Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: treu und glauben, gesetzlicher vertreter, verwirkung, eltern, mutterschaft, bedürftigkeit, verfügung, selbstbehalt, rechtshängigkeit, geburt

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 WF 93/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1613 Abs 1 S 1 BGB, § 1613
Abs 2 Nr 2a BGB, § 1615l Abs 2
S 2 BGB, § 1615l Abs 2 S 3 BGB
Anspruch auf Unterhaltszahlungen für die Vergangenheit
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht
zurückverwiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde führt zu der aus der
Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der Klägerin kann Prozesskostenhilfe aus
den vom Amtsgericht angeführten Gründen nicht in vollem Umfang versagt werden.
I.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts bietet die von der Klägerin beabsichtigte
Rechtsverfolgung zumindest, soweit der Unterhalt ab Januar 2006 betroffen ist, teilweise
hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.
1. Soweit die Klägerin Unterhalt vom Zeitpunkt der Geburt, vom … 1987, an bis
einschließlich Februar 2003 verlangt, ist das Amtsgericht allerdings zutreffend davon
ausgegangen, dass der Unterhaltsanspruch verwirkt ist.
a) Grundsätzlich ist die Klägerin, unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des §
1613 Abs. 1 Satz 1 BGB berechtigt, Unterhalt bereits vom Zeitpunkt ihrer Geburt an
geltend zu machen. Gemäß § 1613 Abs. 2 Nr. 2 a BGB kann der Berechtigte für die
Vergangenheit ohne Einschränkungen Erfüllung verlangen für den Zeitraum, in dem er
aus rechtlichen Gründen an der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs gehindert
war. Ein rechtliches Hindernis besteht insbesondere, solange die Vaterschaft nicht
anerkannt oder rechtskräftig festgestellt war (Johannsen/Henrich/Graba, Eherecht, 4.
Aufl., § 1613, Rz. 13 a). Die Vorschrift des § 1613 Abs. 2 Nr. 2 a BGB gilt allerdings nicht,
wenn, wie vorliegend, Unterhalt für die Zeit vor dem 1.7.1998 verlangt wird (BGH, FamRZ
2004, 800). Für diesen Zeitraum kann aber, soweit, wie hier, der Vater auf Unterhalt in
Anspruch genommen wird, auf die entsprechende Vorschrift des § 1615 d BGB in der bis
zum 30.6.1998 geltenden Fassung zurückgegriffen werden.
b) Auch im Anwendungsbereich des § 1613 Abs. 2 Nr. 2 a BGB unterliegt der Anspruch
nach allgemeinen Grundsätzen der Verwirkung gemäß § 242 BGB (Palandt/Diederichsen,
BGB, 66. Aufl., § 1613, Rz. 22). Ob eine Verwirkung auch dann bereits in Betracht
kommt, wenn sich das Kind, gesetzlich vertreten durch seine Mutter, vor Anerkennung
der Vaterschaft längere Zeit nicht darum bemüht hat, Unterhalt zu erhalten (so OLG
Jena, NJW-RR 2002, 1154; a. A. OLG Brandenburg - 1. Senat für Familiensachen -, FamRZ
2000, 1044), kann dahinstehen. Denn vorliegend ist Verwirkung jedenfalls auf Grund des
Zeitablaufs nach Anerkennung der Vaterschaft durch den Beklagten mit
Jugendamtsurkunde vom 5.3.2004 eingetreten.
aa) Hinsichtlich der Verwirkung, also der Frage, ob sich die Geltendmachung
rückständigen Unterhalts unter dem Gesichtspunkt illoyal verspäteter Rechtsausübung
nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB als unzulässig darstellt, bedarf es des Zeit-
und des Umstandsmoments (vgl. Wendl/Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der
familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 6, Rz. 135 ff.). Beim Unterhalt sind an das
Zeitmoment keine großen Anforderungen zu stellen. Das Zeitmoment kann bereits für
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Zeitmoment keine großen Anforderungen zu stellen. Das Zeitmoment kann bereits für
Zeitabschnitte, die mehr als ein Jahr vor Rechtshängigkeit der Klage oder einem
erneuten Tätigwerden liegen, bejaht werden. Da ein Unterhaltsanspruch nicht verwirkt
sein kann, bevor er überhaupt fällig geworden ist, müssen gegebenenfalls die in Frage
kommenden Zeitabschnitte gesondert betrachtet werden (BGH, FamRZ 1988, 370).
