Urteil des OLG Braunschweig vom 05.07.2006

OLG Braunschweig: vollstreckung der strafe, wahrscheinlichkeit, gutachter, täterschaft, beweiswert, bevölkerung, identifikation, parkplatz, internet, ausstrahlung

Gericht:
OLG Braunschweig, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, Ss 81/05
Datum:
05.07.2006
Sachgebiet:
Normen:
STPO § 261
Leitsatz:
Zur Beurteilung der Aussagekraft eines anthropologischen Vergleichsgutachtens:
1. Im Gutachten (und in den Urteilsgründen) ist offen zu legen, inwieweit die Häufigkeit eines
einzelnen Merkmals in der Bevölkerung durch eine kon-krete Wahrscheinlichkeitszahl angegeben
werden kann oder ob es sich nur um mehr oder weniger genaue Anhaltswerte handelt, die den
Beweiswert der Wahrscheinlichkeitsaussage relativieren.
2. Zwar erfolgt die Berechnung der Gesamtwahrscheinlichkeit bei der Zu-sammenfassung der
Wahrscheinlichkeit des Auftretens der einzelnen festge-stellten übereinstimmenden Merkmale nach
dem Multiplikationssatz der Wahrscheinlichkeitslehre. dies gilt jedoch nur bei unkorrelierten, also von-
einander unabhängig variierenden Merkmalen, nicht aber bei Merkmalen, die gehäuft kombiniert
miteinander vorkommen.
3. Selbst wenn ein Gutachter zu einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit der Tä-teridentität gelangt, reicht
dies allein zur Identifizierung nicht aus. vielmehr müssen zur Überzeugung des Gerichts von der
Täterschaft noch weitere In-dizien hinzutreten.
4. Wird z.B. durch die Ausstrahlung der Vergleichsbilder im Fernsehen oder durch sonstige
Publikationen von vornherein eine Vorauswahl von beson-ders ähnlich aussehenden Personen aus der
Gesamtbevölkerung getroffen, so sind die (auf dem Zufallsprinzip beruhenden) allgemeinen
Wahrschein-lichkeitsregeln nicht mehr anwendbar.
Volltext:
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 29. August 2005 mit den
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere
Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückgewiesen.
Gründe
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
I.
Das Amtsgericht Seesen hatte den Angeklagten am 26. Februar 2005 wegen Diebstahls im besonders schweren Fall
in Tatmehrheit mit Computerbetrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt und die Vollstreckung der
Strafe zu Bewährung ausgesetzt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht
Braunschweig mit Urteil vom 29. August 2005 verworfen.
Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich der Angeklagte am 28. August 2003 auf den Parkplatz der
InnersteTalsperre, wo er oder ein unbekannt gebliebener Mittäter den Pkw VW GOLF, amtliches Kennzeichen ….,
des Zeugen A. mittels Türblechstechens öffnete und eine unter dem Beifahrersitz versteckte Tasche mit
persönlichen Papieren des Zeugen an sich nahm. Im weiteren Verlauf suchte der Angeklagte die VolksbankFiliale in
B. auf, wo er unter Verwendung einer in der Tasche gefundenen ECScheckkarte und der zugehörigen
PINGeheimnummer, die auf einer ebenfalls in der Tasche vorgefundene Visitenkarte notiert war, gegen 14.25 Uhr am
Geldautomaten 500 € vom Konto des Zeugen A. in der Absicht abhob, das Geld für sich zu verwenden. Dabei wurde
er von einer über dem Geldautomaten angebrachten Überwachungskamera gefilmt. Anschließend machte sich der
Angeklagte auf den Nachhauseweg, wobei er über Werningerode fuhr und sich auf einem Parkplatz am Stadtrand der
Tasche des Zeugen A. entledigte.
Gegen das Urteil wendet sich die der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er sowohl eine Verfahrensrüge als
auch die unbeschränkte Sachrüge erhebt und die Aufhebung des Urteils sowie die Zurückweisung der Sache an eine
andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig erstrebt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die
Revision gem. § 349 Abs.2 StPO zu verwerfen.
II.
Die Revision ist in zulässiger Weise eingelegt und begründet worden. Sie hat schon auf die allgemein erhobene
Sachrüge hin Erfolg. Das Urteil hat keinen Bestand, weil sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, ob die für
anthropologische Vergleichsgutachten geltenden Grundsätze berücksichtigt und die Grenzen von deren
Aussagekraft beachtet worden sind.
