Urteil des OLG Braunschweig vom 02.03.2007

OLG Braunschweig: ärztliche behandlung, klinik, prothese, empfehlung, anzeichen, aufnehmen, operation, lebensgefahr, intervention, verfügung

Gericht:
OLG Braunschweig, 01. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteils, 1 U 1/05
Datum:
02.03.2007
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 823 ABS 1
Leitsatz:
Es besteht für ein Krankenhaus kein "Kontrahierungszwang", einen Patienten stationär aufzunehmen,
bei dem Beschwerden aufgrund einer Penisprothese vorliegen, die keine Notfalllage darstellen und die
lediglich den Austausch oder die Entfernung der Prothese in absehbarer Zeit erfordern.
Volltext:
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden wegen angeblich
fehlerhaft unterbliebener ärztlicher Behandlung seiner körperlichen Beschwerden, die er am 22. März 2001 infolge
Entzündung einer 1995 in der Universitätsklinik K. implementierten Penisprothese erlitt.
Wegen des Sach und Streitstands erster Instanz sowie der darin gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des
Urteils des Landgerichts (Bl. 185 – 187 d. A.) Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung
ärztlicher Zeugen mit der Begründung abgewiesen, die Ärzte hätten die weitergehende Behandlung des Klägers nicht
pflichtwidrig unterlassen. Da keine Notfallsituation vorgelegen habe, sei ihre Empfehlung, der Kläger solle sich die
ihm Beschwerden verursachende Penisprothese zeitnah in einer anderen Klinik herausnehmen lassen, nicht zu
beanstanden.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger form und fristgerecht Berufung eingelegt und begründet. Er rügt die
Tatsachenfeststellung des Landgerichts als unzureichend. Das Landgericht habe die Schmerzintensität nicht
zutreffend gewürdigt. Es habe dafür benannte Zeugen nicht vernommen. Außerdem habe es den Hausarzt Dr. G.
nicht vernommen, der zwar zu der behaupteten Notfalllage vom 22.03.2001 nichts sagen könne, den Kläger aber
letztmalig am 14.03.2001 behandelt habe. Schließlich habe das Landgericht übersehen, dass grundsätzlich jedes
defekte Prothesenimplantat zu sofortigem Handeln zwinge und nicht erst Lebensgefahr oder der drohende Verlust
eines Körperteils einen Notfall begründe. Den hierfür angebotenen Sachverständigenbeweis habe das Landgericht
übergangen.
Der Kläger verfolgt sein erstinstanzliches Klageziel weiter und beantragt,
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils
1.
die Beklagte zu verurteilen, ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen [Vorstellung
des Klägers: 5.000,00 € für unnötige Schmerzen, weitere 70.000,00 € für Potenzverlust],
2.
festzustellen, dass die Beklagte für sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden des Klägers, die
Gegenstand des Verfahrens sind, eintrittspflichtig ist, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger und
sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen E. und Frau M., Einholung schriftlicher
Zeugenaussagen von Prof. Dr. H. sowie Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens gem.
Beweisbeschluss vom 06.03.2006 (Bl. 321ff. d.A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das
Sitzungsprotokoll vom 24.11.2005 (Bl. 293294R d.A.), die schriftlichen Aussagen des Zeugen Prof. Dr. Ha. vom
25.01.2006 (Bl. 314 d.A.) und vom 20.02.2006 (Bl. 318f. d.A.) und auf das schriftliche Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. H. vom 04.12.2006 (Bl. 332346 d.A.) Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Auch nach dem Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme steht dem Kläger ein Anspruch gegen die Beklagte
nicht zu.
Die Ärzte der Beklagten waren zur Einhaltung der ärztlichen Sorgfaltspflichten und Behandlungsregeln nicht
verpflichtet, den Kläger am 22.03.2001 in der Klinik der Beklagten aufzunehmen und die Penisprothese dort zu
entfernen.
1.
