Urteil des OLG Celle vom 10.05.2011

OLG Celle: genehmigung, pauschal, besuchsrecht, hochschule, strafprozess, begriff, rechtspflege, mandat, vollmacht, bindungswirkung

Gericht:
OLG Celle, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 1 Ws 170/11 (StrVollz)
Datum:
10.05.2011
Sachgebiet:
Normen:
StPO § 138 Abs 2, StVollzG § 109, NJVollzG § 27
Leitsatz:
Ein Rechtsassessor, der in Untervollmacht für einen Rechtsanwalt strafrechtliche Mandate
wahrnimmt, kann eine Verletzung eigenen Rechts i.S.d. § 109 Abs. 2 StVollzG nicht geltend machen,
wenn die Justizvollzugsanstalt ihm die für einen Verteidiger bestehenden Besuchsprivilegien verwehrt,
solange er nicht in einer konkreten Strafsache mit gerichtlicher Genehmigung nach § 138 Abs. 2 S. 1
StPO zum Verteidiger gewählt worden ist.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
1 Ws 170/11 (StrVollz)
50 StVK 821/10 LG Braunschweig
B e s c h l u s s
In der Strafvollzugssache
des Rechtsassessors R. M.,
A. P., K.,
Antragstellers ,
vertreten durch: Rechtsanwalt D., K.,
gegen die Justizvollzugsanstalt W.,
vertreten durch den Anstaltsleiter,
Antragsgegnerin ,
wegen Besuchsrechts als Rechtsassessor
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den
Beschluss der kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Braunschweig vom 11. März 2011 nach
Beteiligung des Zentralen juristischen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug, am 10. Mai 2011 durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxxx und den
Richter am Oberlandesgericht xxxxxx beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen dem Antragsteller zur Last.
Der Streitwert wird auf 500 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Der Antragsteller ist Rechtsassessor. Er wendet sich gegen die Weigerung der Antragsgegnerin, ihn bei
Gefangenenbesuchen einem anwaltlichen Verteidiger gleichzustellen.
Der Antragsteller verlor durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar 2006 AnwZ (B) 20/05 - wegen
Vermögenslosigkeit seine Zulassung als Rechtsanwalt. Er ist heute als Rechtsassessor bei seinem
Bevollmächtigten in diesem Verfahren, Rechtsanwalt D., tätig. Rechtsanwalt D. erteilte dem Antragsteller regelmäßig
Untervollmacht in strafrechtlichen Mandaten, auf Grund derer der Antragsteller Gefangene bei der Antragsgegnerin
aufsuchte.
Durch Schreiben vom 3. September 2010 teilte die Antragsgegnerin Rechtsanwalt D. mit, dass dem Antragsteller
trotz der erteilten Unterbevollmächtigung keine Verteidigereigenschaft zukomme. Künftige Gespräche zwischen dem
Antragsteller und den Mandanten des Rechtsanwalts D. würden daher als reguläre Gefangenenbesuche nach §§ 25
Abs.1, 28 Abs. 1 NJVollzG behandelt und auf das Besuchskontingent der jeweiligen Gefangenen angerechnet.
Hiervon unberührt blieben gemeinsame Besuche des Antragsgegners mit Rechtsanwalt D.
Gegen das Schreiben beantragten der Antragsteller und Rechtsanwalt D. am 17. September 2009 gem. §§ 23, 27
EGGVG gerichtliche Entscheidung mit dem Ziel, dem Antragsteller Besuche bei Mandanten des Rechtsanwalts D.
nach den für Verteidiger geltenden Besuchsregeln zu gestatten.
Durch Beschluss vom 13. Dezember 2010 - VAs 17/10 - erklärte das Oberlandesgericht Braunschweig den Antrag
für unzulässig und verwies die Sache an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Braunschweig, weil die
Antragsteller ihr Begehren vorrangig mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 102 NJVollzG i. V. m.
§§ 109 ff StVollzG hätten geltend machen können. Das angegriffene Schreiben stelle eine Maßnahme zur Regelung
einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs i. S. d. § 109 Abs. 1 StVollzG dar.
Nachdem Rechtsanwalt D. seinen im eigenen Namen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Braunschweig zurückgenommen hatte, wies die
Strafvollstreckungskammer den Antrag des Antragstellers durch den angefochtenen Beschluss als unbegründet
zurück. Zur Begründung führte die Strafvollstreckungskammer aus, dass der Antragsteller nicht zu dem in § 27
NJVollzG genannten Personenkreis gehöre. Aus der Möglichkeit, dass der Antragsteller nach § 138 Abs. 2 StPO mit
gerichtlicher Zustimmung als Verteidiger gewählt werden könne, folge nicht ohne Weiteres auch das Recht zum
ungehinderten Besuch gem. § 27 NJVollzG. Jedenfalls bestünden Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des
Antragstellers, weil dieser mehrfach vorbestraft und für einige Monate selbst Inhaftierter in der Anstalt der
Antragsgegnerin gewesen sei.