Neben dem Zeitmoment kommt es für die Verwirkung auf das Umstandsmoment an,
das heißt, es müssen besondere Umstände hinzutreten, aufgrund deren sich der
Unterhaltsverpflichtete nach Treu und Glauben darauf einrichten durfte und eingerichtet
hat, dass der Unterhaltsberechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde (BGH,
FamRZ 1988, 370, 373). Da von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf
Unterhaltsleistungen angewiesen ist, eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen
zu erwarten ist, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht (vgl.
BGH, a.a.O.), darf der Unterhaltsschuldner, wenn das Verhalten des
Unterhaltsgläubigers den Eindruck erweckte, in dem fraglichen Zeitraum nicht bedürftig
zu sein, davon ausgehen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Soweit es beim
Umstandsmoment auch darauf ankommt, inwieweit sich der Unterhaltsverpflichtete
tatsächlich darauf eingerichtet hat, Unterhalt für die zurückliegende Zeit nicht mehr
zahlen zu müssen, reicht die Feststellung aus, dass ein Unterhaltsverpflichteter
erfahrungsgemäß seine Lebensführung an die ihm zur Verfügung stehenden Einkünfte
anpasst, so dass er bei unerwarteten Unterhaltsnachforderungen nicht auf Ersparnisse
zurückgreifen kann und dadurch regelmäßig in Bedrängnis gerät (BGH, a.a.O.; Senat,
NJW-RR 2002, 870). Sind Anhaltspunkte dafür, dass es im zu entscheidenden Fall anders
lag, nicht ersichtlich, so bedarf es keiner besonderen Feststellungen dazu, dass der
Unterhaltsschuldner sich tatsächlich auf den Fortfall der Unterhaltsforderungen
eingerichtet hat (BGH, a.a.O.; Senat, a.a.O.).
Auch Ansprüche auf Kindesunterhalt können verwirkt sein, obwohl die Verjährung solcher
Ansprüche eines minderjährigen Kindes gegenüber seinen Eltern bis zur Volljährigkeit
des Kindes gehemmt ist (BGH, FamRZ 1999, 1422). Die Grundsätze zur Verwirkung
erfahren für titulierte Ansprüche, deren Durchsetzung mit Hilfe des Titels eher näher
liegen dürfte als bei nicht titulierten Forderungen, keine Einschränkung (BGH, FamRZ
1999, 1422).
bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend von Verwirkung der
Unterhaltsansprüche bis einschließlich Februar 2003 auszugehen. Durch
Jugendamtsurkunde vom 5.3.2004 hat der Beklagte die Vaterschaft anerkannt und sich
zur Unterhaltszahlung ab 1. März 2003 verpflichtet. Das Jugendamt des Bezirksamtes P.
von B. hat dem Beklagten als Beistand und damit gesetzlicher Vertreter für die damals
noch minderjährige Klägerin (vgl. KG, NJW-RR 2005, 155 f.) unter dem 23.4.2004
mitgeteilt, dass für die Zeit vom 1.3.2003 bis zum 31.3.2004 Unterhaltsrückstände in
Höhe von insgesamt 3.252 € aufgelaufen seien. Von Unterhaltsrückständen aus der Zeit
davor ist in dem Schreiben keine Rede. Erstmals mit Anwaltschreiben vom 5.1.2006
machte die Klägerin auch rückständigen Unterhalt aus der Zeit von Mai 1987 bis Februar
2003 geltend. Zu diesem Zeitpunkt lag die Fälligkeit sämtlicher Ansprüche bis
einschließlich Februar 2003 länger als ein Jahr zurück. Der Beklagte konnte sich bereits
ein Jahr nach Erhalt des Schreibens des Jugendamtes vom 23.4.2004 darauf einrichten,
für weitere Rückstände nicht in Anspruch genommen zu werden. Von Verwirkung des
Unterhaltsanspruchs insoweit ist somit auszugehen.
