Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: vergütung, strafverfahren, einzelrichter, aufwand, vertreter, sammlung, quelle, beistandsleistung, gleichstellung, link

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ws 23/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Teil 4
Vorbem 4 Abs 1 RVG, § 2 Abs 2
S 1 Anl 1 Nr 4112 RVG, § 2 Abs 2
S 1 Anl 1 Nr 4114 RVG, § 2 Abs 2
S 1 Anl 1 Nr 4301 Nr 4 RVG, §
68b StPO
Gebühr des Rechtsanwalts: Vergütung der Tätigkeit als
Zeugenbeistand
Tenor
Die Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer
(große Jugendkammer) des Landgerichts Potsdam vom 4. Oktober 2006 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der in einem vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Potsdam geführten
Parallelverfahren angeklagte Zeuge ……….wurde in hiesiger Sache am 15. Februar 2006
von der Jugendstrafkammer des Landgerichts zeugenschaftlich vernommen. Beiden
Verfahren zugrunde lag ein – zunächst zum Teil als versuchter Mord gewerteter - Vorfall
vom 3. Juli 2005, als die rechtsextremistisch eingestellten Angeklagten in Potsdam zwei
politisch Andersdenkende nach Verlassen einer Straßenbahn verfolgt und mit Fäusten
geschlagen, mit beschuhten Füßen getreten sowie ihnen teilgefüllte Bierflaschen auf den
Kopf geschlagen haben sollen. Dem Zeugen wurde mit Gerichtsbeschluss vom 15.
Februar 2006 "für die Dauer seiner Vernehmung" sein Verteidiger, Rechtsanwalt………
aus Potsdam, gemäß § 68 b StPO zum Beistand bestellt. Die Vernehmung des Zeugen
dauerte ca. zwei Stunden, in denen er zur Sache aussagte, wodurch er maßgeblich zur
Verurteilung der Angeklagten beitrug, und in denen er von den fünf Verteidigern der vor
der Kammer angeklagten Heranwachsenden intensiv befragt wurde,
Der Zeugenbeistand hat beantragt, die ihm aus der Staatskasse zu erstattenden
Auslagen auf der Basis der einem Verteidiger im erstinstanzlichen Strafverfahren vor
dem Landgericht zustehenden Gebühren in Höhe von 695,16 Euro festzusetzen. Die
Rechtspflegerin hat die Gebühren nach Anhörung des Bezirksrevisors bei dem
Landgericht entsprechend festgesetzt. Auf die Erinnerung des Vertreters der
Landeskasse hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam in der Besetzung
mit drei Berufsrichtern die erstattungsfähigen Gebühren auf 417,60 Euro ermäßigt und
dabei u.a. eine Verfahrens- und eine Terminsgebühr für Verteidiger
(Vergütungsverzeichnis - VV - zum RVG Nr. 4112, 4114) angesetzt.
Hiergegen wendet sich der Vertreter der Landeskasse mit seiner von der Kammer mit
Berichtigungsbeschluss vom 14. November 2006 zugelassenen Beschwerde, die eine
Kostenerstattung auf der Grundlage ausgeübter Einzeltätigkeit (VV zum RVG Nr. 4301
Nr. 4: 168,- Euro) zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer, insgesamt in Höhe
von lediglich 218,08 Euro, erstrebt.
II.
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
a) Das Rechtsmittel ist nach seiner Zulassung gemäß § 55 Abs. 2 S. 1 i.V.m. §§ 33 Abs.
3 S. 2 RVG statthaft.
b) Zur Entscheidung über die Beschwerde ist gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8
S. 1 2. Halbsatz RVG der Senat in voller Besetzung mit drei Berufsrichtern berufen, da
die Strafkammer die angegriffene Entscheidung in entsprechender Besetzung gefasst
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die Strafkammer die angegriffene Entscheidung in entsprechender Besetzung gefasst
hat. Zwar hat das Landgericht in diesem Zusammenhang verkannt, dass § 56 Abs. 2 S.
1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 1 RVG eine für
Entscheidungen über Erinnerungen in Kostenfestsetzungssachen geschaffen hat, ohne
dabei zwischen Strafsachen und übrigen Angelegenheiten der ordentlichen
Gerichtsbarkeit zu differenzieren; ihr war es deshalb keineswegs verwehrt, durch den
Einzelrichter zu entscheiden, zumal eine Besetzung der Kammern des Landgerichts in
unterschiedlicher Stärke dem Strafverfahren nicht schlechthin fremd ist.
