Urteil des OLG Celle vom 05.08.2009

OLG Celle: verweigerung, untersuchungshaft, verdunkelungsgefahr, bindungswirkung, rücknahme, widerruf, ermessen, beschränkung, besitz, gesetzesmaterialien

Gericht:
OLG Celle, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 1 Ws 392/09
Datum:
05.08.2009
Sachgebiet:
Normen:
NJVollzG § 148, NJVollzG § 168
Leitsatz:
1. Über den Antrag eines Untersuchungsgefangenen auf Erteilung einer Telefonerlaubnis entscheidet
gemäß § 148 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG nicht das Gericht, sondern die Vollzugsbehörde, welche
allerdings vorab die Zustimmung des Gerichts einholen muss.
1. Die Verweigerung der gerichtlichen Zustimmung zur Erteilung einer Telefonerlaubnis ist unmittelbar
mit der Beschwerde nach § 168 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG anfechtbar.
2. Bei der Entscheidung über die Zustimmung prüft das Gericht lediglich das Vorliegen einer
eventuellen Verdunkelungsgefahr. das Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen prüft die
Vollzugsbehörde vor Erteilung der Telefonerlaubnis.
3. Eine einmal erteilte Telefonerlaubnis kann gemäß § 148 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 143 Abs. 2 Satz 3
NJVollzG nur bei nachträglichem Eintreten oder Bekanntwerden von Umständen, die die Ablehnung
der Erlaubnis rechtfertigen, ganz oder teilweise widerrufen oder zurückgenommen werden.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
1 Ws 392/09
6403 Js 51257/07 StA Hannover
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen S. G.,
geboren am 30. Dezember 1976 in N. / I.,
zurzeit Justizvollzugsanstalt S.,
wegen besonders schweren Menschenhandels
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des
Vorsitzenden der 12. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 30. März 2009 nach Anhörung der
Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ####### und die Richter am
Oberlandesgericht ####### und ####### am 5. August 2009 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung über die Zustimmung zur Erteilung der vom Beschwerdeführer beantragten
Telefonerlaubnis und über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an den Vorsitzenden der 12. großen Strafkammer
des Landgerichts Hannover zurück verwiesen.
G r ü n d e:
I.
Der Angeklagte befindet sich seit dem 19. Juni 2007 in Untersuchungshaft, derzeit in der JVA S. Unter dem 19.
Februar 2009 erteilte ihm die Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Lehrte eine Dauererlaubnis für Telefonate mit
seiner Ehefrau und seinem Sohn unter der hierzu benannten Rufnummer. Nachdem mit Inkrafttreten der Änderung
des NJVollzG am 1. März 2009 die Zuständigkeit für die Entscheidungen über den Vollzug der Untersuchungshaft
wieder auf das für die Haftprüfung zuständige Landgericht Hannover übergegangen war, beantragte der Angeklagte
dort unter dem 12. März 2009 erneut die ihm bereits vom Amtsgericht Lehrte erteilte Dauertelefonerlaubnis. Diesen
Antrag lehnte der Vorsitzende der 12. großen Strafkammer mit Beschluss vom 30. März 2009 mit der Begründung
ab, dass wie bereits unter Geltung des § 119 Abs. 3 StPO Untersuchungsgefangenen auch gemäß § 148 NJVollzG
Telefongespräche nur im Einzelfall gestattet werden könnten, wenn ein besonderes berechtigtes Interesse hieran
bestehe.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde vom 28. Juni 2009. Er macht geltend, dass er bereits
vor der Zuständigkeitsänderung eine Dauertelefonerlaubnis besessen habe und dass sich die hierfür maßgeblichen
Umstände in der Sache nicht geändert hätten.
II.
Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist gemäß § 168 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG statthaft. Danach ist gegen eine Maßnahme des Gerichts zur Regelung
einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Vollzuges der Untersuchungshaft oder ihre Ablehnung oder
Unterlassung die Beschwerde zulässig, wenn die Beschwerdeführerin oder der Beschwerdeführer geltend macht,
durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in ihren oder seinen Rechten verletzt zu sein. Diese
Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Angeklagte ist durch die Ablehnung der Telefonerlaubnis durch den
Vorsitzenden der Strafkammer unmittelbar in eigenen Rechten betroffen.
Dem steht nicht entgegen, dass gemäß § 148 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG über die Erteilung der Telefonerlaubnis nicht
das Gericht, sondern die Vollzugsbehörde abschließend entscheidet und diese lediglich vorab die Zustimmung des
Gerichts einholen muss. Denn bei Umdeutung der Entscheidung des Vorsitzenden in eine bloße Verweigerung der
Zustimmung zur Erteilung einer Telefonerlaubnis ist die Beschwerde dennoch statthaft. Zwar sind § 168 Abs. 1
NJVollzG und § 167 Abs. 1 NJVollzG vom Gesetzgeber bewusst an die Regelung des § 109 Abs. 1 StVollzG
angepasst worden (vgl. LTDrucks. 15/4325 S. 59. 16/942 S. 8). Die Ablehnung der Zustimmung zur Erteilung einer
Telefonerlaubnis durch das Gericht ist jedoch nicht lediglich als reine vorbereitende Verfahrenshandlung ohne
eigenen Regelungscharakter anzusehen, die nicht eigenständig, sondern nur inzident zusammen mit der
Hauptentscheidung – hier also der Ablehnung der Telefonerlaubnis durch die Vollzugsbehörde – anfechtbar wäre (vgl.
dazu Callies/MüllerDietz, StVollzG 11. Aufl. § 109 Rn. 13 m. w. Nachw.). Allerdings ist der Regelungscharakter bei
reinen vorbereitenden Verfahrenshandlungen, wie etwa vorbereitenden gerichtlichen Gutachten, grundsätzlich zu
verneinen. solche unselbständigen Handlungen sind nicht isoliert, sondern nur zusammen mit der Sachentscheidung
anfechtbar (vgl. BVerwGE 34, 248. OLG Stuttgart ZfStrVO 1997, 54). Der Senat hat zu § 109 Abs. 1 StVollzG
jedoch bereits entschieden, dass einer vorbereitenden Handlung ausnahmsweise dann ein eigener
Regelungscharakter zukommt, wenn dazu einer anderen als der abschließend entscheidenden Stelle die
ausschließliche Wahrnehmung bestimmter Aufgaben und Geltendmachung besonderer Gesichtspunkte übertragen
wurde und deren Entscheidung Bindungswirkung für die abschließend entscheidende Stelle hat (vgl.
Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2008 – 1 Ws 502/08 [StrVollz]. ebenso BVerwGE 46, 356. Stelkens/Bonk/Sachs,
VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rdn. 168 ff.). Dies gilt hier in gleicher Weise.
Die Vollzugsbehörde darf gemäß § 148 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG die Telefonerlaubnis nur mit Zustimmung des
Gerichts erteilen. Dabei hat der Gesetzgeber eine Aufteilung der von Gericht und Vollzugsbehörde jeweils zu
prüfenden Belange im Blick gehabt. Nach den Gesetzesmaterialien prüft das Gericht „das Vorliegen einer
eventuellen Verdunkelungsgefahr“, während die Vollzugsbehörde „das Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen“ prüft
(vgl. LTDrucks. 15/3565 S. 190). Die Verweigerung der Zustimmung des Gerichts führt auch zwingend zur
Ablehnung der Telefonerlaubnis, hat also Bindungswirkung für die Vollzugsbehörde. Wäre in einem solchen Fall die
Verweigerung der Zustimmung nicht eigenständig mit der Beschwerde nach § 168 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG
anfechtbar, hätte dies zur Konsequenz, dass der Gefangene die - allein auf der Verweigerung der gerichtlichen
Zustimmung beruhende - Ablehnung der Telefonerlaubnis durch die Vollzugsbehörde mit dem Antrag auf gerichtliche
Entscheidung nach § 167 Abs. 1 Satz 1 NJvollzG anfechten müsste, über den gemäß § 167 Abs. 3 NJVollzG
wiederum das Gericht nach § 134 a Abs. 1 NJVollzG, das bereits vorher die Zustimmung verweigert hatte, zu
entscheiden hätte. Dies wäre mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar.
