Urteil des OLG Celle vom 08.06.2005

OLG Celle: vollzug, datum, verfügung, herkunft, anstalt, widerruf, gefangener, entziehen, rechtsgrundlage, unterbringung

Gericht:
OLG Celle, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 1 Ws 185/05 (StrVollz)
Datum:
08.06.2005
Sachgebiet:
Normen:
StVollzG § 115
Leitsatz:
Auch nach der am 1. April 2005 in Kraft getretenen Neufassung von § 115 StVollzG durch das Siebte
Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 23. März 2005 (BGBl. I S. 930) muss das
Gericht die entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte so vollständig
wiedergeben, dass eine hinreichende Überprüfung des Beschlusses im Rechtsbeschwerdeverfahren
möglich ist.
Die nach § 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG nunmehr zulässige Bezugnahme auf bei den Gerichtsakten
befindliche Schriftstücke darf nicht allgemein, sondern muss ausdrücklich durch konkrete
Bezeichnung der einzelnen Schriftstücke nach Herkunft und Datum erfolgen.
Volltext:
1 Ws 185/05
Oberlandesgericht Celle
1 Ws 185/05 (StrVollz)
15 StVK 150/05 LG Osnabrück
B e s c h l u s s
In der Strafvollzugssache
des M. H. L., geb. W.,
geboren am 1953 in F.,
zurzeit Justizvollzugsanstalt S.,
Antragstellers und Beschwerdeführers -
gegen die Justizvollzugsanstalt L.D.,
vertreten durch den Anstaltsleiter,
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin
wegen Verlegung in die Justizvollzugsanstalt S.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Beteiligung des Zentralen juristischen Dienstes für den
niedersächsischen Justizvollzug auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück beim Amtsgericht Lingen vom 5. April 2005 durch den
Richter am Oberlandesgericht #######, die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am
Oberlandesgericht ####### am 8. Juni 2005 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe
Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 500 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist aufgrund einer entsprechenden Verfügung der Antragsgegnerin am 7. März 2005 von der
Justizvollzugsanstalt L.D. in die Justizvollzugsanstalt S. verlegt worden.
Den dagegen gerichteten Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer
am 5. April 2005 zurückgewiesen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung
formellen und materiellen Rechts rügt.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Es gilt, der Gefahr der Wiederholung des im
Nachfolgenden aufgezeigten Rechtsfehlers entgegen zu wirken.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur
Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer
gemäß § 119 Abs. 4 S. 3 StVollzG. Die Rechtsbeschwerde greift bereits mit der Sachrüge durch, so dass es eines
Eingehens auf die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge nicht bedarf.
Die Gründe der angefochtenen Entscheidung werden den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht.
a) In dem Beschluss nach § 115 StVollzG muss das Gericht die entscheidungserheblichen Tatsachen und
rechtlichen Gesichtspunkte so vollständig wiedergeben, dass eine hinreichende Überprüfung des Beschlusses im
Rechtsbeschwerdeverfahren möglich ist. Daran hat sich auch durch die Neufassung des § 115 Abs. 1 StVollzG
durch das am 1. April 2005 in Kraft getretene Siebte Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 23. März
2005 (BGBl. I S. 930) im Grundsatz nichts geändert; nach wie vor will der Gesetzgeber die vollständige und
unschwere Überprüfbarkeit der gerichtlichen Entscheidung in der Rechtsbeschwerdeinstanz sicherstellen (BTDrs.
15/2252 S. 6; zur Senatsrechtsprechung zu § 115 StVollzG a.F. vgl. zuletzt Beschluss vom 15. September 2004 - 1
Ws 272/04 - abgedruckt in NStZRR 2005, 29; s.a. Calliess/MüllerDietz, StVollzG, 10. Aufl., § 115 Rdn. 10 m.w.N.).
Ausdrücklich hat der Gesetzgeber nunmehr in § 115 Abs. 2 S. 2 StVollzG festgeschrieben, dass der Sach und
Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammengestellt werden muss.
Neu ist dabei allerdings, dass für die Darstellung der Einzelheiten des Tatbestandes auf bei den Gerichtsakten
befindliche Schriftstücke Bezug genommen werden kann und soll. Diese Bezugnahme darf indes nicht allgemein,
sondern muss ausdrücklich durch konkrete Bezeichnung der einzelnen Schriftstücke nach Herkunft und Datum
erfolgen, § 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG. Nach § 115 Abs. 1 Satz 4 StVollzG kann das Gericht von einer Darstellung
der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in
seiner Entscheidung feststellt.
Diese Erleichterungen lehnen sich an § 117 Abs. 3 und 5 VwGO an. Sie sollen nach dem Willen des Gesetzgebers
unnötige Schreibarbeit verhindern und zu einer erheblichen Entlastung der Strafvollstreckungskammern führen
(BTDrs. 15/2252 S. 6). Die von der Rechtssprechung zu § 117 Abs. 3 und 5 VwGO entwickelten Grundsätze zur
Darstellung von Tatbestand und Entscheidungsgründen können für die Auslegung von § 115 Abs. 1 StVollzG
herangezogen werden.
