Urteil des OLG Braunschweig vom 23.02.2010

OLG Braunschweig: hinreichender tatverdacht, dringender tatverdacht, apotheker, krankenkasse, bevorzugung, verordnung, arzneimittel, gegenleistung, vertragsarzt, arztpraxis

Gericht:
OLG Braunschweig, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, Ws 17/10
Datum:
23.02.2010
Sachgebiet:
Normen:
StGB § 299
Leitsatz:
1.
Bei einem niedergelassenen Kassenarzt handelt es sich um einen Beauftragten des geschäftlichen
Betriebes einer Krankenkasse i.S.d. § 299 StGB, soweit es um die Verordnung von Medikamenten
geht.
2.
Als Unrechtsvereinbarung i.S.d. § 299 StGB kommen insbesondere Verstöße gegen die in § 11 Abs.
1 Arzneimittelgesetz verbotenen Handlungen (Rechtsgeschäfte oder Absprachen, die eine bevorzugte
Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen
zum Gegenstand haben) in Betracht.
Volltext:
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen den Beschluss der großen
Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig vom 21. Dezember 2009 wird verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Staatskasse auferlegt, die auch die insoweit entstandenen
notwendigen Auslagen des Angeschuldigten zu tragen hat.
G r ü n d e :
Die zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Braunschweig bleibt ohne Erfolg, jedenfalls derzeit
besteht kein dringender Tatverdacht, dass der Angeschuldigte sich gemäß § 299 Abs. 2, 300 Abs.1, 53 StGB
strafbar gemacht hat. Zwar teilt der Senat die Auffassung der Strafkammer nicht, bei Vertragsärzten handele es sich
nicht um Beauftragte i. S. des § 299 StGB, allerdings besteht jedenfalls nach derzeitigem Ermittlungsergebnis kein
hinreichender Tatverdacht dahingehend, dass eine entsprechende Unrechtsvereinbarung zwischen dem
Angeschuldigten und den Ärzten Dr. X geschlossen wurde.
1.
Die große Strafkammer stützt ihren Nichteröffnungsbeschluss im Wesentlichen darauf, dass es sich bei einem
niedergelassenen Kassenarzt nicht um einen Beauftragten der Krankenkassen i. S. d. § 299 StGB handele. Zum
Streitstand dieser Frage wird auf den angegriffenen Beschluss Bezug genommen.
Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei einem niedergelassenen Kassenarzt um einen Beauftragten i. S. d.
genannten Vorschrift des geschäftlichen Betriebes der Krankenkassen. Ein Beauftragter in diesem Sinne ist, wer
ohne Geschäftsinhaber oder Angestellter zu sein, aufgrund seiner Stellung berechtigt und verpflichtet ist, für den
Betrieb zu handeln und auf die betrieblichen Entscheidungen Einfluss zu nehmen (vgl. Heine aus Schönke/Schröder
´StGB´, 27. Aufl. 2006, § 299 Rn. 8 ff.). Die Beauftragtenstellung eines Kassenvertragsarztes zeigt sich bereits in
dem Rechtsverhältnis zwischen den Krankenkassen, den Kassenärzten, den Kassenpatienten und den Apotheken
bei der Verordnung von Medikamenten, um die es hier geht. Nach § 27 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V
haben die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf Krankenbehandlung. Als
Bestandteil der Krankenbehandlung sind Arznei, Verband, Heil und Hilfsmittel als Sachleistung zu erbringen. Ein
derartiger Sachleistungsanspruch kann grundsätzlich nur dadurch begründet werden, dass ein Vertragsarzt das
Arzneimittel auf Kassenrezept verordnet und damit die Verantwortung für die Behandlung übernimmt, da die §§ 31 ff.
