zweijähriger Vertragsdauer mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist“ vom Vertrag lösen könne (vgl. BGH,
Teilurteil vom 29.04.2008, KZR 2/07, zitiert n. juris, Rn. 33 sowie Urteil vom 17.12.2008, VIII ZR 274/06, zitiert n.
juris, Rn. 26). Ein längerer Zeitraum steht im vorliegenden Fall im Hinblick auf die erste streitbefangene
Preiserhöhung im Oktober 2004 auch dann nicht im Raum, wenn man erst auf den Zeitpunkt der Klagezustellung
abstellt, ohne die bereits seit dem Jahr 2004 erhobenen Widersprüche zu berücksichtigen. Die Beklagten haben hier
nichts dafür vorgetragen und es ist auch nicht ersichtlich, dass ihnen eine Bindung an den vertraglich vereinbarten
Preis für entsprechende Zeitspannen nicht zumutbar gewesen wäre.
bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Umstandes, dass mit den Klagen zunächst
lediglich die Unbilligkeit der Preiserhöhungen geltend gemacht wurde. Entgegen der offenbar neuerdings vom
Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg in einem Hinweisbeschluss vertretenen, entsprechende Widersprüche
betreffenden Auffassung (Beschluss vom 09.12.2010, 13 U 211/09, zitiert nach juris) kann die Frage des
Kündigungsanlasses nicht dann anders beurteilt werden, wenn sich die Widersprüche - oder hier: die Klagen - „nur“
gegen die Billigkeit der Erhöhungen und nicht (auch) gegen das Preisanpassungsrecht richteten. In jedem Fall
bestand nämlich Grund für die Beklagten, die fehlende Bestandskraft ihrer Erhöhungen in Zweifel zu ziehen. Sie
konnten und mussten das Verhalten ihrer Kunden so einschätzen, dass die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen aus
jedem denkbaren Grund geltend gemacht würde. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass zu diesem Zeitpunkt eine
Anzahl ungeklärter Rechtsfragen zu Gaspreiserhöhungen im Raume stand. Nicht zuletzt hat der Bundesgerichtshof
die Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung verneint, ohne nach der Begründung der Kundenwidersprüche
zu differenzieren (BGH, Urteil vom 09.02.2011, a. a. O.). Im Hinblick auf die Klagebegründung kann nichts anderes
gelten.
cc) Auch die Entscheidung des Senats vom 27. Januar 2011 (13 U 100/10, Anlage BK 8) führt zu keiner anderen
Beurteilung. Darin hatte der Senat lediglich für den Fall einen Kündigungsanlass in Frage gestellt, dass der Kunde für
lange zurückliegende Zeiträume (Über)Zahlungen zurückverlangt und dieses Rückforderungsverlangen auf neuer
höchstrichterlicher Rechtsprechung beruht, die der Energieversorger naturgemäß vor Erlass nicht kennen konnte und
die ihn daher auch nicht zu vorsorglichen Kündigungen veranlassen konnte. Eine solche Konstellation liegt hier aber
nicht vor.
dd) Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie die Kartellrechtswidrigkeit solcher
Kündigungen hätten befürchten müssen. Nach ihrem Vorbringen haben die Kartellbehörden es als missbräuchlich
angesehen, wenn Energieversorgungsunternehmen sich dem Einwand, eine von ihnen vorgenommene einseitige
Preisänderung sei unbillig, dadurch entzogen haben, dass sie das Vertragsverhältnis gekündigt haben. Darum geht
es hier indes nicht, weil die streitbefangenen Verträge nicht zur Umgehung von Billigkeitsprüfungen gekündigt
worden wären. Die Beklagten hätten dadurch lediglich die Gefahr beseitigt, wegen der unwirksamen
Preiserhöhungsklausel nicht einmal gestiegene Gestehungskosten weitergeben zu können. dass darin keine
Kartellrechtswidrigkeit zu sehen sein kann, liegt auf der Hand.
c) Selbst wenn man mit den Beklagten annähme, nicht die Widersprüche der Kläger, auch nicht die von ihnen
erhobene Klage, sondern erst höchstrichterliche Rechtsprechung habe Anlass zur Kündigung geben können, käme
eine ergänzende Vertragsauslegung nicht in Betracht. Dann hätte Anlass zur Kündigung der Vertragsverhältnisse mit
den Klägern jedenfalls ab Erlass der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. April 2008 (a. a. O.) bestanden.
