Urteil des OLG Celle vom 19.03.2007

OLG Celle: ablauf des verfahrens, freiheit der person, rechtswidrigkeit, rechtsschutz, abschiebungshaft, anfechtung, grundrecht, landrat, beendigung, datum

Gericht:
OLG Celle, 22. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 22 W 19/07
Datum:
19.03.2007
Sachgebiet:
Normen:
GG Art 19 Abs 4
Leitsatz:
Auch bei nachträglicher Erledigung einer Freiheitsentziehungssache ist das Feststellen der
Rechtswidrigkeit an einen entsprechenden Antrag gebunden.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
22 W 19/07
28 T 164/06 Landgericht Hannover
B e s c h l u s s
In der Abschiebungshaftsache
des nigerianischen Staatsangehörigen
P. M.,
geboren 1964 in V.,
Betroffener und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt F., H.,
Beteiligt: Landkreis Cuxhaven, Der Landrat,
hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den
Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts Hannover vom 19. Januar 2007 durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht #######, die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht
####### am 19. März 2007 beschlossen:
Der Beschluss des Landgerichts Hannover vom 19. Januar 2007 wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung über die sofortige Beschwerde auch über die Kosten der weiteren sofortigen
Beschwerde an das Landgericht Hannover zurückverwiesen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. aus H. wird abgelehnt.
Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 19. Dezember 2006 (Az.: 43 XIV 167/06) wurde die gegen den
Betroffenen angeordnete Abschiebungshaft bis längstens zum 9. Januar 2007 (einschließlich) verlängert. Hiergegen
wandte sich der Betroffene mit seiner sofortigen Beschwerde vom 19. Dezember 2006, die er am 8. Januar 2007 und
ergänzend am 9. Januar 2007 (dem letzten Tag des angeordneten Haftzeitraums) begründete. Das Landgericht
Hannover hat mit Beschluss vom 19. Januar 2007 die sofortige Beschwerde als unzulässig mit der Begründung
verworfen, der Betroffene habe trotz zwischenzeitiger Erledigung der angefochtenen Maßnahme (Beendigung des
maßgeblichen Zeitraums der vom Amtsgericht bis längstens zum 9. Januar 2007 verlängerten Abschiebungshaft)
einen Feststellungsantrag nicht gestellt.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner weiteren sofortigen Beschwerde vom 31. Januar 2007. Er ist der
Auffassung, er habe infolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum nachträglichen
Feststellungsinteresse bei erledigten Freiheitsentziehungsmaßnahmen einen Feststellungsantrag nicht stellen
müssen.
2. Die nach § 27 FGG statthafte weitere sofortige Beschwerde ist trotz Erledigung der angefochtenen Maßnahme
zulässig und hat in der Sache - jedenfalls einstweilen - Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts hält
der auf die weitere sofortige Beschwerde hin vorzunehmenden rechtlichen Nachprüfung nach § 27 Abs. 1 FGG nicht
stand. Die Entscheidung ist nicht frei von Rechtsfehlern.
Die Voraussetzungen, nach denen das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde mangels gestellten
Feststellungsantrags als unzulässig verworfen werden kann, lagen nicht vor.
a) Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 5. Dezember 2001 (2 BvR 527/99 u.a., BVerfGE
104, 220) klargestellt, dass bei Eingriffen in das Grundrecht der Freiheit der Person auch nach Erledigung des
Eingriffs ein Interesse des Betroffenen an - auch nachträglicher - Feststellung der Rechtswidrigkeit grundsätzlich als
schutzwürdig erscheint und somit ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung der Maßnahme unabhängig
davon besteht, ob Rechtsschutz typischerweise noch innerhalb der angeordneten Haftzeit erlangt werden kann.
Nach dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes dürfe ein Rechtsmittelgericht ein von
der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und den Beschwerdeführer
hiermit ‚leerlaufen’ lassen. Dies gelte unabhängig vom konkreten Ablauf des Verfahrens und dem Zeitpunkt der
Erledigung der Maßnahme.
