Urteil des OLG Celle vom 19.09.2011

OLG Celle: ablauf der frist, kritik, beleidigung, rüge, aufschiebende wirkung, grenzbereich, berechtigter, berufsausübung, zustellung, erfüllung

Gericht:
OLG Celle, 01. Senat des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshof
Typ, AZ:
Urteil, AGH 15/11
Datum:
19.09.2011
Sachgebiet:
Normen:
BRAO § 43 a Abs 3, BRAO § 73 Abs 2 Nr 1, BRAO § 112 a, StGB § 185
Leitsatz:
1. Mit einer missbilligenden Belehrung kann nur auf einen anwaltlichen Verstoß gegen eine
berufsrechtliche Verbots oder Verhaltensnorm reagiert werden, nicht hingegen auf ein Verhalten, dass
nach Auffassung der Rechtsanwaltskammer nur eine „berufsrechtswidrige Tendenz“ aufweist oder
sich „im Grenzbereich zwischen korrektem und standeswidrigem Verhalten“ bewegt.
2. Eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots durch herabsetzende Äußerungen nach § 43a Abs. 3
Satz 2 2. Alt. BRAO setzt eine strafbare Beleidigung (§ 185 StGB) voraus, die nicht mehr von der
Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gedeckt ist.
Volltext:
NIEDERSÄCHSISCHER ANWALTSGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
AGH 15/11 (I 7)
In der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
des Rechtsanwalts U. D., G.,
Klägers -
gegen
die Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Celle, vertreten durch den Präsidenten,
Beklagte
wegen einer missbilligenden Belehrung
hat der 1. Senat des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs durch
den Präsidenten des Anwaltsgerichtshofs Rechtsanwalt xxxxx
als Vorsitzenden,
Rechtsanwältin xxxxx
Rechtsanwalt xxxxx,
als anwaltliche Beisitzer,
Richter am Oberlandesgericht xxxxx,
Richter am Oberlandesgericht xxxxx
als richterliche Beisitzer,
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. September 2011
für Recht erkannt:
Die missbilligende Belehrung vom 28. Februar 2011 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 5.000, Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen eine missbilligende Belehrung, die ihm die Beklagte mit Bescheid
vom 28. Februar 2011 erteilt hat. Anlass hierfür waren Äußerungen des Klägers in einem Schriftwechsel mit einer
Gerichtsvollzieherin.
Der Kläger erteilte als Gläubigervertreter in einem Zwangsvollstreckungsverfahren dem AG H. -
Gerichtsvollzieherverteilungsstelle - mit Schreiben vom 9. August 2010 einen Zwangsvollstreckungsauftrag nebst
Anträgen gemäß §§ 807, 900, 901 ZPO. In der Forderungsaufstellung führte er neben der Hauptforderung (75,99 €),
Zinsen (1,12 €) und Verfahrensgebühren folgende Posten auf:
„0,3 Terminsgebühr § 13 RVG Nr. 3310 VV € 10,00
19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV € 4,56
Antragskosten Nr. 260 KostV € 30,00.“
Hierauf sandte ihm die Gerichtsvollzieherin H. unter dem Aktenzeichen 39 DR II 978/19 ein Schreiben vom 10.
