Urteil des OLG Celle vom 12.05.2011

OLG Celle: jugendamt, amtsvormund, auskunftserteilung, werterhöhung, vertretung, offenkundig, beratung, bezifferung, begriff, eltern

Gericht:
OLG Celle, 10. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 10 WF 135/11
Datum:
12.05.2011
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 1615 l, BGB § 1613, ZPO § 114
Leitsatz:
1. Der Hinweis des ausdrücklich als Beistand eines Kindes tätigen Jugendamts an den hinsichtlich
des Kindesunterhaltes auf Auskunft in Anspruch genommenen Vater am Ende des
Aufforderungsschreibens, auch die Kindesmutter wolle nach § 1615l BGB Betreuungsunterhalt geltend
machen und das Jugendamt werde daher die Höhe dieses Anspruches ebenfalls errechnen und
mitteilen, schafft nicht die Voraussetzungen nach § 1613 Abs. 1 BGB für eine Geltendmachung des
Betreuungsunterhaltes für die Vergangenheit.
2. Die Geltendmachung rückständigen Unterhalts ist mutwillig im Sinne des § 114 ZPO, soweit der
Antragsteller ohne nachvollziehbaren Grund nicht zeitnah nach einem Auskunfts oder
Zahlungsverlangen einen verfahrenseinleitenden Antrag bei Gericht stellt und aufgrund der
Werterhöhung gemäß § 51 Abs. 2 FamGKG erhebliche Mehrkosten entstehen (vgl. bereits Senat,
Beschluß vom 5. Juli 2010 - 10 WF 209/10 - FamRZ 2011, 50 f. = NJWRR 2010, 1517 = MDR 2011,
170 f.)
Volltext:
10 WF 135/11
626 F 1089/10 Amtsgericht Hannover
Beschluß
In der Familiensache
1. N. H., geb. am …. 2008, gesetzlich vertreten durch die Mutter Y. H.,
2. Y. H.,
Antragsteller und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin C. M.,
gegen
F. R. B.,
Antragsgegner,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. H. und Dr. E.,
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der
Antragstellerin zu 2. gegen den teilweise Verfahrenskostenhilfe versagenden Beschluß des Amtsgerichts -
Familiengericht - Hannover vom 16. März 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht W., den
Richter am Oberlandesgericht H. und die Richterin am Amtsgericht C. am 12. Mai 2011 beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller zu 1. (im weiteren: der Antragsteller) ist der minderjährige Sohn des Antragsgegners, die
Antragstellerin zu 2. (im weiteren: die Antragstellerin) die mit dem Antragsgegner nicht verheiratete Kindesmutter. Im
vorliegenden, am 10. März 2010 eingeleiteten Verfahren soll der Antragsgegner neben Kindesunterhalt auch auf
Betreuungsunterhalt für die Zeit ab April 2009 in Anspruch genommen werden.
Das seinerzeit laut Briefkopf als Beistand des Antragstellers tätige Jugendamt hat den Antragsgegner mit einem
´Unterhalt für Ihren Sohn … ´ betitelten Schreiben vom 23. April 2009 ausdrücklich zum Zwecke der Berechnung des
- auch damals dem Grunde nach unstreitigen und bereits laufend in monatlicher Höhe von 220 € erbrachten -
Kindesunterhaltes zur Auskunftserteilung aufgefordert. Dieses Schreiben enthält gegen Ende folgenden Absatz:
Die - namentlich bezeichnete - Antragstellerin ´möchte auch ihren Anspruch auf Betreuungsunterhalt nach § 1615l
BGB geltend machen. Wir werden daher die Höhe des Anspruches mit errechnen und Ihnen mitteilen.´
Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 5. September 2009 hat die Antragstellerin vom Antragsgegner
bezifferten Betreuungsunterhalt begehrt, den sie unter Berufung auf eine vermeintliche Geltendmachung im
Jugendamtsschreiben rückwirkend seit April 2009 beanspruchen will.
Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 16. März 2011, auf den ergänzend Bezug genommen wird, der
Antragstellerin die nachgesuchte Verfahrenkostenhilfe (VKH) hinsichtlich des Betreuungsunterhaltes nur insoweit
bewilligt, als Ansprüche für die Zeit vom 1. September 2009 bis zum 15. Oktober 2011 - im Hinblick auf eine
zunächst noch nicht vorliegende Rückübertragung unter Absetzung der auf das örtliche JobCenter übergegangenen
Teilbeträge - geltend gemacht werden.
