Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: wirtschaftliches interesse, sittenwidrigkeit, kreditgeber, darlehen, nichtigkeit, leistungsfähigkeit, rate, kreditnehmer, kreditvertrag, mithaftung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 3.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 W 37/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 114 ZPO, § 138 BGB , § 488
BGB, § 767 Abs 1 ZPO, § 794
Abs 1 Nr 5 ZPO
Anwendung der Rechtsgrundsätze über die Sittenwidrigkeit
einer Angehörigenbürgschaft auf Gelegenheitsdarlehen privater
Darlehensgeber
Leitsatz
1. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Grundsätze der Sittenwidrigkeit einer
Angehörigenbürgschaft/Haftungsübernahme wegen krasser finanzieller Überforderung
höchstrichterlich beschränkt wären auf die Sicherung von Darlehensansprüchen gewerblicher
Kreditgeber.
2. Die Personalsicherung von Darlehensforderungen eines privaten Darlehensgebers
aufgrund eines erheblich belastenden Darlehensvertrages mit einem Gewerbetreibenden, der
über keine banküblichen Kreditmöglichkeiten mehr verfügt, durch dessen nahe Angehörigen
erscheint keineswegs atypisch.
3. Es spricht vieles dafür, die Grundsätze der Sittenwidrigkeit einer
Angehörigenbürgschaft/Haftungsübernahme wegen krasser finanzieller Überforderung auf
jeden entgeltlichen Kreditvertrag anzuwenden, unabhängig von der Rechtsform des
Kreditgebers (vgl. Gehrlein, BGHRe-port 2002, 161).
4. Zur Sittenwidrigkeit eines Gelegenheitsdarlehns eines privaten Kreditgebers.
Tenor
Die Antragstellerin erhält Prozesskostenhilfe für die I. Instanz.
Ihr wird Rechtsanwalt D… beigeordnet.
Sie hat monatliche Raten von … € an die Landeskasse zu zahlen (§ 115 Abs. 1 Satz
4 ZPO).
Gründe
I.
Die Antragstellerin erbittet Prozesskostenhilfe für eine Vollstreckungsabwehrklage, mit
der sie sich gegen die Vollstreckbarkeit einer notariellen Unterwerfungserklärung wendet.
Sie übernahm unter Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes
Vermögen gem. der Notarurkunde vom 12. Februar 1997 - UR-Nr.: … des Notars M. aus
V. gegenüber den Beklagten die Mithaftung für Rückerstattungsverpflichtungen ihres
damaligen Ehemannes aufgrund eines von ihm zur Fortführung seines Betriebes
benötigten Darlehens. Dieses gewährten die Beklagten ihrem früheren Ehemann, der zu
üblichen Bankbedingungen keinen Kredit mehr erhielt. Nach der oben bezeichneten
notariellen Schuldurkunde bekannten sich die Klägerin und ihr damaliger Ehemann
gegenüber dem Beklagten dazu, ihnen ein Darlehen über 321.000,00 DM zu schulden,
das in gleich leibenden Monatsraten von 4.863,64 DM abzuzahlen sei. Bleibt der
Schuldner mit einer fälligen Zahlungsverpflichtung mehr als 14 Tage in Rückstand, so ist
nach den beurkundeten Vereinbarungen ab Fälligkeitstag für jeden angefangenen
Kalendermonat eine zusätzliche Vergütung von 2 % des Kapitalbetrages zu zahlen, der
zu Anfang des Jahres geschuldet wurde, in dem der Rückstand entstanden ist. Nach der
weiter beurkundeten Vereinbarung ist den Gläubigern eine einmalige Entschädigung in
Höhe von 15 % des ursprünglichen Darlehensbetrages zu zahlen, wenn das Darlehen
vorzeitig gekündigt wird, etwa weil der Schuldner mit einer Zahlung ganz oder teilweise
länger als einen Monat in Rückstand bleibt oder sonstige Verpflichtungen nicht jederzeit
unverzüglich erfüllt (vgl. Bl. 8, 10 GA). Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, hat der
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unverzüglich erfüllt (vgl. Bl. 8, 10 GA). Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, hat der
Ehemann der Antragstellerin von den Beklagten lediglich 110.000,00 DM zur Verfügung
gestellt erhalten; der in der Urkunde genannte Betrag von 321.000,00 DM stellte den
insgesamt vom Kreditnehmer an die Kreditgeber zurückzuzahlenden Betrag dar,
einschließlich Zinsen und Tilgung (vgl. 3, 22 GA).
Die Klägerin hat unter Hinweis auf ihr damaliges Einkommen von lediglich 800,00 bis
900,00 DM monatlich aus eigener Berufstätigkeit und darauf, dass sie keinerlei
Einflussmöglichkeiten auf die Verwendung des ausschließlich für den Gewerbebetrieb
ihres damaligen Ehemannes bestimmten Geldes gehabt habe, wegen krasser
finanzieller Überforderung die Unwirksamkeit ihrer Mithaftungsunterzeichnung geltend
gemacht, auf der die Beklagten bestanden und die ihr früherer Ehemann von ihr verlangt
hätten.