Der Sachverständige hat nach den Urteilsgründen zwar 13 Merkmalskomplexe und 23 Einzelmerkmale beschrieben,
in denen er eine Überstimmung zwischen den Fotos der Überwachungskamera und dem Angeklagten erkannte.
Jedoch kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden, mit welcher Häufigkeit diese Merkmalskomplexe bzw.
Einzelmerkmale in der Bevölkerung vorkommen. Nur dann kann überhaupt eine Aussage darüber gemacht werden,
mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit ein Angeklagter aus der Gesamtbevölkerung als Täter herausgefiltert
werden kann. Zur Beurteilung der diesbezüglichen Aussagekraft eines anthropologischen Vergleichsgutachtens sind
im angefochtenen Urteil insbesondere die nachfolgenden Kriterien nicht hinreichend beachtet worden:
1. Da die Körperoberfläche sich nicht aus naturgegeben abgegrenzten Merkmalen zusammensetzt, sondern ein
morphologisches Kontinuum darstellt, aus dem willkürlich Teile als „Merkmale“ zu abstrahieren sind, gibt es
unendlich viele definierbare Merkmale. Da die Dokumentationslage bei Vergleichsuntersuchungen über die Häufigkeit
von Merkmalen in jedem Fall eine andere ist, können auch die Merkmalsfassungen nicht normiert sein. Das
bedeutet, dass auch das Zahlenmaterial für die Wahrscheinlichkeitsberechnung in der Regel nicht bzw. nur in stark
eingeschränktem Maße bereitliegen kann (Knußmann, NStZ 1991, 175, 176. BGH NStZ 2005, 458). Deshalb ist der
Gutachter häufig auf Schätzungen aufgrund seiner Sachkenntnis angewiesen, die vor allem im Rahmen
jahrzehntelanger anthropologischerbbiologischer Gutachtenpraxis erworben werden kann, wobei es zwischen
verschiedenen Sachverständigen auch zu graduellen Abweichungen kommen kann (Knußmann, a.a.O.. BGH
a.a.O.). Es kann derzeit also nicht von einem gesicherten Stand der Wissenschaft im Bereich der anthropologischen
Identitätsgutachten die Rede sein (BGH a.a.O., wo selbst die vom BGH eingeholten Gutachten zu unterschiedlichen
Ergebnissen gelangten). In jedem Fall ist im Gutachten und in den Urteilsgründen offen zu legen, inwieweit die
Häufigkeit des einzelnen Merkmals in der Bevölkerung zutreffend wiedergespiegelt werden kann oder aber ob es sich
nur um mehr oder weniger genaue Anhaltswerte handelt, die den Beweiswert der Wahrscheinlichkeitsaussage
relativieren (BGH NStZ 2000, 106. 1992, 554).
2. Die Zusammenfassung der Wahrscheinlichkeitshinweise aus einzelnen Merkmalen zu einer
Gesamtwahrscheinlichkeit erfolgt zwar – bei unkorrelierten (also voneinander unabhängig variierenden) Merkmalen –
nach dem Multiplikationssatz der Wahrscheinlichkeitslehre (Knußmann, a.a.O.. Standards für die anthropologische
Identifikation lebender Personen aufgrund von Bilddokumenten (Arbeitsgruppe mehrerer Autoren), im Folgenden:
Standards, NStZ 1999, 230, 231. BGHSt 38, 320. BGH StV 1994, 580). Jedoch ist diese Bedingung häufig nicht
erfüllt, weil viele Merkmale miteinander korrelieren, also gehäuft kombiniert miteinander vorkommen, und die
Gesamtwahrscheinlichkeit nicht durch Multiplikation ermittelt werden kann, sondern (nur) durch das vom
Sachverständigen dann anzuwendende Bayessche Theorem, das meist zu weitaus geringeren Werten führt
(Knußmann a.a.O.. Standards a.a.O.. BGH St 38, 320. BGH StV 1994, 580).