August 2010, in dem sie um Übersendung „einer berichtigten Forderungsaufstellung“ binnen 10 Tagen bat, „da es im
ZV/EVverfahren weder eine Terminsgebühr bzw. Antragskosten i.H.v. 30, € gibt“. Die beantragte MWSt werde
„gestrichen, falls nicht binnen 10 Tagen eine Erklärung vorgelegt wird, wonach keine Vorsteuerabzugsberechtigung
besteht.“ Nach Ablauf der Frist müsse der Antrag „leider kostenpflichtig abgelehnt werden.“
Der Kläger erwiderte mit Schreiben vom 10. August 2010, dass er „im Nachgang“ zu seinem Schreiben vom 30. Mai
2010 zu DienstregisterNr. 624/10 - also offenbar unter Bezugnahme auf einen zuvor in anderer Sache geführten
Schriftwechsel - „wunschgemäß“ um Kenntnisnahme bitte, dass „der Gläubiger noch immer nicht zur Vorsteuer
optiert“. Des Weiteren „sei im Hinblick auf die monierte Terminsgebühr erneut darauf aufmerksam gemacht, dass es
sich auch in diesem Falle um einen ‚KombiAuftrag’ handelt.“ Er sei zur Vermeidung überflüssigen Schriftwechsels
bei den beanstandeten Positionen davon ausgegangen, dass ein Termin zur Abgabe der Eidesstattlichen
Versicherung anberaumt und er diesem beiwohnen werde. Dass anlässlich des EVVerfahrens keine Terminsgebühr
mehr anfalle, sei ihm neu. Er bitte um Unterrichtung, „wann die Nr. 3310 VV RVG außer Kraft gesetzt wurde“.
gleiches gelte für die unter Nr. 260 GVKostG genannten € 30,00.
Die Gerichtsvollzieherin antwortete mit Schreiben vom 12. August 2010, dass der Kläger bisher nicht mitgeteilt habe,
an dem EVTermin teilnehmen zu wollen. EVAntragskosten i.H.v. 30, € sehe das GvKostG nicht vor, lediglich eine
Gebühr bei Abnahme der EV. Des Weiteren stünden „die hier zu berechnenden Gebühren nach dem GvKostG nicht
dem Gläubiger/Gläubigervertreter zu“, sondern seien an das Land Niedersachsen abzuführen. Folglich sei die
Auflistung in seiner Forderungsaufstellung „untunlich, sofern es sich nicht um bisherige Kosten der ZV handelt.“ Die
Vorsteuerabzugsanfrage erfolge aufgrund dienstlicher Anordnung der dortigen Verwaltung.
Der Kläger übersandte der Gerichtsvollzieherin daraufhin folgendes Schreiben vom 14. August 2010:
„Sehr geehrte Frau H.,
im Nachgang zu meiner Erwiderung vom 10.08.10 auf Ihre Beanstandung vom 10.08.10 mache ich Sie im Hinblick
auf Ihr vorgestriges Fax auf folgendes aufmerksam:
1. Zwar wurde zur Kenntnis genommen, dass Sie von Ihrer rechtsirrigen Ansicht, dass im EVVerfahren keine
Terminsgebühr anfällt, Abstand genommen haben. gleiches gilt für Ihre ebenfalls unkonventionelle Auffassung, dass
bei Abnahme der Eidesstattlichen Versicherung keine Kosten von € 30,00 anfielen.
2. Gleichwohl bedarf es noch der Korrektur Ihrer haltlosen Ansicht, dass die Gebühren und Kosten der Vollstreckung
nur bei Ihnen („hier“) zu berechnen seien. Vielmehr gilt dies auch für den Rechtsanwalt. Dies beruht auf dem
Anspruch des Gläubigers auf korrekte Erstellung seiner Kostennote bei besonderer Beachtung des
Tatbestandsmerkmals „Auslagen“ des § 10 RVG.
3. Dass der Unterzeichner beabsichtigt, dem Termin im S. d. Nr. 3310 VV beizuwohnen, folgt aus der Anwendung
dieses Gebührentatbestandes. Bleibt er nach Zugang Ihrer Ladung der Sitzung fern, fällt diese Gebühr nicht an.
4. Auf Ihre Erläuterung der Vorsteueroption sei, unbeschadet Ihrer - soweit ersichtlich - singulären Handhabung,
entgegnet, dass dienstliche („interne“) Anordnungen grundsätzlich keine Außenwirkung entfalten.
5. Schließlich erwarte ich, dass Sie künftig die Bewertung, was bei einer Forderungsaufstellung tunlich ist oder nicht,
denen überlassen, die über die gebotene Sachkunde verfügen. Da die Besoldungsgruppe 8 nicht einmal das Abitur
voraussetzt, könnten Ihre Äußerungen als anmaßend verstanden werden.
