Urteil des OLG Celle vom 22.08.2000

OLG Celle: wirtschaftliche tätigkeit, treuhänder, verbraucher, insolvenz, geringfügigkeit, subsumtion, zahl, abgrenzung, grenzbereich, grenzwert

Gericht:
OLG Celle, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 2 W 64/00
Datum:
22.08.2000
Sachgebiet:
Normen:
InsO § 304
Leitsatz:
Die Merkmale, die für eine Abgrenzung des Verbraucherinsolvenzverfahrens vom
Regelinsolvenzverfahren üblicherweise aufgeführt werden, dürfen nicht absolut gesetzt werden. Sie
bilden keine starren, unverrückbaren Grenzen. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen,
bei der sämtliche Umstände des Einzelfalles in Rechnung zu stellen sind. Zu diesem Umständen
gehören etwa auch die Art der Tätigkeit des Schuldners sowie das Ziel des Verfahrens und die Zahl
der Gläubiger. Gerade bei freiberuflichen Schuldnern, die mit den für kaufmännische Schuldner
geltenden Einordnungskriterien nur schwer zu erfassen sind, ist im Einzelfall zu prüfen, ob es
gerechtfertigt ist, auf die Bestellung eines Insolvenzverwalters oder eines Sachwalters im Verfahren
mit Eigenverwaltung des Schuldners zu verzichten und nur ein vereinfachtes Insolvenzverfahren mit
einem Treuhänder durchzuführen.
Volltext:
2 W 64/00
20 T 892/00 LG #######
902 IN 193/00 AG #######
B e s c h l u s s
In dem Insolvenzantragsverfahren
über das Vermögen der Chirurgin Dr. ######, ##### 44, ######,
Schuldnerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte ####### und #######, ####### 41, ########
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
############## und die Richter am Oberlandesgericht ####### und ############## am 22. August 2000
beschlossen:
Die sofortige weitere Beschwerde wird zugelassen.
Der Beschluss der 20. Zivilkammer des Landgerichts ####### vom 25. Mai 2000 wird dahingehend geändert, dass
der Beschluss des Insolvenzgerichts des Amtsgerichts ####### vom 5. Mai 2000 aufgehoben und das Verfahren
zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht -
Insolvenzgericht - ####### zurückverwiesen wird.
Gerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden wegen unrichtiger Sachbehandlung nicht erhoben.
Gründe
Der mit der Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde zumindest schlüssig gestellte Antrag auf Zulassung des
Rechtsmittels gemäß § 7 Abs. 1 InsO ist zulässig und begründet. Das Rechtsmittel ist zuzulassen, da eine
Verletzung des Gesetzes vorliegt und eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung gegeben ist, deren Nachprüfung
durch das Rechtsbeschwerdegericht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
Die sofortige weitere Beschwerde ist auch begründet. Das Landgericht hat - ebenso wie das Insolvenzgericht - die
Voraussetzungen für die Durchführung eines Regelinsolvenzverfahrens mit Eigenverwaltung des Schuldners zu eng
gezogen. Die Schuldnerin ist durch die Zurückweisung ihres Antrags im Regelinsolvenzverfahren unter Verweisung
auf das Verbraucherinsolvenzverfahren in ihren Rechten verletzt.
Die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache muss erfolgen, um dem Insolvenzgericht die Prüfung der weiteren
Voraussetzungen für die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens und die Anordnung der von der Schuldnerin
angestrebten Eigenverwaltung zu ermöglichen.
I.
