Urteil des OLG Celle vom 26.02.2008

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Gericht:
OLG Celle, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 2 W 49/08
Datum:
26.02.2008
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 91, ZPO § 522 ABS 2, VV RVG Nr 3200
Leitsatz:
Nach der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO kann der
Berufungsbeklagte, dem keine Berufungserwiderungsfrist gesetzt worden war, die Erstattung einer
vollen Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3200 verlangen, wenn er auf die Stellungnahme des
Berufungsklägers zu dem Hinweisbeschluss des Gerichts erwidert hat, bevor ihm die abschließende
Entscheidung des Gerichts zugegangen ist.
Volltext:
2 W 49/08
9 O 20/07 Landgericht Hannover
B e s c h l u s s
In der Beschwerdesache
Deutsche Rentenversicherung B. H., vertreten durch ihren Geschäftsführer
Dr. M. B., J. K. u. a., L. W., L.,
Geschäftszeichen: #######
Beklagter und Beschwerdeführer,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte S., S. & L., A., H.,
Geschäftszeichen: #######
gegen
F. & P. GmbH Metallbau KG, vertreten durch die F. & P. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer H. W. P.,
Klägerin und Beschwerdegegnerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte T., H. K., W.,
Geschäftszeichen: #######
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden
Richter am Oberlandesgericht R., den Richter am Oberlandesgericht
Dr. L. und den Richter am Amtsgericht Dr. L. am 26. Februar 2008 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 6. Februar 2008, bei
dem Landgericht Hannover eingegangen am 7. Februar 2008, gegen den
am 5. Februar 2008 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers der 9. Zivilkammer des
Landgerichts Hannover vom
28. Januar 2008 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Beschwerdewert beträgt 206 EUR.
G r ü n d e
Die gemäß den §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 569 ZPO zulässige, insbesondere form und
fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Rechtspfleger des Landgerichts Hannover hat im Rahmen der Kostenfestsetzung auf Beklagtenseite im
Ergebnis zu Recht eine Verfahrensgebühr gem.
Nr. 3200 VVRVG in Höhe von 1,6 in Ansatz gebracht. Die Beklagte kann von der Klägerin nicht lediglich Erstattung
einer 1,1 Gebühr nach Nr. 3201 VVRVG verlangen.
Zwar ist das Rechtsmittel nicht schon deshalb unbegründet, weil eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 VVRVG in
Höhe von 1,6 entsteht, sobald ein Sachantrag gestellt worden ist, also erst recht im vorliegenden Fall, in dem der
Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2007 seinen bereits vor Zustellung der
Berufungsbegründung angekündigten Antrag auf Zurückweisung der Berufung in einem weiteren Schriftsatz
begründet hat.
Die Frage, ob eine Gebühr entstanden ist und daher eine Vergütungspflicht des Auftraggebers (im Innenverhältnis)
besteht, ist allerdings von der Frage zu unterscheiden, ob diese Gebühr zu den von dem Gegner zu erstattenden
Kosten gem. § 91 ZPO gehört und zu Lasten des Gegners festgesetzt werden kann.
Erstattungsfähig sind gemäß § 91 Abs. 1 ZPO nur diejenigen Kosten, die zur zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung notwendig waren. Ob eine Maßnahme notwendig war, richtet sich
zunächst grundsätzlich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die Kosten auslösende
Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Die Partei darf also ihr berechtigtes
Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen (vgl. BGH
FamRZ 2004, 866f., zitiert nach JURIS Rdz. 27). Dieses Recht der Partei gilt indes nicht schrankenlos. Die Partei
ist verpflichtet, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie bei einem Obsiegen vom Gegner erstattet haben will, so
niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt (vgl. BGH NJW 2007,
2257. BVerfG NJW 1990, 3072, 3073. Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl.,
§ 91 Rz. 12). § 91 ZPO bringt insoweit das Gebot einer sparsamen bzw. ökonomischen Prozessführung zum
Ausdruck, welches als Ausprägung des die gesamte Privatrechtsordnung und das Prozessrecht beherrschenden
Prinzips von Treu und Glauben wie auch der Schadensminderungspflicht i. S. von § 254 BGB verstanden wird (vgl.
MüKo/Giebel, ZPO, 3. Auflage, § 91 Rdz. 38). Der prozessuale Erstattungsanspruch besteht daher nur in den
Grenzen einer sparsamen, nicht aber der einer optimalen Prozessführung (vgl. OLG Jena OLGNL 2006, 207, 208.
MüKo/Giebel, a. a. O.).
