Urteil des OLG Celle vom 04.05.2011

OLG Celle: unterhalt, uvg, unrichtigkeit, rechtskraft, niedersachsen, jugendamt, beratung, rückgriff, anspruchsberechtigter, mangel

Gericht:
OLG Celle, 10. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 10 WF 118/11
Datum:
04.05.2011
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 319
Leitsatz:
1. Im Vereinfachten Verfahren ergangene Unterhaltsfestsetzungsbeschlüsse sind einer
Tenorberichtigung gemäß § 319 ZPO zugänglich.
2. Eine Berichtigung des Tenors eines Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses gem. § 319 ZPO i.V. mit §
113 Abs. 1 FamFG dahin, daß sich der titulierte Unterhalt um das volle statt um das anteilige
Kindergeld vermindert, ist möglich, wenn Antragsteller das Land als Träger der
Unterhaltsvorschußkasse ist, sich der Titel ausdrücklich auf geleistete und zukünftig geleistete
Zahlungen im Sinne des UVG beschränkt und sich aus der Höhe der zugleich titulierten
Rückstandsbeträge ergibt, daß dabei eine Anrechnung des vollen Kindergeldes erfolgt ist.
Volltext:
10 WF 118/11
3c FH 2005/10 Amtsgericht Uelzen
Beschluß
In der Familiensache
M. T.,
Antragsgegner und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte H. & Partner,
gegen
Land Niedersachsen, vertreten durch das Jugendamt Uelzen,
Antragsteller und Beschwerdegegner,
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht W., den Richter am Oberlandesgericht H. und die Richterin am Amtsgericht C. am 4. Mai 2011
beschlossen:
Der Antragsgegner wird darauf hingewiesen, daß der Senat die Verwerfung bzw. Zurückweisung seiner sofortigen
Beschwerden beabsichtigt. ihm wird Gelegenheit zu ergänzender Stellungnahme gegeben bis zum
27. Mai 2011.
Gründe:
I.
Das - durch das Jugendamt Uelzen vertretene - Land Niedersachsen (im weiteren: der Antragsteller) hat mit
parallelen, jeweils am 17. September 2010 beim Amtsgericht Uelzen eingegangenen Anträgen den Antragsgegner im
vereinfachten Verfahren auf die durch Leistungen nach dem UVG übergegangenen bzw. künftig übergehenden
Unterhaltsansprüche seiner beiden jeweils am … 1999 geborenen Töchter L. und L. in Anspruch genommen und
jeweils eine Titulierung ab 1. Oktober 2010 von 100 % des Mindestunterhaltes der zweiten Altersstufe nach § 1612a
BGB abzüglich des Erst bzw. Zweitkindergeldes sowie eines Rückstandes für die Zeit vom 1. Februar bis 30.
September 2010 in Höhe von (8 * (364 € - 184 € =) 180 € =) 1.440 € beantragt.
Das Amtsgericht hat diese Anträge getrennt behandelt und ihnen mit parallelen Beschlüssen vom 3. November 2010
stattgegeben, wobei allerdings der Tenor hinsichtlich der laufenden Beträge jeweils dahin geht, daß sich der
Unterhalt um ´anteilige kindbezogene Leistungen gemäß § 1612b Abs. 1 BGB´ für ein erstes bzw. zweites Kind
vermindert.
Nachdem bereits der Antragsteller jeweils umgehend eine Berichtigung der Beschlüsse entsprechend seiner
ursprünglichen Anträge begehrt hatte, hat der Antragsgegner seinerseits jeweils fristgerecht Beschwerde gegen die
Festsetzungsbeschlüsse eingelegt, mit denen er geltend macht, daß beim laufenden Unterhalt nicht jeweils das volle
Kindergeld abgesetzt worden ist, und zugleich für die Beschwerdeverfahren um Verfahrenskostenhilfe (VKH)
nachgesucht.
Mit Beschlüssen vom 14. März 2011 hat das Amtsgericht die Festsetzungsbeschlüsse jeweils (´gemäß § 42 FamFG
´) dahin berichtigt, daß sich der laufende Unterhalt ´um kindbezogene Leistungen für ein erstes bzw. zweites Kind´
vermindert.
Gegen diese Berichtigungsbeschlüsse richten sich die jeweils fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerden des
Antragsgegners, der die Voraussetzungen für eine wie erfolgte Berichtigung für nicht gegeben hält.
Der Senat hat mit Beschluß vom 2. Mai 2011 die erst und zweitinstanzlichen Verfahren jeweils gemäß § 250 Abs. 3
FamFG verbunden.
II.
