Urteil des OLG Celle vom 23.12.2010

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Gericht:
OLG Celle, 01. Kartellsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 13 AR 9/10
Datum:
23.12.2010
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 315, EnWG § 102, EnWG § 106, ZPO § 36 Abs 1 Nr 6
Leitsatz:
1. Für die Entscheidung des § 36 Abs.1 Nr. 6 ZPO ist der Kartellsenat funktionell zuständig, da sich
dessen - auf ganz Niedersachsen erstreckende - gesetzliche Zuständigkeit für
energiewirtschaftsrechtliche Sachen analog § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG und für
kartellrechtliche Sachen nach § 87 Satz 1, § 91 GWB analog auch auf Fragen der
Zuständigkeitsbestimmung erstreckt.
2. Bei der Billigkeitskontrolle von Preiserhöhungen, die ein Energieversorger einseitig gegenüber
einem privaten Abnehmer vorgenommen hat, richtet sich die sachliche Zuständigkeit des
erkennenden Gerichts nicht nach § 102 EnWG.
3. Eine Zuständigkeit des Kartellgerichts nach § 87 GWB wird nicht begründet, wenn ein
kartellrechtlicher Anspruch nicht ernsthaft geltend gemacht wird.
…4. Zur fehlenden Bindung eines Verweisungsbeschlusses bei Verletzung des rechtlichen Gehörs
Volltext:
13 AR 9/10
18 O 242/10 Landgericht Hannover
B e s c h l u s s
In dem Verfahren
E. Vertrieb GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer U. F. und U. R., M., K.,
Geschäftszeichen: #####
Klägerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. S., Dr. H. und G., F., K.,
gegen
U. T., S., R.,
Beklagter zu 1,
Dr. A. H., S., R.,
Beklagte zu 2,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin F., G., G.,
hat der 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. K.
und die Richterinnen am Oberlandesgericht Z. und R. am 23. Dezember 2010 beschlossen:
Das Amtsgericht Göttingen ist zuständig.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
G r ü n d e
I.
Die Klägerin ist ein in Teilen H., S., O. und W. tätiges Energieversorgungsunter¬nehmen. Als solches beliefert sie
auch die Beklagten mit Erdgas. Mit der vorliegen¬den Klage nimmt sie die Beklagten auf Zahlung von offenen
Rechnungsbeträgen von insgesamt 669,77 € zuzüglich Zinsen für von diesen verbrauchtes Erdgas aus Rechnungen
im Zeitraum von November 2005 bis November 2008 in Anspruch. Sie stützt ihren Anspruch auf den mit den
Beklagten geschlossenen Vertrag (§ 433 Abs. 2 BGB). Die Beklagten halten die ab November 2005 in Rechnung
gestellten einseitig von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen für unrechtmäßig.
Das Amtsgericht Göttingen hat sich mit Beschluss vom 11. November 2010 (Bl. 523 ff.) für sachlich unzuständig
erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Hannover verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass auch
Einwendungen erhoben worden seien, die dem Kartellrecht zugeordnet werden können. So sei von den Beklagten
umfassend zu Fragen des GWB vorgetragen worden. Diesem Vortrag werde nachzugehen sein.
Die 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover hat sich mit Beschluss vom 30. November 2010 (Bl. 539 f.)
ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und die Akten dem Oberlandesgericht Celle zur Bestimmung des
zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass im Hinblick
auf den Streitwert das Amtsgericht Göttingen zuständig sei, da die Entschei¬dung im vorliegenden Rechtsstreit
weder von den Vorschriften des GWB noch von denen des EnWG abhängig sei. Es reiche nicht aus, dass sich die
Beklagten auf die Klärungsbedürftigkeit einer (Vor)Frage nach dem GWB beriefen. Der Verweisungs¬beschluss des
Amtsgerichts Göttingen sei als willkürlich anzusehen, weil er sich auf formelhafte Ausführungen beschränke und
sich in keiner Weise mit der entgegen¬stehenden Rechtsprechung der Obergerichte zu § 102 EnWG oder zur
Einschlägig¬keit kartellrechtlicher Fragestellungen auseinandersetze.