Dagegen richtet sich die fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin, die - soweit nicht
hinsichtlich einer geringen rechnerischen Differenz durch die Teilabhilfeentscheidung des Amtsgerichtes vom 29.
April 2011 erledigt - eine Erstreckung der VKHBewilligung auch auf weitere Rückstände für die Zeit ab April 2009
sowie auf die Zeit nach Vollendung des dritten Lebensjahres des Antragstellers erstrebt. Das Amtsgericht hat
insofern der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Antragstellerin hat sodann noch insofern um VKH nachgesucht, als sie weitere 10.006,22 € als in der Zeit von
November 2009 bis März 2011 auf das Jobcenter übergegangene und bislang nicht in ihrer Berechnung enthaltene
Teilbeträge geltend machen will. darüber hat das Amtsgericht noch nicht befunden.
Der Einzelrichter hat die Sache dem Senat zur Entscheidung übertragen.
II.
Die Beschwerde dürfte bereits teilweise unzulässig sein und ist jedenfalls insgesamt unbegründet.
1. Die Beschwerde kann hinsichtlich eines über den dritten Geburtstag des Antragstellers hinausgehenden
Betreuungsunterhalts der Antragstellerin keinen Erfolg haben.
a. Soweit die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren Betreuungsunterhaltsansprüche für die Zeit nach dem 15.
Oktober 2011 geltend macht, ist sie durch die diesbezügliche Versagung von VKH im angefochtenen Beschluß
bereits nicht beschwert:
Die VKHBewilligung hat den Zweck und die Folge, daß der bedürftige Beteiligte die für das Verfahren anfallenden
eigenen (Gerichts und Anwalts) Kosten zunächst nicht bzw. nur im Rahmen von Einmal oder Ratenzahlungen
aufzubringen hat. die Höhe dieser Kosten (bzw. ggf. der Umfang seiner Freistellung davon) bestimmt sich nach dem
für das Verfahren maßgeblichen Verfahrenswert, für den es wiederum nach der für - wie vorliegend gegenständlich -
Unterhaltsansprüche einschlägigen Vorschrift des § 51 FamGKG allein auf die für die ersten zwölf Monate nach
Einreichung des Antrages geforderten Betrag (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FamGKG) zuzüglich der kostenrechtlichen
Rückstände (§ 51 Abs. 2 FamGKG) ankommt. Mithin hat der bedürftige Beteiligte bei der VKHBewilligung auch allein
insofern ein Rechtsschutzbedürfnis, als sich die Entscheidung über die VKHBewilligung auf den maßgeblichen
Verfahrenswert auswirkt und dadurch seine Möglichkeit des Zuganges zum Gericht betroffen ist. Soweit es nach
Auffassung des erstinstanzlichen Gerichtes an hinreichender Erfolgsaussicht für solche Teile der Rechtsverfolgung
fehlt, die - etwa als unselbständige Nebenforderungen oder weil sie wegen des geringen Umfanges zu keiner
Veränderung in der für Gerichts und Anwaltskosten maßgeblichen Gebührenstufe führen (vgl. insofern auch
Zöller28–Geimer, ZPO § 114 Rz. 24 a.E.) - nicht den Verfahrenswert beeinflussen, ist dadurch die Möglichkeit der
Rechtsverfolgung für den bedürftigen Beteiligten in keiner Weise berührt, so daß ihm das Rechtsschutzbedürfnis für
eine Überprüfung durch das Beschwerdegericht fehlt.
b. Die Frage der Zulässigkeit der Beschwerde insofern kann aber letztlich dahin stehen, weil sie jedenfalls auch
unbegründet ist (vgl. insofern BGH - Beschluß vom 30. März 2006 - IX ZB 171/04 - NJWRR 2006, 1346 sowie OLG
Köln, Beschluß vom 27. Juli 2010 - 6 W 79/10 - GRURRR 2011, 86, 87 - bereits unter der Geltung des FamFG).