6. Bitte erfüllen Sie nunmehr Ihren Zwangsvollstreckungsauftrag.
Mit freundlichen Grüßen“
Die Gerichtsvollzieherin übersandte Kopien des vorstehenden Schriftwechsels unter dem 17. August 2010 an die
Beklagte „mit der Bitte um Würdigung“ und bat um „Mitteilung über das Veranlasste“. Die Beklagte setzte mit
Schreiben vom 25. August 2010 den Kläger über die Beschwerde in Kenntnis, teilte ihm mit, dass sich daraus „ein
möglicher berufsrechtlicher Verstoß gegen § 43a Abs. 3 BRAO“ ergebe, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme
innerhalb von drei Wochen. Der Kläger erwiderte hierauf unter dem 30. August 2010, dass er sich nicht erklären
könne, da die Beschwerdeführerin „die Ursache ihrer Beanstandung“ bisher nicht konkret dargelegt habe. Nach
Zuleitung dieses Schreibens teilte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 13. September 2010 mit, dass sie um
Würdigung des Schreibens vom 14. August 2010 „insbesondere zu Ziffer 5“ bitte. Der Kläger erklärte unter dem 20.
September 2010, dass „der Vorhalt einer möglichen Verletzung des § 43a III BRAO zumindest bislang von der
Beschwerdeführerin nicht erhoben wurde“ und er sich daher „zwangsläufig außer Stande“ sehe, entsprechend zu
erwidern.
Hierauf erteilte der Vorstand der Beklagten mit Bescheid vom 28. Februar 2011 dem Kläger eine missbilligende
Belehrung mit der Begründung, dass die Textpassage unter Ziffer 5 seines Schreibens vom 14. August 2010
herabsetzende Äußerungen enthalte, zu denen weder die Beschwerdeführerin noch der Verfahrensablauf Anlass
gegeben hätten. Mit Satz 1 der Passage habe er unterstellt, dass die Beschwerdeführerin nicht über die gebotene
Sachkunde verfüge. Mit der in Satz 2 enthaltenen Verknüpfung der Aussage, dass die Ausübung des Berufs des
Gerichtsvollziehers nicht das Abitur voraussetze, mit der Unterstellung, dass vor diesem Hintergrund die
Äußerungen der Beschwerdeführerin als anmaßend verstanden werden könnte, habe der Kläger indirekt einen
Zusammenhang zwischen der Beschwerdeführerin und einem gewissen Ausbildungsgrad hergestellt. Da die
Äußerungen noch keine strafbare Beleidigung darstellten, sehe der Vorstand von einer Rüge ab und belasse es bei
einer missbilligenden Belehrung in der Erwartung, dass der Kläger sich in Zukunft im Umgang mit
Verfahrensbeteiligten seiner Stellung als Organ der Rechtspflege bewusst sein werde und derartige Äußerungen
unterlasse. Der - mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene - Bescheid ist dem Kläger am 2. März 2011 zugestellt
worden.
Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 4. April 2011, der am gleichen Tag, einem Montag, per Telefax beim
Niedersächsischen Anwaltsgerichtshof eingegangen ist, Klage erhoben. Er rügt eine Verletzung der Art. 12 Abs. 1,
20 Abs. 3, 2 Abs. 1 GG und meint, dass die Beklagte nicht dazu ermächtigt sei, repressive Belehrungen
auszusprechen. Das Gesetz sehe in § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO nur präventive Belehrungen ohne Schuldvorwurf vor.
Als repressives Instrument stehe ihr nur die Rüge nach § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO zur Verfügung. Eine unter der
Schwelle zur Rüge liegende repressive Belehrung sei im Gesetz weder vorgesehen noch lasse sie sich durch
Auslegung begründen. In Wahrheit habe die Beklagte eine Rüge ausgesprochen, obwohl ein durch Rüge zu
ahndendes Verhalten - wie die Beklagte selbst ausgeführt habe - gerade nicht vorliege. Außerdem sei der
Sachverhalt unzulänglich gewürdigt worden.