Die als niedergelassene Chirurgin tätige Schuldnerin hat nach ihren Darlegungen im Insolvenzantrag bei einem
jährlichen Gesamtumsatz von annähernd 400.000 DM einen Jahresgewinn von etwas mehr als 24.000 DM, der nicht
ausreicht, um ihre fälligen Forderungen zu begleichen. Nach Abtretung ihrer Honoraransprüche an ihre ehemalige
„Hausbank“ ist sie nach ihrer eigenen Darstellung nicht in der Lage, ihre Praxisausgaben zu bestreiten. Die
Schuldnerin beschäftigt in ihrer Praxis insgesamt fünf Mitarbeiter, die teilweise noch in einem Ausbildungsverhältnis
stehen oder teilzeitbeschäftigt sind. Mit ihrem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 10. April 2000 hat
die Schuldnerin zugleich beantragt, die Eigenverwaltung anzuordnen, um ihren noch laufenden Praxisbetrieb
aufrechterhalten zu können. Das Insolvenzgericht hat nach Hinweis auf Bedenken gegen die Einschlägigkeit des
Regelinsolvenzverfahrens und weiter gehenden Darlegungen der Schuldnerin zunächst am 20. April 2000
beschlossen, ein Gutachten über das Vorliegen eines Insolvenzgrundes und die Deckung der Verfahrenskosten
einzuholen. Ohne den Eingang dieses Gutachtens abzuwarten, hat das Insolvenzgericht sodann jedoch mit
Beschluss vom 5. Mai 2000 den Antrag der Schuldnerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als unzulässig
zurückgewiesen, weil es davon ausgegangen ist, dass mit einem Jahresumsatz von knapp 400.000 DM und einem
durchschnittlichen Gewinn von 25.000 DM bei nur fünf Arbeitskräften, von denen mehrere Aushilfskräfte sind, die
Voraussetzungen für das Regelinsolvenzverfahren nicht erfüllt seien und der Antrag deshalb unzulässig sei.
Auf die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldnerin, mit der im Wesentlichen geltend
gemacht worden ist, dass auch bei einem Jahresumsatz von 400.000 DM eine nachhaltige und keine nur
geringfügige wirtschaftliche Tätigkeit vorliege, hat das Landgericht mit Beschluss vom 25. Mai 2000 die Beschwerde
zurückgewiesen. Aus den Gründen des nicht mit einem Sachverhalt versehenen Beschlusses ergibt sich, dass das
Landgericht die genannten wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin als für ein Regelinsolvenzverfahren nicht
ausreichend angesehen hat, weil es davon ausgegangen ist, dass grundsätzlich auch freiberuflich tätige Schuldner
den vereinfachten Insolvenzverfahren zuzuordnen seien, wenn diese nicht über mindestens fünf Vollzeitkräfte
verfügten, der jährliche Umsatz unter 500.000 DM und der jährliche Gewinn unter 50.000 DM liege.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Schuldnerin mit ihrer form und fristgerecht eingelegten sofortigen weiteren
Beschwerde, mit der sie geltend macht, dass sie zu Unrecht auf das Verbraucherinsolvenzverfahren verwiesen
worden sei. Damit würden ihr die Sanierungsmöglichkeiten der Insolvenzordnung gesetzwidrig genommen. Die vom
Amtsgericht und Landgericht herangezogenen Abgrenzungskriterien seien nicht geeignet, um die Grenze zwischen
einer geringfügigen wirtschaftlichen Tätigkeit und einer für das Regelinsolvenzverfahren ausreichenden
wirtschaftlichen Tätigkeit zu ziehen. Unter „Geringfügigkeit“ im wörtlichen Sinne sei zu verstehen, dass es sich um
eine kaum wahrnehmbare wirtschaftliche Tätigkeit handeln müsse. Ein Jahresumsatz von 400.000 DM sei jedoch
sehr deutlich wahrnehmbar, sodass die Antragstellerin durch die Zurückweisung ihres Antrags im