Tragende verfassungsrechtliche oder strafprozessuale Grundsätze stehen einer
Entscheidung des Landgerichts durch eines seiner Mitglieder als originärem Einzelrichter
nach § 33 Abs. 8 S. 1 RVG nicht entgegen. Insbesondere gilt kein strafprozessualer
Grundsatz des Inhalts, dass die in Rechtsmittelverfahren sachlich zuständigen Gerichte
stets mit drei (Berufs-) Richtern besetzt sind. So lässt § 76 Abs. 2 GVG eine aus zwei
Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen bestehende Besetzung der
großen Strafkammern beim Landgericht zu; gemäß § 76 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz sind die
Strafkammern in Verfahren über Berufungen gegen Urteile des Strafrichters oder des
Schöffengerichts (bei dem Amtsgericht) im Übrigen
und zwei Schöffen besetzt (kleine Strafkammer). Für die Besetzung der
Strafsenate bei den Oberlandesgerichten lässt § 122 Abs. 1 GVG seinerseits
Durchbrechungen der Regelbesetzung mit drei Berufsrichtern zu; dort ist nämlich
ausdrücklich bestimmt, dass die Senate nur dann durch drei Richter einschließlich des
Vorsitzenden entscheiden, wenn nicht nach den Vorschriften der Prozessgesetze
anstelle des Senats der Einzelrichter zu entscheiden hat. "Prozessgesetz" in diesem
Sinne ist etwa auch § 80 a OWiG in Bußgeldsachen.
Dem Einzelrichter die Entscheidungskompetenz über Beschwerden gegen
Kostenfestsetzungsbeschlüsse der Rechtspfleger bei den Landgerichten in Strafsachen
zu übertragen, ist auch mit anderen, allgemeinen, Grundsätzen des Strafverfahrens
vereinbar. Die straf-prozessualen Grundsätze haben ihre besondere Ausformung vor
allem vor dem Hintergrund erhalten, dass die Strafprozessordnung Zwangsmaßnahmen
vorsieht, die zwangsläufig mit Eingriffen in Freiheitsrechte der Bürger verbunden sind.
Derartige Gesichtspunkte haben indes im Kostenfestsetzungsverfahren, bei dem es
lediglich um die Abwicklung der kostenrechtlichen Folgen eines rechtskräftig
abgeschlossenen Strafprozesses geht, keine maßgebende Bedeutung mehr (zutreffend
OLG Düsseldorf NStZ 2003, 324; Senatsbeschluss vom 21. Juli 2003 - 1 Ws 66/03 -).
Die Entscheidung der Strafkammer, den angefochtenen Beschluss in voller
geschäftsplanmäßiger Besetzung zu treffen, erweist sich indes im Ergebnis als tragfähig.
Die im vorliegenden Verfahren aufgeworfene Rechtsfrage nach Art und Umfang der
Vergütung von Zeugenbeiständen hat nämlich grundsätzliche Bedeutung, weshalb es
sachgerecht gewesen wäre, die Sache nach § 33 Abs. 8 S. 2 RVG auf die Strafkammer
zu übertragen (§ 33 Abs. 8 S. 2 RVG).
2. Die Beschwerde ist unbegründet. Zutreffend hat das Landgericht die Festsetzung der
erstattungsfähigen Gebühren des Zeugenbeistandes auf der Grundlage des § 48 RVG
i.V.m. Nr. 4112, 4114 VV vorgenommen. Soweit der Vertreter der Landeskasse eine
Festsetzung auf der Grundlage der Nr. 4300 Ziff. 4 VV vorgenommen wissen will, gehen
seine Einwände ins Leere.
Gemäß Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV sind die Vorschriften des 4. Teils des VV für die
Tätigkeit des Rechtsanwaltes als Beistand des Zeugen entsprechend anzuwenden.
Welche Gebühren dieses Abschnitts entstanden sind, richtet sich danach, womit konkret
der Rechtsanwalt vom Gericht beauftragt wurde und welche Tätigkeit er erbracht hat
(OLG Oldenburg JurBüro 2006, 197). Dass seine Beiordnung entsprechend der in § 68 b
StPO enthaltenen Formulierung (lediglich) "für die Dauer der Vernehmung" des Zeugen
erfolgt ist, rechtfertigt allein noch nicht den Schluss, es handele sich um eine
Einzeltätigkeit im Sinne der Vergütungsvorschriften des RVG. Die in Vorbemerkung 4
Abs. 1 VV enthaltene Regelung ist demzufolge weder in der Weise zu verstehen, dass
der Zeugenbeistand stets die volle Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr
zu beanspruchen hätte, noch insoweit, dass er stets auf die Abrechnung nach den Nr.