2. Der Zeitraum von März 2003 bis November 2005 ist vom Klageantrag nicht erfasst.
Ausführungen zur Unterhaltsberechtigung der Klägerin in diesem Zeitraum verbieten
sich daher.
3. Für den Unterhalt im Monat Dezember 2005 bietet die Rechtsverfolgung der Klägerin
ebenfalls keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Der Unterhalt der Klägerin ab 1.3.2003 ist durch die Jugendamtsurkunde vom 5.3.2004
tituliert. Seit dem 1.10.2003 und somit auch im Dezember 2005 kann sie danach
monatlichen Unterhalt von 200,50 € beanspruchen. Höherer Unterhalt wäre im Wege der
Abänderungsklage geltend zu machen. Dies ist jedoch nicht geschehen.
Allerdings wird man das Klagebegehren, soweit es sich auf den Unterhalt von Dezember
2005 bis April 2006 bezieht, im Wege der Auslegung bzw. Umdeutung als
Abänderungsbegehren auffassen können (vgl. Verfahrenshandbuch Familiensachen -
FamVerf -/Schael, § 1, Rz. 393). Für Dezember 2005 kann die Klägerin erhöhten
Unterhalt aber nicht verlangen.
Höherer Unterhalt, als tituliert, kann im Wege der Abänderungsklage erst unter den
Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 BGB verlangt werden, vgl. § 323 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
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Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 BGB verlangt werden, vgl. § 323 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Dies gilt, wenn für einen Teil des Unterhaltszeitraums die Vorschrift des § 1613 Abs. 2
Nr. 2 a BGB Anwendung findet, jedenfalls für Unterhaltsansprüche, die nach
Anerkennung der Vaterschaft entstanden sind (Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1613, Rz.
22). Somit kann die Klägerin, nachdem der Beklagte am 5.3.2004 die Vaterschaft
anerkannt und sich zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet hat, höheren Unterhalt, als
tituliert, erst von dem Zeitpunkt an verlangen, zu welchem der Beklagte zum Zwecke
der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs zur Auskunftserteilung in Verzug
gekommen ist, § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dies ist erst mit Anwaltschreiben vom
5.1.2006 geschehen. Erhöhter Unterhalt kann daher erst ab dem 1. Januar 2006 geltend
gemacht werden, § 1613 Abs. 1 Satz 2 BGB.
4. Für die Zeit ab Januar 2006 kann bei der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen
summarischen Prüfung (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 114, Rz. 19;
FamVerf/Gutjahr, § 1, Rz. 254) davon ausgegangen werden, dass ein monatlicher
Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten zumindest in Höhe von 171 €
besteht.
a) Allerdings besteht ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt nach § 1610 Abs. 2 BGB
jedenfalls für die Zeit ab Januar 2006 nicht. Die begonnene Ausbildung zur Tischlerin hat
die Klägerin bereits am 12.7.2005 unterbrochen und geht inzwischen wegen der
Insolvenz des Ausbildungsbetriebes davon aus, die Ausbildung auch nicht mehr
fortsetzen zu können.
b) Zu Gunsten der Klägerin kann im Prozesskostenhilfeverfahren aber angenommen
werden, dass sie mit Rücksicht darauf, dass sie ihr am … 2005 geborenes Kind zu
betreuen hat, unterhaltsbedürftig ist.