Regelinsolvenzverfahren in ihren Rechten verletzt sei.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde ist zuzulassen. Zwar fehlt in der Beschwerdeschrift ein ausdrücklich gestellter
Antrag auf Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu § 7
InsO ist jedoch anerkannt, dass ein ausdrücklicher Zulassungsantrag dann entbehrlich ist, wenn sich aus dem
Vortrag des Beschwerdeführers ergibt, dass er eine Verletzung des Gesetzes geltend machen will und es sich um
eine Rechtsfrage handelt, deren Beantwortung im Allgemeinen Interesse liegt (s. BayObLG, ZInsO 2000, 161 = ZIP
2000, 320; OLG Dresden, NZI 2000, 136; OLG Köln, ZInsO 2000, 43; OLG Köln, ZInsO 2000, 281). Von diesem
Grundsatz geht auch der Senat aus (vgl. bereits Beschluss vom 8. März 2000 - 2 W 23/00 = ZIP 2000, 706). Die
von der Schuldnerin mit der sofortigen weiteren Beschwerde gerügte Auffassung der Vorinstanzen, dass eine nicht
geringfügige wirtschaftliche Tätigkeit i. S. d. §§ 304 ff. InsO bei einem freiberuflich tätigen Schuldner nur dann
vorliege, wenn dieser einen Jahresumsatz von mehr als 500.000 DM und einen Gewinn von mehr als 50.000 DM
erziele und mindestens fünf Arbeitnehmer Vollzeit beschäftige, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Es handelt sich
um keine bloße Einzelfallentscheidung, da die Kriterien, nach denen der Schuldner dem Verbraucher oder dem
Regelinsolvenzverfahren zuzuordnen ist, in der Rechtsprechung bislang nicht hinreichend geklärt sind und die
unterschiedlichsten Auffassungen vertreten werden (s. dazu etwa Fuchs, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2.
Aufl., S. 1679 ff., 1681 ff., Rz. 5 ff.; ders., ZInsO 1999, 185; Kirchhof, ZInsO 1998, 54; Klaas, ZInsO 1999, 545;
Kögel, DZWIR 1999, 235; Müller, NZI 1999, 172; Pape, ZIP 1999, 2038; Uhlenbruck, DZWIR 2000, 16; Wimmer,
ZInsO 1999, 559; Landfermann, in: Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 304 Rz. 3 ff.;
Smid/Krug/Haarmeyer, InsO, § 304 Rz. 2 ff.; Römermann: in Nerlich/Römermann, InsO, § 304 Rz. 3 ff.; Wenzel: in
Kübler/Prütting, InsO, § 304 Rz. 3 ff; Kohte, in: Kohte/Ahrens/Grote, Restschuldbefreiung und
Verbraucherinsolvenzverfahren, § 304 Rz. 3 ff.). Damit besteht die nahe liegende Gefahr einander widersprechender
Gerichtsentscheidungen.
Zwar wird wohl überwiegend eine sog. „FünferRegel“ vertreten, derzufolge die Voraussetzungen für das
Verbraucherinsolvenzverfahren dann gegeben sind, wenn der Schuldner weniger als fünf Arbeitnehmer beschäftigt,
weniger als 500.000 DM Umsatz macht und weniger als 50.000 DM Gewinn erzielt (s. Fuchs, in: Kölner Schrift zur
Insolvenzordnung, a. a. O., Rz. 11). Eine obergerichtliche Klärung der Frage, wann eine „geringfügige wirtschaftliche
Tätigkeit“ i. S. d. § 304 InsO vorliegt, steht jedoch bislang aus. Zwar liegen Entscheidungen zu der Frage vor, auf
welchen Zeitpunkt es bezüglich der Verhältnisse des Schuldners ankommt, wenn dieser zum Zeitpunkt der
Antragstellung eine frühere Tätigkeit aufgegeben hat, die die Durchführung eines Regelinsolvenzverfahrens erfordert
hätte (s. dazu OLG Celle, ZIP 2000, 802; OLG Schleswig, ZInsO 2000, 155). Die Frage, unter welchen
Voraussetzungen überhaupt von einer nicht geringfügigen wirtschaftlichen Tätigkeit auszugehen ist, wird aber in
beiden Entscheidungen nicht beantwortet.
