Urteil des OLG Celle vom 14.10.1998

OLG Celle: sozialhilfe, zukunft, rente, lebenserwartung, rechtsschutzinteresse, subsidiarität, rehabilitation, stift, verkehrsunfall, einkünfte

Gericht:
OLG Celle, 13. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 13 U 2/98
Datum:
14.10.1998
Sachgebiet:
Normen:
VVG § 67, SGB X § 116, ZPO 256
Leitsatz:
Zu den Voraussetzungen der Feststellung einer Leistungspflicht als PKWHaftpflichtversicherer an den
Sozialhilfeträger aus übergegangenem Recht bei Erschöpfung der Versicherungssumme.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
13 U 2/98
19 O 67/94 LG Hannover
Verkündet am
14. Oktober 1998
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
pp.
XXXXXXX
XXXXXX
gegen
XXXXX
XXXXX
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 1998 unter
Mitwirkung der Richter #####, ##### und ##### für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das am 20. Juni 1996 verkündete Urteil des Landgerichts Hannover - 19 O 67/94 –
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert und Beschwer: 20.000 DM.
Tatbestand
Am 12. April 1991 wurde ##### T#### bei einem Verkehrsunfall, den der nicht berechtigte Fahrer eines mit 2 Mio.
DM bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw allein verschuldet hatte, so schwer verletzt, daß er heute ein
Pflegefall ist, für dessen stationären Aufenthalt monatlich nahezu 10.000 DM (vgl. Rechnung des ####stift #####,
Bl. 170 d. A.) zu zahlen sind. Die Ansprüche der anderen durch den Verkehrsunfall Geschädigten sind dagegen
vergleichsweise geringfügig.
Als sich herausstellte, daß die von der Beklagten zugestandene Haftungssumme von 1,5 Mio. DM nach dem
Haftpflichtversicherungsgesetz nicht ausreichen würde, den gesamten Schaden abzudecken, stellte ##### T####
am 15. März 1993 (Bl. 10 d. A.) einen Sozialhilfeantrag. Der Kläger lehnte die Gewährung von Sozialhilfe mit
Bescheid vom 20. April 1993 ab, gegen den zwar Widerspruch erhoben wurde, was aber bisher nicht zur Gewährung
von Sozialhilfe geführt hat.
Im Kürzungs und Verteilungsverfahren gemäß § 155 Abs. 1 VVG errechnete die Beklagte auf die Lebensdauer des
##### T#### einen Rentenwert von 2.068.117 DM und einen Gesamtschaden von 3.245.400 DM. Daraus errechnete
sie zunächst (Anlage zum Schriftsatz vom 20. April 1994) eine Kürzungsquote von 0,4261392, später (Anlage zum
Schriftsatz vom 25. März 1996) die Kürzungsquote von 0,4252127 und unter Berücksichtigung seines
Befriedigungsvorrechtes für ##### T#### eine Kürzungsquote von 0,657227726 (Anlage zum Schriftsatz vom 25.
März 1996, Bl. 91 d. A.).
Auf dieser Grundlage zahlt die Beklagte dem ##### T#### (Abrechnungsschreiben vom 24. Januar 1996, Bl. 167 f.
d. A.) eine monatliche Rente von 7.211,02 DM. Daneben erhält ##### T#### monatlich eine
Erwerbsunfähigkeitsrente von 1.412,37 DM und Leistungen aus der Pflegeversicherung in Höhe von 500 DM, so daß
seine monatlichen Einkünfte etwa 9.200 DM sind, die Kosten seines stationären Aufenthaltes etwa 9.500 DM (vgl.
Rechnung des ####stift ##### vom 20. September 1995, Bl. 170 d. A.). Daneben hat ##### T#### Zahlungen von
mehr als 500.000 DM für vermehrte Bedürfnisse, Verdienstausfall und Schmerzensgeld erhalten. Seine ihm
unterhaltspflichtige Mutter ist als Lehrerin berufstätig.
Der Kläger hat mit der vorliegenden Klage vom Februar 1994 befürchtet, Sozialhilfeleistungen erbringen zu müssen.
Er hat behauptet, der bei der Beklagten versicherte Pkw sei von dem nicht berechtigten Fahrer, #### G####,
unverschlossen aufgefunden worden und daraus die Schlußfolgerung gezogen, daß die Beklagte nicht nur in Höhe
der gesetzlichen Haftungssumme nach dem Pflichtversicherungsgesetz haften müsse, sondern nach der
Vertragssumme von 2 Mio. DM.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Ansprüche für Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft, die aufgrund des Unfalls vom 12. April 1991, bei der Herr ##### T####, geboren am 25. April 1967, verletzt
worden ist, entstanden sind/oder noch entstehen werden, einschließlich möglicher Ansprüche auf Zahlung von
Sozialhilfe für Behandlungen, Betreuung, Rehabilitation zu ersetzen,
hilfsweise,
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Ansprüche für Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft, die aufgrund des Unfalls vom 12. April 1991, bei dem Herr ##### T####, geboren am 25. April 1967,
verletzt worden ist, entstanden sind/oder noch entstehen werden, einschließlich möglicher Ansprüche auf Zahlung
von Sozialhilfe für Behandlungen, Betreuung, Rehabilitation unter Berücksichtigung der Vorschriften des § 116 Abs.
