Urteil des OLG Celle vom 07.06.2011

OLG Celle: unterbringung, verbreitung, anfechtbarkeit, klinik, beschwerderecht, icd, form, schizophrenie, verfügung, strafrichter

Gericht:
OLG Celle, 02. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 2 Ws 144/11
Datum:
07.06.2011
Sachgebiet:
Normen:
StPO § 210 Abs. 2, StPO § 225 a Abs 1, StPO § 225 a Abs 3
Leitsatz:
Gegen den Beschluss, durch den ein Gericht höherer Ordnung die Übernahme eines Verfahrens nach
§ 225a StPO ablehnt, steht der Staatsanwaltschaft die sofortige Beschwerde nicht zu.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
2 Ws 144/11
10 AR 6/11 LG Stade
4a Ds 3734 Js 73052/10 AG Langen
3734 Js 73052/10 StA Hannover
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen M. K.,
geboren am xxxxxx 1961 in B.,
zurzeit in der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Klinik L. gGmbH, L., A. W.
Weg,
Verteidiger: Rechtsanwalt K., C.
wegen Verbreitung pornografischer Schriften
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hannover
vom 04.05.2011 gegen den Beschluss des Landgerichts Stade vom 03.05.2011 nach Anhörung der
Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx, die Richterin am
Oberlandesgericht xxxxxxxxx und den Richter am Landgericht xxxxxxxx am 07.06.2011 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen
fallen der Landeskasse zur Last.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
G r ü n d e :
I.
Dem Angeklagten wird von der Staatsanwaltschaft Verbreitung pornografischer Schriften in zwei Fällen zur Last
gelegt. Die Anklageschrift vom 28.09.2010 ist vom Strafrichter des Amtsgerichts Langen – an den sie gerichtet war
– mit Beschluss vom 03.11.2011 zugelassen und das Hauptverfahren ist dort eröffnet worden.
Nach dem Ergebnis eines – im Anschluss an eine ausgesetzte Hauptverhandlung – eingeholten schriftlichen
psychiatrischen Sachverständigengutachtens leidet der Angeklagte seit vielen Jahren an einer chronischproduktiven
paranoiden Schizophrenie (ICD 10: F 20.0), aufgrund derer er zu den Zeiten der ihm vorgeworfenen Taten
schuldunfähig war. Zudem kommt der Sachverständige in einer weiteren Stellungnahme zu der Einschätzung, dass
von dem Angeklagten infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien, insbesondere Taten
aus dem Deliktsbereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Deshalb sei der Angeklagte für die Allgemeinheit
gefährlich im Sinne des § 63 StGB.
Daraufhin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11.04.2011 die einstweilige Unterbringung des Angeklagten gem.
§ 126a StPO angeordnet. Diese wird seit dem Folgetag ununterbrochen vollzogen. Ferner hat das Amtsgericht –
ebenfalls auf Antrag der Staatsanwaltschaft – mit Verfügung vom 12.04.2011 und ohne förmlichen Beschluss die
Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Landgericht in Stade zur Übernahme des Verfahrens vorgelegt,
weil eine Unterbringung nach § 63 StGB in Betracht komme.
Die Strafkammer des LG Stade lehnte die Übernahme mit ausführlich begründetem Beschluss vom 03.05.2011 ab.
Eine ausschließliche Zuständigkeit nach § 74 Abs. 1 GVG sieht die Kammer nicht, weil im Falle einer Verurteilung
weder eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe noch eine Unterbringung des Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus in Betracht kämen. Zum einen fehle es den angeklagten Anlasstaten an
entsprechendem Gewicht und zum anderen böten sie keinen zureichenden Anhalt dafür, dass von dem Angeklagten
sexuelle Übergriffe gegen Kinder drohten.
Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Das form und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel ist nicht statthaft und deswegen als unzulässig zu verwerfen.
Hält ein Gericht nach Eröffnung des Hauptverfahrens, aber vor Beginn der Hauptverhandlung die sachliche
Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung für begründet, so legt es die Akten diesem vor. Das Gericht, dem die
Sache vorgelegt worden ist, entscheidet durch Beschluss darüber, ob es die Sache übernimmt (§ 225a Abs. 1
StPO). So liegt der Fall hier.
Gemäß § 225a Abs. 3 S. 3 StPO bestimmt sich die Anfechtbarkeit des ´Übernahmebeschlusses´ (§ 225a Abs. 3 S.
1 StPO) nach § 210 StPO. Gem. § 210 Abs. 2 StPO steht der Staatsanwaltschaft die sofortige Beschwerde zu. Wie
weit dieses Beschwerderecht reicht, ist umstritten.