Gegen die Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers. Er macht geltend, die
Strafvollstreckungskammer hätte den Sachverhalt hinsichtlich einer fehlenden Vertrauenswürdigkeit wegen einer
kurzen Inhaftierung nicht ausreichend aufgeklärt. Vielmehr sei er als hinreichend sachkundige und vertrauenswürdige
Person regelmäßig nach § 138 Abs. 2 StPO als Verteidiger zuzulassen und hätte das Recht auf unbeschränkten
Besuch bei Gefangenen nach § 27 NJVollzG.
Der Zentrale juristische Dienst für den Niedersächsischen Justizvollzug beantragt, die Rechtsbeschwerde als
unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 102 NJVollzG, § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig, weil es geboten ist, die
Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu
ermöglichen. Die Frage, inwieweit Rechtsassessoren sich auf die Verletzung eines eigenen subjektiven Rechts i. S.
d. § 109 Abs. 2 StVollzG berufen können, wenn sie in Untervollmacht für einen anwaltlichen Verteidiger auftreten
und ihnen insoweit das Verteidigerprivileg bei Gefangenenbesuchen nach § 27 S. 1 NJVollzG verwehrt wird, ist
obergerichtlich nicht geklärt. Das Auftreten einer vergleichbaren Konstellation auch bei anderen
Justizvollzugsanstalten ist denkbar.
2.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, weil bereits der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 102 NJVollzG,
109 Abs. 1, Abs. 2 StVollzG unzulässig war.
a.
Es erscheint bereits fraglich, ob es sich bei dem Schreiben der JVA W. vom 3. September 2010 um eine Maßnahme
zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges i. S. d. §§ 102 NJVollzG, 109 Abs. 1
StVollzG handelt. An einem Regelungscharakter dürfte es hier fehlen, weil dem Schreiben lediglich die Ankündigung
einer bestimmten Handhabung von Besuchen des Antragstellers - ohne Bezug zu einem bestimmten
Mandatsverhältnis oder Strafgefangenen - zu entnehmen ist. Die reine Äußerung einer Rechtsansicht, auch wenn
deren Umsetzung im Einzelfall in Aussicht gestellt wird, ist nicht auf die Herbeiführung unmittelbarer
Rechtswirkungen nach außen gerichtet (vgl OLG Nürnberg, ZfStrVo 1987, 252. zum Ganzen z.B. Calliess/
MüllerDietz, StVollzG, 11. Aufl., § 109 Rn. 13). Dem Senat ist es jedoch in entsprechender Anwendung von § 17a
Abs. 2 S. 3 GVG verwehrt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung bereits wegen Fehlens einer Einzelfallregelung
als unzulässig abzulehnen. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 13. Dezember 2010 ist
hinsichtlich des Rechtsschutzwegs nach §§ 102 NJVollzG, 109 ff StVollzG bindend. Dies schließt die für die
Statthaftigkeit dieses Verfahrens maßgebliche Rechtsfrage, ob es sich bei der angefochtenen Maßnahme um eine
Einzelfallregelung handelt, mit ein (vgl. OLG Karlsruhe, ZfStrVo 2002, 189).
b.
Der Antrag war indes nach § 109 Abs. 2 StVollzG unzulässig, weil der Antragsteller nicht geltend macht, durch die
Maßnahme in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Prüfung der Antragsbefugnis als weiterer
Zulässigkeitsvoraussetzung ist dem Senat trotz der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des
Oberlandesgerichts Braunschweig möglich, weil sie einen eigenständigen Regelungsgehalt aufweist (vgl. hierzu nur
OLG Karlsruhe, a.a.O.. OLG Hamm NStZRR 1996, 209. Kissel GVG 6. Aufl. § 17 Rdnr.38).
Dabei kann bereits dahingestellt bleiben, ob eine unmittelbare Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers
schon deswegen ausscheidet, weil nicht er, sondern Rechtsanwalt D. Adressat des Schreibens vom 3. September
2009 war mit der Folge, dass sich eine Beeinträchtigung seiner Rechte nur als Reflex aus einer Maßnahme ergibt,
die sich an Rechtsanwalt D. als - zunächst - gewählten Verteidiger der jeweiligen Gefangenen richtet. Eine nur
mittelbare Beeinträchtigung des Antragstellers durch die beabsichtigte Vorgehensweise der Antragsgegnerin ergibt
sich auch daraus, dass durch die Anrechnung zukünftiger Besuche auf das allgemeine Besuchskontingent nur die
jeweiligen im Antragsschreiben im Einzelnen nicht benannten - Gefangenen selbst direkt betroffen sind.