Es gibt - unstreitig - keinen Anhaltspunkt dafür, dass Lebensgefahr bestand oder der Verlust eines Körperteils bei
Nichtaufnahme am 22.03.2001 drohte.
2.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. hätten Anzeichen einer Sepsis (Blutvergiftung) oder eine
Perforation der Prothese durch die Harnröhre oder Penishaut eine Notfalllage dargestellt, die zur sofortigen
Aufnahme und unverzüglichen Entfernung der Prothese gezwungen hätte (GA S. 3, 13 = Bl. 334, 344 d.A.).
Anzeichen für eine Sepsis gab es nicht. Eine derart schwere Infektion wäre nach den Ausführungen des
Sachverständigen Prof. Dr. H. neben Vorliegen erheblicher Schmerzen bei einer stärkeren Schwellung und Rötung
sowie zusätzlich bei Vorliegen von Fieber anzunehmen gewesen (vgl. GA S. 13 = Bl. 344 d.A.). Dass diese
Anzeichen beim Kläger am 22.03.2001 vorgelegen haben, ist weder den Krankenunterlagen noch den Aussagen der
erst und zweitinstanzlich vernommenen Zeugen zu entnehmen. Nach der Aussage des Zeugen M.H. bestand am
22.03.2001 kein Fieber und war bei gleichbleibender Schwellung die Rötung sogar rückläufig (Bl. 176 d.A.). Die
Zeugin M. hat ebenfalls zum 21.03.2001 gegenüber dem 14.03.2001 eine rückläufige Rötung und Schwellung
bekundet, deren Ausmaß sie nicht weiter konkretisieren konnte. Eine Fiebermessung hat die Zeugin M. am
21.03.2001 nicht vorgenommen. am 22.03.2001 hat die Zeugin den Kläger nicht gesehen. Der den Kläger am
22.03.2001 in der Klinik der Beklagten behandelnde Zeuge Dr. S. hat vor dem Landgericht ausgesagt, der Kläger
habe ihm gegenüber angegeben, seine Beschwerden seien unter Antibiotika und Schmerzmitteleinnahme
zurückgegangen. auch nach dem von ihm - dem Zeugen Dr. S. - erhobenen Befund habe kein Notfall vorgelegen (Bl.
158f. d.A.). Dass am 22.03.2001 eine Perforation im o. g. Sinne vorgelegen hat, lässt sich weder den
sachverständig ausgewerteten Krankenunterlagen noch den Aussagen der vernommenen Zeugen entnehmen, so
dass der Kläger auch insoweit beweisfällig geblieben ist.
Der Umstand, dass sich aus dem Bericht der K. Urologischen Universitätsklinik über die dortige Operation vom
06.04.2001 ergibt, dass die Entfernung der Pensiprothese wegen beginnender Penishautrötung „notfallmäßig“ habe
durchgeführt werden müssen (Bl. 251 d.A.), ist unerheblich. Für die Haftung der Beklagten kommt es auf die
Indikationslage am 22.03.2001 an. Rückschlüsse vom Zustand am 06.04.2001 lassen sich insoweit nicht ziehen.
Der vom Kläger weiter als Zeuge benannte Hausarzt Dr. G. war aus dem entsprechenden Grund nicht zu vernehmen,
da dieser den Kläger am 22.03.2001 gar nicht und in der Zeit davor letztmalig am 14.03.2001 gesehen hat.
3.
Auch die Schmerzsymptomatik erforderte keine sofortige Aufnahme des Klägers in der Klinik der Beklagten zur
sofortigen Entfernung der Prothese.
a.)
Eine andere Beurteilung ist schon deshalb nicht vorzunehmen, weil hinreichende Anhaltspunkte zur Objektivierung
der Schmerzsymptomatik nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festzustellen sind.