Der Kläger beantragt,
den Verwaltungsakt vom 28. Februar 2011 in Form einer missbilligenden Belehrung der Beklagten aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, dass die missbilligende Belehrung auf der Grundlage von § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO als milderes
Mittel zur Rüge einen zulässigen Eingriff in die Berufsausübung darstelle, um der Ausbreitung von nicht
standesgemäßen Gepflogenheiten ohne negative Auswirkungen für den Betroffenen Einhalt zu gebieten. Dieses
obergerichtlich anerkannte Instrument der Berufsaufsicht sei der vorliegenden Situation am besten gerecht
geworden. denn das Verhalten des Klägers weise „unzweifelhaft eine berufsrechtswidrige Tendenz“ auf. Der Ruf
nach Belehrung als repressive Reaktion sei „im Grenzbereich zwischen korrektem und standeswidrigem Verhalten“
schon früher laut geworden. In „einer Situation, in der an sich eine Rüge gerechtfertigt wäre“, stelle die missbilligende
Belehrung eine bewusst schonende Umgehung derselben dar.
II.
1. Die Klage ist zulässig.
Die Anfechtung einer missbilligenden Belehrung ist eine öffentlichrechtliche Streitigkeit im Sinne von § 112a Abs. 1
BRAO, über die der Anwaltsgerichtshof im ersten Rechtszug zu entscheiden hat (vgl. nur
Henssler/PrüttingDeckenbrock, BRAO, 3. Aufl. § 112 a Rn. 10 m.w.N.).
Die Klagefrist von einem Monat nach Zustellung des Bescheides (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 74 Abs. 1
VwGO) ist eingehalten.
2. Die Klage ist auch begründet.
Die angefochtene missbilligende Belehrung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
a) Dies beruht indes nicht auf der vom Kläger gerügten Unzulässigkeit des Instruments der missbilligenden
Belehrung an sich. Die Ermächtigungsgrundlage für eine missbilligende Belehrung durch die Beklagte ergibt sich aus
§ 73 Abs. 2 Nr. 1 und 4 BRAO. Hiernach obliegt es dem Kammervorstand bzw. dessen Abteilungen (§ 77 BRAO),
die Mitglieder der Kammer in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren sowie die Erfüllung der den
Mitgliedern der Rechtsanwaltskammer obliegenden Pflichten zu überwachen. Nach der Rechtsprechung des Senats
für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs ist die Rechtsanwaltskammer aber nicht gezwungen, auf einen Verstoß
gegen eine berufsrechtliche Verbots oder Verhaltensnorm mit anwaltsgerichtlichen Maßnahmen zu reagieren oder
etwa eine Rüge auszusprechen, sondern hat vielmehr auch „die Möglichkeit, dem Rechtsanwalt nach dem
eingetretenen Verstoß eine missbilligende Belehrung zu erteilen, die der Rechtsanwalt vor dem Anwaltsgerichtshof
angreifen kann“ (so BGH NJW 2007, 3499. vgl. auch BGHZ 153, 61, 63. BGH NJW 2002, 608. 2005, 2692). Auch
der erkennende Senat hat die missbilligende Belehrung grundsätzlich als zulässig anerkannt (vgl. Beschlüsse vom
3. Februar 2003 - AGH 15/02 - juris, und vom 7. Juli 2004 - AGH 3/04 - = NJW 2004, 3270. ebenso AGH NRW
BRAKMitt. 2005, 198. nunmehr auch Feuerich/Weyland, BRAO 7. Aufl. § 74 Rn. 10, unter Aufgabe der
Gegenauffassung der Vorauflage. a. A. Henssler/PrüttingHartung, § 74 Rn. 10. KleineCosack, BRAO 6. Aufl. § 73
Rn. 6). Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht (vgl. BVerfG NJW 2008, 502).