aa) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Amtsgerichts, dass die inzwischen
volljährige Klägerin grundsätzlich gehalten ist, selbst für ihren Lebensunterhalt
aufzukommen. Will ein erwachsenes, gesundes Kind seine Eltern auf Unterhalt in
Anspruch nehmen, sind an die Beurteilung, dieses sei außerstande, seinen
Lebensunterhalt selbst zu verdienen, strenge Anforderungen zu stellen. Im Rahmen des
Verwandtenunterhalts gelten für die Obliegenheit des erwachsenen Unterhaltsgläubigers
zur Nutzung seiner Arbeitskraft, § 1602 Abs. 1 BGB, ähnliche Maßstäbe wie für den
barunterhaltspflichtigen Elternteil im Verhältnis zu dem minderjährigen Kind. Auf die
Ursache der Bedürftigkeit des Unterhaltsgläubigers kommt es bei dem
Unterhaltsanspruch unter Verwandten, vorbehaltlich des Eingreifens der Regelung des §
1611 Abs. 1 BGB, nicht an. Bedürftigkeit kann daher auch durch eine nichteheliche
Mutterschaft eintreten (BGH, FamRZ 1985, 273; Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1602,
Rz. 15). Allerdings erhöhen ungeachtet § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gegen den
Unterhaltsberechtigten seinerseits gerichtete Unterhaltsforderungen nicht dessen
Bedarf. Anhaltspunkte für die Antwort auf die Frage, ob und unter welchen Umständen
ein erwachsener Abkömmling wegen der Betreuung eines Kindes von der
Erwerbsobliegenheit freigestellt und deshalb seinen Eltern gegenüber als
unterhaltsbedürftig anzusehen ist, ergibt die Regelung der Unterhaltsverpflichtung des
Vaters gegenüber der Mutter eines nichtehelichen Kindes, § 1615 l Abs. 2 Satz 2 und 3
BGB. Die Eltern der Mutter können nicht weiterhaften. Der Maßstab des § 1570 BGB
bleibt außer Betracht. Gemäß § 1615 l Abs. 2 Satz 2, Satz 3 BGB steht es nicht im
Belieben der Mutter, ob sie das Kind selbst versorgen möchte. Voraussetzung für die
Anspruchserstreckung über die in § 1615 l Abs. 1 BGB genannte Zeit hinaus ist, dass die
Betreuung und Versorgung des Kindes durch die Mutter in dessen Interesse erforderlich
ist, weil eine Möglichkeit zu anderer Versorgung nicht besteht (BGH, FamRZ 1985, 273).
Ausnahmsweise ausgeschlossen ist der Unterhaltsanspruch im Falle der durch
nichteheliche Mutterschaft verursachten Bedürftigkeit, wenn die Bedürftigkeit auf einem
sittlichen Verschulden beruhend anzusehen ist, § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine solche
Bewertung kann sich insbesondere aus dem Bezug des Verhaltens der Bedürftigen zu
der Unterhaltsverpflichtung ihrer Eltern ergeben. Das kann etwa in Betracht kommen,
wenn eine gesunde volljährige Tochter den Mühen des Erwerbslebens zu entgehen
trachtet und zu diesem Zweck über nichteheliche Mutterschaft und die dadurch
gegenüber ihren Eltern ausgelösten Unterhaltsansprüche weiter auf deren Kosten zu
leben beabsichtigt. Ein schrankenloses Recht auf Selbstverwirklichung durch
Mutterschaft auf Kosten Dritter kann nicht anerkannt werden. Hingegen kann das
Unwert-Urteil im Regelfall nicht davon abhängig gemacht werden, ob die Partner im
sensiblen Bereich des intimen Umgangs (sichere) Maßnahmen der Familienplanung
getroffen haben (BGH, FamRZ 1985, 273).
