Urteil des OLG Celle vom 08.09.2004

OLG Celle: gegen die guten sitten, treu und glauben, unterhalt, leistungsfähigkeit, altersrente, abänderungsklage, lastenverteilung, existenzminimum, verfügung, gütertrennung

Gericht:
OLG Celle, 15. Familiensenat
Typ, AZ:
Beschluss, 15 WF 214/04
Datum:
08.09.2004
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 138, BGB § 313, BGB § 1408
Leitsatz:
Die Vereinbarung eines vom eheangemessenen Bedarf des unterhaltsberechtigten und von der
Leistungsfähigkeit des unterhaltsverpflichteten Ehegatten unabhängigen Mindestunterhalts in einer
Trennungs und Scheidungsfolgenvereinbarung kann sittenwidrig und deshalb unwirksam sein.
Volltext:
15 WF 214/04
37 F 37303/04 Amtsgericht Hildesheim
B e s c h l u s s
In der Familiensache
pp.
#######
wegen Abänderung von Ehegattenunterhalt;
hier: Prozesskostenhilfe
hat der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde des
Klägers vom 30. August 2004 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hildesheim vom 11.
August 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht
#######und den Richter am Landgericht #######am 8. September 2004 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Dem Kläger wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. B.####### in
A.#######zu den Bedingungen
eines am Amtsgericht Hildesheim zugelassenen Rechtsanwalts (§§ 121 Abs. 3 ZPO, 46 Abs. 1 RVG)
Prozesskostenhilfe bewilligt.
G r ü n d e
I.
Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute. Der Kläger bezieht seit dem 1. September 2002 Altersrente, die am 11.
Juni 1941 geborene Beklagte ist nicht erwerbstätig. Der Kläger hat seine mit monatlichen Einkünften von rund 307
EUR verbundene Aushilfstätigkeit zum 31. Dezember 2002 verloren. Er begehrt die Herabsetzung des in der
Trennungs und Scheidungsfolgenvereinbarung vom 7. März 2002 (UR.Nr. 146/2002 des Notars
O.#######H#######in H.#######) vereinbarten Ehegattenunterhalts von monatlich 766,94 EUR auf monatlich 500
EUR. Das Amtsgericht hat dem Kläger die für seine Abänderungsklage nachgesuchte Prozesskostenhilfe versagt.
II.
Die gemäß §§ 127 Abs. 2 S. 2 u. 3, 569 Abs. 1 S. 1 u. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist
begründet. Die Rechtsverfolgung bietet im Sinne des § 114 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es kommt auf die
Beurteilung einer schwierigen Rechtsfrage an, die zudem eine umfassende tatrichterliche Würdigung erfordert.
Beides kann im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren nach dessen Zweck nicht vorweggenommen werden,
sondern ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten (vgl. BVerfG NJW 2004, 1789 unter III.2 a der Gründe; BGH
FamRZ 2003, 671, 672 unter II.1.).
Das Amtsgericht hat zutreffend erkannt, dass sich aus den in § 3 der Trennungs und Scheidungsfolgenvereinbarung
der Parteien unter Nrn. 1. bis 3. getroffenen Regelungen die Vereinbarung eines vom Kläger geschuldeten
Mindestunterhalts
ergibt, der weder von der tatsächlichen Höhe seiner dort mit rund 1.280 EUR monatlich - statt derzeit lediglich
bezogener monatlich 1.159,13 EUR - angenommenen Rente (und somit von dem durch die ehelichen
Lebensverhältnisse geprägten Bedarf der Beklagten) noch von der Einhaltung des dem Kläger zu belassenden
Selbstbehalts abhängig ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Kläger mit seinem im Wege der Abänderungsklage
(auch) erhobenen Einwand der Unwirksamkeit dieser Vereinbarung ausgeschlossen ist, wovon das Amtsgericht
jedoch ersichtlich ausgeht.
Zwar wird Hauptanwendungsfall der Grundsätze, die das BVerfG im Urteil vom 6. Februar 2001 (NJW 2001, 957) zu
dem aus Art. 2 Abs. 1 und 6 Abs. 1 GG folgenden Schutz vor einseitiger Lastenverteilung zwischen Ehegatten und
der BGH im Urteil vom 11. Februar 2004 (NJW 2004, 930) zur Beurteilung der Wirksamkeit von Eheverträgen (§§
1408, 1410 BGB) aufgestellt haben, eine mögliche Benachteiligung der infolge Schwangerschaft bzw.
Kinderbetreuung über keine oder unzureichende Erwerbseinkünfte verfügenden und deshalb im Verhältnis zum
erwerbstätigen Ehemann sozial schwächeren Ehefrau, d.h. des unterhaltsberechtigten Ehegatten sein. Aber der
verfassungsrechtliche Schutz vor einer mit dem Gedanken der ehelichen Solidarität nicht in Einklang zu bringenden
und von wesentlichen Elementen der gesetzlichen Unterhaltsnormen abweichenden vertraglichen Regelung kommt
ebenso dem unterhaltsverpflichteten Ehegatten zu. Auch für ihn kann es durch einen Ehevertrag zu einer
offenkundig einseitigen und durch individuelle Besonderheiten nicht gerechtfertigten Lastenverteilung kommen, die
bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint und wegen Verstoßes gegen die guten Sitten
gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam ist.
