Urteil des OLG Celle vom 29.10.2003

OLG Celle: eingriff in grundrechte, körperliche integrität, abstammung, vaterschaftstest, daten, persönlichkeitsrecht, verwertung, rechtskraft, beweisrecht, vaterschaftsanfechtungsklage

Gericht:
OLG Celle, 15. Familiensenat
Typ, AZ:
Urteil, 15 UF 84/03
Datum:
29.10.2003
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 1600b
Leitsatz:
Ein ohne Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils eingeholter Vaterschaftstest begründet wegen
Verstoßes gegen das Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung keinen
Anfechtungsverdacht für eine Vaterschaftsanfechtungsklage.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
15 UF 84/03
37 F 37525/02 Amtsgericht Hildesheim Verkündet am
29. Oktober 2003
#######,
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In der Familiensache
#######
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte #######
gegen
#######, geboren am 3. Oktober 1994, ####### ,
vertreten durch ihre Mutter #######, ebenda,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte #######
hat der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom
19. September 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brick und die Richter am
Oberlandesgericht Dr. Schwonberg und Noack für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 4. März 2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Hildesheim wird auf
Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger ficht die - anerkannte - Vaterschaft zur Beklagten an.
Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (§
540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe einen Anfechtungsverdacht nicht
schlüssig dargelegt. Der von ihm heimlich eingeholte DNAVaterschaftsnachweis, nach dem er von der Vaterschaft
zur Beklagten ausgeschlossen ist, sei nicht verwertbar, weil die einem von der Beklagten benutzten Kaugummi
anhaftende Speichelprobe ohne Zustimmung der allein sorgeberechtigten Mutter untersucht worden sei und deshalb
das Untersuchungsergebnis wegen Verstoßes gegen das Recht der Beklagten auf informationelle Selbstbestimmung
sowie gegen Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes nicht verwertbar sei.
Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen die rechtliche Beurteilung durch das Amtsgericht und beantragt,
festzustellen, dass der Kläger nicht der Vater der Beklagten ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II.
Die Berufung ist nicht begründet.
Der Senat teilt die Rechtsansicht des Amtsgerichts, dass die Klage zulässig ist, insbesondere die Rechtskraft des
zwischen den Parteien ergangenen Senatsurteils vom 9. August 2002 (15 UF 42/02 = 37 F 38554/01 AG Hildesheim)
nicht entgegen steht, weil für die Rechtskrafterstreckung eines in einem vorangegangenen Anfechtungsverfahren
ergangenen Urteils auf den darin zu Grunde gelegten Lebenssachverhalt abzustellen ist. Wird die
Vaterschaftsanfechtungsklage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe keinen hinreichenden
Anfechtungsverdacht vorgetragen, so ist über die Abstammung nicht entschieden worden, und eine erneute
Anfechtungsklage kann auf neue, nach der letzten mündlichen Verhandlung des Vorprozesses hervorgetretene
Umstände gestützt werden (BGH FamRZ 2003, 155 ff). So liegt die Sache hier. Die Rechtskraft des genannten
Senatsurteils erstreckt sich allein darauf, dass die dem Kläger 2001 attestierte verminderte Zeugungsfähigkeit bei
objektiver Betrachtung nicht geeignet ist, den für die Erhebung einer Anfechtungsklage erforderlichen
Anfangsverdacht zu begründen. Dem gegenüber handelt es sich bei der Tatsache, dass der Kläger nach dem
außergerichtlich eingeholten DNAVaterschaftsnachweis von der Vaterschaft ausgeschlossen ist, um einen anderen
Lebenssachverhalt.
Ebenso wie das Amtsgericht vertritt der Senat die Auffassung, dass das Ergebnis des vorgelegten
DNAVaterschaftsnachweises nicht geeignet ist, Zweifel an der Vaterschaft zu wecken und die Möglichkeit der
nichtehelichen Abstammung als nicht ganz fernliegend erscheinen lassen.
Das hat seine Ursache einmal darin, dass der vorgelegte Vaterschaftsnachweis entgegen den Richtlinien für die
Erstattung von Abstammungsgutachten (FamRZ 2002, 1159 ff.) keinerlei Identitätsfeststellung der untersuchten
Personen enthält, sodass überhaupt nicht feststeht, ob das untersuchte Material von den Parteien stammt. Würde
ein solcher privat eingeholter Vaterschaftstest ohne Identitätsnachweis für einen hinreichenden Anfechtungsverdacht
ausreichen, könnte jeder Kläger seinem Auftrag für einen Vaterschaftstest Proben beliebiger Personen, die
miteinander nicht verwandt sind, beifügen, um die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung der Vaterschaft zu
erhalten.
Darüber hinaus ist das Ergebnis des heimlich eingeholten DNAVaterschaftsnachweises prozessual deswegen nicht
zu verwerten, weil das genetische Material der Beklagten in rechtswidriger Weise erlangt worden ist.
