Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: agb, saldo, unverzüglich, verfügung, genehmigung, mitverschulden, anscheinsvollmacht, volumen, wiederherstellung, unterlassen

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 3.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 W 19/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 174 Abs 1 S 1 BGB, § 177 Abs
1 BGB, § 812 BGB
Grenzen einer vorübergehenden Kontoüberziehung;
Rechtsscheinsvollmacht bei Kontoüberziehung durch
Kontobevollmächtigten; Schadensersatzpflicht des
Kontoinhabers für drittverursachte Kontoüberziehung bei
unterlassener Prüfung eines Kontoauszugs; Mitverschulden der
Bank bei Ausführung einer zur Kontoüberziehung führenden
Verfügung eines Verfügungsberechtigten
Leitsatz
1. Eine vorübergehende Kontoüberziehungen im banküblichen Rahmen erfasst in der Regel
ein Betrag von etwa 10 % über dem Volumen des eingeräumten Überziehungskredites;
dieser beträgt in der Re-gel drei Nettomonatsgehälter oder das dreifache Monatseinkommen
des Kontoinhabers.
2. Ist ein Überziehungskredit nicht vereinbart, ist anzunehmen, dass sich der bankübliche
Umfang von Überziehungen auf 10 % des nach den Umständen möglichen
Überziehungskredites beläuft (vgl. OLG Köln, Urteil vom 07.10.1998, WM 1999, 1003; WM
2001, 2340; Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl., § 493 Rn. 7).
3. Das fiktive Saldo-Anerkenntnis nach AGB einer Bank (Nr. 7 der klägerischen AGB) stellt
keine rechtsgeschäftliche Genehmigung anderweitiger Verfügungen der Bank über die
mitgeteilten Bu-chungen dar (vgl. BGH, Urteil vom 18.10.1994 - XI ZR 194/93 = NJW 1995,
320 m.w.N.).
4. Zu den Voraussetzungen einer Anscheinsvollmacht eines Kontobevollmächtigten
5. Unterlässt es ein Kontoinhaber entgegen vertraglicher Verpflichtungen (Nr. 11 Abs. 4 der
klägeri-schen AGB) die Kontoauszüge unverzüglich auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit zu
überprüfen und etwaige Einwendungen unverzüglich zu erheben, so ist er für daraus
entstehende Schäden dem Part-ner des Kontovertrages ersatzpflichtig (vgl. OLG Hamm, NJW-
RR 1986, 791; Pa-landt/Sprau, BGB, 66. Aufl., § 676 f Rn. 16 m.w.N.).
6. Zum Mitverschulden der Bank wegen Mißachtung von Beschränkungen des
Kontobevollmächtig-ten.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 08. Februar 2007 und unter
Zurückweisung ihrer weitergehenden sofortigen Beschwerde wird der Beschluss des
Landgerichts Potsdam vom 01.02.2007 - 8 O 441/06 - in Gestalt des
Nichtabhilfebeschlusses vom 14. März 2007 teilweise abgeändert und der
Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe für die erste Instanz bewilligt, soweit sie sich
gegen eine Verurteilung in der Hauptsache von mehr als 5.162,68 € wendet.
In diesem Umfang wird ihr Rechtsanwalt … beigeordnet.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beklagte erbittet Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen eine Klage, mit der sie
die klagende Bank auf Ausgleich eines gekündigten Kontos in Anspruch nimmt.
Die Beklagte eröffnete gemäß schriftlicher Vereinbarung vom 26.10.1999 bei der
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Die Beklagte eröffnete gemäß schriftlicher Vereinbarung vom 26.10.1999 bei der
Klägerin ein Konto (vgl. Anlage K 1, Bl. 13 GA) und erteilte unter dem 27.10.1999 ihrem
damaligen Lebensgefährten, den sie am 04.05.2001 heiratete und von dem sie am
04.12.2003 geschieden wurde (vgl. Anlage B 7, Bl. 69 GA), eine Kontovollmacht auf
einem dafür vorgesehenen Formular der Klägerin. Die Vollmacht berechtigte den
Bevollmächtigten von der Möglichkeit vorübergehender Kontoüberziehungen im
banküblichen Rahmen Gebrauch zu machen.
