Urteil des OLG Celle vom 17.05.2010

OLG Celle: wirtschaftliches interesse, vertrag mit schutzwirkung zugunsten dritter, auskunft, treu und glauben, vertragliche haftung, tierarzt, vertragsschluss, verkehrsauffassung, erstellung

Gericht:
OLG Celle, 20. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 20 U 187/09
Datum:
17.05.2010
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 311 Abs 3, BGB § 328
Leitsatz:
Die Schutzbedürftigkeit eines Pferdekäufers setzt voraus, dass er primär den Verkäufer nach § 437
BGB in Anspruch nimmt und nicht den mit einer Verkaufsuntersuchung beauftragten Tierarzt.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
20 U 187/09
1 O 16/07 Landgericht Verden
Verkündet am 17. Mai 2010
H,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2010 durch den
Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. G v O sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. W und G für Recht
erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 4. September 2009 verkündete Urteil des Landgerichts Verden geändert
und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten beider Instanzen trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
I.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO
Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Die Klägerin hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch gegen den Beklagten auf Ersatz der
streitgegenständlichen Forderungen.
1. Anspruch aus Auskunftsvertrag
Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aus einem Auskunftsvertrag nach
§§ 311, 241, 280 Abs. 1 BGB.
Dem Beklagten fehlte für den Vertragsschluss der erforderliche Rechtsbindungswille, so dass lediglich eine
unverbindliche Auskunft nach § 675 Abs. 2 BGB vorliegt. Die von der Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung
herangezogene „Expertenhaftung“ vermag einen Anspruch nicht zu begründen.
Die Abgrenzung, ob den Erklärungen der Parteien ein Wille zur rechtlichen Bindung zu entnehmen ist oder die
Parteien nur aufgrund einer außerrechtlichen Gefälligkeit handeln, ist an Hand der Umstände des jeweiligen
Einzelfalles zu bewerten (vgl. BGHZ 56, 204, 209 f). Ob bei einer Partei ein Rechtsbindungswille vorhanden ist, ist
danach zu beurteilen, ob die andere Partei unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht
auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste. Dies ist anhand objektiver Kriterien aufgrund der
Erklärungen und des Verhaltens der Parteien zu ermitteln, wobei vor allem die wirtschaftliche sowie die rechtliche
Bedeutung der Angelegenheit, insbesondere für den Begünstigten, und die Interessenlage der Parteien
heranzuziehen sind (BGHZ 21, 102, 106 f. 92, 164, 168. BGH NJWRR 1990, 204, 205. BGH NJWRR 2006, 117,
120).
Da sich die Tätigkeit des Beklagten auf eine Auskunft bezog, muss die Frage, ob dies im Rahmen eines
Vertragsverhältnisses geschehen ist, nach den hierfür maßgeblichen Gesichtspunkten beurteilt werden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der stillschweigende Abschluss eines
Auskunftsvertrages zwischen Geber und Empfänger der Auskunft und damit eine vertragliche Haftung des
Auskunftgebers für die Richtigkeit seiner Auskunft regelmäßig dann anzunehmen, wenn die Auskunft für den
Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung ist und er sie zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse machen will.
dies gilt insbesondere in Fällen, in denen der Auskunftgeber für die Erteilung der Auskunft besonders sachkundig
oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse bei ihm im Spiel ist (BGHZ 74, 103, 106 ff. 100, 117. BGH NJW 1992,
2080, 2082. BGH WM 2004, 1825, 1827). Wie der Bundesgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat (BGHR BGB §
676 Auskunftsvertrag 1. BGH WM 1985, 1531, 1532), ist dieser Rechtsprechung allerdings nicht zu entnehmen,
dass für das Zustandekommen eines Auskunftsvertrages ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des jeweiligen
Falles allein schon die Sachkunde des Auskunftgebers und die Bedeutung der Auskunft für den Empfänger
ausreichen. Diese Umstände stellen vielmehr lediglich Indizien dar, die, wenn auch mit erheblichem Gewicht, in die
Würdigung der gesamten Gegebenheiten des konkreten Falles einzubeziehen sind.