1. Die sofortigen Beschwerden des Antragsgegners dürften bereits unzulässig sein, da der Antragsgegner durch die
amtsgerichtlichen Berichtigungsbeschlüsse nicht beschwert ist und ihm das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für
seine sofortigen Beschwerden fehlt.
a. Die amtsgerichtlichen Berichtigungsbeschlüsse führen dazu, daß die Unterhaltsfestsetzungsbeschlüsse nicht
mehr - wie nach der Formulierung des ursprünglichen Tenors - eine Titulierung gegen den Antragsgegner von
(derzeit) monatlich je (364 € - 92 € =) 272 € beinhalten, sondern lediglich noch eine solche von (derzeit) monatlich
(364 € - 184 € =) 180 €. durch die Berichtigungsbeschlüsse wird also die unmittelbare rechtliche Position des
Antragsgegners allein verbessert, nicht dagegen in irgend einer Form verschlechtert.
b. Eine Beschwer des Antragsgegners läßt sich auch nicht daraus herleiten, daß durch die amtsgerichtlich
vorgenommene Berichtigung des Tenors die damit einhergehende Verbesserung der rechtlichen Position des
Antragsgegners nicht hinreichend verläßlich erfolgen würde, er also auf dieser Grundlage schlechter stünde, als
wenn - auf seine sofortige Beschwerde - die Tenorberichtigung aufgehoben und sodann - auf seine befristete
Beschwerde - der Unterhaltsfestsetzungsbeschluß durch den Senat wiederum (auf eben die Formulierung die bereits
mit dem aufgehobenen Berichtigungsbeschluß herbeigeführt war) geändert würde. Ein berechtigtes und
schützenswertes Interesse des Antragsgegners an einer Korrektur der ursprünglichen
Unterhaltsfestsetzungsbeschlüsse gerade durch den Senat im Beschwerdewege statt durch die
Berichtigungsbeschlüsse des Amtsgerichtes besteht nicht.
Selbst wenn es sich - wovon allerdings entsprechend der nachstehend unter 2. dargelegten Erwägungen gerade nicht
auszugehen ist - im vorliegenden Fall aufgrund des Fehlens der dafür erforderlichen Voraussetzungen um einen
fehlerhaften Berichtigungsbeschluß handeln würde, wird dieser - jedenfalls nach Eintritt der formellen Rechtskraft,
die ohne die sofortigen Beschwerden des Antragsgegners bereits eingetreten wäre und die bei deren Verwerfung oder
Zurückweisung eintreten wird - dem Antragsgegner auch Sicherheit vor einer über den dadurch reduzierten Umfang
des Titels hinausgehende Inanspruchnahme bieten.
Nach ausdrücklicher Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind auch Berichtigungsbeschlüsse der materiellen
Rechtskraft zugänglich (BGH, Beschluß vom 12. Januar 1984 - III ZR 95/82 - NJW 1985, 742 [Tz. 20] m.w.N.). sie
sind bei Eintritt der formellen Rechtskraft regelmäßig nicht in anderem Zusammenhang darauf zu prüfen, ob sie die
Grenzen des § 319 ZPO einhalten (BGH a.a.O. [Tz. 20]. BGHZ 127, 74 [Tz. 9] m.w.N..). Insofern sind
Berichtigungsbeschlüsse, selbst wenn sie fehlerhaft ergangen sind, nur in seltenen Ausnahmefällen unwirksam,
nämlich wenn ein besonders schwerer und offenkundiger Mangel vorliegt (BGHZ 127, 74 [Tz. 18] m.w.N.. BGH -
Urteil vom 9. November 1994 - XII ZR 184/93 - FamRZ 1995, 155 = NJW 1995, 1033 [Tz 10]). ihnen wird lediglich
insoweit eine nur eingeschränkte Bindungswirkung zuerkannt, als durch sie nachträglich erstmals - direkt oder
indirekt - ein Rechtsmittel eröffnet wird (vgl. BGHZ 127, 74 [Tz. 10] m.w.N.). Auf dieser Grundlage stellen sich die
amtsgerichtlichen Berichtigungsbeschlüsse im Streitfall jedenfalls nicht als unwirksam dar.
2. Selbst wenn man jedoch - entgegen dem vorstehend zu 1. Ausgeführten - von einer Zulässigkeit der sofortigen
Beschwerden ausgehen wollte, wären sie aber jedenfalls unbegründet. Insofern könnte der Senat sogar die Frage der
Zulässigkeit offenlassen und die sofortigen Beschwerden als jedenfalls unbegründet zurückweisen (vgl. insofern
BGH - Beschluß vom 30. März 2006 - IX ZB 171/04 - NJWRR 2006, 1346 sowie OLG Köln, Beschluß vom 27. Juli
2010 - 6 W 79/10 - GRURRR 2011, 86, 87 - bereits unter der Geltung des FamFG).