In einer Selbstauskunft vom 21.10.1999 hatte die Beklagte ein monatliches
Nettoeinkommen von 1.500,00 DM angegeben (vgl. Anlage K 7, Bl. 51 GA). Das Konto
wies am 15.11.1999 einen Soll-Stand von 4.872,46 DM auf (vgl. Anlage K 6, Bl. 148 GA)
und entwickelte sich infolge der nächsten Buchung über eine Barabhebung von 700,00
DM sowie weiterer Lastbuchungen kontinuierlich in höhere Soll-Stände, so etwa durch
eine Überweisung vom 27.12.1999 über 2.600,00 DM, eine Überweisung vom
31.01.2000 über 1.300,00 DM oder eine Überweisung vom 03.03.2000 über 3.100,00
DM.
Die Klägerin kündigte das Konto mit Schreiben vom 31.05.2002 bei einem Soll-Stand
von 7.834,11 € (vgl. Anlage K 2, Bl. 15 GA).
Die Beklagte hat behauptet, alle Überweisungen gingen auf Kontoverfügungen des
Bevollmächtigten zurück, die sie nicht gekannt habe und der ihr die Kontoauszüge
verheimlicht habe, die ihr auch erst im Zuge des Scheidungsverfahrens zugänglich
geworden seien.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 01.02.2007 das Prozesskostenhilfegesuch
abgelehnt. Die Klägerin habe aufgrund wirksamer Vollmachtserteilung davon ausgehen
können, dass der Bevollmächtigte für die Beklagte handele, die ihr gegenüber zudem
verpflichtet gewesen sei, tatsächlich nicht genehmigte Überziehungen zu verhindern.
Die sofortige Beschwerde vom 07. Februar 2007 hat das Landgericht zeitgleich mit
einem der Klage stattgebenden Urteil vom 14. März 2007 durch Nichtabhilfebeschluss
dem Oberlandesgericht vorgelegt.
II.
Die nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde
hat teilweise Erfolg.
Das Verteidigungsvorbringen der Beklagten ist gegenüber dem aus den §§ 355 HGB;
781 BGB schlüssigen Klägervortrag im Umfang von 2.671,43 € erheblich.
1. Die Beklagte kann nach ihrem beweisbewehrten Vorbringen das Anerkenntnis über
7.834,11 € im Umfang von 5.342,86 € kondizieren.
a) Das nach Nr. 7 der klägerischen AGB fingierte Saldo-Anerkenntnis auf den 28.03.2002
kann unter den Voraussetzungen der §§ 812 ff BGB zurückgefordert werden (BGH, Urteil
vom 24.04.1995 - I ZR 176/83 = NJW 1985, 3010 m.w.N.). Die danach erforderlichen
Kondiktionsvoraussetzungen liegen vor, denn nach dem schlüssigen
Beklagtenvorbringen berechnete die Klägerin den Saldo falsch, indem sie Passivposten
zu Lasten der Beklagten einstellte, die diese nicht veranlasst hatte und die ihr nicht
zuzurechnen waren.
Nach dem Beklagtenvorbringen hatte ihr Kontobevollmächtigter alle Kontoverfügungen
vorgenommen. Dessen Vollmacht war schriftlich erteilt (§ 167 BGB) und - urkundlich
belegt (vgl. Anlage B 1, Bl. 31 GA) - ausdrücklich beschränkt auf vorübergehende
Kontoüberziehungen im banküblichen Rahmen. Unter banküblichen Umfang ist in der
Regel ein Betrag von etwa 10 % über dem Volumen des eingeräumten
Überziehungskredites zu verstehen; dieser beträgt in der Regel drei
Nettomonatsgehälter oder das dreifache Monatseinkommen des Kontoinhabers. War ein
Überziehungskredit nicht vereinbart, ist anzunehmen, dass sich der bankübliche Umfang
von Überziehungen auf 10 % des nach den Umständen möglichen Überziehungskredites
beläuft (vgl. OLG Köln, Urteil vom 07.10.1998, WM 1999, 1003; WM 2001, 2340;
Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl., § 493 Rn. 7). Bei einem Monatseinkommen von
1.500,00 DM, wie es die Kontoinhaberin in ihrer Selbstauskunft vom 21.10.1999
angegeben hatte (vgl. Anlage K 7, Bl. 51 GA), lag diese Grenze damit bei 4.950,00 DM.