Nach ausdrücklicher aktueller Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist Voraussetzung eines
Unterhaltsanspruchs nach § 1615l Abs. 2 Satz 4 BGB, daß der Unterhaltsberechtigte kind oder elternbezogene
Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes
hinaus vorträgt (BGH, Urteil vom 13. Januar 2010 - XII ZR 123/08 - FamRZ 2010, 444 ff. = NJW 2010, 1138 ff =
MDR 2010, 327 f.. vgl. auch bereits OLG Koblenz, Urteil vom 18. März 2009 - 9 UF 596/08 - NJW 2009, 1974 ff.)..
die von der Antragstellerin insofern in Berufung genommene Entscheidung des OLG Brandenburg vom 2. März 2010
- 10 UF 63/09 - FamRZ 2010, 1915 ff., die (offenbar ohne Kenntnis von der genannten Entscheidung des BGH) ein
gegenteiliges RegelAusnahmeVerhältnis zugrundelegt, ist dadurch überholt. Im Streitfall geht gerade auch die
Antragstellerin davon aus, daß derzeit (und auch bis zum bereits anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung)
derartige Gründe nicht ersichtlich oder feststellbar sind. insofern wird mit dem Amtsgericht die Befristung des
Betreuungsunterhalts auf den dritten Geburtstag des Antragstellers vorzunehmen sein.
2. Auch für die Geltendmachung weiterer Rückstände des Betreuungsunterhalts kommt eine VKHBewilligung nicht in
Betracht.
a. Zutreffend - und in Übereinstimmung mit der (bislang allerdings unveröffentlichten) Rechtsprechung des Senates
in parallelen Fällen mit entsprechenden Schreiben des nämlichen Jugendamtes - geht das Amtsgericht davon aus,
daß der Rechtsverfolgung der Antragstellerin hinsichtlich weiteren rückständigen Betreuungsunterhaltes eine
hinreichende Erfolgsaussicht fehlt.
Für eine Geltendmachung rückständigen Betreuungsunterhalts für die Zeit von April bis August 2009 kann sich die
Antragstellerin nicht erfolgreich auf das Schreiben des Jugendamtes vom 23. April 2009 stützen. Die darin
enthaltene Auskunftsaufforderung des dabei ausdrücklich gerade als Beistand des Antragstellers tätigen
Jugendamtes bezog sich sowohl nach der Überschrift als auch nach ihrem völlig eindeutigen Wortlaut ausschließlich
auf den - im Rahmen der Beistandschaft allein geltend zu machenden - Kindesunterhalt. Der bloße Hinweis, auch die
Antragstellerin wolle ihrerseits Betreuungsunterhaltsansprüche geltend machen und das Jugendamt werde deren
Höhe berechnen und mitteilen, enthält weder inhaltlich eine weitere Auskunftsaufforderung zum Zwecke der
Ermittlung von Betreuungsunterhalt, noch ist er geeignet, das in dem Schreiben zuvor ausdrücklich allein zur
Ermittlung des Kindesunterhaltes gestellte Auskunftsbegehren in ein solches auch für die Geltendmachung von
Betreuungsunterhalt zu erweitern, noch stellt er schließlich eine Aufforderung an den Antragsgegner zur konkreten
Leistung von Betreuungsunterhalt dar. das Jugendamt hat in dem besagten Schreiben zudem eine erfolgte
Bevollmächtigung oder Beauftragung durch die Antragstellerin zur Geltendmachung von
Betreuungsunterhaltsansprüchen nicht einmal ansatzweise behauptet. Insofern kommt es nicht weiter auf die Frage
an, ob das Jugendamt, dem gegenüber alleinerziehende Eltern bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen
nach § 1615l BGB gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII einen Anspruch auf ´Beratung und Unterstützung´ haben, in
diesem Rahmen überhaupt zu einer rechtlichen Vertretung befugt ist (vgl. zu den jedenfalls engen Grenzen etwa
Oberloskamp, Die Kompetenzen des Jugendamtes gemäß § 18 Abs. 2 KJHG, Der Amtsvormund 1997, 65 ff. Inhalt
und Grenzen der Beratungs und Unterstützungspflicht gegenüber der Kindesmutter für deren Ansprüche aus § 1615l
BGB - DIVGutachten vom 6. Januar 1991 - Der Amtsvormund 1992, 51).
Die Antragstellerin kann sich hinsichtlich der streitgegenständlichen Rückstände schließlich auch nicht erfolgreich
auf §§ 1613 Abs. 2 Nr. 2, 1615l Abs. 3 Satz 3 BGB stützen, da sie für den betroffenen Zeitraum offenkundig weder
aus rechtlichen noch aus tatsächlichen, im Verantwortungsbereich des Antragsgegner liegenden Gründen an einer
Geltendmachung gehindert war.
b. Einer Bewilligung von VKH für weitere - erhebliche - Rückstände steht zudem auch bereits für sich durchgreifend
entgegen, daß eine derartige Geltendmachung verfahrenskostenhilferechtlich als mutwillig zu beurteilen ist.