Für den stillschweigenden Abschluss eines Auskunftsvertrages ist entscheidend darauf abzustellen, ob die
Gesamtumstände unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung und des Verkehrsbedürfnisses den Rückschluss
zulassen, dass beide Teile nach dem objektiven Inhalt ihrer Erklärungen die Auskunft zum Gegenstand vertraglicher
Rechte und Pflichten gemacht haben (BGH WM 1973, 141, 143. BGH WM 1978, 576, 577). So hat der
Bundesgerichtshof bei der rechtlichen Beurteilung von Fällen, in denen der konkludente Abschluss eines
Auskunftsvertrages angenommen oder in Erwägung gezogen wurde, außer der Sachkunde des Auskunftgebers und
der Bedeutung seiner Auskunft für den Empfänger jeweils auch weitere Umstände mitberücksichtigt, die für einen
Verpflichtungswillen des Auskunftgebers sprechen können, wie z.B. dessen eigenes wirtschaftliches Interesse an
dem Geschäftsabschluss (BGH WM 1962, 1110, 1111), ein persönliches Engagement in der Form von
Zusicherungen nach Art einer Garantieübernahme (BGHZ 7, 371, 377. BGH NJW 1962, 1500), das Versprechen
eigener Nachprüfung der Angaben des Geschäftspartners des Auskunftsempfängers (BGH WM 1965, 287, 288), die
Hinzuziehung des Auskunftgebers zu Vertragsverhandlungen auf Verlangen des Auskunftsempfängers (BGH WM
1966, 1283, 1284) oder die Einbeziehung in solche Verhandlungen als unabhängige neutrale Person (BGH WM 1972,
466, 468) sowie eine bereits anderweitig bestehende Vertragsbeziehung zwischen Auskunftsgeber und
Auskunftsempfänger (BGH WM 1969, 36, 37).
Wendet man die vorgenannten Kriterien auf den vorliegenden Fall an, lässt sich aufgrund der vom Landgericht
getroffenen Feststellungen das Zustandekommen eines Auskunftsvertrages nicht annehmen. Der Beklagte ist zwar
als besonders sachkundig anzusehen. Auch war ihm bewusst, dass seine Auskunft die Kaufentscheidung der
Klägerin fördern könnte. Jedoch fehlt es an einer unmittelbaren Kausalität zwischen Auskunft und Kaufentscheidung.
Die Klägerin wusste, dass sie eine verbindliche Auskunft zum Gesundheitszustand des Pferdes nur durch eine
Ankaufsuntersuchung erlangen konnte. Diese hat sie jedoch nicht in Auftrag gegeben. Vielmehr hat sie sich bewusst
auf eine Begutachtung des Rückens des Tieres durch den Kläger beschränkt und auch nur für diese Leistung ein
Entgelt entrichtet. Lediglich im Rahmen dieses Vertragsverhältnisses könnte die Klägerin Rechte herleiten, nicht
hingegen aus der unverbindlichen Auskunft der Beklagten. Der fehlende Rechtsbindungswille des Beklagten war für
die Klägerin auch erkennbar. Denn der Klägerin war spätestens im Rahmen der Vertragsverhandlungen mit dem
Verkäufer bewusst, dass der Beklagte keinerlei Einfluss hinsichtlich des Verkaufs des Pferdes hatte. Ein eigenes
wirtschaftliches Interesse des Beklagten am Verkaufsschluss ist nicht erkennbar. Zudem bestanden zwischen der
Klägerin und dem Beklagten zuvor keinerlei vertragliche Bindungen.
Unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung und des Verkehrsbedürfnisses war für einen verständigen Dritten
somit erkennbar, dass beide Teile nach dem objektiven Inhalt ihrer Erklärungen die Auskunft nicht zum Gegenstand
vertraglicher Rechte und Pflichten gemacht haben.
2. Anspruch aus § 311 Abs. 3 BGB
Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz gegen Rückgabe des
Pferdes aus § 311 Abs. 3 BGB.
Der Beklagte hat nicht in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen und hat dadurch weder die
Vertragsverhandlungen noch den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.
Der Beklagte war an der Organisation des Verkaufstages nicht beteiligt. Der Verkaufsprospekt wurde ausschließlich
von der Zeugin H gestaltet, die auch für die medizinischen Einstufungen verantwortlich war. Eine namentliche
Erwähnung des Beklagten im Prospekt fehlt, so dass durch die Angaben im Verkaufsprospekt kein besonderer
Vertrauenstatbestand begründet werden konnte. Vielmehr ist hervorzuheben, dass der Prospekt ausdrücklich auf die
Möglichkeit der Vereinbarung einer zusätzlichen Ankaufsuntersuchung hinweist, wodurch deutlich wird, dass die
darin gemachten medizinischen Angaben nicht als abschließend angesehen werden sollten.
Die Einlassung des Beklagten, er habe an der Verkaufsveranstaltung in der Hoffnung teilgenommen, mit
tierärztlichen Untersuchungen beauftragt zu werden, konnte nicht widerlegt werden. Vielmehr stützen die Angaben
der Klägerin zur Beauftragung des Beklagten mit einer röntgenologischen Untersuchung des Pferderückens den
Beklagtenvortrag.