SGB V keine unmittelbar durchsetzbaren Ansprüche gewähren, sondern lediglich ausfüllungsbedürftige
Rahmenrechte darstellen. Ein bestimmtes Arzneimittel kann der Versicherte daher erst dann beanspruchen, wenn es
ihm als ärztliche Behandlungsmaßnahme in Konkretisierung des gesetzlichen Rahmenrechts zum Vertragsarzt als
einem mit öffentlichrechtlicher Rechtsmacht ´beliehenen´ Verwaltungsträger verschrieben wird. Bei Verordnung einer
Sachleistung gibt der Vertragsarzt mit Wirkung für und gegen die Krankenkasse die Willenserklärung zum Abschluss
eines Kaufvertrages über die verordneten Medikamente ab. man kann ihn durchaus als ´Schlüsselfigur der
Arzneimittelversorgung´ bezeichnen. Der Apotheker, dem das Kaufvertragsangebot der Krankenkasse mit Vorlage
der Kassenärztlichen Verordnung durch die Versicherten angetragen wird, nimmt dieses an, indem er dem
Versicherten das verordnete Arzneimittel aushändigt. Es handelt sich um einen zwischen der Krankenkasse und
dem Apotheker - unter Einschaltung des Vertragsarztes als Vertreter der Krankenkasse - geschlossenen Vertrage
zugunsten der Versicherten. Dem Apotheker obliegt bei Vorlage des Kassenärztlichen Rezeptes zwar eine
eigenständige, aber begrenzte Prüfungspflicht, insbesondere obliegt ihm nicht die Überprüfung, ob die Verschreibung
sachlich begründet ist. Verstoßen Vertragsärzte gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten, so kann die Kassenärztliche
Vereinigung Maßnahmen anregen, bzw. die Entziehung der Zulassung beantragen (vgl. hierzu BGHSt 49, 17 ff..
Pragal aus NStZ 2005, 133 ff.. BSGE 73, 271 ff.). Der Kassenvertragsarzt ist also auf Grund der ihm durch Gesetz
zugewiesenen Aufgabe berechtigt und verpflichtet, für den Betrieb - hier die Krankenkassen - zu handeln. Durch die
Art und Menge der von ihm verordneten Medikamente nimmt er damit erheblich auf die betrieblichen Entscheidungen
Einfluss. Er ist verantwortlich und maßgebend dafür, ob zwischen der Krankenkasse und der Apotheke ein Vertrag
über den Kauf von Medikamenten zustande kommt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes handelt er
insoweit als Vertreter der Krankenkassen und nimmt insoweit deren Vermögensinteressen wahr´ (BGH a. a. O.). Hat
jemand die Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen und macht sich im Falle einer Verletzung dieser
besonderen Vermögensbetreuungspflicht gemäß § 266 StGB strafbar, so handelt er auch als Beauftragter zumindest
im Rahmen dieses Aufgabenfeldes. Zwecks Vermeidungen von Wiederholungen wird im Übrigen auf die
diesbezüglichen Ausführungen der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 6. Januar 2010 sowie
der Generalstaatsanwaltschaft vom 25. Januar 2010 Bezug genommen.
2.
Soweit es um die Frage eines Tatbestands oder (vermeidbaren) Verbotsirrtums des Angeschuldigten geht, kann der
hinreichende Tatverdacht ebenfalls nicht verneint werden. Auch insoweit wird auf die Ausführungen der
Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 6. Januar 2010 sowie der Generalstaatsanwaltschaft vom 25. Januar 2010
Bezug genommen.
3.
Allerdings setzt eine Strafbarkeit gemäß § 299 Abs. 2 StGB voraus, dass der Beauftragte den Partner durch eine
Gegenleistung in unlauterer Weise bevorzugt. Zwischen der angestrebten Bevorzugung durch den Vorteilsnehmer
und dem Vorteil muss ein Zusammenhang derart bestehen, dass der Vorteil als Gegenleistung für die zukünftige
unlautere Bevorzugung gedacht ist. Erforderlich ist daher eine Unrechtsvereinbarung, die darauf abzielt, dass der
Vorteilsgeber beim Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb unlauter bevorzugt wird. Eine
Bevorzugung ist jede anvisierte Besserstellung des Täters oder eines von ihm begünstigten Dritten, auf die er oder
der Dritte keinen Anspruch hat (Heine, Schönke/Schröder a. a. O. § 299 Rn. 15 ff. m. w. N.) Dabei geht es um die
Erhaltung der Sachgerechtigkeit, gemessen an ´freien´ Wettbewerbsbedingungen. sachwidrige
Entscheidungsfaktoren sind allemal geeignet, dass Allgemeininteresse an lauteren Wettbewerbsbedingungen zu
beeinträchtigen und Interessen von Mitbewerbern zu gefährden. unlauter ist daher eine Bevorzugung, die nicht auf
sachlichen Erwägungen, gemessen am ´freien´ Wettbewerb, beruht, sondern durch den gesetzlich verlangten Vorteil
geleitet ist (Heine in Schönke/Schröder, a. a. O., Rn. 19 ff.).