Indes haben die Beklagten die betreffenden Verträge - nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten in der
mündlichen Verhandlung vom 5. April 2011 - jedenfalls nicht vor dem Jahr 2009, zum Teil sicher erst im Jahr 2010
gekündigt. Damit haben die Beklagten selbst darauf verzichtet, die ihnen bekannte Möglichkeit wahrzunehmen, sich
von der Lieferverpflichtung zu - wie sie vortragen - unzureichenden Preisen zu befreien. Dass dies jeweils auf dem
angeblich sieben Monate betragenden „zeitlichen Vorlauf“ beruhte, den die Beklagte für die Kündigungen geltend
machen, behaupten sie selbst nicht. Auch unter Zugrundelegung eines solchen „Vorlaufs“ wären die Beklagten
zudem zu Kündigungen Ende 2008 in der Lage gewesen. Möglichkeiten, die die Beklagten selbst nicht nutzen,
müssen ihnen aber auch nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eingeräumt werden.
4. Soweit die Beklagten die Ansicht vertreten, die Kläger hätten jedenfalls nach Inkrafttreten der GasGVV durch die
widerspruchslose Entgegennahme der Gaslieferungen gleichsam erklärt, mit den Preiserhöhungen einverstanden zu
sein, trifft dies ebenfalls nicht zu.
a) Da das Preisänderungsrecht der GasGVV - wie oben in Ziffer II Nr. 2 c) bb) ausgeführt - keinen Eingang in die
Sonderverträge der Kläger gefunden hat, können die Kläger mit dem widerspruchslosen Weiterbezug bereits
denklogisch kein auf die GasGVV gründendes geändertes Preisanpassungsrecht akzeptiert haben.
b) Die Kläger gingen zu diesem Zeitpunkt zudem noch von einem Preisanpassungsrecht der Beklagten aus, nicht
dagegen von einem Preisanpassungsangebot, das sie durch ausdrücklich erklärten Willen oder Realakt
angenommen haben könnten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14.07.2010, VIII ZR 246/08, Bl. 842, 869, auch in juris,
Rn. 59).
c) Auch gilt in Sondervertragsverhältnissen - wie hier - der Grundsatz, dass einem Schweigen sowie der
widerspruchslosen Hinnahme oder sogar Begleichung von Rechnungen kein darüber hinausgehender Erklärungswille
zu entnehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 14.07.2010, a. a. O.. auch OLG Hamm, a. a. O.,
Rn. 37 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 11.01.2007, VII ZR 165/05, zitiert n.
juris, Rn. 9. vgl. auch Senatsurteil vom 27.01.2011, 13 U 100/10, Ziffer II Nr. 3).
Sähe man dies anders, würde dies zu einer faktischen Wirksamkeit unwirksamer AGB zu Gunsten des Verwenders
und damit zu einem wenig interessengerechten Ergebnis führen.
5. Soweit die Beklagten in der Berufung schließlich auch Verwirkung geltend machen, greift dieser Einwand
ersichtlich nicht durch. Im Hinblick auf die seit dem Jahr 2004 erhobenen Widersprüche, jedenfalls aber im Hinblick
auf die bereits im Dezember 2006 erfolgte Klageerhebung fehlt es sowohl am erforderlichen Vertrauens als auch am
Umstandselement.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1und 2 ZPO. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass die
streitbefangenen Gaslieferungen der Beklagten zu 1 gegenüber den durch die Beklagte zu 2 vorgenommenen einen
rund doppelt so langen Zeitraum betrafen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10,
§ 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.
Der Streitwert wurde gemäß §§ 3, 9 ZPO festgesetzt. Der Senat ist dabei - wie es auch das Landgericht nach
Anhörung der Parteien und im ausdrücklichen Einverständnis mit den Klägern in erster Instanz getan hat (Bl. 711) -
von 49 Gasabnahmestellen und einem durchschnittlichen Wert von 250 € für den einjährigen Bezug je
Abnahmestelle ausgegangen. Der dreieinhalbfache Wert dieses Bezuges
(875 €, § 9 ZPO) multipliziert mit 49 ergibt - gerundet - den festgesetzten Streitwert.
Richter am Oberlandesgericht
Dr. K. B. Z.
kann nicht unterschreiben, weil
er Urlaub hat.
Dr. K.