b) Die angefochtene missbilligende Belehrung ist jedoch rechtswidrig, weil ein berufsrechtlicher Verstoß nicht
vorliegt.
aa) Dem Bescheid der Beklagten ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob die Beklagte überhaupt einen
berufsrechtlichen Verstoß angenommen hat. Die Begründung des Bescheides deutet darauf hin, dass die Beklagte
in der Textpassage unter Ziffer 5 des Schreibens einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot nach § 43a Abs. 3
Satz 1 BRAO sieht. Zwar hat die Beklagte diese Rechtsnorm in dem angefochtenen Bescheid nicht ausdrücklich
benannt. Dafür, dass sie hierauf abgestellt hat, spricht aber die Einordnung der Textpassage als „herabsetzende
Äußerungen, zu denen weder die Beschwerdeführerin noch der Verfahrensablauf Anlass gegeben haben“, womit auf
die Tatbestandsmerkmale der zweiten Alternative der gesetzlichen Regelbeispiele für unsachliches Verhalten nach §
43a Abs. 3 Satz 2 BRAO abgestellt wird. Demgegenüber könnte der in dem angefochtenen Bescheid enthaltene
Satz: „Berufsrechtlich wäre dieses Verhalten zu ahnden, wenn die Schwelle der Beleidigung überschritten wäre“,
auch bedeuten, dass die Beklagte einen berufsrechtlichen Verstoß nicht angenommen, sich aber dennoch zu einer
missbilligenden Belehrung berechtigt gesehen hat. Hierfür spricht auch die Klageerwiderung, in der dem Verhalten
des Klägers nur eine „berufsrechtswidrige Tendenz“ attestiert und es „im Grenzbereich zwischen korrektem und
standeswidrigem Verhalten“ angesiedelt wird. Hingegen beruft sie sich in einem der Folgesätze auf eine „Situation, in
der an sich eine Rüge gerechtfertigt wäre“.
Vor diesem Hintergrund ist zunächst festzustellen, dass eine missbilligende Belehrung nicht bereits dann zulässig
ist, wenn ein Verhalten nur eine „berufsrechtswidrige Tendenz“ aufweist bzw. sich „im Grenzbereich zwischen
korrektem und standeswidrigem Verhalten“ bewegt. Der Gegenauffassung, die offenbar auf eine ältere
Literaturmeinung zurückgeht, nach der im Grenzbereich zwischen korrektem und standeswidrigem Verhalten
Belehrungen auch als repressive Reaktion auf ein bestimmtes zurückliegendes Verhalten zulässig sein müssen
(Isele, Kommentar zur BRAO, 1976, § 73 Anm. II D 1, zitiert nach Feuerich/Weyland, § 74 Rn. 10), kann nicht
gefolgt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann mit einer missbilligenden Belehrung nur auf
einen Verstoß gegen eine berufsrechtliche Verbots oder Verhaltensnorm reagiert werden (BGH NJW 2007, 3499).
Hingegen würde die aufsichtsbehördliche Missbilligung eines Verhaltens, das nicht gegen gesetzliche Vorschriften
verstößt, den Rechtsanwalt in seinem Grundrecht auf freie Berufsausübung verletzen (vgl. BVerfGE 50, 16.
Feuerich/Weyland, a.a.O Rn. 11). Wollte man repressive Belehrungen bereits im „Grenzbereich“ der Rechtswidrigkeit
zulassen, wären sie nicht mehr justiziabel, weil es an objektiven Kriterien für die Grenzziehung fehlte.
Mithin wäre die angefochtene missbilligende Belehrung nur rechtmäßig gewesen, wenn der Kläger gegen
berufsrechtliche Pflichten verstoßen hätte, was indes nicht der Fall ist.
bb) Eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots durch herabsetzende Äußerungen nach § 43a Abs. 3 Satz 2 2. Alt.