4 SGB X zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, wegen der Subsidiarität der Sozialhilfe müsse der Kläger erst leisten, wenn ihre Leistungspflicht
gegenüber dem Geschädigten erschöpft sei. Dann könne auch kein Anspruch mehr auf den Kläger übergehen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Dagegen wendet sich die Berufung des Klägers, der sein Vorbringen erster Instanz wiederholt und vertieft.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß die Ansprüche des am 25.
April 1967 geborenen ##### T#### gegen die Beklagte aufgrund des Unfalls vom 12. April 1991 zu diesem Zeitpunkt
auf den Kläger als Träger der Sozialhilfe unter Berücksichtigung einer Haftungssumme von 2 Mio. DM übergegangen
sind, soweit der Kläger nach gesetzlicher Vorschrift verpflichtet ist, an den unfallgeschädigten ##### T####
Sozialhilfe zu leisten
und daß die Beklagte verpflichtet ist, die Aufwendungen des Klägers im Rahmen der übergegangenen Ansprüche bis
zur Höhe von 2 Mio. DM zu erstatten, soweit die Ansprüche nicht zum Ausgleich des Schadens des geschädigten
##### T####, seiner Mutter ### T#### und seines Bruders N#### T#### erforderlich und Ansprüche nicht anteilig
auf andere Sozialversicherungs und Versorgungsträger übergegangen sind.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte weist darauf hin, dass die Ansprüche, die Grundlage des Feststellungsbegehrens des Klägers sind,
erst in dem Zeitpunkt übergehen können, in dem konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Beklagte
leistungspflichtig werden könnte.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen
und insbesondere die in diesem Tatbestand zitierten Urkunden sowie das angefochtene Urteil und seine
Verweisungen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg, weil die damit weiterverfolgte Feststellungsklage unzulässig
ist.
Weder besteht zwischen den Parteien des Rechtsstreits ein Rechtsverhältnis i. S. des § 256 ZPO noch ist der
Kläger berechtigt, in Ansehung des Rechtsverhältnisses zwischen ##### T#### und der Beklagten Feststellungen
deshalb zu erstreiten, weil diese für ihn von wirtschaftlichem oder rechtlichem Interesse sind.
I.
Gegenstand des vom Kläger vorgetragenen rechtlichen Interesses sind zum einen die auf ihn gemäß § 116 Abs. 1
SGB X übergangsfähigen Schadensersatzansprüche des ##### T#### gegen die beklagte Haftpflichtversicherung,
die im Falle des Überganges eigene Ansprüche des Klägers wären.
1. Trotz der Aufnahme des Sozialhilfeträgers in die Vorschrift des § 116 Abs. 1 SGB X und des damit auch für einen
Sozialhilfeleistungsträger begründeten gesetzlichen Forderungsüberganges bestehen weiterhin Unterschiede
zwischen Sozialversicherungsträgern und Sozialhilfeträgern in bezug auf den Zeitpunkt des Rechtsüberganges. Der
in § 2 BSHG normierte Nachrang ist durch die Aufnahme des Sozialhilfeträgers in die Vorschrift des § 116 Abs. 1
SGB X für Schadensersatzansprüche nicht hinfällig geworden. Er hat vielmehr in § 116 Abs. 2 Nr. 3 SGB X noch
eine gewisse Verstärkung erfahren (vgl. Plagemann, ZfSH/SGB 1985, 9 - 11 ). Zweifellos muß zwar derjenige, dem
ein realisierbarer Anspruch gegen einen Dritten zusteht, diesen Anspruch zur Deckung seines Bedarfs verwirklichen
und wird daher in dessen Umfang nicht hilfsbedürftig (BVerwGE 21, 208 - 212 ). Das steht aber nicht dem
Verständnis entgegen, daß der Anspruch des Geschädigten bereits in dem Zeitpunkt übergeht, in dem mit der
Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers ernsthaft zu rechnen ist (vgl. BGH, NJW 1996, 726 - 727/728 ), denn mit der
gleichzeitig angenommenen Fortdauer einer Einziehungsbefugnis im eigenen Namen durch den unmittelbar
Geschädigten wird dem Zweck der Subsidiarität der Sozialhilfe genügt.