Der Zeuge E. hat lediglich eine gebückte Schonhaltung des Klägers bekundet (Bl. 294R d.A.). Den übrigen
Aussagen ist ebenfalls nicht zu entnehmen, dass die Schmerzen am 22.03.2001 ein Ausmaß angenommen hätten,
dass - neben der Option der SchmerzmittelMedikation - eine sofortige Aufnahme und Operation erforderlich gewesen
wäre.
Aus den beigezogenen Krankenunterlagen der Uniklinik K. (Bl. 241278 d.A.) ergibt sich, dass sich der Kläger am
03.04.2001 in der Uniklinik K. ambulant bei Prof. Dr. Ha. vorgestellt hat. Dieser hat lokalen Schmerz, jedoch keine
Dislokation und keine akuten Entzündungszeichen diagnostiziert (Bl. 248 d.A.= Bl. 114 der K.er Krankenakte). Prof.
Dr. Ha. hat nach dem weiteren Inhalt des Berichts einen Prothesenwechsel und hierfür die stationäre Aufnahme
geraten, worauf der Kläger als Termin den 03. Mai 2001 vorgeschlagen habe, da ihm – dem Kläger – eine frühere
Aufnahme wegen übriger Verpflichtungen nicht möglich sei. Das spricht eher dafür, dass der Kläger jedenfalls bis
einschließlich zum 03.04.2001 nicht über eine notfallmäßige Situation mit nicht mehr aushaltbaren Schmerzen
geklagt hat. Soweit der Kläger ausgeführt hat, der dringenden Empfehlung von Prof. Dr. Ha., sich sofort stationär
aufnehmen zu lassen, habe er nicht nachkommen können, weil er seinen Hausschlüssel dabei gehabt habe, seine
Hunde aber zuhause unversorgt zurückgeblieben seien, macht das seine Weigerung, sich am 03.04.2001 in der K.er
Klinik aufnehmen zu lassen, nicht nachvollziehbar, wenn gleichzeitig stärkste Schmerzen schon vorgelegen haben
sollen. Der Kläger hätte in einem solchen Fall naheliegender Weise seinem Fahrer, dem Zeugen E. die
Hausschlüssel mitgeben und die Versorgung der Hunde telefonisch organisieren können. Soweit der Kläger meint, in
dem Gespräch mit Prof. Dr. Ha. vom 03.04.2001 sei es bezüglich des 03.05.2001 nicht um die Frage der sofortigen
Aufnahme sondern um den Zeitpunkt der Entfernung der Prothese gegangen, ist das durch die schriftliche Aussage
des Zeugen Prof. Dr. Ha. vom 20.02.2006 (Bl. 318 d.A.) widerlegt. Danach hat der Kläger noch am 03.04.2001 eine
Krankenhausaufnahme als solche - und nicht erst die Operation - vor dem 03.05.2001 abgelehnt. Dass der Kläger
dann doch am 04.04.2001 erneut in K. erschienen und dort am selben Tag "notfallmäßig" aufgenommen worden ist,
ändert daran nichts. Aus der etwaigen Verschlimmerung der Beschwerden vom 03.04.2001 bis zum 04.04.2001
lassen sich keine Rückschlüsse auf die Indikationslage am 22.03.2001 ziehen.
b.)
Darüber hinaus hat der Sachverständige Prof. Dr. H. in seinem Gutachten ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der
Vorstellung des Klägers bei der Beklagten am 22.03.2001 keine Notwendigkeit zur sofortigen operativen Intervention
bestanden habe. Die damalige Schmerzsymptomatik und die Vorgeschichte der bereits stattgehabten konservativen
Therapie der Protheseninfektion hätten (nur) Anlass gegeben, in absehbarer Zeit operativ zu intervenieren (GA S. 12
= Bl. 344 d.A.).
Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. an. An der
hinreichenden Sachkunde des Sachverständigen bestehen keine Zweifel.