Dies zu Grunde gelegt ist unter Berücksichtigung aller (konkreten) Umstände des Einzelfalls (vgl. OLG München
NJWRR 1998, 1692, 1693) die Erstattungsfähigkeit einer 1,6 Verfahrensgebühr für die Durchführung der Berufung zu
bejahen (im Gegensatz zu der abweichenden Fallkonstellation, die dem zur Veröffentlichung vorgesehen Beschluss
des Senats vom 18. Februar 2008 - 2 W 41/08 - zu Grunde lag).
Zwar bestand weder zum Zeitpunkt des Einganges des im Schriftsatz der Klägerin vom 29. Oktober 2007
enthaltenen Zurückweisungsantrags am 30. Oktober 2007 noch zum Zeitpunkt des Einganges des Schriftsatzes
vom 5. Dezember 2007, mit dem die Klägerin ihren Zurückweisungsantrag begründet hat, mit Rücksicht auf das
Gebot einer sparsamen kostenschonenden Prozessführung keine Veranlassung, entsprechende anwaltliche
Maßnahmen zu ergreifen.
Etwas anderes galt aber für die Zeit nach Zugang der Stellungnahme der Berufungsklägerin vom 17. Dezember
2007.
a) Soweit es den Antrag zur Zurückweisung des Antrags im Schriftsatz vom 29. Oktober 2007 betrifft, war dieser
nicht notwendig i. S. von § 91 ZPO, weil er zu einem Zeitpunkt erfolgte, als die Berufungsbegründung der
Beklagtenseite noch gar nicht vorlag. Zu diesem Zeitpunkt bestand keine Veranlassung, mit der
Verteidigungsanzeige zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung anzukündigen, weil eine inhaltliche
Auseinandersetzung mit Inhalt und Umfang des Berufungsangriffs mangels Begründung noch gar nicht möglich war
und schon deshalb eine verfahrensfördernde Wirkung nicht in Betracht kam (vgl. BGH AGS 2007, 537, 538).
b) Auch die mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2007 abgegebene Stellungnahme zur Berufungsbegründung begründet
keinen Anspruch auf Erstattung einer 1,6fachen Verfahrensgebühr. Allein der Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt
die Berufungsbegründung vorlag und deshalb eine inhaltliche Auseinandersetzung möglich war, besagt noch nichts
darüber, ob die konkrete Maßnahme (Stellungnahmeschriftsatz) den Maximen einer sparsamen Prozessführung
entsprach. Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt nämlich darin, dass das Gericht nach Eingang der
Berufungsbegründung am 14. November 2007 mit Verfügung vom
3. Dezember 2007 sogleich beiden Parteien einen vier Seiten umfassenden Hinweisbeschluss übersandt hat, in dem
die Rechtslage ausführlich dargelegt und zugleich darauf hingewiesen worden ist, dass der 14. Zivilsenat die
Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurück zu weisen beabsichtige. In diesem Beschluss ist
ausdrücklich nur der Beklagten und Berufungsklägerin eine Frist zur Stellungnahme von drei Wochen ab Zustellung
des Beschlusses gesetzt und abschließend darauf hingewiesen worden, dass bei einer Zurücknahme der Berufung
eine deutliche Ermäßigung der Gerichtskosten einträte (Bl. 111, 114). Darüber hinaus hatte die Vorsitzende der
Berufungsbeklagten, die zugleich mit dem Hinweisbeschluss die Berufungsbegründung erhalten hatte, auch keine
Frist zur Berufungserwiderung gemäß § 521 ZPO gesetzt. Im Gegenteil hatte der
14. Zivilsenat in seinem Hinweisbeschluss vom 27. November 2007 unter Ziff. 3 angekündigt, nach Ablauf der der
Beklagten gesetzten Frist zu entscheiden, ob die Berufung endgültig nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird
und zugleich der Klägerin ausdrücklich anheim gestellt, die Entscheidung des Senats abzuwarten. In Anbetracht
dessen hätte die Berufungsbeklagte zunächst abwarten können und auch müssen, wie sich die Beklagte zu diesem
Hinweisbeschlusses des Senats verhält. Die Abgabe einer eigenen Stellungnahme durch die Klägerin im Schriftsatz
vom 5. Dezember 2007 , mithin vor Eingang der Stellungnahme des Berufungsführers wäre nur dann „notwendig“
gewesen, wenn die Klägerin als Rechtsmittelgegnerin die Abgabe einer Stellungnahme deshalb für erforderlich halten
durfte, weil sie die Situation (zu diesem Zeitpunkt) als risikobehaftet empfinden durfte (vgl. BGH Beschluss vom 6.