Der Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde steht ferner nicht entgegen, dass keine Divergenz zwischen den
Entscheidungen des Insolvenzgerichts und des Beschwerdegerichts vorliegt. Wie der Senat ebenfalls bereits in
Übereinstimmung mit den übrigen Oberlandesgerichten, die sich mit dieser Frage auseinander gesetzt haben,
festgestellt hat, kommt es auf eine Divergenz i. S. d. § 568 Abs. 2 Satz 2 ZPO bei der Rechtsbeschwerde nach § 7
Abs. 1 InsO nicht an (s. OLG Celle, ZIP 2000, 706, 708; OLG Celle, ZIP 2000, 802, 804; OLG Köln, ZInsO 2000, 43;
zu weiteren Nachweisen s. Pape, ZInsO 2000, 214, 221).
III.
Eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht braucht vorliegend trotz des Fehlens eines
subsumtionsfähigen Sachverhalts in der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts nicht zu erfolgen. Zwar ist
grundsätzlich davon auszugehen, dass bei einer zulässigen sofortigen weiteren Beschwerde gemäß § 7 Abs. 1 InsO
das Fehlen eines die Subsumtion des Rechtsbeschwerdegerichts ermöglichenden Sachverhalts zur Aufhebung und
Zurückverweisung der Sache führen muss, da auf das Rechtsbeschwerdeverfahren gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 InsO §
561 ZPO anzuwenden ist und dem Rechtsbeschwerdegericht damit die Möglichkeit versagt ist, sich den für seine
Subsumtion erforderlichen Sachverhalt aus den Akten zu bilden (s. auch OLG Köln, NZI 2000, 80; OLG Köln, NZI
2000, 133; OLG Köln, NZI 2000, 169; BayObLG, Beschl. v. 4. Juli 2000 - 4 Z BR 12/00). Der vom
Beschwerdegericht festzustellende Sachverhalt ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 InsO i. V. m. § 561 Abs. 2 ZPO für das
Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich bindend, sodass eine eigene Sachverhaltsfeststellung des Senats im
Verfahren nach § 7 Abs. 1 InsO nicht in Betracht kommt (s. auch Becker, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 7 Rz. 18;
Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 7 Rz. 19). Eine Aufhebung und Zurückverweisung der
Sache ist vorliegend gleichwohl ausnahmsweise nicht erforderlich. Der Sachverhalt, der der tatsächlich einfach
gelagerten Rechtsfrage zugrundezulegen ist, ergibt sich nämlich aus den Gründen der Entscheidung des
Beschwerdegerichts und der dort in Bezug genommenen Entscheidung des Insolvenzgerichts. Der Senat wendet
insoweit die Grundsätze an, die der Bundesgerichtshof für das Fehlen eines Tatbestandes entwickelt hat. Danach
kann eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache ausnahmsweise dann unterbleiben, wenn sich der
Sachverhalt, der der streitigen Rechtsfrage zugrundezulegen ist, aus den Entscheidungsgründen ergibt (s. dazu
BGH, NJW 1991, 3038; BGH, NJW 1997, 1931; Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl., § 551 Rz. 9). Der Senat kann
deshalb trotz des Fehlens eines subsumtionsfähigen Sachverhalts, das in der Regel auch in einem
Beschwerdeverfahren nach § 7 Abs. 1 InsO im Hinblick auf die Verweisung auf § 561 Abs. 2 ZPO zur Aufhebung
und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht führen muss, vorliegend selbst entscheiden.
Weiter gehende Bedenken bezüglich der Zulässigkeit der sofortigen weiteren Beschwerde bestehen nicht. Gemäß §
34 Abs. 1 InsO ist die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags des Schuldners auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens grundsätzlich statthaft. Da vorliegend die Schuldnerin ausdrücklich einen Antrag auf Eröffnung
des Regelinsolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt und das Amtsgericht diesen Antrag im Hinblick auf die von
ihm zugrunde gelegte Anwendbarkeit der Vorschriften des Verbraucherinsolvenzverfahrens zurückgewiesen hat,
bestehen gegen die Zulässigkeit der Beschwerde keine Bedenken (s. bereits Senat, ZIP 2000, 802). Damit ist auch
die sofortige weitere Beschwerde statthaft.