Einerseits wird vertreten, dass der Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel gegen den die Übernahme ablehnenden
Beschluss – wie im vorliegenden Fall – versagt ist, weil der Verweis des Abs. 3 S. 3 sich ausschließlich auf den –
positiven – ´Übernahmebeschluss´ im Sinne des S. 1 dieser Vorschrift beziehe (so OLG Zweibrücken, NStZ 1998,
211. MeyerGoßner, StPO, 53. Aufl., 2010, § 225a, Rdnr. 24. Pfeiffer, StPO, 5. Aufl, 2005, § 225a, Rdnr. 7.
HKStPO–Julius, 4. Aufl., 2009, § 225a, Rdnr. 15). Die Gegenauffassung versteht die Verweisung nach § 210 StPO
umfassender und billigt der Staatsanwaltschaft auch gegen ablehnende Beschlüsse ein sofortiges Beschwerderecht
zu, weil diese Fälle der Verweisung an ein Gericht niedriger Ordnung gleichkämen, für die § 210 Abs. 2 2. Alt. StPO
eine Anfechtungsmöglichkeit ausdrücklich vorsehe (vgl. KKStPO–Gmel, 6. Aufl., 2008, § 225a, Rdnr. 30. LR–Jäger,
StPO, 6. Aufl., 2010, § 225a, Rdnr. 64. SKStPO–Deiters, 4. Aufl., 2011, § 225a, Rdnr. 29. Radtke/Hohmann Britz,
StPO, 2011, § 225a, Rdnr. 47).
Der Senat folgt der erstgenannten Auffassung. Maßgeblich spricht für diese Ansicht zunächst der Wortlaut der
Vorschrift, die in Abs. 3 ausdrücklich vom ´Übernahmebeschluss´ ausgeht.
Zu Recht weist das OLG Zweibrücken (a.a.O.) darauf hin, dass der Verweisungsvorschrift auch kein
Redaktionsversehen des Gesetzgebers zugrunde liegt. § 225a Abs. 3 S. 3 StPO stellt zu Recht nur den positiven
Übernahmebeschluss hinsichtlich seiner Anfechtbarkeit dem ablehnenden oder abweichenden Eröffnungsbeschluss
im Sinne des § 210 Abs. 2 StPO gleich. Ein die Übernahme nach § 225a StPO ablehnender Beschluss enthält
gerade keine neue, von dem bereits ergangenen Eröffnungsbeschluss des vorlegenden Gerichts abweichende
Regelung, so dass der Ablehnung der Übernahme insoweit keine selbstständige Bedeutung zukommt.
Die Gegenauffassung verkennt die prozessuale Situation, in der § 225a StPO Regelungen trifft, nämlich die nach der
Eröffnung des Hauptverfahrens. In diesem Stadium des Strafprozesses sollen Rechtsmittel gegen Zuständigkeiten
stark beschränkt werden, wie insbesondere durch die Vorschrift des § 270 StPO deutlich wird. Verweisungen nach
dieser Vorschrift, also solche aus der Hauptverhandlung heraus, sind sogar für das Gericht, an das verwiesen wurde,
bindend, und zwar selbst dann, wenn sie formell oder sachlich fehlerhaft sind (vgl. MeyerGoßner, a.a.O., § 270,
Rdnr. 19). Dabei ist anerkannt, dass die Unanfechtbarkeit der Ablehnung eines Verweisungsantrags darauf beruht,
dass die Verneinung nicht ´die Wirkung eines das Hauptverfahren eröffnenden Beschlusses´ (§ 270 Abs. 3 S. 1
StPO) hat (vgl. KKStPO–Engelhardt, a.a.O., § 270, Rdnr. 25).
Der in § 305 StPO (Einschränkung der Beschwerde im Hauptverfahren) zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke
der Vermeidung von Verfahrensverzögerungen in diesem Stadium findet aus der Sicht des Senats in der Regelung
des § 225a Abs. 3 StPO eine spezifische Ausprägung.
Danach ist eine Ablehnung der Übernahme im Hauptverfahren auch nicht mit der prozessualen Situation im
Eröffnungsverfahren vergleichbar, in der ein Gericht vom Antrag der Staatsanwaltschaft abweichend die Sache vor
einem Gericht niederer Ordnung eröffnet (§ 210 Abs. 2 2. Alt. StPO), worauf das OLG Zweibrücken (a.a.O.) ebenfalls
zutreffend hinweist. Anders als dort ist vorliegend bereits über die Eröffnung entschieden worden, und zwar
entsprechend dem Antrag der Strafverfolgungsbehörde.
Vor diesem Hintergrund steht auch die Entscheidung des OLG Stuttgart vom 17.11.1981 (MDR 1982, 252) – auf die
die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme hinweist – der Auffassung des Senats (sowie der des OLG
Zweibrücken) nicht entgegen. Der Sachverhalt, der der dortigen Entscheidung zugrunde liegt, ist anders gelagert.
Dort hat sich eine – höherrangige – Wirtschaftsstrafkammer im Berufungsrechtszug für eine bei ihr anhängige
Berufungssache für unzuständig erklärt und die Sache damit incidenter an eine – niederrangigere – allgemeine
Strafkammer verwiesen. In dieser prozessualen Situation, die gesetzlich nicht geregelt ist, die Vorschrift des § 210
Abs. 2 StPO analog anzuwenden und der Staatsanwaltschaft eine dagegen gerichtete sofortige Beschwerde zu
ermöglichen, steht der Rechtsprechung des Senats nicht entgegen. Das gleiche gilt für eine Entscheidung des
hiesigen 1. Strafsenats vom 09.09.1987 (NdsRpfl 1987, 257), die einen ähnlich gelagerten Sachverhalt betrifft.
III.
Die Kosten und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und Abs. 2 StPO.
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