Hiernach ist nach der zwischenzeitig hierzu vorliegenden Rechtsprechung der Obergerichte unstreitig, dass trotz
eingetretener Erledigung einer Freiheitsentziehungsmaßnahme ein nachträgliches Interesse an einer Feststellung der
Rechtswidrigkeit nicht versagt werden darf (vgl. statt vieler nur BayObLG vom 25. Oktober 2001 [3Z BR 342/01] und
OLG Hamm vom 26. Februar 2002 [15 W 53/02]). Dies entspricht der seither festzustellenden Praxis der mit
Freiheitsentziehungssachen befassten Gerichte. Auch der Senat folgt in ständiger Spruchpraxis - dies zeigt auch die
vorliegende Entscheidung - dieser Rechtsprechung.
b) Fraglich und vorliegend streitig ist allein, ob der Betroffene, dessen Rechtsmittel sich zwischenzeitig erledigt hat,
einen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gerichteten Antrag ausdrücklich stellen muss.
aa) Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Rahmen seiner Entscheidung vom 5. Dezember 2001 zu dieser
Frage nicht geäußert.
bb) Der Betroffene stützt sein Rechtsmittel auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 23.
April 2002 (3 W 76/02). Der dort mit der Sache befasste Senat hat unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren
Spruchpraxis ausgeführt, dass im Falle der Erledigung der Anordnung von Abschiebungshaft infolge der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein vor Erledigung eingelegtes Rechtsmittel zulässig bleibt. Einen
ausdrücklichen Antrag mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit habe der Betroffene nicht stellen müssen.
Eine nähere Begründung, weshalb der Betroffene im zugrunde liegenden Verfahren einen ausdrücklichen Antrag
nicht habe stellen müssen, enthält die Entscheidung ebenso wenig wie Ausführungen dazu, ob ein Rechtsmittel
auch dann zulässig bleibt, wenn ein entsprechender Antrag eines Betroffenen gänzlich fehlt. Die allgemein gültige
Aussage, dass es im Falle nachträglicher Erledigung eines auf Feststellung gerichteten Antrags überhaupt nicht
bedarf, enthalten die Gründe der Entscheidung nicht.
cc) Demgegenüber lassen Entscheidungen der Oberlandesgerichte
Düsseldorf (Beschluss vom 14. August 2002, 3 Wx 226/02), Karlsruhe (Beschluss vom 18. Dezember 2002, 11 Wx
74/02) und Celle (Beschluss vom 26. August 2006, 22 W 50/05) erkennen, dass auch im Falle des nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fortbestehenden Feststellungsinteresses zumindest ein
Rechtsschutzziel des Betroffenen zu Tage treten oder zumindest erkennbar werden muss. Das aus der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herzuleitende Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes
erfordere es nicht, den ursprünglichen Antrag des Betroffenen in jedem Fall dahin auszulegen, dass es für den Fall
der Erledigung als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit verstanden werden soll. Das Rechtsschutzziel,
entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum nachträglichen Feststellungsinteresse bei
schwer wiegenden Grundrechtseingriffen nachträglich die Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme gerichtlich
überprüfen zu lassen, ist hiernach nur anzunehmen, wenn der Betroffene ausdrücklich einen solchen Antrag stellt
oder bei einer Gesamtwürdigung seines Vorbringens davon auszugehen ist, dass er konkludent einen
solchen Antrag stellt (Senat a.a.O.).
dd) Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht dem
nicht entgegen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet es nicht, im Falle nachträglich
eingetretener Erledigung einen Feststellungsantrag für entbehrlich zu halten. Das Bundesverfassungsgericht hat den
Fachgerichten nicht vorgegeben, auf
welche Weise sie dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes bei nachträglicher
Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Freiheitsentziehungsmaßnahme zu gewährleisten haben. Das
Bundesverfassungsgericht hat überdies nicht ausgeführt, dass in jedem Fall der Erledigung einer
Freiheitsentziehungsmaßnahme eine nachträgliche Überprüfung der angefochtenen Maßnahme - gleichsam von
Amts wegen - erfolgen muss. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt nur, dass Rechtsschutz
nicht versagt werden darf. Nach Auffassung des Senats ist hierfür Voraussetzung aber, dass entsprechender
Rechtsschutz auch geltend gemacht wird (so auch OLG Karlsruhe a.a.O.: Voraussetzung ist, dass der Betroffene
erkennen lässt, ihm sei an einer solchen Feststellung gelegen).
Aus der vom Oberlandesgericht Zweibrücken seiner Entscheidung zugrunde gelegten Formulierung des
Bundesverfassungsgerichts, die Annahme fortgeltenden Rechtsschutzbedürfnisses gelte „unabhängig vom
konkreten Ablauf des Verfahrens“, kann nicht hergeleitet werden, dass allgemein gültige Verfahrensgrundsätze keine
Geltung mehr entfalten. Rechtsschutz ist hiernach nur dann und nur insoweit zu gewähren, wie er auch nachgesucht
wird (ne ultra petitum). Ein Mehr erfordert auch die zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht.