3. Selbst wenn ein Gutachten in zulässiger Weise zu einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit der Täteridentität gelangt,
reicht es nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs allein zur Identifizierung des Täters nicht aus. In einem
vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall (BGH St 38, 320) gelangte der Sachverständige im Rahmen einer
DNAAnalyse zu der Wahrscheinlichkeit von 99,986 %, dass die beim Opfer festgestellten Spermien vom
Angeklagten stammten. Bei einem Bevölkerungsanteil von 0,014 % würde danach eine DNAAnalyse dieselben
Merkmale ergeben wie beim Angeklagten, was – so der Bundesgerichtshof – bei ungefähr 250.000 männlichen
Einwohnern der Stadt Hannover bereits einer Zahl von 35 männlichen Personen entsprechen würde. Da das dortige
Landgericht bereits allein aufgrund dieser DNAAnalyse von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt war, hat der
Bundesgerichtshof dieses Urteil aufgehoben. dieser hohe Beweiswert komme dem Gutachten nicht zu, das
Landgericht könne sich von der Täterschaft des durch das Gutachten bereits stark belasteten Angeklagten nur unter
Berücksichtigung weiterer Indizien überzeugen.
Auch im vorliegenden Fall ist zu besorgen, dass sich die Strafkammer ausschlaggebend auf das Gutachten des
Sachverständigen Dr. X gestützt hat. Hierfür spricht bereits die Formulierung, dass das Gutachten „eindeutig“ und
der Angeklagte derjenige sei, der am Tatort zur Tatzeit vom Konto des Geschädigten das Geld abgehoben habe.
Diese starke – allein auf dem Gutachten beruhende – Überzeugung der Strafkammer ist auch dem Kreisschluss zu
entnehmen, dem sie bei der Würdigung der AlibiZeugin C. erlag, wenn sie hierzu ausführt:
„ ... Zur Überzeugung der Kammer trank sie (die Zeugin) nicht gegen 14.30 Uhr mit dem Angeklagten in der
heimischen Wohnung Kaffee, denn der Angeklagte war es, der am 28.08.2003 gegen 14.25 Uhr in der Filiale der
Volksbank in B. 500 € vom Konto des Zeugen A. abhob. Dies ergibt sich aus dem glaubhaften Gutachten des
Sachverständigen Dr. X. ...“ (UA S.12 unten)
Da diese Zeugenwürdigung gerade zum Ziel hat, im Hinblick auf das vorgebrachte Alibi das Ergebnis des
Gutachtens zu überprüfen, kann nicht mit der Richtigkeit des Gutachtens selbst argumentiert werden, die es ja
gerade zu überprüfen gilt. Auch wenn die Würdigung dieser Zeugenaussage im Übrigen zulässige Argumente enthält,
so weist dieses Zitat doch besonders deutlich darauf hin, wie überzeugt die Strafkammer vom Ergebnis des
Gutachtens war und dass sie nur bedingt bereit war, dieses im Rahmen der weiteren Beweisaufnahme in Frage
stellen zu lassen. Darauf deuten auch die folgenden Passagen aus den Urteilsgründen hin:
„ ... Der Sachverständige Dr. X hat angegeben, er könne sich nicht vorstellen, dass sich zwei Menschen so gleich
sehen, dass eine Identität zwischen dem Täter in der Bank und dem Angeklagten ausscheide. ...“ (UA S.5 unten)
„ ... Es gebe nach seiner, des Sachverständigen, Auffassung keine Möglichkeit, dass jemand nach Überprüfung aller
Merkmalsgruppen und Einzelmerkmale genauso aussehen könne wie der Angeklagte. Er, der Sachverständige Dr. X
, erstatte seit 1987 Gutachten. Er sei Anthropologe. Er könne es sich einfach nicht vorstellen, dass es sich bei der
Person auf den auf dem Videoband extrahierten Bildern vom 28.08.2003 um eine andere Person handele als den
Angeklagten. ...“ (UA S.6 unten/ 7 oben)
Diese Zitate lassen besorgen, dass die Strafkammer die erforderliche kritische Distanz zu den teilweise fast als
„suggestiv“ zu bezeichnenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. X nicht immer hinreichend wahren konnte.