bb) Schon mit Rücksicht darauf, dass das Kind der Klägerin noch nicht einmal zwei Jahre
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bb) Schon mit Rücksicht darauf, dass das Kind der Klägerin noch nicht einmal zwei Jahre
alt ist und die Klägerin weiterhin Erziehungsgeld bezieht, kann bei summarischer
Betrachtung zu Gunsten der Klägerin angenommen werden, dass sie berechtigt ist, das
Kind selbst zu betreuen. Im Hauptverfahren mögen nähere Feststellungen zu der Frage
getroffen werden, welche anderweitigen Betreuungsmöglichkeiten, etwa durch den Vater
des Kindes und die Mutter der Klägerin, zur Verfügung stehen.
c) Im Prozesskostenhilfeverfahren kann auch unterstellt werden, dass die Klägerin
ungeachtet des Vorhandenseins anderer Unterhaltspflichtiger berechtigt ist, allein den
Beklagten auf Unterhalt in Anspruch zu nehmen.
aa) Soweit es um die Bedürftigkeit infolge der nichtehelichen Mutterschaft geht, ist
allerdings vorrangig der Vater des Kindes zum Unterhalt verpflichtet, § 1615 l Abs. 3
Satz 2 BGB. Die Eltern der Mutter des nichtehelichen Kindes sind nur bei
Leistungsunfähigkeit des Vaters zum Unterhalt verpflichtet oder wenn die
Rechtsverfolgung gegen ihn im Inland erheblich erschwert oder ausgeschlossen ist, §
1607 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1615 l, Rz. 23). Vorliegend
ist bei summarischer Betrachtung davon auszugehen, dass der arbeitslose Vater des
Kindes unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Beschwerdeschrift auch bei
ausreichenden Arbeitsplatzbemühungen nicht in der Lage wäre, ein Einkommen zu
erzielen, das ihn in die Lage versetzte, über den ihm zustehenden Selbstbehalt von 995
€ hinaus (vgl. Nr. 21.3.2 der Unterhaltsleitlinien des Kammergerichts, Stand 1.7.2005)
hinaus ein Einkommen erzielen könnte, dass ihn in den Stand setzt, nicht nur den
Unterhaltsbedarf des Kindes sicherzustellen, sondern darüber hinaus auch zum
Unterhalsbedarf der Klägerin beizutragen.
bb) Ist danach von einer Haftung der Eltern der Klägerin auszugehen, besteht zwar
grundsätzlich eine Mithaftung der Mutter der Klägerin. Diese ist aber unstreitig nicht
leistungsfähig. Auf die Frage, ob die Mutter bei gehörigen Arbeitsplatzbemühungen ein
Einkommen erzielen könnte, das sie in die Lage versetzen würde, zumindest anteilig
zum Unterhalt der Klägerin beizutragen, kommt es nicht an. Denn die Klägerin braucht
sich entsprechend dem Rechtsgedanken des § 1607 Abs. 2 BGB auf fiktive Einkünfte
eines Elternteils nicht verweisen zu lassen (OLG Frankfurt, FamRZ 1993, 231;
Wendl/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 2, Rz.
440).
d) Der Beklagte muss somit grundsätzlich zum vollen Bedarf der Klägerin von 640 €
(Anm. IV zur Berliner Tabelle, Stand 1.7.2005), beitragen. Nach Abzug des vollen
Kindergeldes von 154 € (vgl. BGH, FamRZ 2006, 99) verbleibt ein ungedeckter
Restbedarf von 486 €. In diesem Umfang ist der Beklagte aber nicht leistungsfähig. Bei
summarischer Betrachtung ist von einer Leistungsfähigkeit von höchstens 171 €
auszugehen.
aa) Das bereinigte Einkommen des Beklagten beträgt unstreitig 1.859 €. Zu
berücksichtigen ist der gegenüber der Klägerin vorrangige Unterhaltsanspruch der
Ehefrau des Beklagten, § 1609 Abs. 2 Halbsatz 2 BGB.
Die Ehefrau des Beklagten ist offensichtlich erwerbslos. Ihr Unterhaltsanspruch beläuft
sich grundsätzlich auf 3/7 der Erwerbseinkünfte des Beklagten (Nr. 15.2 der
Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, Stand 1.7.2005).