Vielmehr lässt die Entscheidung vom 5. Dezember 2001 erkennen (dort Rn. 34), dass eine gerichtliche Entscheidung
neben dem Rechtsschutzbedürfnis an einen Antrag gebunden ist.
Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass im Falle der nachträglichen Erledigung einer Freiheitsentziehungssache
das auf Feststellung gerichtete Rechtsschutzziel nicht selbstredend zum Tragen kommt. Denkbar und möglich ist
vielmehr auch, dass der Betroffene sein Rechtsmittel zurücknehmen oder nach Eintritt der Erledigung auf den
Kostenpunkt beschränkt wissen will (vgl. etwa BayObLG vom 6. Februar 2002, 3Z BR 407/01). Dem dürfen die
Gerichte nicht durch Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsbegehrens vorgreifen. Diese Betrachtung entspricht
zumindest der herrschenden Auffassung zu § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, nach der das Gericht ‚auf Antrag’ die
Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes ausspricht und es nicht genügt, wenn der Kläger nach Hinweis
auf die Erledigung seinen ursprünglichen Antrag nicht umstellt, aber auch nicht für erledigt erklärt (OLG Karlsruhe
a.a.O. m.w.N.).
Auch den benannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf, Karlsruhe und Celle lag zugrunde, dass
der Betroffene seitens des Gerichts auf den Umstand der Erledigung hingewiesen worden war mit der Anheimgabe
einer Stellungnahme. Der Senat geht hierbei davon aus, dass das aus Art. 103 Abs. 1 GG herzuleitende Gebot der
Gewährung rechtlichen Gehörs eine derartige Möglichkeit zur Stellungnahme grundsätzlich gebietet. Erst nachdem in
den benannten Fällen trotz des Hinweises eine Stellungnahme nicht erfolgte, wurden die Rechtsmittel als unzulässig
verworfen.
ee) Eine derartige Möglichkeit zur Stellungnahme nach eingetretener Erledigung wurde vorliegend nicht gewährt. Die
Kammer ging offenbar davon aus - jedenfalls die Diktion der angefochtenen Entscheidung legt dies nahe , dass ein
entsprechender Hinweis nebst der Möglichkeit zur Stellungnahme deshalb entbehrlich war, weil der Betroffene noch
am letzten Tag der maßgeblichen Haftdauer sein - auf Anfechtung gerichtetes - Rechtsmittel der sofortigen
Beschwerde begründet hatte, ohne die erkennbar bevorstehende Erledigung in seinen Vortrag einzubeziehen oder
einen entsprechenden Antrag zu stellen. Ob der Betroffene ganz bewusst so verfahren ist, erschließt sich nicht.
Nach Auffassung des Senats legt aber der Umstand, dass der Betroffene unmittelbar vor Eintritt der Erledigung an
seinem Rechtsmittel festhielt, vielmehr die Annahme nahe, dass er in jedem Falle die angefochtene Maßnahme
auch nach Eintritt der Erledigung einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt wissen wollte. Ohne entsprechende
Rückfrage (Art. 103 Abs. 1 GG) durfte das Rechtsmittel daher nicht als unzulässig verworfen werden.
c) Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das
Landgericht Hannover zur erneuten Entscheidung über die sofortige Beschwerde.
3. Die Voraussetzungen zur Vorlage an den Bundesgerichtshof nach Maßgabe von § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG liegen
hiernach nicht vor (vgl. im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Zweibrücken im Übrigen auch schon den
Beschluss des OLG Karlsruhe a.a.O.).
4. Prozesskostenhilfe für das Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde unter Beiordnung von Rechtsanwalt F.
aus H. war nicht zu bewilligen. Zwar bestanden Erfolgsaussichten für das weitere Beschwerdeverfahren. Der
Betroffene hat indessen trotz der seinem Verfahrensbevollmächtigen aus zahlreichen Verfahren bekannten
Rechtsprechung des Senats weder Unterlagen über die wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt (§§ 14 FGG, 117
ZPO), noch auf bereits vorliegende Unterlagen Bezug genommen noch hierzu anwaltlich Angaben versichert. Eines
vorherigen Hinweises seitens des Senats bedurfte es insoweit nicht.
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