4301 Ziff. 4 VV zum RVG beschränkt sei (KG RVGreport 2006, 107).
Ersteres führte nämlich häufig zu einem extremen Missverhältnis von Leistung und
Vergütung und einer nicht gerechtfertigten Gleichstellung mit der Vergütung des
Verteidigers, der die volle Strafverteidigung führt (OLG Oldenburg aaO), letzteres würde
umgekehrt den einzelfallabhängigen, zum Teil sehr umfangreichen,
Vorbereitungsaufwand des (häufig gerade auch vorterminlich bestellten)
Zeugenbeistandes nicht mehr angemessen honorieren, zumal der Gesetzgeber bei
Schaffung des RVG gerade beabsichtigt hatte, die Stellung des Opfers im Strafverfahren
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Schaffung des RVG gerade beabsichtigt hatte, die Stellung des Opfers im Strafverfahren
zu stärken (BT-Drs. 15/1971, S. 220). Der Wortlaut der Vorbemerkung 4 Abs. 1 des VV
läßt eine (erweiternde) Auslegung im Sinne unterschiedsloser Vergütung des
Zeugenbeistandes nach den Vergütungstatbeständen der Nr. 4100 ff VV nicht zu (so
aber KG RVGreport 2005, 341; Burhoff RVGreport 2006, 81), weil er auf
Vergütungsregelungen des 4. Abschnitts, also gerade auch auf diejenige für
Einzeltätigkeiten (Nr. 4300 ff VV) Bezug nimmt.
Umgekehrt muss sich nicht jede Bestellung eines Zeugenbeistandes ("für die Dauer der
Vernehmung") als Einzeltätigkeit darstellen, da die gesetzliche Regelung des RVG ein
derartiges Normenverständnis ebenfalls nicht gebietet und anderenfalls gerade mit der
Neuregelung der Vergütungsvorschriften beabsichtigte einzelfallbezogene
Entscheidungen (BT-Drs. aaO S. 146: "Leistungsorientiertere Vergütungsregelungen", S.
220 : "Spielraum … , dem konkreten Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts Rechnung zu
tragen") ausgeschlossen werden würden, ferner Nr. 4300 ff VV nur subsidiär anzuwenden
sind (vgl. Vorbemerkung 4.3 Abs. 1 VV; a.A. KG 1. Strafsenat, Beschluss vom 18. Januar
2007 - 1 Ws 2/07 - : Ausgleich atypisch umfangreichen Aufwands durch Pauschgebühr
nach § 51 RVG).
Dies zugrundegelegt, steht dem Beistand des Zeugen ….eine kostenmäßige Vergütung
nach Nr. 4112, 4114 VV zu. Der Umfang seiner Arbeitsleistung geht fallbezogen über
eine bloße Einzeltätigkeit (Nr. 4300 ff VV) hinaus, weil er einerseits zwar bereits vor
seiner Beiordnung in dem u.a. gegen diesen geführten Parallelverfahren als Verteidiger
umfangreich tätig geworden war, sich daraus aber gerade eine rechtlich komplizierte
Verfahrenslage ergab, die umfängliche Vorüberlegungen über den Umfang der rechtlich
gebotenen Aussagetätigkeit des Zeugen nötig machte.
Die (124,- Euro) deckt den gesamten Aufwand des Beistands in dem
seine Tätigkeit betreffenden Verfahrensabschnitt, hier der Vernehmung des Zeugen ….,
ab. Erfasst wird sein Gesamtaufwand bei der Terminsvorbereitung, vor allem das
Absprechen des konkreten Aussageverhaltens. Sie ist im Hinblick auf den über die bloße
Beistandsleistung im Gerichtstermin vom 15. Februar 2006 hinausgehenden, bereits
skizzierten und auch ohne weitergehenden Vortrag erkennbaren, Aufwand des
Beschwerdeführers fallbezogen angemessen.
Die (216,- Euro) steht dem Zeugenbeistand schon deshalb zu, weil er
gerade für die Dauer der Vernehmung bestellt worden ist. Sie
wird entsprechend der Formulierung des Gesetzes (je Hauptverhandlungstag)
gewährt.
Wegen der bereits erfolgten Einarbeitung in das gegen den Zeugen geführte
Strafverfahren gleichen Inhalts und der deshalb nicht mehr notwendigen Vorbereitung
hiesiger Strafsachekann der Beistand demgegenüber die nach Nr. 4100
VV nicht beanspruchen, die gerade den entsprechenden Aufwand abdecken will (vgl. KG
RVGreport 2006, 107).
Am Ende hat der Zeugenbeistand zusätzlich einen Anspruch auf die Auslagenpauschale
nach Nr. 7002 VV zum RVG (20,- Euro) und kann gemäß Nr. 7008 VV die Umsatzsteuer
auf seine Vergütung (hier: 57,60 Euro) geltend machen.
Hieraus resultiert der im angefochtenen Beschluss tenorierte Betrag.
Die Kostenentscheidung rechtfertigt sich aus § 56 Abs. 2 S. 2, 3 RVG.
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