IV.
Die sofortige weitere Beschwerde der Schuldnerin ist begründet. Sie muss zur Aufhebung und Zurückverweisung der
Sache an das Insolvenzgericht führen. Das Insolvenzgericht hat die Voraussetzungen für die Eröffnung des
Regelinsolvenzverfahrens bislang nicht abschließend geprüft, sondern seinen ursprünglich gefassten Beschluss, ein
Gutachten über das Vorliegen eines Insolvenzgrundes und die Kostendeckung i. S. d. § 26 Abs. 1 InsO einzuholen,
nicht ausgeführt. Eine abschließende Entscheidung kommt damit nicht in Betracht.
Die Frage, ob die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorliegen, ist vielmehr weiter zu
überprüfen.
Die Schuldnerin kann entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht gezwungen werden, einen Antrag auf
Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens nach den §§ 304 ff. InsO zu stellen. Sie ist vielmehr im Rahmen der
für die Beurteilung der Zuordnung des Schuldners zum Verbraucher oder Regelinsolvenzverfahren erforderlichen
Gesamtbetrachtung berechtigt, einen Antrag auf Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens zu stellen.
Zwar trifft es zu, dass die vom Beschwerdegericht aufgeführten Abgrenzungskriterien häufig genannt werden, wenn
es um die Frage geht, ob ein Verbraucherinsolvenzverfahren oder ein Regelinsolvenzverfahren durchzuführen ist (s.
dazu etwa Fuchs, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, a.a.O.; ders., ZInsO 1999, 185; Pape, ZIP 1999, 2038;
Römermann, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 304 Rz. 3 ff.; Wenzel, in: Kübler/Prütting, InsO, § 305 Rz. 3 ff.;
Kohte/Ahrens/Grote, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenzverfahren, § 304 Rz. 3 ff.). Die Merkmale, die für
eine Abgrenzung des Verbraucherinsolvenzverfahrens vom Regelinsolvenzverfahren aufgeführt werden, dürfen aber
nicht absolut gesetzt werden. Sie bilden keine starren, unverrückbaren Grenzen. Vielmehr geht der Senat davon aus,
dass eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalles in Rechnung zu stellen
sind. Zu diesem Umständen gehören etwa auch die Art der Tätigkeit des Schuldners sowie das Ziel des Verfahrens
und die Zahl der Gläubiger, die vorliegend noch gar nicht ermittelt worden ist. Im Hinblick auf diese Faktoren, deren
Beachtung insbesondere auch bei dem Insolvenzantrag eines freiberuflich tätigen Schuldners erforderlich ist, da
insoweit die handelsrechtlichen Buchführungspflichten, die ebenfalls als Abgrenzungskriterium genannt werden, und
die Vorschriften über die Kaufmannseigenschaft nicht anwendbar sind, hätte das Insolvenzgericht hier die
Durchführung eines Regelinsolvenzverfahrens nicht ablehnen dürfen und über den Antrag der Schuldnerin auf
Anordnung der Eigenverwaltung entscheiden müssen.
Zwar erreicht die Schuldnerin mit einem Jahresumsatz von knapp 400.000 DM den als Grenzwert genannten Umsatz
von 500.000 DM nicht ganz. Sie beschäftigt jedoch - wenn auch nicht ausschließlich in
Vollzeitbeschäftigungsverhältnissen - fünf Arbeitnehmer und liegt damit im Grenzbereich zwischen der
Anwendbarkeit der Regelungen des Verbraucherinsolvenzverfahrens und des Unternehmensinsolvenzverfahrens. Zu
berücksichtigen ist weiter, dass die Schuldnerin ihre Tätigkeit nur im Rahmen einer Eigenverwaltung fortsetzen kann.