Das Landgericht hat das Prozesskostenhilfegesuch der Antragstellerin zurückgewiesen,
da die Überforderungsrechtsprechung nur bei gewerblichen Kreditgebern eingreife. Im
Übrigen lasse sich dem notariellen Vertrag nicht entnehmen, in welcher Form der Betrag
von 321.000,00 DM an ihren damaligen Ehemann geflossen sei, da ihr Vortrag insoweit
auch zu ungenau sei.
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hin hat das Landgericht die Sache mit
Nichtabhilfebeschluss dem Senat vorgelegt.
II.
Die nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache
Erfolg.
Die beabsichtigte Klage hat hinreichende Erfolgsaussichten (§ 114 ZPO). Das
Klägervorbringen ist schlüssig für vollstreckungshindernde Einwendungen, §§ 767 Abs. 1,
794 Abs. 1 Nr. 5, 795 ZPO.
1. Die Voraussetzungen der Nichtigkeit der Mithaftungserklärung der Antragstellerin, die
an der Kreditgewährung an ihren früheren Ehemann allein zu dessen gewerblichen
Zwecken kein eigenes wirtschaftliches Interesse hatte, auch nicht über die Valuta
verfügen konnte und dessen ungeachtet von den Kreditgebern als Ehefrau des
existentiell auf den Kredit angewiesenen Darlehensnehmers nachhaltig zu einer
Mithaftungsübernahme gedrängt worden ist, obwohl die eingegangene Verpflichtung ihre
eigene Leistungsfähigkeit bei Weitem überschreiten würden, liegen vor. Es lässt sich, wie
das Landgericht übersehen hat, keineswegs feststellen, dass die Grundsätze der
Sittenwidrigkeit einer Angehörigenbürgschaft/Haftungsübernahme wegen krasser
finanzieller Überforderung höchstrichterlich beschränkt wären auf die Sicherung von
Darlehensansprüchen gewerblicher Kreditgeber.
Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschlüsse vom 19.10.1993 -
1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89 = BVerfGE 89, 214) muss die Zivilrechtsordnung reagieren
und Korrekturen ermöglichen bei typisierbaren Fallgestaltungen, die eine strukturelle
Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lassen und bei denen die Folgen des
Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend sind. Die
Personalsicherung von Darlehensforderungen eines privaten Darlehensgebers aufgrund
eines erheblich belastenden Darlehensvertrages mit einem Gewerbetreibenden, der
über keine banküblichen Kreditmöglichkeiten mehr verfügt, durch dessen nahe
Angehörigen erscheint keineswegs atypisch.
Auch der BGH bejaht die Vergleichbarkeit der wirtschaftlichen Machtstellung eines
Kreditgebers mit der eines Kreditinstitutes durchaus, wenn der Darlehensgeber dem
Darlehensnehmer in dessen auswegloser wirtschaftlichen Lage unter nicht
verhandelbaren Bedingungen einer unbeschränkten Mithaftung der Familienmitglieder
ein auf dem freien Kapitalmarkt nicht mehr zu erhaltendes Darlehen zur Erfüllung seiner
gewerblichen Verpflichtungen anbietet (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2001 - XI ZR 82/01 = NJW
2002, 746). Dass derartige Konstellationen bei Verbraucherkreditverträgen typisch sein
können, lässt keinen Schluss dahin zu, dass sie in anderen Konstellationen atypisch
wären (vgl. ähnlich Medicus, EWiR 2002, 793). Vielmehr spricht vieles dafür, die
angesprochenen Grundsätze auf jeden entgeltlichen Kreditvertrag anzuwenden,
unabhängig von der Rechtsform des Kreditgebers (vgl. Gehrlein, BGHReport 2002, 161).
Mit Urteil vom 29.09.2004 (XII ZR 22/02 = GuT 2005, 6) hat der BGH auch im Rahmen
eines gewerblichen Miet- oder Pachtvertrages die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf
Bürgschafts- und Mithaftungsverträge zwischen dem (privaten) Vermieter oder
Verpächter einerseits und einem privaten Sicherungsgeber andererseits regelmäßig
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Verpächter einerseits und einem privaten Sicherungsgeber andererseits regelmäßig
entscheidend vom Grad des Missverhältnisses zwischen dem Verpflichtungsumfang und
der finanziellen Leistungsfähigkeit des Bürgen oder Mitverpflichteten abhängig gemacht.
Dem ist das OLG Nürnberg gefolgt (Grundeigentum 2005, 613).
Bei dieser Sachlage stellt sich die Einschätzung des Landgerichts, die höchstrichterlich
erarbeitete Überforderungsrechtsprechung beschränke sich auf Sicherungen
gewerblicher Kreditgeber als unzutreffend dar und überdies als eine im
Prozesskostenhilfeverfahren unzulässige Vorwegentscheidung einer zumindest
zweifelhaften Rechtsfrage (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 114 Rn. 21).
