Urteil des OLG Celle vom 13.10.2011

OLG Celle: wiedereinsetzung in den vorigen stand, vorläufige einstellung, aufenthalt im ausland, rechtliches gehör, emrk, überprüfung, form, anfechtung, benachrichtigung, hindernis

Gericht:
OLG Celle, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 31 Ss 42/11
Datum:
13.10.2011
Sachgebiet:
Normen:
StPO § 205
Leitsatz:
Das Revisionsverfahren ist nicht wegen Abwesenheit des Angeklagten nach § 205 StPO vorläufig
einzustellen, wenn dieser nach Einlegung der Revision freiwillig seinen dauerhaften Aufenthalt im
Ausland genommen hat.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
31 Ss 42/11
18 Ns 32 Js 21584/10 LG Hildesheim
32 Js 21584/10 StA Hildesheim
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen P. K.,
geboren am xxxxxxxxxxx 1951 in G.,
wohnhaft W. Z. S. No., C., VR C.,
Verteidiger: Rechtsanwalt Dr. H. aus H.
wegen Urkundenfälschung u. a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Richter
am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxx, xxxxxxxxxxxxxxx und xxxxxxxxxx am 13. Oktober 2011 beschlossen:
Der Antrag des Angeklagten auf vorläufige Einstellung des Revisionsverfahrens wird abgelehnt.
G r ü n d e:
I.
Der Angeklagte hat durch Schreiben seines Verteidigers vom 10. Juni 2011 gegen das Urteil der 7. kleinen
Strafkammer des Landgerichts Hildesheim vom 6. Juni 2010, mit dem seine Berufung gegen das Urteil des
Amtsgerichts Lehrte vom 15. Februar 2011 als unbegründet verworfen worden ist, Revision eingelegt und nach
Zustellung des schriftlichen Urteils am 1. August 2011 - die Revisionsanträge und ihre - auf die Sachrüge gestützte -
Begründung am 31. August 2011 angebracht.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Sachrüge des Angeklagten mit ihrer Zuschrift vom 29. September 2011
beigetreten.
Durch Schreiben seines Verteidigers vom 27. September 2011 hat der Angeklagte nunmehr beantragt, das
Revisionsverfahren gemäß § 205 StPO vorläufig einzustellen, weil er sich in C. aufhalte und dort „den Rest seiner
Berufstätigkeit verbringen“ wolle.
II.
Der Antrag des Angeklagten auf vorläufige Einstellung des Revisionsverfahrens ist abzulehnen, weil kein Hindernis
im Sinne von § 205 StPO vorliegt, das einer Fortsetzung des Revisionsverfahrens entgegensteht.
Die Abwesenheit des Angeklagten wegen unbekannten Aufenthalts oder aus sonstigen Gründen hindert die
Durchführung des Revisionsverfahrens nämlich nicht (BVerfG NJW 1995, 651). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die
Revision - wie hier - zulässig eingelegt und begründet worden ist und sich der Angeklagte vor Abschluss des
Verfahrens freiwillig ins Ausland begeben hat (vgl. OLG Brandenburg NStZRR 2005, 49. LRStuckenberg, StPO 26.
Aufl. § 205 Rn. 10). Die Unschädlichkeit der Abwesenheit des Angeklagten ergibt sich schon aus § 350 Abs. 2
StPO, wonach der Angeklagte selbst bei Durchführung einer Revisionshauptverhandlung nicht die Pflicht zur
Anwesenheit hat und wonach ein nicht auf freiem Fuß befindlicher Angeklagter keinen Anspruch auf Anwesenheit
hat. Zudem ist es nach § 350 Abs. 1 Satz 2 StPO sogar unschädlich, wenn die Benachrichtigung eines
Angeklagten, der wie hier - einen Verteidiger hat, vom Hauptverhandlungstermin nicht ausführbar ist. Ob der
Angeklagte anwesend sein - und hierzu ggfs. aus dem Ausland anreisen - oder sich vertreten lassen will, steht in
seinem Belieben (MeyerGoßner, StPO 54. Aufl. § 350 Rn. 3. HKTemming, StPO 4. Aufl. § 350 Rn. 8). Der
Angeklagte hat bei Vorliegen von Hindernissen weder Anspruch auf Verlegung der Hauptverhandlung noch
nachträglich das Recht, wegen unverschuldeter Versäumung der Hauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zu beantragen (BGH MDR 1975, 25 (D). KKKuckein, StPO 6. Aufl. § 350 Rn. 10. MeyerGoßner aaO Rn. 11).
Hierdurch werden weder der Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch der auf eine
angemessene Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 EMRK) verletzt (BVerfGE 54, 100, 116. 65, 171. BVerfG NJW 1995, 651.
1951). Denn im Revisionsverfahren gelten insofern andere Anforderungen als im Verfahren vor dem Tatgericht. In der
Tatsacheninstanz kann der Angeklagte eine Einlassung abgeben, selbst Anträge stellen und Zeugen befragen und
kann so das Verfahren unabhängig von seinem Verteidiger mitgestalten und sich verteidigen. Das
Revisionsverfahren hingegen dient ausschließlich der rechtlichen Überprüfung des tatrichterlichen Urteils auf richtige
Anwendung des sachlichen Rechts und des Verfahrensrechts. Erörterungen tatsächlicher Art finden hier nicht statt.
Die Möglichkeiten des Angeklagten, dieses Verfahren mitzugestalten, sind gering. Selbst kann der Angeklagte das
Rechtsmittel lediglich einlegen und zurücknehmen. Schon die Bestimmung des Umfangs der Anfechtung kann der
Angeklagte nur durch seinen Verteidiger (oder zu Protokoll der Geschäftsstelle) vornehmen (§ 344 Abs. 1 StPO).
Dasselbe gilt für die nach § 344 Abs. 2 StPO erforderliche Begründung der Revision. In der
Revisionshauptverhandlung hat der anwesende Angeklagte zwar das Recht auf Gewährung des letzten Wortes.
jedoch kann er auch dabei für das Revisionsverfahren maßgebliche Erklärungen nach § 344 StPO, die nach § 345
StPO nur befristet angebracht werden können und der dort genannten Form bedürfen, nicht wirksam abgeben (vgl.
zum Ganzen BGHSt 41, 16. BGH StV 1996, 250).
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