BRAO setzt nämlich eine strafbare Beleidigung (§ 185 StGB) voraus, die hier nicht gegeben ist.
(1) Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum anwaltlichen Standesrecht vom 14. Juli
1987 (BVerfGE 76, 171, 193) erlaubt es die Wahrnehmung seiner Aufgaben dem Rechtsanwalt nicht, „immer so
schonend mit den Verfahrensbeteiligten umzugehen, dass diese sich nicht in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt
fühlen“. der Rechtsanwalt „darf im ‚Kampf um das Recht’ auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige
Schlagworte benutzen, ferner Urteilsschelte üben oder ‚ad personam’ argumentieren, um beispielsweise eine
mögliche Voreingenommenheit eines Richters oder die Sachkunde eines Sachverständigen zu kritisieren.“ Die
Grenze einer zumutbaren Beschränkung der Berufsausübung und der Meinungsfreiheit wird „insbesondere
überschritten, wenn Kammervorstände oder Ehrengerichte Äußerungen eines Anwalts als standeswidrig mit der
Begründung beanstanden, sie würden von anderen Verfahrensbeteiligten als stilwidrig, ungehörig oder als Verstoß
gegen den guten Ton und das Taktgefühl empfunden oder sie seien für das Ansehen des Anwaltsstandes
abträglich.“ Herabsetzende Äußerungen, die ein Anwalt im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung und der dabei
zulässigen Kritik abgibt, sind danach „noch kein Anlass zu standesrechtlichem Eingreifen, wenn nicht besondere
Umstände hinzutreten. Sie sind erst dann als Berufspflichtverletzung zu beanstanden, wenn die Herabsetzungen
nach Inhalt oder Form als strafbare Beleidigungen zu beurteilen sind, ohne durch die Wahrnehmung berechtigter
Interessen gedeckt zu werden.“ Darüber hinaus sei während der Übergangszeit ein standesrechtliches Eingreifen
wegen Verletzung des Sachlichkeitsgebotes „nur in engen Grenzen statthaft, wenn etwa ein Anwalt unprofessionell
handelt, indem er entweder bewusst Unwahrheiten verbreitet oder den Kampf ums Recht durch neben der Sache
liegende Herabsetzungen belastet, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben
haben“.
Diese für die Zeit bis zum Erlass einer Berufsordnung aufgestellten Maßstäbe gelten auch für die Auslegung des §
43a Abs. 3 Satz 2 BRAO. denn der Gesetzgeber hat den vom Bundesverfassungsgericht gelassenen Freiraum nicht
ausgenutzt und sich auf die ausdrückliche Regelung der beiden letztgenannten Fallgruppen beschränkt. Dass der
Gesetzgeber die Fallgruppe der strafbaren Beleidigung nicht ausdrücklich erwähnt hat, ist unerheblich. denn diese ist
nach der h. M. mit der im Gesetz geregelten Fallgruppe der herabsetzenden Äußerungen ohne Anlass identisch (vgl.
BVerfG NJWRR 2010, 204. NJW 2008, 2424. AGH Saarl. NJWRR 2002, 923 (924). Henssler/PrüttingHenssler, § 43a
Rn. 135. Feuerich/Weyland, § 43a Rdn. 52. KleineCosack, BRAO 6. Aufl., § 43a Rn. 72 ff.. Hartung/Römermann,
BRAO 4. Aufl. § 43 a Rn. 50). Eine Äußerung sei nämlich nur dann herabsetzend, wenn sie den Straftatbestand der
Beleidigung (§ 185 ff. StGB) erfülle. ohne Anlass sei sie erfolgt, wenn sie nicht durch die Wahrnehmung berechtigter
Interessen (§ 193 StGB) gedeckt sei. Das Bundesverfassungsgericht stelle beide Fallgruppen zwar theoretisch
nebeneinander, in der praktischen Anwendung behandle es beide jedoch gleich. Berufsrechtliche Beschränkungen
des Rechts auf freie Meinungsäußerung dürften nicht strenger ausfallen, als die für jedermann geltenden Gesetze
(vgl. BVerfG NJW 2008, 358).
Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Die Beurteilung der Frage, ob anwaltliche Äußerungen „im Kampf um
das Recht“ schon eine strafbare Beleidigung darstellen, ist schon für sich betrachtet äußerst komplex (vgl. nur die
Kasuistik bei Fischer, StGB 58. Aufl. § 193 Rn. 28 ff.). Denn allein die Feststellung, dass die Äußerungen des
Rechtsanwalts den Straftatbestand des § 185 StGB erfüllen, genügt auch für berufsrechtliches Einschreiten nicht.
sondern es ist zu prüfen, ob dem Rechtsanwalt der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB zur Seite steht, weil er die
Äußerungen in Wahrnehmung berechtigter Interessen getan hat, wobei im Rahmen der Tatbestandsmerkmale dieser
Norm der wertsetzenden Bedeutung der Grundrechte des Rechtsanwalts aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 GG
durch eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Rechtspositionen Geltung zu verschaffen ist (vgl. BVerfG
NJWRR 2010, 204. NJW 2008, 2424). Wollte man nun berufsrechtliche Ahndung noch im Vorfeld der strafbaren
Beleidigung zulassen, so wären die Abgrenzungsprobleme unbeherrschbar und es bestünde die Gefahr einer
grundrechtswidrigen „Geschmackskontrolle“. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einer jüngeren
Entscheidung ausgeführt, dass „der Ausgangspunkt der Gerichte, wonach ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot
gemäß § 43a Abs. 3 BRAO dann vorliege, wenn die Äußerung eines Rechtsanwalts die Grenze zu einer strafbaren
Ehrverletzung überschreite, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken“ unterliege. vielmehr entspreche sie „gerade
der der gesetzlichen Normierung dieser Standespflicht zugrunde liegenden Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts“ (so BVerfG NJWRR 2010, 204).
(2) Die streitgegenständlichen Äußerungen stellen keine strafbare Beleidigung dar.
Der Schriftsatz des Klägers vom 14. August 2010 enthält zwar polemische und überspitzte Kritik, überschreitet aber
die Schwelle zur strafbaren Beleidigung, die nicht mehr von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt ist,
nicht. Denn er enthält keine mit dem Sachlichkeitsgebot unvereinbare Formalbeleidigung oder Schmähkritik. Eine
herabsetzende Äußerung nimmt erst dann den Charakter einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik an, wenn in ihr
nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. sie
muss „jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person, die gleichsam an den
Pranger gestellt wird, bestehen“ (so BVerfGE 82, 272, 284. vgl. auch BVerfG NJW 2009, 749, 750. AGH Saarl.
a.a.O.. Fischer a.a.O. Rn. 44). Das ist hier noch nicht festzustellen.
Die Äußerungen unter Ziffer 5 des Schreibens dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind im
Zusammenhang mit der unter Ziffern 1 bis 4 geäußerten Kritik an den - vom Kläger als „rechtsirrig“ bzw. „haltlos“
bezeichneten - Beanstandungen seiner Forderungsaufstellung durch die Beschwerdeführerin zu sehen. Derartige
Bewertungen einer gerichtlichen Maßnahme können einem Rechtsanwalt nicht verwehrt werden, weil er sich auch
gegenüber seinen Mandanten rechtfertigen muss. Soweit ein Rechtsanwalt aber in seine Kritik an einer gerichtlichen
Entscheidung auch deren Urheber einbindet, liegt auch dies noch „in der Natur der Sache“ (vgl. AGH Saarl. a.a.O.).
Die durch die Kennzeichnung einer Maßnahme als „rechtsirrig“ bzw. „haltlos“ notwendigerweise mit seiner Person
verbundene Kritik muss eine Gerichtsvollzieherin - ebenso wie ein Richter - hinnehmen. dies gilt auch, wenn - wie
hier - über die Kritik an der Entscheidung hinaus ausdrücklich zusätzliche Kritik an deren Urheber geübt wird (vgl.