Das Amtsgericht hat im Streitfall zu Recht von der Möglichkeit einer Tenorberichtigung Gebrauch gemacht. die
Voraussetzungen einer solchen Berichtigung gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, 319 ZPO liegen vor. soweit sich das
Amtsgericht auf den in wie vorliegend gemäß § 112 Nr. 1 FamFG gegeben - Familienstreitsachen gemäß § 113 Abs.
1 FamFG nicht anwendbaren § 42 FamFG bezogen hat, wirkt sich dies in der Sache nicht aus, weil beide
Berichtigungsnormen inhaltlich übereinstimmen.
Die Berichtigung einer gerichtlichen Entscheidung gemäß § 319 ZPO ist eröffnet hinsichtlich darin enthaltener
offenbarer Unrichtigkeiten. Um eine Unrichtigkeit handelt es sich, wenn das vom Gericht Erklärte von dem von ihm
Gewollten abweicht, es sich also um einen Verlautbarungsfehler handelt (vgl. etwa BGH, Beschluß vom 12. Januar
1984 - III ZR 95/82 - NJW 1985, 742 [Tz. . HKZPO3–Saenger, § 319 Rz. 4. Stein/Jonas22Leipold, ZPO, § 319 Rz. 7
f.. Wieczorek/Schütz3–Rensen, ZPO, § 319 Rz. 8. MüKo ZPO3–Musielak, § 319 Rz. 4). offenbar ist eine
Unrichtigkeit, wenn sie sich aus dem Zusammenhang der Entscheidung selbst oder aus den Vorgängen bei ihrem
Erlaß ergibt (BGH aaO Tz. 15). Dabei muß die Unrichtigkeit nicht unbedingt bereits auf den ersten Blick zu erkennen
sein (Stein/Jonas22Leipold, ZPO, § 319 Rz. 12), es genügt, wenn sie bei sorgfältiger Prüfung und rechtskundiger
Beratung für Dritte evident wird (BGHZ 127, 74 [Tz. 25]).
Die Grundlagen für eine - wie vorliegend in Rede stehende - Tenorberichtigung ergeben sich typischerweise aus dem
Auseinanderfallen von Tenor und den diesbezüglichen Ausführungen in den Entscheidungsgründen. Ein Rückgriff auf
Entscheidungsgründe ist vorliegend zwar nicht möglich, da der antragsgemäße Unterhaltsfestsetzungsbeschluß
keine weitere Begründung enthält. Anerkanntermaßen kommt jedoch auch eine Berichtigung von Entscheidungen in
Betracht, die keine Begründung enthalten (vgl. etwa für den Vollstreckungsbescheid OLG Frankfurt, Beschluß vom
19. Januar 1990 - 5 W 28/89 - NJWRR 1990, 767. vergleichbar für den Mahnbescheid BGH, Urteil vom 29.
September 1983 - VII ZR 31/83 - NJW 1984, 242 f.).
Im Streitfall ist auf der Grundlage sorgfältiger und rechtskundig beratener Prüfung auch für einen Dritten evident, daß
sich die Tenorierung des zugunsten des Antragstellers festgesetzten Unterhaltes allein auf den um das volle
Kindergeld reduzierten Mindestunterhaltsbetrag bezog, dessen Festsetzung vom Antragsteller beantragt worden war:
So ist die Festsetzung zum einen für den Antragsteller ´als Anspruchsberechtigter kraft Gesetzes (§ 7 UVG) aus auf
diesen übergegangene Unterhaltsansprüchen des minderjährigen Kindes´ erfolgt und bezog sich zum anderen auf
denjenigen Unterhalt, ´den der Antragsgegner für geleistete und zukünftig zu leistende Zahlungen im Sinne des
Unterhaltsvorschußgesetzes (UVG) zu zahlen hat´. Schon aus der Bezugnahme auf die vom Antragsteller nach dem
UVG zu leistenden und insofern auf ihn übergehenden Unterhaltsbeträge läßt sich erkennen, daß es sich (lediglich)
um den um das volle Kindergeld verminderten Mindestunterhaltsbetrag handeln sollte. Dieser so gemeinte Umfang
der Anrechnung des Kindergeldes wird weiter noch dadurch unterstrichen, daß auch der für den Zeitraum Februar bis
September 2010 - also für acht Monate - festgesetzte rückständige Unterhalt von 1.440 € genau den Monatsbetrag
von 180 € offenlegt, der er sich aus dem gesetzlich festgelegten Mindestunterhaltsbetrag von 364 € abzüglich des
vollen gesetzlichen Kindergeldes von 184 € ergibt.
W. H. C.