II.
Das Oberlandesgericht Celle ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die Entscheidung zuständig, nachdem sich das
Amtsgericht Göttingen und das Landgericht Hannover rechtskräftig für sachlich unzuständig erklärt haben.
Funktionell zuständig ist insofern der Kartellsenat, da sich dessen - auf ganz Niedersachsen erstreckende -
gesetz¬liche Zuständigkeit für kartellrechtliche Sachen nach § 87 Satz 1, § 91 GWB analog und für
energiewirtschaftsrechtliche Sachen analog § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG auch auf Fragen der
Zuständigkeitsbestimmung erstreckt (vgl. OLG München, Beschluss vom 15. Mai 2009, AR (K) 7/09, zitiert nach
juris, Rn. 5 m. w. N.. OLG Celle, Beschlüsse vom 1. Oktober 2010, 13 AR 5/10, vom 1. Juni 2010, 13 AR 2/10,
zitiert nach juris, Rn. 8, vom 6. Dezember 2010, 13 AR 7/10 und vom 14. Dezember 2010, 13 AR 8/10).
III.
Die Zuständigkeitsbestimmung war wie tenoriert zu treffen. Das Amtsgericht Göttingen ist gemäß § 23 Nr. 1 GVG, §
13 ZPO sachlich und örtlich zuständig, da hier eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit einem unter 5.000 € liegenden
Streitwert gegeben ist, für die keine besondere Zuständigkeitsregelung gilt, und die Beklagten im dortigen
Gerichtsbezirk wohnen. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts ist weder durch § 87 GWB noch durch § 102 EnWG
noch durch § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ausgeschlossen. Im Einzelnen:
1. Die Voraussetzungen für eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Hannover nach den Vorschriften
des GWB i. V. m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz (früher: § 14 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz a. F.) sind nicht
gegeben. Danach müsste der Rechtsstreit die Anwendung des GWB betreffen (§ 87 Satz 1 GWB) oder teilweise von
einer Entscheidung abhängen, die nach dem GWB zu treffen ist (§ 87 Satz 2 GWB). Die bloße Behauptung, dass
sich ein Anspruch aus dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ergibt, genügt hierfür allerdings nicht
(vgl. hierzu auch Bornkamm in Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 11. Aufl., § 87 Rn. 26 zur vergleichbaren
Behauptung, dass sich der Missbrauch aus nationa¬lem oder europäischem Kartellrecht ergebe). So liegt der Fall
aber hier. Die Klägerin stützt sich weder auf kartellrechtliche Anspruchsgrundlagen noch wird das Kartell¬recht in
irgendeiner Form zur Begründung des geltend gemachten Klageanspruchs herangezogen. Die Beklagten haben
vorgerichtlich sowie in ihren Klageerwiderungen und Repliken die Unbilligkeit der von der Klägerin vorgenommenen
einseitigen Anpassung des Arbeitspreises für Gas nach § 315 Abs. 3 BGB bzw. die Unwirksam¬keit der
Preisanpassungsklausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB geltend gemacht (Bl. 140 ff., 187 ff.). Soweit sie - erst auf
den Hinweis des Amtsgerichts hin (Bl. 276 ff.) und nach Übernahme der Vertretung durch ihre
Prozessbevollmächtigte - darüber hinaus Ausführungen zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
machen und insofern auf § 19 Abs. 1 und 4 GWB Bezug nehmen, genügt dies nicht als Vor¬trag für einen
Rechtsstreit, für den die Zuständigkeit der Kartellgerichte wegen einer Kartellsache im engeren Sinn (§ 87 Satz 1
GWB) oder einer kartellrechtlichen Vor¬frage (§ 87 Satz 2 GWB) gegeben wäre. Insoweit ist zu berücksichtigen,
dass nicht jeder Hinweis auf einen kartellrechtlichen Anspruch oder jeder noch so abwegige kartellrechtliche Einwand
genügen kann, um die Zuständigkeit der Kartellgerichte zu begründen. Es darf nicht allein in der Hand einer Partei
liegen, dadurch eine Verwei¬sung an das Kartellgericht zu erzwingen (vgl. Bornkamm, a. a. O.). Gerade das aber ist
ersichtlich das alleinige Ziel des entsprechenden Vortrags der Beklagten. Ihnen geht es mit ihren Darlegungen zu
kartellrechtlichen „Missbrauchstatbeständen“ allein um die von ihnen gewünschte Verweisung an die Kartellkammer.
Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie ihre Behauptung, die Klägerin habe ihre marktbeherr¬schende Stellung
missbraucht, offensichtlich ins Blaue hinein und ohne jede Sub¬stanz erheben. So ist die behauptete
Beeinträchtigung der Wettbewerbsmöglichkei¬ten anderer Unternehmen (§ 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB) auch nach ihrem
eigenen Vorbringen reine Spekulation (´…wird angenommen, dass das Mutterunternehmen e. AG erheblichen
Einfluss auf die Einkaufspreise der Klägerin haben…´, …´wären die behaupteten Bezugskostensteigerungen dann
hausgemacht´, jeweils Seite 10 des Schriftsatzes vom 10.08.2010, Bl. 379). Soweit die Beklagten aus angeblich
lang¬fristigen Verträgen auf „freiwillig unnötig hohe Bezugskosten“ schließen, wäre dies ohnehin kein
kartellrechtliches Problem i. S. des § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB, sondern allenfalls für die Billigkeitsprüfung nach § 315
Abs. 3 BGB von Relevanz. Auch die Behauptung, die Klägerin bemühe sich nicht um die Schaffung weiterer
Netzein¬speisepunkte, kann ersichtlich nicht auf der Grundlage des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB zu beurteilen sein. Zur
Weigerung, anderen Unternehmen Zugang zu den eigenen Netzen zu verschaffen, wie es der Tatbestand dieser
Norm erfordert, tragen die Beklagten nichts vor. Die ins Blaue hinein erhobene pauschale Behauptung, die Klä¬gerin
habe ´anderen Anbietern keine akzeptablen Bedingungen für den Netzzugang angeboten´ (Bl. 381), ist insoweit ohne
jede Substanz. Zu einem Missbrauch i. S. des § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB (Entgeltforderung, die bei wirksamen
Wettbewerb nicht forderbar wäre) räumen die Beklagten schließlich selbst ein, dass ihnen ein Vortrag zu den
betreffenden Tatbestandsvoraussetzungen nicht möglich sei. Anlass für Beweiserleichterungen, wie sie die
Beklagten geltend machen (Bl. 382), besteht daher hier schon mangels jedweden substantiierten Vorbringens nicht.
Das Vorbringen der Beklagten gibt danach offensichtlich keinen Grund zu der Annahme, der Rechtsstreit sei hier auf
der Grundlage kartellrechtlicher Vorschriften zu entscheiden. Will oder kann eine Partei aber einen Anspruch aus
dem Kartellrecht nicht ernsthaft geltend machen, kommt eine Zuständigkeit des Kartellgerichts nicht in Betracht.
2. Eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich auch nicht aus der Einschlägigkeit der
Vorschriften des EnWG. Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG sind für bürgerliche Rechtstreitigkeiten, die sich aus
dem EnWG ergeben, die Land¬gerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich
zustän¬dig. Dasselbe gilt gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder
teilweise von einer Rechtsfrage abhängt, die nach dem EnWG zu treffen ist. Diese Voraussetzungen sind hier
ersichtlich nicht gegeben:
a) Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommen Vorschriften des EnWG nicht als
Anspruchsgrundlagen in Betracht. Zwischen den Parteien ist hier vielmehr streitig, ob die Klägerin auf der Grundlage
des zwischen den Parteien bestehenden Gaslieferungsvertrages einseitig Preiserhöhungen durchsetzen kann bzw.
ob diese der Billigkeit entsprechen. Nicht im Streit ist damit eine sich aus dem EnWG ergebende Rechtsbeziehung
(§ 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG). Dies sieht offenbar auch das Amtsgericht so, das in der Begründung seines
Verweisungsbeschlusses lediglich auf eine Relevanz der Vorschriften des GWB Bezug nimmt.
b) Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt auch nicht ganz oder teilweise von einer energiewirtschaftsrechtlichen
Vorfrage ab (§ 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG). Die Rechtsfrage, ob die Preiserhöhungen der Klägerin der Billigkeit gemäß
§ 315 BGB entsprechen, ist nicht mit dem Regelungen des EnWG zu beantworten (vgl. BGH, Urteil vom 19.11.2008,
VIII ZR 138/07, zitiert nach juris). Rein vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass auch § 1 EnWG lediglich eine
Zweckbeschreibung enthält, nicht dagegen die Entscheidung einer Rechtsfrage, die für die Beurteilung der Billigkeit
der Preise der Klägerin vorgreiflich sein könnte (vgl. insofern auch Senats¬beschlüsse vom 27. Mai 2010, 13 AR
4/10, vom 6. Dezember 2010, 13 AR 7/10 und vom 14. Dezember 2010, 13 AR 8/10 sowie OLG Celle, Beschluss
vom 8. März 2010, 4 AR 16/10. OLG München, a. a. O., Rn. 14).
Da das EnWG im Übrigen dem Haushaltskunden lediglich einen Anspruch auf Grundversorgung gibt, und damit nur
das „Ob“ der Versorgung regelt, nicht dagegen die Einzelheiten der Ausgestaltung des Individualvertrages über die
Energielieferun¬gen und die Höhe der Bezugspreise, unterliegt die Entscheidung über die Billigkeit einer
Preiserhöhung auch keiner nach diesem Gesetz zu treffenden Entscheidung i. S. des § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG
(vgl. OLG Celle, a. a. O., OLG München, a. a. O., Rn. 15 m. w. N.). Insofern geht auch der Einwand, bei dem von
den Beklag¬ten abgeschlossenen Tarif „ErdgasKlassik“ handele es sich nicht um ein Produkt der Grundversorgung,
sondern um ein „vom gesetzlichen Leitbild abweichendes Liefer¬produkt“, ins Leere.
c) Die Frage der Billigkeit ist vielmehr auf der Grundlage der berechtigten Interessen beider Parteien an der
Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung, etwa durch Weitergabe gestiegener Bezugskosten zu
entscheiden (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 30. auch OLG München, a. a. O., Rn. 14).
3. Die Zuständigkeit des Landgerichts Hannover ergibt sich auch nicht aus dem Verweisungsbeschluss des
Amtsgerichts Göttingen, weil diesem keine Bindungs¬wirkung zukommt.
Zwar sind Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich unanfechtbar (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO) und für das Gericht, an
das die Verweisung erfolgt, bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Das entzieht auch einen sachlich zu Unrecht
erlassenen Verweisungs¬beschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (vgl. BGHZ 102, 338, 340). Ausnahms¬weise
besteht aus rechtsstaatlichen Gründen aber dann keine Bindung, wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage
fehlt, so dass sie als objektiv willkürlich erscheint (BGH, Beschluss vom 20. August 2007, X ARZ 247/07, zitiert
nach juris, Rn. 6. vgl. auch Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 281 Rn. 17), oder wenn der Beschluss unter Versagung
des rechtlichen Gehörs ergangen ist (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008, X ARZ 45/08, zitiert nach juris, Rn. 6. vgl.
auch Zöller/Greger, a. a. O., Rn. 17 a m. w. N.).