Denn jedenfalls kommt eine unmittelbare Beeinträchtigung subjektiver Rechte des Antragstellers durch das konkret
beanstandete Schreiben vom 3. September 2010 deswegen nicht in Betracht, weil er sich als Rechtsassessor nicht
pauschal auf die Besuchsprivilegien nach § 27 NJVollzG berufen kann.
Zwar können die Rechte aus § 27 NJVollzG nicht lediglich die Gefangenen selbst, sondern insbesondere auch
Verteidiger in eigenem Namen geltend machen (OLG Celle, ZfStrVo SH 1978, 26. Callies/MüllerDietz, a.a.O., § 109
Rn. 15. Schwind/Böhm/Jehle/
Laubenthal, StVollzG, 5. Aufl., § 109 Rn. 28, jeweils m.w.N.). Der Antragsteller zählt als Rechtsassessor jedoch
nicht zu dem durch § 27 NJVollzG geschützten Personenkreis. Nach seinem Wortlaut unterscheidet § 27 S. 1
NJVollzG hinsichtlich des Besuchsrechts zwei Gruppen: In einer den Gefangenen betreffenden Rechtssache können
- unabhängig von dem konkreten Rechtsverhältnis - nach ihrem Amt als Organ der Rechtspflege Rechtsanwälte und
Notare ein unbeschränktes Besuchsrecht in Anspruch nehmen. daneben haben nach ihrer Funktion im Strafprozess
Verteidiger ein solches Recht.
Der Antragsteller hat nicht geltend gemacht, zu diesen Gruppen zu gehören. Er ist insbesondere nicht als Verteidiger
zu behandeln, denn der Begriff des Verteidigers ist zwangsläufig konkret an eine Strafsache und an die Person eines
Strafgefangenen gekoppelt. Nach seinem insoweit pauschal gehaltenen Antragsvorbringen ohne Bezugnahme auf
ein strafrechtliches Mandat ist eine Verletzung von § 27 NJVollzG als Verteidigerrecht nicht gegeben. Die Erteilung
einer Untervollmacht durch Rechtsanwalt D. bei einzelnen Mandaten begründet allein keine Verteidigerstellung. Zwar
kann die Erteilung einer strafrechtlichen Vollmacht auch die Befugnis einschließen, durch Untervollmacht einen
weiteren Verteidiger zu beauftragen (BGH StraFo 2006, 454). Ist der Unterbevollmächtigte jedoch kein Rechtsanwalt,
erlangt er eine dem Verteidiger gleichkommende Stellung erst unter den Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 StPO.
Dass in auch nur einem der Fälle, in denen der Antragsteller derzeit von Rechtsanwalt D. unterbevollmächtigt ist,
eine gerichtliche Genehmigung nach § 138 Abs. 2 S. 1 StPO erteilt wäre, hat der Antragsteller nicht vorgetragen und
ist auch sonst nicht ersichtlich. Ob dem Antragsteller eine solche Genehmigung nach den Grundsätzen der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2006 (2 BvR 951/04, NJW 2006, 1502) regelmäßig
erteilt werden müsste, ist für die hier zu treffende Entscheidung unerheblich. Denn für die Erteilung der Genehmigung
nach § 138 Abs. 2 S. 1 StPO sind weder die Antragsgegnerin noch die mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung
nach §§ 102 NJVollzG, 109 ff StVollzG befassten Gerichte zuständig, sondern das mit der konkreten Strafsache,
auf das sich das Mandatsverhältnis bezieht, betraute Gericht.
Der Senat brauchte daher nicht zu entscheiden, ob in Fällen der notwendigen Verteidigung, in denen ein
Rechtsassessor nach § 138 Abs. 2 StPO nur gemeinschaftlich mit einem Rechtsanwalt (oder einem Rechtslehrer an
einer deutschen Hochschule) zum Verteidiger gewählt werden darf, dem Rechtsassessor dieselben eigenen
Besuchsrechte wie dem anwaltlichen Verteidiger zustehen (dafür im Fall eines Steuerberaters z.B. KG JR 1988,
391).
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 102 NJVollzG, 121 Abs. 2 S. 1 StVollzG, die Festsetzung des
Gegenstandswerts aus §§ 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 65 GKG.
xxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxx xxxxxx