Die - sicherlich erhebliche und ernst zu nehmende - Schmerzsymptomatik zwang die Ärzte der Beklagten am
22.03.2001 demnach nicht zur sofortigen Aufnahme und operativen Intervention, sondern zu der Empfehlung, eine
Prothesenentfernung in absehbarer Zeit vornehmen zu lassen, und darüber hinaus zu dem Hinweis an den Kläger,
dass dieser bei Auftreten von Fieber oder Zunahme der bestehenden Beschwerden sich umgehend wieder vorstellen
solle. Diese Empfehlungen und Hinweise sind laut der durch die Zeugenaussage des behandelnden Arztes Dr. S.
bestätigten ärztlichen Dokumentation dem Kläger erteilt worden.
4.
Der Kläger hat schließlich nicht seine Behauptung bewiesen, dass die Bauweise und ein Defekt der Prothese einen
Grund für deren sofortige Entfernung dargestellt hätten. Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen
Prof. Dr. H. waren diese Umstände kein Grund für eine sofortige Prothesenentfernung, weil diese noch keine
Notfallindikation (s. o. Ziff. 2 ) bedeuteten (GA S. 14 = Bl. 345 d.A.). Eine Aufnahme des Klägers auch ohne
Notfalllage wäre zwar medizinisch nicht zu beanstanden gewesen. das gestörte Vertrauensverhältnis zwischen Arzt
und Patient wäre aber keine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche ärztliche Behandlung gewesen (a.a.O.). Der
Senat schließt sich auch diesen plausiblen Ausführungen des Sachverständigen nach eigener kritischer Prüfung an.
Der Sachverständige brauchte zum Termin nicht geladen werden. Aus Sicht des Senats bestand und besteht kein
weiterer Klärungsbedarf. Die Parteien haben auch aus ihrer Sicht keinen Klärungs oder Erörterungsbedarf im Hinblick
auf das eingeholte und ihnen aufgrund der Verfügung vom 13.12.2006 am 15.12.2006 übersandte
Sachverständigengutachten angemeldet. Es ist deshalb keine richterliche Verfügung zur Ladung des
Sachverständigen ergangen. Dieser hat laut telefonischer Auskunft seines Sekretariats gegenüber dem
stellvertretenden Vorsitzenden vom 20.02.2007 auch keine Ladung erhalten. Im Termin hat sich durch
übereinstimmende Mitteilung beider Prozessbevollmächtigten herausgestellt, dass diese mit ihrer jeweils eigenen
Ladung gleichwohl die
unzutreffende und auf einem Gerichtskanzleiversehen beruhende - Nachricht erhalten haben, der Sachverständige
sei zum Termin geladen worden. Die ausdrückliche Frage, ob der Kläger die Ladung des Sachverständigen beantragt
hätte, wenn dessen Prozessbevollmächtigter nicht die vorgenannte unzutreffende Mitteilung erhalten hätte, und
ferner, ob die Ladung des Sachverständigen für einen möglichen weiteren Verhandlungstermin nunmehr beantragt
werden solle, haben der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter nach Unterbrechung und Wiedereintritt in die
mündliche Verhandlung verneint. Ein Folgetermin zur Anhörung des Sachverständigen war daher nicht
anzuberaumen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Ärzte der Beklagten den Kläger am 22.03.2001 zwar hätten aufnehmen
können, sie dazu aber nicht verpflichtet gewesen sind. Ein "Kontrahierungszwang" bestand unter keinem
Gesichtspunkt. Das medizinisch akut Erforderliche haben die Ärzte der Klinik der Beklagten getan, Weiterführendes
korrekt empfohlen. Ihnen ist daher kein Behandlungsfehler anzulasten.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.
Der Berufungsstreitwert war entsprechend dem geltend gemachten Interesse an der Abänderung der
erstinstanzlichen Entscheidung festzusetzen, §§ 3 ZPO, 47 GKG (5.000 € + 70.000 € für den
Schmerzensgeldantrag + 5.000 € für den Feststellungsantrag).
Ausgefertigt:
Braunschweig, 2. Mai 2007
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
des Oberlandesgerichts