III.
Die Beschwerde hat auch in der Sache zumindest insoweit vorläufigen Erfolg, als der Ablehnungsbeschluss
aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung über die Zustimmung zur Erteilung der Telefonerlaubnis an das
Landgericht zurück zu verweisen war.
Die Entscheidung des Landgerichts kann keinen Bestand haben. Sie stützt sich weitgehend auf die Rechtsprechung
zu § 119 Abs. 3 StPO und führt dabei auch Belange gemäß § 148 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG an, die nunmehr nur noch
der Prüfung durch die Vollzugsbehörde obliegen. Außerdem wird im Hinblick auf die Motive des Gesetzgebers, der
mit der Regelung „die Bedeutung des Telefons als Kommunikationsmittel, das in der heutigen Zeit vielfach an die
Stelle des Schriftverkehrs getreten ist“, berücksichtigen wollte (vgl. LTDrucks 15/3565 S. 190), die strikte
Beschränkung der Erteilung von Telefonerlaubnissen auf Einzelfälle bei besonders berechtigtem Interesse (vgl.
MeyerGoßner, StPO 52. Aufl. § 119 Rn. 14 m.w.N.) nicht mehr aufrecht zu erhalten sein. Im vorliegenden Fall ist
zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer zuvor bereits im Besitz einer Dauertelefonerlaubnis
gleichen Inhalts gewesen war. Der Senat hat bereits entschieden, dass sich die Ablehnung einer
Dauerbesuchserlaubnis nach Änderung der Zuständigkeit dann, wenn dem Untersuchungsgefangenen bereits von
dem vorher zuständigen Gericht eine Dauerbesuchserlaubnis des nunmehr neu beantragten Inhalts erteilt worden
war, in der Sache als Rücknahme bzw. Widerruf einer begünstigenden Maßnahme darstellt, die nur in den hierfür
vom Gesetz vorgesehenen Fällen in Betracht kommt (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Januar 2008 - 1 Ws 510/07).
Eine einmal erteilte Besuchserlaubnis kann gemäß § 143 Abs. 2 Satz 3 NJVollzG nur bei nachträglichem Eintreten
oder Bekanntwerden von Umständen, die die Ablehnung der Erlaubnis gerechtfertigt hätten, ganz oder teilweise
widerrufen oder zurückgenommen werden. Hiernach steht die Rücknahme bzw. der Widerruf bei Vorliegen der
tatbestandlichen Voraussetzungen zudem im Ermessen. Diese Grundsätze gelten gleichermaßen für
Telefonerlaubnisse. § 148 Abs. 2 Satz 2 NJVollzG erklärt § 143 Abs. 2 Satz 3 NJvollzG für entsprechend
anwendbar.
Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Er vermag bereits nicht zu beurteilen, ob das
Vorliegen von Verdunkelungsgefahr die Verweigerung der Zustimmung rechtfertigt. Dem Senat ist lediglich ein
Haftkontrollheft vorgelegt worden, in dem sich weder der Haftbefehl noch das – offenbar bereits ergangene und mit
der Revision angefochtene – Urteil befinden. Inwieweit die Dauertelefonerlaubnis vorliegend den Zweck der
Untersuchungshaft gefährden könnte, entzieht sich daher seiner Beurteilung. Die Sache war deshalb abweichend
von der Regel des § 309 Abs. 2 StPO zu neuer Entscheidung - auch über die Kosten der Beschwerde - an das
Landgericht zurück zu verweisen.
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