Aber auch in Verbindung mit den von der Strafkammer genannten weiteren Indizien kann die Täterschaft des
Angeklagten – selbst wenn man eine Gutachtenerstattung mit hoher Wahrscheinlichkeitsberechnung zugrunde legen
würde – nicht bewiesen werden. Der Umstand, dass das Videoband mit der Originalaufzeichnung des
geldabhebenden Täters nach der Vernehmung des Angeklagten bei der Polizei, wo dieses Videoband auf dem
Schreibtisch lag, „verschwunden“ ist, kann nicht gegen den Angeklagten verwandt werden, der hierfür als Täter in
Betracht gezogen wurde. Zwar kann aus mittelbaren Beweistatsachen (Indizien) auf unmittelbar
entscheidungserhebliche Tatsachen geschlossen werden. Hierbei müssen allerdings die Indizien feststehen
(Schoreit, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 261 Rdnr.64 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da
nicht feststeht, dass das Videoband durch den Angeklagten entwendet worden ist. Das weitere Indiz, dass die
entwendete Handtasche des Geschädigten am Stadtrand von Wernigerode aufgefunden wurde, bleibt hinsichtlich
seiner Aussagekraft nach den Feststellungen der Strafkammer fragwürdig. Weder ist festgestellt worden, welche
anderen Routen als weitere Möglichkeiten des „Nachhausewegs“ in Frage kamen, noch ist nicht festgestellt worden,
wie weit der Fundort von der Durchgangsstraße durch (oder der Autobahn nördlich von) Wernigerode entfernt ist,
zumal an anderer Stelle in den Gründen anklingt, dass der Angeklagte die Fahrstrecke in einer kürzeren Zeit hätte
zurücklegen müssen als vom ADAC für diese Fahrtroute angegeben.
4. Die oben näher beschriebenen Wahrscheinlichkeitsberechnungen beruhen auf dem Prinzip der zufälligen
Übereinstimmung, d.h. auf dem Umstand, wie häufig ein zufällig aus der Population herausgegriffenes Individuum
dieselben Merkmalsausprägungen zeigt (Knußmann, a.a.O., S.177). Kommt der Gutachter beispielsweise zu einer
Wahrscheinlichkeit von 99 %, so setzt dies eine Anfangswahrscheinlichkeit von 50 % voraus (vgl. BGH St 38, 320).
Dieser Rückschluss ist jedoch dann nicht zulässig, wenn – z.B. durch Ausstrahlung der Vergleichsbilder im
Fernsehen („Aktenzeichen XY“ oder vergleichbare Sendungen) oder durch sonstige Publikationen – von vornherein
eine Vorauswahl (Vorselektion, aprioriWahrscheinlichkeit für Merkmalsübereinstimmung) von besonders ähnlich
aussehenden Personen aus der Gesamtbevölkerung getroffen wird. Damit ist das Zufallsprinzip außer Kraft gesetzt.
Im Prinzip ist dann nicht mehr Ähnlichkeit, sondern nur noch Unähnlichkeit beurteilbar (Standards, a.a.O.). Z.T. wird
in solchen Fällen vertreten, dass der Grad der Übereinstimmung und die Seltenheit der betreffenden
Merkmalsausprägungen noch wesentlich höher sein müsse als ohne Vorauswahl (Standards, a.a.O.), z.T. wird
vertreten, dass eine sinnvolle Wahrscheinlichkeitsberechnung für Identität in diesen Fällen nicht mehr möglich sei,
weil für die Berechnung einer Wahrscheinlichkeitszahl die erforderliche Grundlage fehle (Knußmann, a.a.O.. Seite
177). Ob in einem zu beurteilenden Fall bereits eine Vorauswahl (mit einer aprioriWahrscheinlichkeit) getroffen
worden ist und damit die allgemeinen Wahrscheinlichkeitsregeln nicht mehr anwendbar sind, hat das Gericht selbst
zu erkennen und zu berücksichtigen (BGH St 38, 220).
Dass im vorliegenden Fall eine solche „Vorauswahl“ aus einem Publikum von potentiell vielen Millionen Menschen
erfolgte, die die Fernsehsendung „MDR Kripo Live“ oder die entsprechenden Bilder im Internet gesehen haben, hat
bei der Bewertung des Gutachtens keine Berücksichtigung gefunden. Wie oben ausgeführt wurde, ist durch eine
derartige „Vorauswahl“ die Aussagekraft eines anthropologischen Gutachtens – selbst wenn es im Übrigen allen
Anforderungen entsprechen würde – zumindest stark relativiert, wenn nicht sogar hinsichtlich der
Wahrscheinlichkeitsberechnung aufgehoben (wenn es nicht auf einen Identitätsausschluss ausgerichtet ist). Hätten
beispielsweise nur 100.000 Personen die Sendung oder die Internetseiten gesehen und jeweils 10 Personen in ihrem
Bekanntenkreis mit den Fotos der Überwachungskamera verglichen, so wären 1.000.000 Personen „erreicht“ worden.