Im Verbraucherinsolvenzverfahren ist die Eigenverwaltung ausgeschlossen (§ 312 Abs. 3 InsO). Bei der
Durchführung eines solchen vereinfachten Insolvenzverfahrens müsste die Praxis der Antragstellerin aufgelöst
werden. Für die Gläubiger würde dies zu keiner Befriedigung führen, weil die Patientenunterlagen dem Treuhänder
nicht zugänglich gemacht werden dürfen. Diese Gesichtspunkte sprechen in ihrer Gesamtheit dafür, jedenfalls in
einem Grenzfall wie dem vorliegenden das Regelinsolvenzverfahren zuzulassen.
Die starre Grenzziehung, die Insolvenz und Beschwerdegericht im Hinblick auf die im Schrifttum herausgearbeiteten
Abgrenzungsfaktoren vorgenommen haben, verletzt das Gesetz. Durch sie würden jeglicher Entscheidungsspielraum
des Insolvenzgerichts bei der Entscheidung über die Zuordnung des Schuldners zum Verfahren verneint und die im
Schrifttum entwickelten Zuordnungskriterien absolut gesetzt werden.
Zwar ist fraglich, ob eine Zuordnung zum Verbraucherinsolvenzverfahren allein aufgrund der gesetzgeberischen
Zielbestimmung des Verbraucherinsolvenzverfahrens getroffen werden kann und mit dieser Begründung etwa
Schuldner, deren Verbindlichkeiten aus einer unternehmerischen Tätigkeit stammen, von vornherein aus diesem
Verfahren auszuschließen sind (so etwa AG Göttingen, ZInsO 2000, 342; gegenteiliger Auffassung LG Dessau, ZIP
2000, 1502). Eine solche - ebenfalls zu starre - Einordnung muss schon daran scheitern, dass der Gesetzgeber
gerade für die unternehmerische Tätigkeit eine Differenzierung zwischen einer geringfügigen und einer nicht
geringfügigen selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit vorgesehen hat. Der Ausschluss unternehmerisch tätiger
Schuldner von den Vorschriften des Verbraucherinsolvenzverfahrens, wie er etwa als Konsequenz der Vorschläge
der BundLänderarbeitsgemeinschaft zur Reform des Insolvenzrechts (dazu die Zusammenfassung von
Graf/Schlicker/Remmert, ZInsO 2000, 321 ff.) eintreten würde, wenn grundsätzlich alle Schuldner ausgeschlossen
werde, bei denen noch Verbindlichkeiten aus gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnissen bestehen, ist mit
dem gegenwärtigen Recht nicht zu vereinbaren (dazu auch I. Pape/
G. Pape, ZIP 2000, 1553 ff.). Eine solche grundsätzliche Änderung bedürfte einer entsprechenden Vorgabe des
Gesetzgebers.
Gleichwohl ist auch nach der gegenwärtigen Rechtslage eine Einzelfallprüfung erforderlich, bei der sich
Schematisierungen verbieten (s. auch Wenzel, in: Kübler/Prütting, InsO, § 304 Rz. 5 f.). Dies gilt insbesondere auch
für freiberuflich tätige Schuldner, die unbestritten auch unter die Vorschriften des Verbraucherinsolvenzverfahrens
fallen können (s. Kögel, DZWIR 1999, 235; Vallender, VuR 1997, 43; Nerlich/
Römermann, InsO, § 304 Rz. 10; Wenzel, in: Kübler/Prütting, InsO, § 304 Rz. 4). Gerade bei diesen Schuldnern, die
mit den für kaufmännische Schuldner geltenden Einordnungskriterien nur schwer zu erfassen sind, ist im Einzelfall
zu prüfen, ob es gerechtfertigt ist, auf die Bestellung eines Insolvenzverwalters oder eines Sachwalters im Verfahren
mit Eigenverwaltung des Schuldners zu verzichten und nur ein vereinfachtes Insolvenzverfahren mit einem
Treuhänder durchzuführen (vgl. auch Kirchhof, ZInsO 1998, 54, 55; Pape, NWB Fach 19, S. 2405, 2406;
SchulteKaubrügger, DZWIR 1999, 95, 97; Wenzel, in: Kübler/Prütting, InsO, § 304 Rz. 5).