Eine solche Ausnahme liegt hier vor, da das Amtsgericht mit dem Verweisungs¬beschluss das rechtliche Gehör der
Parteien verletzt hat:
a) Artikel 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung
zu Grunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern (Bundesverfassungsgericht, Beschluss
vom 26. November 2008, 1 BvR 670/08, zitiert nach juris, Rn. 14). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt,
wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Vorbringen einer Partei über¬haupt nicht zur Kenntnis genommen oder
doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Allerdings ist das Gericht nicht verpflichtet, sich in den
Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Erst wenn das Gericht
auf den wesentlichen Kern des Vortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer
Bedeutung ist, nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrages schließen (vgl. BVerfG, a. a.
O.. OLG München, a. a. O., Rn. 18 m. w. N.).
b) Nach diesen Maßstäben ist hier eine Gehörsverletzung gegeben.
Die Beklagten haben mit Schriftsatz vom 10. August 2010 (Bl. 370 ff.) - auf entspre¬chende „Anregung“ des
Amtsgerichts hin - die sachliche Zuständigkeit des Amts¬gerichts gerügt und dargelegt, dass es sich ihrer Ansicht
nach hier um eine kartell¬rechtliche Streitigkeit handele. Zuständig sei daher das Landgericht. Die Klägerin hat
dagegen bereits in der Klageschrift - und ergänzend in den weiteren Schriftsätzen - eingehend dargelegt, dass und
warum der Rechtsstreit auf der Grundlage allge¬meinen Vertragsrechts zu entscheiden sei und dass die
Rechtsfrage, ob ihre Gas¬preise der Billigkeit entsprächen, im GWB oder im EnWG keine Antwort finde.
Die damit von der Klägerin vorgetragene und für die Zuständigkeitsbestimmung ent¬scheidende Frage der
Notwendigkeit einer Zugrundelegung der Vorschriften über das allgemeine Vertragsrecht hat das Amtsgericht
ausweislich der Begründung seines Verweisungsbeschlusses nicht aufgegriffen und erst recht nicht erörtert.
Ins¬besondere findet sich in der Beschlussbegründung keine Auseinandersetzung mit der insoweit zitierten
Rechtsprechung. Das Amtsgericht hat nur auf die - angebliche - Zuständigkeit des Landgerichts Hannover nach den
§§ 87, 89 GWB i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz verwiesen und dies lediglich damit begründet, dass die
Beklagten umfänglich zu Fragen des GWB vorgetragen haben. Der bloße Vortrag zu kartellrechtlichen
Fragestellungen und die Behauptung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung „ins Blaue hinein“ reichen
indes - wie ausgeführt - nicht aus, die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Hannover zu begrün¬den.
Insbesondere macht der Umstand, dass eine Behauptung „umfänglich“ aufge¬stellt wird, nicht die
Auseinandersetzung mit allen für die Zuständigkeitsbestimmung relevanten Aspekten entbehrlich. Hier ist das
Amtsgericht in keiner Weise dem umfassenden Vorbringen der Parteien und der hier einschlägigen Rechtsprechung
(auch des Senats) gerecht geworden. Der Umstand, dass das Amtsgericht auf den diesbezüglichen Vortrag -
insbesondere der Klägerin - im Wesentlichen gar nicht eingegangen ist, sondern formelhaft lediglich auf „Vortrag,
dem im einzelnen nachzu¬gehen“ sei, verwiesen hat, offenbart, dass es sich mit dem Vorbringen beider Seiten nicht
im gebotenen Umfang auseinandergesetzt und es im Rahmen seiner Verwei¬sungsentscheidung letztlich nicht
erwogen hat. Es hat vielmehr einseitig nur auf den Vortrag der Beklagten rekurriert. Damit hat es den Anspruch der
Klägerin auf recht¬liches Gehör verletzt.
Dr. K. R. Z.