Urteil des OLG Celle vom 14.07.2011

OLG Celle: scheidung, trennung, hausrat, beratung, meinung, unterhalt, begriff, anschluss, post, gesetzgebungsverfahren

Gericht:
OLG Celle, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 2 W 141/11
Datum:
14.07.2011
Sachgebiet:
Normen:
RVG § 15, RVG § 33, RVG § 56
Leitsatz:
Wenn Beratungshilfe für die Angelegenheiten „Unterhalt, Scheidung oder Personensorge“ gewährt
wird, ist für die Frage, ob „dieselbe Angelegenheit“ vorliegt, zwischen der Scheidung und den
zugehörigen Folgesachen sowie den Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Trennung zu
differenzieren und insgesamt vier Komplexe, nämlich
1. Scheidung als solche,
2. Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem persönlichen Verhältnis zu den Kindern
(Personensorge, Umgangsrecht),
3. Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Ehewohnung und dem Hausrat und
4. Finanzielle Auswirkung von Trennung und Scheidung (Unterhaltsansprüche, Güterrecht und
Vermögensauseinandersetzung)
zu bilden
Volltext:
2 W 141/11
3 T 15711 Landgericht Verden
B e s c h l u s s
In der Beratungshilfesache
S. M., Große Straße 75, 27356 Rotenburg,
Beteiligte:
1. Rechtsanwälte Dr. R. & K., B. 5 a, R.,
Geschäftszeichen:
Antragsteller, Erinnerungs und Beschwerdeführer und Führer der weiteren Beschwerde,
2. Landeskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor bei dem Landgericht Verden, Johanniswall 6, 27283 Verden,
Geschäftszeichen:
Erinnerungs und Beschwerdegegnerin und Gegnerin der weiteren Beschwerde,
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht R., den
Richter am Oberlandesgericht Dr. L. und den Richter am Landgericht Dr. L. am 14. Juli 2011 beschlossen:
Auf die am 21. Juni 2011 vorab per Telefax beim Landgericht Verden eingegangene weitere Beschwerde der
Antragsteller wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 30. Mai 2011 aufgehoben.
Auf die Beschwerde der Antragsteller vom 15. Februar 2011 wird der Beschluss des Amtsgerichts vom 28. Januar
2011 aufgehoben.
Auf die Erinnerung der Antragsteller vom 17. Dezember 2010 wird der Beschluss des Amtsgerichts Rotenburg
(Wümme) vom 10. Dezember 2010 teilweise geändert.
Unter Zurückweisung der Vergütungsanträge im Übrigen wird die an den Antragsteller für seine Tätigkeit in der
Beratungshilfesache S. M. zu zahlende Vergütung auf 511,70 € festgesetzt.
Die weitergehenden Rechtsmittel der Antragsteller werden zurückgewiesen.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
Die infolge Zulassung durch das Landgericht gem. § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG i. V. m. §§ 56 Abs. 2, 55 RVG zulässige
weitere Beschwerde ist teilweise begründet.
Zwar hat es das Landgericht entgegen § 33 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. § 33 Abs. 4
Satz 1 RVG im Verfahren der weiteren Beschwerde unterlassen, die erforderliche Nichtabhilfeentscheidung zu treffen
(vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 19. Auflage, § 33 Rdz. 15). Aber in Anbetracht der Tatsache, dass die weitere
Beschwerde keine neuen Gesichtspunkte enthält, sieht der Senat ausnahmsweise davon ab, die Sache an das
Landgericht zum Nachholen der Abhilfeprüfung zurückzuverweisen und entscheidet sogleich in der Sache selbst.
In der Rechtsprechung ist umstritten, wie der Begriff „dieselbe Angelegenheit“ zu definieren ist, wenn Beratungshilfe
für die Angelegenheiten „Unterhalt, Scheidung oder Personensorge“ gewährt wird.
Nach einer Auffassung handelt sich bei einer solchen Beratung lediglich um eine einzige gebührenrechtliche
Angelegenheit, weil es sich um einen einheitlichen
Lebensvorgang handele, welche die hieraus resultierenden Gegenstände zu einer Angelegenheit verbinde (so
beispielsweise OLG München MDR 1988, 330. OLG Nürnberg (7. Senat) FamRZ 2005, 740 f.).
Anderer Auffassung nach stellt jeder einzelne Beratungsgegenstand eine eigenständige gebührenrechtliche
Angelegenheit mit der Folge dar, dass auch gesondert Gebühren in Ansatz gebracht werden können (vgl. OLG
Düsseldorf FamRZ 2009, 1244. OLG Frankfurt FamRZ 2010, 230).
Nach einer dritten Meinung ist zwischen der Scheidung und den zugehörigen Folgesachen sowie den
Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Trennung zu differenzieren und für die Beurteilung des Vorliegens einer
Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne auf den konkreten Lebenssachverhalt abzustellen (vgl.
Brandenburgisches OLG, MDR 2009, 1417. OLG Rostock NJW Spezial 2011, 92. OLG Nürnberg, Beschluss vom
29. März 2011, Az. 11 WF 1590/10 = AG Spezial 2011, 298 f.).
Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Ansicht an. Er folgt insoweit der überzeugenden Begründung des OLG
Nürnberg in seinem Beschluss vom 29. März 2011 (AG Spezial 2011 298 f.), wonach verfassungsrechtliche
Bedenken bestehen, sämtliche Problembereiche, welche im Zusammenhang mit einer Trennung und Scheidung von
Ehegatten zu erörtern sind, als eine einzige Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne zu betrachten. Zu Recht
weist das Oberlandesgericht Nürnberg auch darauf hin, dass die Annahme nur einer gebührenrechtlichen
Angelegenheit auch nicht auf § 16 Nr. 4 RVG gestützt werden könne. Diese Vorschrift betrifft nur das gerichtliche
Verbundverfahren, jedoch nicht die außergerichtliche Beratung, bei welcher bereits begrifflich eine Verbundsache
nicht vorliegen kann. Der Senat teilt auch die Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg, dass eine analoge
Anwendung wegen der unterschiedlichen Sachlagen nicht in Betracht kommt (vgl. auch OLG Düsseldorf FamRZ
2009, 1244. OLG Dresden, Beschluss vom 07.02.2011, Az. 20 WF 1311/10, OLG Rostock NJW Spezial 2011, 92).