Im Ergebnis müsste es damit zwischen dem Angeschuldigten und den Ärzten Dr. eine Unrechtsvereinbarung geben,
die geeignet ist, andere Bewerber im Wettbewerb zu benachteiligen.
Alleine der Vorteil, der durch die Nähe einer Arztpraxis zu einer Apotheke entsteht, stellt für sich genommen keine
Unrechtsvereinbarung dar. Die mit der Ansiedlung einer Arztpraxis einhergehenden Vorteile für den Apotheker durch
erhöhten Umsatz rezeptpflichtiger Medikamente beruhen auf dem Standortvorteil und der Entscheidung der
Patienten, in gerade dieser Apotheke ihr Rezept einzulösen. Dass ein Apotheker Interesse daran hat, in seiner Nähe
möglichst viele Arztpraxen unterzubringen, erschließt sich von selbst.
Damit kommen insbesondere Verstöße gegen die in § 11 Abs. 1 Arzneimittelgesetz verbotenen Handlungen in
Betracht, so wenn als Gegenleistung für die monatlichen Zuschüsse und die Übernahme der Umbauten in den
Praxisräumen die Ärzte ihrerseits entweder auf Patienten einwirken, ihre Rezepte in der Apotheke des
Angeschuldigten einzulösen oder aber gezielt dafür zu sorgen, dass die von einer Apotheke zu fertigenden
Zytostatika überwiegend von dem Angeschuldigten hergestellt werden. Dem genügt das Ergebnis der Ermittlungen,
dass ein erheblicher Teil der ausgestellten Rezepte in den Geschäftsräumen des Angeschuldigten eingelöst wurden,
nicht. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen der Kammer hinsichtlich eines Verstoßes gegen §§ 11, 25
Arzneimittelgesetz Bezug genommen. Demnach müssten konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Ärzte
gezielt auf ihre Patienten eingewirkt haben oder einwirken, ihre Rezepte in der Apotheke des Beschuldigten
einzulösen. Zwar besteht durchaus Anfangsverdacht dafür, dass zumindest bei den individuell vom Beschuldigten
anzumischenden Zytostatika die Ärzte Dr. X gezielt dafür Sorge getragen haben, dass überwiegend der Beschuldigte
diese Rezepturen anmixt und verkauft. Allerdings lässt die Anklage offen, wie die Herstellung und Beschaffung im
Verhältnis Patient/Arzt/Apotheker abgewickelt wird, ob also die Ärzte Dr. X direkt den Angeschuldigten beauftragen,
den Patienten ein Rezept zur Einlösung in irgendeiner Apotheke übergeben oder die Patienten gezielt veranlassen,
ihr Medikament in der Apotheke des Beschuldigten anmixen zu lassen. Solche konkreten Anhaltspunkte sind bis
jetzt nicht ermittelt.
Im Ergebnis war daher die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Braunschweig zu verwerfen. Eine
Zurückverweisung an die Strafkammer zwecks Erhebung der erforderlichen Ermittlungen oder Ermittlungen durch
den Senat selbst kommen nicht in Betracht. Gemäß § 202 StPO kann das Gericht, bevor es über die Eröffnung des
Hauptverfahrens entscheidet, zur Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen anordnen. Eine Verpflichtung
zur Beweiserhebung kommt lediglich dann in Betracht, wenn es sich um naheliegende ergänzende
Beweiserhebungen handelt (vgl. Schneider aus Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, § 202 Rn. 2 ff. m. w.
N.).Damit wird deutlich, dass Ermittlungen größeren Umfangs zur Komplimentierung einer Anklageschrift gesetzlich
nicht vorgesehen sind. Unstatthaft ist damit eine umfangreiche Beweisaufnahmen durch das Gericht, da darin ein
von Rechts wegen nicht vorgesehener Vorgriff auf die Hauptverhandlung läge.
Im vorliegenden Fall liegt derzeit kein hinreichender Tatverdacht vor, da eine entsprechende Unrechtsvereinbarung
zwischen der Arztpraxis Dr. X und dem Angeschuldigten nicht ausreichend ermittelt worden ist. Damit sind nicht
einzelne Beweiserhebungen vorzunehmen, sondern ein relevanter Tatbestandskomplex ist durch umfangreiche
Ermittlungen und Vernehmungen aufzuklären.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.