Danach muss der Tatbestand, auch wenn wegen der Einzelheiten soweit wie möglich Bezug auf die Gerichtsakten
genommen werden soll, insgesamt eine sowohl für die Beteiligten als auch für außenstehende Dritte verständliche,
klare, vollständige und richtige Grundlage der Entscheidung bieten (BVerwGE 7, 12; BGH MDR 1977, 480;
Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 117, Rdn. 13 m.w.N.).
Die Entscheidungsgründe müssen die Gründe wiedergeben, die für die richterliche Überzeugungsbildung zum
Sachverhalt und für dessen rechtliche Beurteilung im einzelnen maßgebend gewesen sind (BVerwGE 22, 218;
Kopp/Schenke aaO Rdn. 14 m.w.N.). Möglich ist hier aber auch die Bezugnahme auf die Begründung der
angefochtenen Entscheidung, allerdings nur, soweit dadurch die Verständlichkeit der Darstellung und der
Begründung aus sich heraus nicht in Frage gestellt wird (BVerwGE 7, 12 und 61, 367), und - wie § 115 Abs. 1 Satz 4
StVollzG auch ausdrücklich herausstellt - deutlich wird, dass sich das Gericht diese Überlegungen zu eigen macht.
b) Der angefochtene Beschluss genügt diesen Anforderungen nicht.
So wird bereits nicht erkennbar, ob die Verfahrensbeteiligten über die Verlegung aus dem offenen in den
geschlossenen Vollzug oder lediglich um die Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt streiten. Datum, Inhalt
und Begründung der angegriffenen Verfügung werden nicht mitgeteilt, auch nicht durch entsprechende
Bezugnahmen. Das Vorbringen des Antragstellers bleibt ebenfalls unklar. Das Gericht teilt dazu lediglich mit, er
rüge, dass „die JVA damit den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 09.02.2005 umgehe“. Was es damit
auf sich hat und welchen Inhalt dieser Beschluss hatte, bleibt offen.
Soweit die Kammer ausführt, die Verfügung der Antragsgegnerin sei nicht zu beanstanden, weil die
Justizvollzugsanstalt S. nach dem vorgelegten Vollstreckungsplan für den Antragsteller zuständig sei, weil er mehr
als zwei Jahre Verbüßungszeit habe, ist unklar, auf welche Rechtsgrundlage sich die Verlegung stützen soll. Die
Formulierung der Kammer deutet auf einen Streit lediglich um die örtlich zuständige Vollzugsanstalt nach dem
Vollstreckungsplan (§ 152 StVollzG) hin.
Nach dem Vortrag des Antragstellers in seiner Rechtsbeschwerdebegründung ist er indes vom offenen in den
geschlossenen Vollzug zurückverlegt worden. Dem entspricht, dass - wie dem Senat bekannt ist - es sich bei der
Justizvollzugsanstalt L.D. um eine Anstalt des offenen Vollzuges, bei der Justizvollzugsanstalt S. um eine des
geschlossenen Vollzuges handelt. Eine Rückverlegung vom offenen in den geschlossen Vollzug ist nicht nach § 152
StVollzG, sondern nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG i.V.m. § 10 StVollzG zu beurteilen. Als Widerruf eines
rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes kann die Unterbringung im offenen Vollzug nach diesen
Vorschriften nur widerrufen werden, wenn die Justizvollzugsanstalt aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen
berechtigt wäre, den Gefangenen nicht im offenen Vollzug unterzubringen und wenn ohne die Ablösung das
öffentliche Interesse gefährdet würde (§ 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG). Dies ist der Fall, wenn ein Gefangener den
Anforderungen des offenen Vollzuges nicht mehr genügt, namentlich zu befürchten ist, dass er sich dem Vollzug der
Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeit des offenen Vollzugs zu Straftaten missbrauchen werde (§ 10 Abs. 1
StVollzG). In diesen Fällen müssen die Tatsachen, die eine Rückverlegung rechtfertigen könnten, im gerichtlichen
Beschluss mitgeteilt werden. Daran fehlt es hier.
Die Frage, in welcher Anstalt der geschlossene bzw. offene Vollzug nach dem Vollstreckungsplan der
Landesjustizverwaltung N. zu vollziehen ist, mithin die Zuständigkeit nach § 152 StVollzG, ist demgegenüber logisch
nachrangig.
III.
Angesichts des nur lückenhaft mitgeteilten Sachverhalts kann der Senat keine eigene Sachentscheidung treffen und
hat die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen, § 119 Abs. 4 Satz 3
StVollzG.
Für das weitere Verfahren merkt der Senat lediglich vorsorglich an, dass Voraussetzung für eine Bezugnahme auf
Schriftstücke - hier insbesondere auf die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt - ist, dass diese sich auch bei den
Gerichtsakten befinden (s.a. BTDrs. 15/2252 S. 6).
IV.
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 1 Nr. 1j, 63 Abs. 3, 65 GKG.
####### ####### #######