Es entspricht ständiger Senatsrechtsprechung, daß die Geltendmachung rückständigen Unterhalts mutwillig im
Sinne des § 114 ZPO ist, soweit der Antragsteller ohne nachvollziehbaren Grund nicht zeitnah nach einem
Auskunfts oder Zahlungsverlangen einen verfahrenseinleitenden Antrag bei Gericht stellt und aufgrund der
Werterhöhung gemäß § 51 Abs. 2 FamGKG erhebliche Mehrkosten entstehen (vgl. etwa Senatsbeschluß vom 5. Juli
2010 - 10 WF 209/10 - FamRZ 2011, 50 f. = NJWRR 2010, 1517 = MDR 2011, 170 f.). ein Beteiligter, der für die
Kosten des Verfahrens selbst aufzukommen hätte, würde vor der gerichtlichen Geltendmachung nicht ohne triftigen
Grund verfahrenskostenerhöhende Rückstände entstehen lassen. Im Streitfall sollen rückständige
Betreuungsunterhaltsansprüche für immerhin zwölf Monate geltend gemacht werden, ohne daß für diesen Rückstand
- der den Verfahrenswert gemäß § 51 Abs. 2 FamGKG um immerhin (12 * 1.215 € =) 14.580 € erhöhte -
irgendwelche nachvollziehbaren Gründe ersichtlich oder dargetan wären. dies gilt im Streitfall umsomehr, als der
Betreuungsunterhaltsanspruch der Antragstellerin ohnehin allein durch ihre Stellung vor der Geburt des Antragstellers
bestimmt wird, es also auf die Auskunft des Kindesvaters für die Berechnung gar nicht ersichtlich ankam, jedenfalls
aber - nach alsbald erfolgter Auskunftserteilung - bereits im Mai 2009 einer Bezifferung endgültig nichts mehr im
Wege stand. Das insofern mutwillige Verhalten der - bereits seit mindestens September 2009 anwaltlich vertretenen -
Antragstellerin wird auch dadurch unterstrichen, daß sie ihren Betreuungsunterhalt gar noch einen Monat später als
den auf der nämlichen Datenbasis stehenden Kindesunterhalt und zudem zunächst in einem gesonderten - und
somit weitere Mehrkosten verursachenden - Verfahren anhängig gemacht hat.
3. Lediglich klarstellend - auch im Hinblick auf den im zuletzt gestellten Antrag nicht im kostenrechtlichen Sinne
verwendeten Begriff des ´Rückstandes´ sowie einen geringfügigen Rechenfehler - ist festzuhalten, daß sich die
bislang erfolgte VKHBewilligung für den Betreuungsunterhalt auf einen Verfahrenswert von insgesamt (2 * 857,69 € +
577,42 € + 890,25 € + 5 * 519,57 € + 5 * 645,32 € + 5 * 528,54 € =) 11.828,30 € erstreckt.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat bereits an dieser Stelle auf Folgendes hin:
1. Dem - amtsgerichtlich noch nicht beschiedenen - erweiternden VKHGesuch der Antragstellerin dürfte (nur) im
Umfang weiterer 7.671,56 € zu entsprechen sein, so daß sich insgesamt eine Bewilligung von VKH für
Betreuungsunterhalt mit einem Verfahrenswert von 19.499,86 € ergeben wird.
Soweit die Antragstellerin bereits vor Anhängigkeit - also bis einschließlich März 2010 - entstandene und auf das
JobCenter übergangene Ansprüche geltend machen will, steht einer Bewilligung durchgreifend entgegen, daß sie
insoweit einen Vorschußanspruch gegenüber dem JobCenter hat (vgl. BGH, Beschluß vom 2. April 2008 - XII ZB
266/03 - FamRZ 2008, 1159 ff = NJW 2008, 1950 ff. = MDR 2008, 831 f.). Ein solcher Anspruch ist im übrigen auch
in § 5 des Rückübertragungsvertrags zwischen der Antragstellerin und dem JobCenter ausdrücklich vorgesehen.
Die VKHBewilligung wird hingegen für die während der Anhängigkeit übergegangenen und bislang nicht in die
Berechnung mit einbezogenen Ansprüche aus den Monaten April 2010 bis März 2011 um (2* 695 € + 5 * 569,69 € +
5 * 686,46 € =) 7.671,56 € zu erweitern sein.
2. …
W. H. C.