Eine zivilprozessuale Regelung bezüglich eines Beweisverwertungsverbotes besteht nicht. Aus dem
verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht heraus ist die Existenz von
Beweisverwertungsverboten anerkannt (Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., Rn. 15 zu § 286 ZPO;
MünchKommZPO/Prütting, 2. Aufl., Rn. 63 ff. zu § 284 ZPO; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., Rn. 54 ff. zu §
284 ZPO; Musielak/Foerste, ZPO, 3. Aufl., Rn. 6 zu § 286). Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (FamRZ 2003, 21, 24) sind die Gerichte nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an
die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet.
Sowohl aus dem Rechtsstaatsprinzip wie auch aus Art. 2 Abs. 1 GG können sich Anforderungen an das gerichtliche
Verfahren, insbesondere zum Beweisrecht, ergeben. Ob ein Eingriff in Grundrechte der anderen Partei gerechtfertigt
ist, richtet sich nach dem Ergebnis der Abwägung zwischen den gegen die Verwertung streitenden
verfassungsrechtlichen Positionen, wobei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG besondere
Bedeutung zukommt, auf der einen Seite und einem für die Verwertung sprechenden rechtlich geschützten Interesse
auf der anderen Seite (BVerfG FamRZ 2003, 21, 25 m. w. N.).
Diese von der Rechtsprechung für das zivilprozessuale Beweisrecht aufgestellten Grundsätze finden auch auf die
Verwertbarkeit von Tatsachenvortrag Anwendung, der für die weitere Verfahrensgestaltung von entscheidender
Bedeutung ist. Zwischen der Verwertbarkeit eines rechtswidrig erlangten Beweisergebnisses und der Zugrundelegung
rechtswidrig erlangten Tatsachenvortrags, wie er in dem heimlich eingeholten DNAVaterschaftstest zu sehen ist,
besteht kein entscheidungserheblicher Unterschied. Denn im Vaterschaftsanfechtungsverfahren ist nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Regel ein Abstammungsgutachten einzuholen (BGH FamRZ 1997,
490, 492). Damit ist der hier entscheidende Tatsachenvortrag einer Beweiserhebung, die nach § 372 a ZPO mit
Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht und die körperliche Integrität verbunden ist und mit Zwangsmaßnahmen
durchgesetzt werden kann, unmittelbar vorgeschaltet.
Die Abwägung der gegen die Verwertung sprechenden Grundrechtsposition des betroffenen Kindes auf der einen
Seite und der rechtlich geschützten Interessen des möglichen Scheinvaters führt nicht dazu, dass letztere
überwiegen (so auch Palandt/Diederichsen, 62. Aufl., Rn. 11 Einf. v. § 1591; Rittner/Rittner NJW 2002, 1745, 1751;
Mutschler, FamRZ 2003, 74 f.; Bohnert FPR 2002, 383, 389; vgl. die Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der
Sachverständigen für Abstammungsgutachten in der Bundesrepublik Deutschland e. V. [unter § 2], DAVorm, 2000,
817 f.; a. A. Reichelt/Schmidt/Schmidtke, FamRZ 1995, 777, 779).
Der heimlich eingeholte private Vaterschaftsnachweis verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes in
seiner Ausformung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG). Nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht die Befugnis des einzelnen, grundsätzlich
selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden
(BVerfGE 65, 1, 42). Hierzu zählt auch die Befugnis, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten
zu entscheiden (BVerfG NJW 1991, 2411). Vor diesem Hintergrund wird der Schutz vor der Ausforschung von
Persönlichkeitsmerkmalen durch genetische Daten aus Art. 1 Abs. 1 GG (Maunz/Dürig/Herdegen, Grundgesetz, Art.
1 Abs. 1 Rn. 88 f.) wie auch aus dem Recht auf Nichtwissen als negative Variante des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung insbesondere in Bezug auf Genomanalysen aus Art. 2 Abs. 1 GG (Maunz/Dürig/Di Fabio,
Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 192) hergeleitet. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bietet nicht nur
Schutz vor direkten staatlichen Eingriffen, sondern entfaltet als objektive Norm seinen Rechtsgehalt auch im
Privatrecht und strahlt in dieser Eigenschaft auf die Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften aus
(BVerfG NJW 1991, 2411, 2412).
Von dem in diesem Umfang bestehenden Verfassungsrecht auf informationelle Selbstbestimmung werden die Daten
des Einzelnen über sein Genom erfasst. Die Verfügungs und Entscheidungsgewalt über die Preisgabe der
genetischen Daten eines Menschen steht allein ihm zu und obliegt, falls ihm hierzu die hinreichende Einsichts und
Urteilsfähigkeit fehlt (Palandt/Thomas, BGB, 62. Aufl., Rn. 42 zu § 823 BGB), den sorgeberechtigten Elternteilen,
soweit dieses Recht nicht im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch § 372 a ZPO in zulässiger Weise
(BVerfG NJW 1956, 986) auch hinsichtlich der Untersuchung von Genmaterial der beteiligten Personen (vgl. BGH
NJW 1991, 749 ff.) eingeschränkt ist.