Ob dies im Hinblick auf die hier zu beurteilende Trennungs und Scheidungsfolgenvereinbarung, für deren
Inhaltskontrolle die vorgenannten Kriterien gleichermaßen gelten (vgl. Senat NJW 2004, 1961;
Johannsen/Henrich/SedemundTreiber, Eherecht, 4. Aufl., § 630 ZPO Rn 10 m.w.N.), der Fall ist, wird das
Amtsgericht im Hauptsacheverfahren zu prüfen haben, und zwar nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien zu
ihrer der Vereinbarung im einzelnen zugrunde liegenden und die jeweilige Verhandlungsposition bestimmenden
Lebenssituation sowie nach einer
eventuell zum Zustandekommen der Vereinbarung durchzuführenden Beweisaufnahme. Diese Prüfung ist nicht
dadurch entbehrlich, dass der Kläger, wie hier zu unterstellen, durch den beurkundenden Notar hinreichend über
Inhalt und Konsequenzen der Regelungen belehrt wurde (vgl. BGH a.a.O., 934 unter 3.).
Gegen die Wirksamkeit der in § 3 Nrn. 2. und 3. der Trennungs und Scheidungsfolgenvereinbarung getroffenen
Regelungen könnte sprechen, dass der Kläger in Abkehr von dem das gesetzliche Leitbild des Unterhaltsrechts
wesentlich prägenden Grundsatz der gleichmäßigen Teilhabe der Ehegatten an den die ehelichen Lebensverhältnisse
prägenden Einnahmen und geldwerten Vorteile (so genannte Halbteilung) und ohne Rücksicht auf seine
unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit zur Zahlung eines Mindestunterhalts verpflichtet ist, wohingegen die Beklagte
im Fall eigener (Renten) Einkünfte Anspruch auf einen sich nach Maßgabe des Halbteilungsgrundsatzes eventuell
ergebenden noch höheren Unterhalt hat. Bei Festhalten am vereinbarten Unterhalt hätte der Kläger derzeit
rechnerisch weniger als das Existenzminimum an Einkünften zur Verfügung. Ob und gegebenenfalls in welchem
Umfang ein bei der Bemessung der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigender Wohnvorteil des Klägers besteht, wird
noch festzustellen sein. Bei der vorzunehmenden Wirksamkeitskontrolle ist auch zu berücksichtigen, dass es sich
um eine schon 1961 geschlossene und damit sehr lange Ehe handelt, was sich hinsichtlich beider Parteien auf das
Maß ihrer Pflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme und damit auf die Beurteilung der Rechtfertigung der getroffenen
Unterhaltsvereinbarung auswirken kann.
Sollten sich danach die vertraglichen Regelungen zum Unterhalt als unwirksam erweisen, werden sie bei gemäß §
139 BGB nach dem mutmaßlichen Willen der Parteien anzunehmender Aufrechterhaltung der übrigen
Vertragsbestandteile (Vereinbarung der Gütertrennung, Regelung des Zugewinnausgleichs, Hausratsteilung und
Zuweisung der Ehewohnung) durch die gesetzlichen Regelungen zu ersetzen sein, nach denen sich kein höherer
Unterhaltsanspruch der Beklagten als im Umfang zugestandener monatlich 500 EUR ergeben dürfte.
Haben dagegen die durch die Parteien getroffenen Regelungen nach einer Wirksamkeitskontrolle Bestand, wird das
Amtsgericht im Rahmen der Ausübungskontrolle zu prüfen haben, ob der Kläger unter angemessener
Berücksichtigung der berechtigten Belange der Beklagten und ihres Vertrauens in den Bestand der Vereinbarung
nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) an dieser festzuhalten oder ob sie im Sinne eines Interessenausgleichs an die
jetzt eingetretene Situation anzupassen ist. Dabei wird im Hinblick auf § 313 Abs. 1 und 2 BGB auch festzustellen
sein, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich die (subjektive und/oder objektive, vgl. Palandt/Heinrichs,
BGB, 62. Aufl., § 313 Rn 4 ff.) Geschäftsgrundlage des Vertrages schwerwiegend, d.h. wesentlich (§ 323 Abs. 1 u.
4, 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) geändert hat. Insoweit wäre nicht nur die bei Abschluss der Trennungs und
Scheidungsfolgenvereinbarung zutage getretene Vorstellung der Parteien von einer bestimmten Höhe der künftigen
Altersrente des Klägers von Bedeutung, sondern auch die Zugrundelegung seiner inzwischen weggefallenen
Nebeneinkünfte.
Im Beschwerdeverfahren entstandene Anwaltsgebühren, die gemäß § 127
Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden, berechnen sich nach dem Wert der Hauptsache, § 2 Abs. 2 (Nr. 3335
Vergütungsverzeichnis) RVG.
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