2. Auf der Grundlage dieser vom Bundesgerichtshof mehrfach (a. a. O. und NJW 1996, 2508 f.) formulierten
interessengerechten Auslegung des § 116 Abs. 1 SGB X, der der Senat folgt, sind keine Ansprüche auf den Kläger
übergegangen.
a) Die Annahme, die bei Erhebung der Klage möglicherweise noch gerechtfertigt war - die in der mündlichen
Verhandlung erörterte Änderung der Verhältnisse hat den Klägervertreter nicht zur Erklärung der Erledigung der
Hauptsache veranlaßt , daß zu erwarten sei, daß der Kläger Sozialhilfeleistungen erbringen müsse, hat sich in den
über vier Jahren des Prozeßverlaufes, also in einem Zeitraum von über neun Jahren seit der Verletzung des #####
T#### nicht bewahrheitet.
b) Der Kläger hat auch keine Anhaltspunkte vorgetragen, daß in der Zukunft mit seiner Leistungspflicht zu rechnen
ist. Vielmehr sprechen die im Tatbestand dargestellten wirtschaftlichen Verhältnisse des geschädigten ##### T####
dafür, daß er bis zum Ende seiner Lebenserwartung keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen muß. Denn seine
monatlichen Ausgaben für die stationäre Pflege sind durch die Einkünfte nahezu gedeckt. Daneben bestehende
Unterhaltsansprüche gegen seine Mutter und sein eigenes Vermögen lassen nicht erwarten, daß er der Leistung von
Sozialhilfe durch den Kläger bedarf.
c) Es mag sein, daß dann, wenn wegen Zeitablaufs die Rentenzahlungspflicht der Beklagten mit Erreichen des
Zeitpunktes der zugrunde gelegten Lebenserwartung enden könnte, ein Bedarf des ##### T#### auf Gewährung von
Sozialhilfe entstehen könnte. Mit dieser denkgesetzlichen Möglichkeit ist jedoch nicht ernsthaft zu rechnen, woran
bereits die Annahme eines heutigen Anspruchsübergangs scheitern würde.
d) Im übrigen würde dann ein Feststellungsinteresse des Klägers auch deshalb fehlen, weil in diesem Zeitpunkt der
berechtigt die - unterstellt - übergegangenen Ansprüche einziehende ##### T#### bereits alle Ansprüche gegen die
Beklagte erschöpft hätte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Ausgangspunkt der Rentenberechnung die gesetzliche
Haftungssumme von 1,5 Mio. DM - die die Beklagte für richtig hält - oder die vertragliche Haftungssumme von 2 Mio.
DM ist. Denn auch bei Leistung von 25 % mehr monatlicher Rente würde die Beklagte immer noch eine gekürzte
Rente, also weniger als den tatsächlich entstandenen Schaden, zahlen. Die Zeitdauer der Rentenzahlung würde sich
dadurch nicht verändern, die Ansprüche würden in derselben Zeit verbraucht, also in jedem Falle verbraucht sein,
bevor der Kläger wegen eigener Sozialhilfeleistungen selbst berechtigt wäre, Ansprüche gegen die Beklagte geltend
zu machen.
II.
Der Kläger hat auch kein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung des Umfanges der (fremden) Ansprüche des
verletzten ##### T#### aus dessen Rechtsverhältnis zur Beklagten.
Feststellungen zum Umfang der Schadensersatzansprüche des ##### T#### könnte der Kläger nur dann verlangen,
wenn dies für ihn von wirtschaftlichem oder rechtlichem Interesse ist.
1. Es kann dahingestellt bleiben, ob bei Fehlen dieses Interesses bereits das Tatbestandsmerkmal des
Rechtsverhältnisses als Grundlage des Feststellungsbegehrens (so ZöllerVollkommer, ZPO, 19. Aufl., § 256 Rdn. 3
b) zu verneinen ist oder (so Baumbach/Lauterbach ZPO, 55. Aufl., § 256 Rdn. 27 f.) ein Feststellungsinteresse nicht
anzunehmen ist.
2. Es fehlt dem Kläger an einem rechtlichen oder wirtschaftlichen Interesse an Feststellungen zum Umfang der
Schadensersatzpflicht der Beklagten. Wie bereits dargestellt kommt es dabei auch nicht darauf an, ob
Ausgangspunkt eine Haftung der Beklagten in Höhe von 2 Mio. DM oder von 1,5 Mio. DM ist, denn in jedem Falle ist
nicht ernsthaft zu erwarten, daß der Kläger Sozialhilfeleistungen für ##### T#### erbringen muß und deshalb jemals
in den Genuß von dessen Ansprüchen gegen die Beklagte kommen wird. Im übrigen gelten auch hier die
Überlegungen zum Rechtsschutzinteresse für den allenfalls denkgesetzlichen, nach Auffassung des Senats einen
Rechtsübergang nicht begründenden Fall einer Leistungspflicht des Klägers nach Erschöpfung der Haftungssumme,
wie sie oben dargestellt sind.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den
§§ 708 Nr. 10 und 713 ZPO. Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO geschätzt, wobei die bei der dargestellten
Betrachtungsweise objektive Unwahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme des Klägers nicht außer acht bleiben
konnte.
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