Ebenfalls abzulehnen ist die Auffassung, wonach die Beratung zu jedem Gegenstand, zu dem Beratungsbedarf im
Zusammenhang mit einer
Trennung und Scheidung anfällt, eine eigene Gebühr auslösen soll. Diese Meinung berücksichtigt in der Tat nicht,
dass zwischen den einzelnen Beratungsgegenständen, welche im Zusammenhang mit einer Trennung und
Scheidung auftauchen können, ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht, weshalb aus allgemein
gebührenrechtlichen Gesichtspunkten von dem Vorliegen einer einheitlichen Angelegenheit auszugehen ist. Dies
wird, worauf das Oberlandesgericht Nürnberg zutreffend hinweist, besonders deutlich, wenn es um eine gesonderte
Gebühr für die Beratungsgegenstände im Hinblick auf den Kindesunterhalt für zwei unterschiedliche Kinder geht. Der
Senat folgt dem Oberlandesgericht Nürnberg auch insoweit, als unter Berücksichtigung des inneren
Zusammenhangs der unterschiedlichen Lebenssachverhalte es sachgerecht erscheint, gebührenrechtlich von
insgesamt vier Komplexen (Angelegenheiten) auszugehen. Bei diesen vier Komplexen handelt es sich um:
1. Scheidung als solche,
2. Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem persönlichen Verhältnis zu den Kindern (Personensorge,
Umgangsrecht),
3. Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Ehewohnung und dem Hausrat und
4. Finanzielle Auswirkung von Trennung und Scheidung (Unterhaltsansprüche, Güterrecht und
Vermögensauseinandersetzung).
Dieser Bewertung steht auch nicht entgegen, dass ein Gesetzentwurf, wonach der Rechtsanwalt für jede weitere
Familiensache i.S. von § 111 FamFG, in der er berät, eine weitere Gebühr erhalten sollte, im
Gesetzgebungsverfahren gescheitert ist. Dieser Umstand lässt sich allenfalls der Meinung entgegen halten, die ohne
jede Einschränkung für jeden einzelnen Beratungsgegenstand eine eigenständige gebührenrechtliche Angelegenheit
annimmt. Damit ist indes die Frage, wie der Begriff „derselben“ Angelegenheit konkret zu bestimmen ist, nicht
eindeutig beantwortet.
Dies zugrunde gelegt ist im vorliegenden Fall von insgesamt zwei gebührenrechtlichen Angelegenheiten i. S. von §
15 RVG auszugehen, weil die Beratung den
Zugewinnausgleich, den Kindesunterhalt, den Hausrat, den Trennungsunterhalt und den Nachscheidungsunterhalt
betraf. Damit sind zwei Komplexe, nämlich Ehewohnung und Hausrat sowie finanzielle Auswirkungen von Trennung
und Scheidung betroffen.
Der Antragsteller war auch dazu berechtigt, zwei Einigungsgebühren in Ansatz zu bringen. Die nach Beratung
geschlossene Ehescheidungsfolgenvereinbarung enthält Regelungen zum Zugewinn, zum Unterhalt für die
Mandantin des Antragstellers sowie eine Regelung zum Hausrat. Entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors entfällt
der Ansatz einer Einigungsgebühr auch nicht deshalb, weil z. B. in § 3 der Ehescheidungsfolgenvereinbarung nur
eine bestimmte Feststellung dazu getroffen wird, wem welche Gegenstände zustehen. Der Bezirksrevisor übersieht,
dass in § 3 der Ehescheidungsfolgenvereinbarung im Anschluss an die grundsätzliche Feststellung, dass der
gesamte Hausrat und alle persönlichen Gegenstände geteilt werden, zusätzlich klargestellt wird, dass wechselseitige
Ansprüche nicht mehr bestehen. Damit wird deutlich, dass die Parteien der Ehescheidungsfolgenvereinbarung hier
verbindlich eine Regelung für die Zukunft getroffen haben. Entgegen der alten Regelung in der BRAGO kommt es für
den Anfall einer Einigungsgebühr (Vergleichsgebühr a. F.) auch nicht mehr darauf an, dass es sich um einen echten
Vergleich i. S. von § 779 BGB handelt, der durch ein gegenseitiges Nachgeben gekennzeichnet ist. Da die
Einigungsgebühr nach dem eindeutigen Wortlaut von Nr. 1000 VVRVG bereits dann anfällt, wenn der Anwalt bei dem
Abschluss eines Vertrages mitwirkt, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über das
Rechtsverhältnis beseitigt wird, fällt bei jeder Mitwirkung bei einer Absprache über ein Verfahren eine
Einigungsgebühr an (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2008, Az. IV ZB 11/08, Rz. 6).
Infolge dessen stehen dem Antragsteller insgesamt zwei Geschäftsgebühren und zwei Einigungsgebühren sowie in
zwei Fällen ein Entgelt für Post und Telekommunikationsdienstleistung gem. Nr. 7002 VVRVG zu. Zuzüglich
Umsatzsteuer ergibt sich somit ein zu vergütender Gesamtbetrag von 511,70 €.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
R Dr. L. Dr. L.