Dezember 2007, Az.: IX ZB 223/06). Ein solche Risikosituation ist jedoch zu verneinen. Die Klägerin hätte ohne
Gefährdung ihrer eigenen Interessen den Eingang der Stellungnahme der Berufungsführerin abwarten können. Eine
andere Betrachtung würde auch dem mit der Regelung des
§ 522 ZPO verfolgten Zweck, der sich auch in der konkreten Ausgestaltung des Verfahrens wiederfindet,
zuwiderlaufen. § 522 ZPO dient dem Zweck, die unnötige Bindung richterlicher Arbeitskraft zu verhindern und im
Interesse der in erster Instanz obsiegenden Partei rasch eine Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung zu
erzielen (vgl. Hannich/MeyerSeitz, Engers, ZPOReform, Einführung - Texte Materialien, S. 330.
Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 26. Auflage, § 522
Rdz. 29). Um aber die notwendige Transparenz zu gewährleisten und die Parteien vor einer
Überraschungsentscheidung zu schützen sieht § 522 Abs. 2 ZPO eine Hinweispflicht des Gerichts vor, die dem
Betroffenen auch die Möglichkeit eröffnet, die Kosten des Berufungsverfahrens durch eine Berufungsrücknahme
möglichst gering zu halten (vgl. Hannich/MeyerSeitz, Engers, ZPOReform, Einführung
Texte Materialien, S. 332). Wenn aber § 522 Abs. 2 ZPO gerade auch dem (berechtigten) Kosteninteresse des
Berufungsführers gerecht werden will, wäre mit dieser Intention nicht zu vereinbaren, eine Erstattungspflicht des
Berufungsführers auch für solche Kosten anzunehmen, die an sich bei Einhaltung der Verfahrensweise nach § 522
Abs. 2 ZPO, z. B. durch eine Berufungsrücknahme, hätten vermieden werden können. Es entspricht daher dem
Gebot einer sparsamen Prozessführung, dass der Rechtsmittelgegner zumindest die Stellungnahme des
Berufungsklägers abwartet, ob die Berufung trotz des Hinweises weiter durchgeführt werden soll (vgl. Senat - 2 W
41/08 - Beschluss vom 18. Februar 2008 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
c) Eine risikobehaftete Situation ist jedoch für die Berufungsbeklagte mit
dem Zugang der Stellungnahme der Berufungsklägerin im Schriftsatz vom
17. Dezember 2007 zu dem Hinweisbeschluss des Senats vom 27. November
2007 eingetreten. In diesem an die Berufungsbeklagte am 18. Dezember 2007 abgesandten Schriftsatz hat die
Berufungsklägerin die Ankündigung des
14. Zivilsenats, nach § 522 Abs. 2 ZPO entscheiden zu wollen, als evident falsch kritisiert und ihre Auffassung in
einem umfangreichen fünfseitigen Schriftsatz begründet. Bei dieser Sachlage musste die Berufungsbeklagte bei
verständiger Würdigung ihrer berechtigten Interessen nicht mehr abwarten, ob der 14. Zivilsenat gleichwohl die
Berufung durch Beschluss zurückweist, sondern durfte auch unter Berücksichtigung der Grundsätze einer
sparsamen Prozessführung versuchen, durch eine eigene Stellungnahme den Senat in seiner Absicht zu bestärken
und den Argumenten der Berufungsklägerin entgegentreten (vgl. auch BGH MDR 2004, 115: zu dem berechtigten
Interesse des Berufungsbeklagten auf die Entscheidung des Senats nach § 522 Abs. 2 ZPO einzuwirken). Dies hat
die Berufungsbeklagte mit ihrem Schriftsatz vom 2. Januar 2008 getan, der bei dem
Oberlandesgericht am 3. Januar 2008 eingegangen ist. Zwar hatte der 14. Zivilsenat die Berufung bereits zuvor
durch Beschluss vom 21. Dezember 2007 zurückgewiesen. Ausfertigung und Abschriften dieser Entscheidung sind
an die Parteien jedoch erst auf Grund der Verfügung vom 3. Januar 2008 am
4. Januar 2008 abgesandt worden, so dass der Prozessbevollmächtigte der Berufungsbeklagten im Zeitpunkt der
Einreichung seines Schriftsatzes vom
2. Januar 2008 noch keine Kenntnis von dem Abschluss des Berufungsverfahrens hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574
Abs. 2 und 3 ZPO liegen nicht vor. Insbesondere hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung. Die Entscheidung
des Senats steht mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang. Die vorliegende Fallgestaltung
unterscheidet sich auch grundlegend von der Sachverhaltskonstellation in dem Beschluss des Senats vom 18.
Februar 2008. Dort war nach der gleichzeitigen Zustellung der Berufungsbegründung und eines Hinweisbeschlusses
nach § 522 Abs. 2 ZPO - ohne Bestimmung einer Berufungserwiderungsfrist - von dem Berufungsbeklagten nach der
Stellungnahme der Berufungsklägerin und vor dem Zu
gang des Beschlusses über die Zurückweisung der Berufung keine Tätigkeit mehr entfaltet worden..
R. Dr. L. Dr. L.