Im Übrigen bestanden zwischen den Parteien keine vorvertraglichen Beziehungen. Die Zeugin A hat den Beklagten
erst am Verkaufstag, dem 4. März 2007, kennengelernt. Dabei nutzte sie die Gelegenheit, den Beklagten über die
bisherigen Behandlungserkenntnisse zu befragen. Die bei der Befragung ebenfalls anwesenden Zeugin T, hat
bekundet, dass der Beklagte das Pferd im Hinblick auf den vorhandenen Chip in eine niedrigere Röntgenklasse
eingestuft hat, als im Prospekt ausgewiesen. Der Klägerin war somit bewusst, dass das Pferd nicht die
Eigenschaften aufwies, die im Prospekt aufgeführt wurden. Gleichwohl wurden, in Abwesenheit des Beklagten,
Verhandlungen mit dem Verkäufer aufgenommen und im Hinblick auf den Chip ein um 1.000 € ermäßigter Kaufpreis
vereinbart.
Ein eigenes wirtschaftliches Interesse des Beklagten am Vertragsschluss ist nicht erkennbar.
3) Anspruch aus § 328 BGB
Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten auch keinen Anspruch aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten
Dritter, § 328 BGB.
Denn der Verkäufer hatte den Beklagten zu keinem Zeitpunkt mit einer Verkaufsuntersuchung beauftragt, in deren
Schutzbereich die Klägerin hätte einbezogen werden können. Die Untersuchungsaufträge des Verkäufers erstreckten
sich lediglich auf die Erstellung von Röntgenbildern am
12. Januar 2007, eine Lungenauskultation am 30. Januar 2007 und eine Impfung am 9. Februar 2007.
Ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der Röntgenuntersuchung im Januar 2007 und dem Verkauf im
März 2007 besteht nicht.
Für den Beklagten war im Zeitpunkt der vorstehenden Untersuchungen nicht erkennbar, dass die Klägerin in den
Schutzbereich dieser Behandlungsaufträge eintreten könnte. Insoweit ist der Hinweis der Klägerin auf die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHZ 127, 378 verfehlt. Denn im damaligen Verfahren wurde ein Architekt
mit der Erstellung eines Wertgutachtens beauftragt, das offensichtlich zur Vorlage an potentielle Käufer im Rahmen
von Verkaufsbemühungen bestimmt war.
Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die Schutzbedürftigkeit der Pferdekäuferin schließlich voraus, dass sie
primär den Verkäufer nach § 437 BGB hätte in Anspruch nehmen müssen und nicht den Tierarzt. Denn der
Verkäufer und der Tierarzt sind keine Gesamtschuldner nach § 421 BGB.
Soweit ein Gesamtschuldverhältnis nicht durch Gesetz bestimmt und auch nicht durch Vertrag ausdrücklich
vereinbart wird, bedarf es zusätzlich zu den in § 421 BGB beschriebenen Voraussetzungen einer Gleichstufigkeit
zwischen den für die Begründung einer Gesamtschuld in Betracht kommenden Verpflichtungen (BGH NJW 2007,
1208. BGHZ 159, 318, 320. ebenso BGHZ 106, 313, 319. 137, 76, 82. 155, 265, 268). An einer solchen
Gleichstufigkeit fehlt es insbesondere dann, wenn sich aus der Gläubigerperspektive im Außenverhältnis ergibt,
dass sich die Schuldner nicht gleichwertig gegenüberstehen (vgl. MünchKommBGB/Bydlinski, 5. Aufl., § 421 Rn.
12).
Vorliegend war für die Klägerin erkennbar, dass der Beklagte zwar Kontakt zum Verkäufer hatte, jedoch nicht im
Hinblick auf die Verkaufsverhandlungen in dessen Lager stand oder gar ein eigenes wirtschaftliches Interesse
verfolgte.
Die Klägerin kann auch nicht damit gehört werden, dass eine Vollstreckung gegen den Verkäufer keine Aussicht auf
Erfolg gehabt hätte. Ein entsprechender Nachweis wurde nicht erbracht. Allein die Mitteilung des Gerichtsvollziehers,
dass er bereits mehrfach auf dem Anwesen des Verkäufers gewesen sei, lässt keine Aussage über die
Erfolgsaussichten einer Zwangsvollstreckung zu.
3. Anspruch aus § 826 BGB
Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten auch keinen Anspruch aus § 826 BGB.
Zwar mag der Beklagte bei der Anfertigung und späteren Auswertung der Röntgenbilder in besonders großem Maße
leichtfertig und damit sittenwidrig gehandelt haben (vgl. BGH NJWRR 1986, 1150).
Jedoch lässt sich dem Beklagten der zwingend erforderliche Schädigungsvorsatz (vgl. Palandt/Sprau, § 826 Rdn.
10) nicht nachweisen. Denn es ist nicht festzustellen, dass der Beklagte die Schädigung der Klägerin beabsichtigt
oder zumindest billigend in Kauf genommen hat.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§
708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf bis 16.000 € festgesetzt.
Dr. G v O Dr. W G