Allerdings sind Unterhaltsleistungen für ein Kind, die die ehelichen Lebensverhältnisse
geprägt haben, vorweg abzusetzen, und zwar in Höhe des Tabellenunterhalts ohne
Abzug von Kindergeld (Nr. 15.1 der Leitlinien).
Die Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber der Klägerin hat jedenfalls vom Zeitpunkt
der Vaterschaftsanerkennung, vom 5.3.2004, an die ehelichen Lebensverhältnisse
geprägt. Verpflichtet hat sich der Beklagte zuletzt zur Zahlung monatlichen Unterhalts
von 200,50 €. Setzt man das hälftige Kindergeld mit 77 € hinzu, ergibt sich ein
"Tabellenunterhalt" von rund 278 €.
Setzt man den Kindesunterhalt mit 278 € vom bereinigten Einkommen des Beklagten
von 1.859 € ab, verbleiben 1.581 €. 3/7 hiervon, das sind rund 678 €, machen den
Unterhaltsanspruch der Ehefrau aus.
bb) Die Leistungsfähigkeit des im Land Brandenburg lebenden Beklagten ist, wie mit der
Beschwerde zu Recht geltend gemacht wird, nicht an dem nach den Leitlinien des
Kammergerichts geltenden Selbstbehalt zu bemessen. Vielmehr ist der Selbstbehalt mit
1.010 € anzusetzen (Nr. 21.3.1 der Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen
Oberlandesgerichts, Stand 1.7.2005). Eine Reduzierung des Selbstbehalts wegen
Zusammenlebens mit der Ehefrau kommt infolge der Leistungsunfähigkeit der Ehefrau
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Zusammenlebens mit der Ehefrau kommt infolge der Leistungsunfähigkeit der Ehefrau
nicht in Betracht (vgl. Senat, Urteil vom 21.9.2006 - 10 UF 82/06 -, OLGR 2007, 311).
Dem Beklagten stehen somit 849 € (= 1.859 € - 1.010 €) für Unterhaltszwecke zur
Verfügung. Setzt man den vorrangigen Anspruch der Ehefrau auf Familienunterhalt mit
678 € ab, verbleiben 171 € für die Klägerin.
e) Zu berücksichtigen ist der Anspruchsübergang nach § 33 SGB II. In Höhe des
Anspruchsübergangs kann die Klägerin vor Eintritt der Rechtshängigkeit keinen Unterhalt
verlangen. Für die Zeit nach Rechtshängigkeit wird im Umfang des Anspruchsübergangs
Leistung an den Hilfeträger zu beantragen sein (vgl. Wendl/Scholz, a.a.O., § 6, Rz. 551).
Dementsprechend wird die Klägerin im Einzelnen darzulegen und zu belegen haben, in
welchem Umfang sie selbst Leistungen nach dem SGB II erhalten hat. Dazu bedarf es
der Vorlage sämtlicher Leistungsbescheide des Jobcenter P., und zwar in vollständiger
Form unter Berücksichtigung sämtlicher Berechnungsbögen. Denn erst daraus ergibt
sich, welcher Anteil der jeweiligen Leistung auf die Klägerin selbst entfällt.
II.
Die Sache ist gemäß § 572 Abs. 3 ZPO an das Amtsgericht zurückzuverweisen, da dort
noch Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob und gegebenenfalls in welchem
Umfang der Klägerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der
Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, § 114 ZPO (vgl. auch
Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/Gutjahr, § 1, Rz. 197). Denn bislang
liegt lediglich eine nicht vollständig ausgefüllt Erklärung der Klägerin über ihre
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 14.3.2006 (genannt ist irrtümlich der
14.3.2005)vor. Das Amtsgericht wird die Klägerin auffordern, eine aktuelle Erklärung über
ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Belegen
einzureichen. Auf dieser Grundlage wird das Amtsgericht unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Senats prüfen, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO gegeben sind und danach erneut über den Antrag
der Klägerin entscheiden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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