Selbst bei einer Wahrscheinlichkeitsberechnung von 99,9 % würde die genannte „Vorauswahl“ dazu führen, dass es
im so erreichten Bevölkerungskreis 1.000 Personen geben würde, die dieselben vom Sachverständigen
festgestellten Merkmalsausprägungen haben. Es liegt auf der Hand, dass allein aufgrund eines solchen
anthropologischen Vergleichsgutachtens – ohne weitere Beweismittel - eine Täteridentifizierung nicht möglich ist
(vgl. BGHSt 38, 320 sowie oben unter Ziffer 3.).
5. Im Übrigen gibt die Einschätzung der Strafkammer, der Sachverständige Dr. X sei „sehr kompetent“ und seine
Gutachten seien „seit Jahren bei Gerichten – auch im Bereich des Oberlandesgerichts Braunschweig – akzeptiert“,
sowie die Einschätzung des Amtsgerichts Seesen, seine Gutachten seien auch vom Oberlandesgericht
Braunschweig „in einer Vielzahl von Fällen unbeanstandet geblieben“, dem Senat Anlass zu dem Hinweis, dass ein
Urteil eines Amtsgerichts in einer Bußgeldsache, dessen Grundlage ebenfalls ein anthropologisches
Vergleichsgutachten des Sachverständigen Dr. X war, aufgehoben werden musste (Senat StV 2000, 546, wo zwei
Fälle – AG Wiesbaden in DAR 1996, 157 und AG HamburgAltona in DAR 1996, 368 – zitiert worden sind. im einen
hat ein anthropologischer Sachverständiger Dr. X aufgrund von 16 übereinstimmenden Merkmalen eine hohe
Wahrscheinlichkeit der Identität zwischen dem Fahrer und dem Betroffenen festgestellt und nach späterer
Präsentation eines ebenfalls als Fahrer in Betracht kommenden Zeugen hinsichtlich dieses Zeugen ebenfalls eine
Übereinstimmung mit den Merkmalen des auf dem Radarfoto abgebildeten Fahrers festgestellt, sodass er nicht mehr
sagen konnte, welcher von Beiden der Fahrer war. im anderem Fall musste ein durch einen anthropologischen
Sachverständigen Dr. X. identifizierter Betroffener in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen werden).
Die Strafkammer hätte auch gerade im Hinblick auf die Hinweise im Internet, die es zu dem Sachverständigen Dr. X
gibt, dessen Gutachten besonders kritisch würdigen müssen (vgl. …., wo der … mehrere Gerichtsurteile hinweist,
die aufgrund einer Täteridentifikation durch Vergleichsgutachten des Sachverständigen Dr. X ergangen waren und
sich später als falsch erwiesen haben).
Eine Orientierung für die Auswahl geeigneter Gutachter kann die aus verschiedenen Wissenschaftlern bestehende
„Arbeitsgruppe für die anthropologische Identifikation lebender Personen aufgrund von Bilddokumenten“ bieten, die
im Auftrag der Gesellschaft für Anthropologie e.V. die oben zitierten Standards (NStZ 1999, 230) herausgegeben hat.
Diese „Standards“ zeigen auch (neben den anderen in dieser Entscheidung zitierten Publikationen) unabdingbare
Kriterien für die Erstellung anthropologischer Vergleichsgutachten auf, die für die kritische Würdigung eines
entsprechenden Gutachtens herangezogen werden können. Hervorzuheben ist die Empfehlung aus diesen
„Standards“ – gerade im Hinblick auf den vorliegenden Fall , dass sich der Gutachter der Grenzen der
Identifikationsmethodik und seiner Kompetenzen stets bewusst sein muss und dies auch explizit formulieren soll
und dass er seine Schlüsse „vorsichtig“ ziehen muss.
III.
Aufgrund der genannten Rechtsfehler ist das Urteil mit den Feststellungen gem. § 353 StPO aufzuheben und ist die
Sache gem. § 354 Abs.2 StPO an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision ist dem Landgericht vorzubehalten, da derzeit der endgültige Erfolg
des Rechtsmittels nicht beurteilt werden kann.