In dem vom Kläger vorgelegten DNAVaterschaftsnachweis wurden 12 Merkmale auf 11 Chromosomen untersucht,
die nach der Behauptung des Klägers von der Beklagten stammen. Der Kläger hat somit in das Recht der Beklagten
auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Der Eingriff erfolgte rechtswidrig, da die alleinsorgeberechtigte
Mutter der Beklagten von diesem Eingriff nicht unterrichtet war und daher nicht einwilligen konnte. Eine nachträgliche
Genehmigung des Eingriffs hat die Mutter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 4. März 2003
ausdrücklich abgelehnt.
Diesem verfassungsrechtlich geschützten Recht des Kindes steht das Recht des rechtlichen Vaters auf Kenntnis
seiner Fortpflanzung oder auf Kenntnis der Vaterschaft (Rittner/Rittner NJW 2002. 1746, 1749) gegenüber. Dass ein
solches Recht besteht, kann im Hinblick auf die bestehenden gesetzlichen Regelungen zu Vaterschaftsfeststellung
und Vaterschaftsanfechtung keinem Zweifel unterliegen.
Da die Grundrechtspositionen des rechtlichen Vaters und des Kindes hinsichtlich eines außergerichtlichen
Vaterschaftstests miteinander kollidieren, sind sie im Rahmen einer Abwägung in Verhältnis zu setzen. Bei der
Abwägung der zu berücksichtigenden Interessen sind die Schranken ihrer verfassungsrechtlich geschützten
Grundrechte zu beachten, sodass innerhalb des Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 GG Eingriffe nur zulässig sind, wenn
sie geeignet, erforderlich und verhältnismäßig i. e. S. sind.
Ein privater Vaterschaftstest ist aufgrund der zur Verfügung stehenden genetischen Untersuchungsmethoden
grundsätzlich geeignet, die Abstammung zweier Personen voneinander nachzuweisen und ihnen dadurch Gewissheit
über die Abstammung zu geben. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Identität der beteiligten Personen und die
Herkunft der untersuchten Proben nicht eindeutig gesichert ist. Deshalb kann ein Vaterschaftstest auf Grund
heimlich besorgten genetischen Materials die Frage der Abstammung nicht zuverlässig klären, sodass der Eingriff in
das Recht der Beklagten auf informationelle Selbstbestimmung durch den Kläger nicht dadurch gerechtfertigt sein
kann, dass er seinerseits sein Recht auf Kenntnis des Bestehens oder Nichtbestehens seiner Vaterschaft
wahrnimmt.
Da der vom Kläger ohne Zustimmung der Mutter des Beklagten eingeholte DNAVaterschaftsnachweis prozessual
nicht verwertet werden kann und der Kläger andere Umstände, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Zweifel
an der Vaterschaft zu wecken und die Möglichkeit einer anderen Abstammung als nicht ganz fernliegend erscheinen
lassen, nicht vorgetragen hat, hat er einen hinreichenden Anfechtungsverdacht erneut nicht dargelegt.
Von einer persönlichen Anhörung des Klägers und der gemäß § 640 e ZPO beigeladenen Mutter der Beklagten nach
§§ 640 Abs. 1, 613 Abs. 1 ZPO hat der Senat abgesehen, weil nach den Angaben der Mutter der Beklagten in der
mündlichen Verhandlung vom 24. Juli 2002 im Vorverfahren - 15 UF 42/02 - von weiteren Erkenntnissen nicht
auszugehen war, und Gegenstand des Berufungsverfahrens allein Rechtsfragen sind.
III.
Der Senat lässt die Revision zu, weil seit geraumer Zeit eine Vielzahl von Vaterschaftsanfechtungsklagen auf
heimlich eingeholte Vaterschaftstests gestützt werden. Über die Frage der Verwertbarkeit der Testergebnisse
musste der Senat in der Vergangenheit nur deshalb nicht entscheiden, weil nach deren Erhalt jeweils Mehrverkehr
der Kindesmutter eingeräumt worden und somit ein anderer Anfechtungsgrund gegeben war. Da die Rechtsfrage, ob
ein gegen den Willen des Kindes eingeholter Vaterschaftstest einen hinreichenden Anfechtungsverdacht begründet,
bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist, lässt der Senat die Revision sowohl wegen der grundsätzlichen Bedeutung
der Sache als auch zur Fortbildung des Rechts zu, § 543 Abs. 2 ZPO.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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