BVerfG AnwBl. 1993, 632 f.. AGH Saarl. a.a.O.). Entscheidend ist, ob trotz auch überzogener oder gar ausfälliger
Kritik letztlich noch eine Auseinandersetzung in der Sache geführt wird (vgl. BVerfG NJWRR 2010, 204). Das ist hier
der Fall.
Der Kläger hat der Beschwerdeführerin die berufliche Sachkunde und den adäquaten Ausbildungsgrad nicht direkt
und auch nicht allgemein abgesprochen, sondern ausschließlich in Bezug auf die Beanstandung von Positionen
einer Forderungsaufstellung als „untunlich“. Der Kläger hat damit an die von der Beschwerdeführerin in ihrem
Schreiben vom 12. August 2010 gewählte Formulierung angeknüpft, die Auflistung in seiner Forderungsaufstellung
sei „untunlich, sofern es sich nicht um bisherige Kosten der ZV handelt.“ Er hat damit nicht unabhängig von der
Sache die Person der Beschwerdeführerin diffamiert und „an den Pranger gestellt“, sondern eine ganz bestimmte
Formulierung in einer Beanstandung der Beschwerdeführerin zum Anlass für seine indirekte Kritik an ihrer Person
genommen. Diese Kritik enthält zwar kein Rechts oder Sachargument. es ist aber noch nicht festzustellen, dass der
Kläger mit ihr den Boden der Auseinandersetzung in der Sache vollständig verlassen hat. Auch Richter müssen in
der Regel Äußerungen hinnehmen, in denen Kritik an ihren Entscheidungen mit Zweifeln an ihrer Sachkunde
verbunden wird (vgl. z.B. BVerfG NJW 1989, 3148). Die (noch) Sachbezogenheit des Schreibens wird schließlich
darin deutlich, dass der Kläger die Gerichtsvollzieherin am Ende des Schreibens unter Ziffer 6 darum bittet, nunmehr
ihren Zwangsvollstreckungsauftrag zu erfüllen.
Die missbilligende Belehrung war daher mangels eines berufsrechtlichen Verstoßes aufzuheben.
III.
Ein Anlass, nach §§ 112e BRAO, 124, 124a VwGO die Berufung zuzulassen, besteht nicht. Weder weist die
Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf noch hat sie grundsätzliche Bedeutung (§§
124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr.2 und 3 VwGO).
IV.
Die Kostenscheidung folgt aus §§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, 154 Abs.1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 112c Abs. 1 BRAO, 167 Abs 1 und 2 VwGO,
708 Nr. 11 ZPO.
Der Streitwert ist gemäß §§ 194 Abs. 1 BRAO, 52 Abs. 2 GKG mangels anderer Anhaltspunkte auf den Auffangwert
von 5.000 Euro festzusetzen.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich die Zulassung
der Berufung beantragt werden. Der Antrag ist bei dem Niedersächsischen Anwaltsgerichtshof, Schlossplatz 1,
29221 Celle, zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung
des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist,
soweit sie nicht mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 46133
Karlsruhe, einzureichen.
Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen
Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, des Bundesverfassungsgerichts oder eines anderen
Anwaltsgerichtshofes abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf
dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch
Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Das gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem
Bundesgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer deutschen
Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Ein nach dem
vorstehendem Vertretungsberechtigter kann sich selbst vertreten, es sei denn, dass die sofortige Vollziehung einer
Widerrufsverfügung angeordnet und die aufschiebende Wirkung weder ganz noch teilweise wiederhergesellt worden
ist. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer
öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigung mit Befähigung zum
Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse dann vertreten lassen.
Die Festsetzung des Streitwertes ist unanfechtbar.
xxxxx xxxxx xxxxx
xxxxx xxxxx