Bei einer solchen Wertung ist neben der Frage, wie der Begriff der Geringfügigkeit in § 304 Abs. 1 InsO zu verstehen
ist, auch das Verfahrensziel des Schuldners zu beachten. Ist dieses Verfahrensziel - wie etwa hier die Durchführung
einer Eigenverwaltung - im Verbraucherinsolvenzverfahren nicht zu erreichen, muss bei einem Grenzfall im Zweifel
davon ausgegangen werden, dass der Schuldner, der entsprechend anträgt, einen Anspruch auf Durchführung des
Regelinsolvenzverfahrens hat. Bei der Prüfung der Frage, ob eine „geringfügige“ wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, ist
zumindest bei einem Schuldner, der freiberuflich tätig ist und den gesamten Umsatz durch seine eigene
Arbeitsleistung und nicht dem Wiederverkauf von Waren erwirtschaftet, anzunehmen, dass bei einem Umsatz, der
über das Einkommen eines vergleichbar ausgebildeten abhängig beschäftigten Schuldners deutlich hinausgeht,
keine geringfügige wirtschaftliche Tätigkeit mehr vorliegt, sondern vielmehr eine wirtschaftliche Tätigkeit von einigem
Gewicht, die die Durchführung eines Regelinsolvenzverfahrens rechtfertigt. Dies ist bei einem Umsatz von 400.000
DM, wie er hier in Rede steht, deutlich der Fall. Dieser Umsatz geht über den Verdienst eines abhängig
beschäftigten Arztes erheblich hinaus, sodass es unangemessen wäre, von einer nur geringfügigen wirtschaftlichen
Tätigkeit auszugehen.
Ob auch der erzielte Gewinn ein Abgrenzungskriterium bildet, erscheint dagegen im Hinblick auf die finanzielle
Situation, in der sich ein Schuldner, der einen Insolvenzantrag stellt, regelmäßig befindet, zweifelhaft. Ursache der
Insolvenz ist gerade die Tatsache, dass der Schuldner keine ausreichenden Überschüsse erwirtschaftet, sodass es
kaum auf die Frage ankommen kann, wie hoch die von ihm noch erzielten Überschüsse tatsächlich sind. Der Senat
braucht indessen diese Frage nicht abschließend zu entscheidend, weil vorliegend jedenfalls schon der von der
Schuldnerin erzielte Umsatz von knapp 400.000 DM ausreicht, um das Vorliegen einer geringfügigen wirtschaftlichen
Tätigkeit i. S. d. § 304 Abs. 2 InsO zu verneinen. Der Senat lässt dabei die Frage offen, ob ein Jahresumsatz von
mindestens 500.000 DM ein Kriterium dafür sein kann, den Schuldner dem Verbraucher oder dem
Regelinsolvenzverfahren zuzuordnen. Abgesehen von der nach Auffassung des Senats gebotenen Einzelfallprüfung,
die eine starre Festlegung ohnehin nicht zulässt, können auch hier die individuellen Verhältnisse zu berücksichtigen
sein, unter denen dieser Umsatz erwirtschaftet wird.
V.
Das Insolvenzgericht wird nach Rückgabe der Sache über den Antrag der Schuldnerin auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden haben, nachdem es die
Frage des Vorliegens eines Insolvenzgrundes und der Deckung der Kosten des Insolvenzverfahrens geklärt hat.
Gerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Verfahrens der weiteren Beschwerde sind wegen unrichtiger
Sachbehandlung nicht zu erheben (§§ 4 InsO, 8 Abs. 1 GKG).
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