2. Zudem lässt sich die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage unter Geltung der im
Prozesskostenhilfeverfahren maßgeblichen Grundsätze einer kursorischen Prüfung auch
deswegen nicht verneinen, weil hier greifbare Anhaltspunkte für ein sittenwidriges
Gelegenheitsdarlehen vorliegen. Soweit die Grundsätze über Sittenwidrigkeit von
Darlehensverträgen gewerblicher Kreditgeber unabwendbar sind, worauf das Landgericht
in seinem Hinweisbeschluss zunächst abgestellt hatte, führt dies noch nicht ohne
Weiteres zum Fehlen einer von Amts wegen zu beachtenden Nichtigkeit (vgl.
Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., § 138 Rn. 21). Auch Gelegenheitsdarlehen privater
Kreditgeber können sittenwidrig sein, mag auch die Feststellung eines auffälligen
Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung beim Gelegenheitsdarlehen
eines nicht gewerbsmäßig handelnden Darlehensgebers größere Schwierigkeiten
bereiten (vgl. dazu etwa BGH, Urt. v. 19.06.1990 - XI ZR 280/89 = NJW-RR 1990, 1199;
BGH, Urt. v. 01.02.1994 - XI ZR 105/93 = NJW 1994, 1056).
Das Landgericht hat das Parteivorbringen hierzu unzureichend ausgeschöpft und
überdies rechtsfehlerhaft beurteilt. Der Ehemann der Klägerin hat von den Beklagten
lediglich 110.000,00 DM erhalten. Der in der Notarurkunde ausgewiesene Betrag von
321.000,00 DM ist die Summe aller vom Darlehensnehmer zu leistenden 66
Monatsraten. Diesen Vortrag hat das Landgericht im Kern verkannt. Er ist entgegen der
Auffassung des Landgerichts nicht unklar, das in seinem Hinweis vom 12.10.2005
insoweit auch keinerlei Unklarheit beanstandet hatte; er ist vielmehr klar, eindeutig und
unstreitig, da die Beklagten ihn in ihrem Schriftsatz vom 21.11.2005 ausdrücklich als
zutreffend eingeräumt haben (vgl. 22 GA).
Verbliebe dem Darlehensnehmer das Kapital von 110.000,00 DM für 5 ½ Jahre
tilgungsfrei und müsste er es erst endfällig mit 321.000,00 DM tilgen, entspräche dies
einem Jahreszins von etwa 21,5 %. Da der Darlehensnehmer indessen ratierlich
monatlich zu tilgen hatte, dürfte der Jahreszins überschlägig bei etwa 50 % liegen. Hinzu
tritt die vorzeitige Fälligkeit der Gesamtsumme im Falle eines Zahlungsrückstandes
nach § 3 der weiteren Darlehensbedingungen (vgl. Bl. 10 d. GA). Gerät der Schuldner
etwa mit der ersten Rate ganz oder teilweise länger als einen Monat in Rückstand, so
werden 321.000,00 DM sofort fällig. Dieser Gesamtbetrag verzinst sodann mit monatlich
2 %, was einer endfälligen Jahresverzinsung von etwa 26,8 % entspricht, allerdings nicht
bezogen auf die hingereichte Valuta von 110.000,00 DM, sondern auf die Summe aller
bei ordnungsgemäße Bedienung anfallender Zinsen und Raten.
Die Auffassung des Landgerichts, wonach entgegen der ausdrücklichen Fassung des
beurkundeten Vertrages (vgl. Bl. 8 GA) die Regelung in Ziff. III dahingehend auszulegen
sei, dass der angegebene Zinsbetrag - wie es der Verkehrssitte entspräche - für ein Jahr
gelte, die Verzinsungsperiode mithin nicht monatlich, sondern jährlich zu verstehen sei,
verstößt gegen allgemein anerkannte Auslegungsgrundsätze. Die notariell beurkundete
Erklärung der Parteien ist eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich. Davon
abgesehen hat auch keine der Parteien ein vom Landgericht unterstelltes
Vertragsverständnis für sich beansprucht.
Ferner tritt als ein weiterer besonders drückender Umstand die kündigungsabhängige
“Vorfälligkeitsentschädigung” in Höhe von 15 % aus 321.000,00 DM (= 48.150,00 DM)
hinzu. Der Kreditnehmer hätte also im ungünstigsten Fall (Rückstand mit der ersten Rate
oder einem ersten Ratenteil mehr als ein Monat) nach einer Entgegennahme von
110.000,00 DM an die Beklagten sofort 369.150,00 DM zu leisten, mithin deutlich mehr
als das Dreifache des empfangenen Betrages für einen Verbleib von weit weniger als drei
Monaten, wobei der gesamte Rückzahlungsbetrag noch dazu mit 26,8 % jährlich zu
verzinsen wäre, wie bereits erörtert.
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