Bei einem Kontostand von 4.872,46 DM (= 2.491,25 €) am 15.11.1999 (vgl. Anlage K 6,
Bl. 148 GA) hat sie der Kontobevollmächtigte durch die Auszahlungsanweisung vom
16.11.1999 über 700,00 DM überschritten.
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b) Die weiteren Kontoverfügungen, die sämtlich zu einem darüber hinausgehenden Soll-
Stand geführt haben, hat der Bevollmächtigte außerhalb der ihm zustehenden
Vertretungsmacht veranlasst (§ 174 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Sie binden die Beklagte nicht, da sich ihre nach § 177 Abs. 1 BGB insoweit erforderliche
Genehmigung nicht feststellen lässt. Das fiktive Saldo-Anerkenntnis nach Nr. 7 der
klägerischen AGB stellt keine rechtsgeschäftliche Genehmigung anderweitiger
Verfügungen der Bank über die mitgeteilten Buchungen dar (vgl. BGH, Urteil vom
18.10.1994 - XI ZR 194/93 = NJW 1995, 320 m.w.N.).
Eine konkludent erteilte Vollmacht hat angesichts des klaren Wortlautes der Vollmacht
vom 27.10.1999 und bei einer fehlenden Betrauung des Bevollmächtigten mit einer die
Vollmacht überschreitenden Aufgabe auszuscheiden.
Eine Rechtsscheinsvollmacht liegt nicht vor, da sich nicht feststellen lässt, dass die
Beklagte wiederholte Verfügungen des Kontobevollmächtigten außerhalb der erteilten
Kontovollmacht bewusst hingenommen hätte. Angesichts der in kurzer Zeit
außerordentlich wechselhaft verlaufenden Beziehung zwischen der Beklagten und dem
Kontobevollmächtigten drängt sich eine derartige Kenntnis auch nicht zwingend auf. Zur
Abwicklung ihres Geldverkehrs unterhielt die Beklagte ein Konto bei einem anderen
Geldinstitut.
Die Voraussetzungen einer Anscheinsvollmacht fehlen ebenfalls. Die Klägerin durfte
nicht ohne Fahrlässigkeit annehmen, die Beklagte kenne und dulde das Verhalten des
für sie auftretenden Vertreters. Die Klägerin hätte bei ordnungsgemäßer Prüfung der
schriftlichen Kontovollmacht vielmehr feststellen können und müssen, dass die Beklagte
die Verfügungen weit oberhalb der schriftlich erteilten Vollmacht weder kannte noch
duldete. Die giroführende Bank ist verpflichtet, Kontoverfügungen vor ihrer Durchführung
auf Rechtsmäßigkeit zu überprüfen. Dazu gehört auch die Feststellung, ob die Verfügung
eines Kontobevollmächtigten durch die Kontovollmacht gedeckt ist. Die Klägerin musste
daher aufgrund der ihr vorliegenden Vollmacht bei jeder Verfügung des
Bevollmächtigten prüfen, ob diese von der Vollmacht gedeckt war. Hätte sie diese
Prüfung ordnungsgemäß und sorgfältig durchgeführt, wären die oben genannten
Verfügungen nicht ausgeführt worden, weil mit ihnen die Grenze der Vertretungsbefugnis
eindeutig überstiegen wurde und überstiegen war. Auf den Eindruck, möglicherweise
kenne und dulde die Klägerin das Verhalten ihres Bevollmächtigten durfte sie sich unter
diesen Umständen nicht einfach verlassen; vielmehr hätte sie zunächst bei der
Beklagten als Kontoinhaberin und Vollmachtgeberin rückfragen müssen (vgl. BGH, Urteil
vom 15.02.1982 - II ZR 53/81 = NJW 1982, 1513). Dies gilt hier umso mehr, als sich
anhand der Kontobewegungen, die die Klägerin zunächst nur bis zum 29.10.1999
dargestellt und erst auf Aufforderung des Senates für die gesamte
kontogegenständliche Zeit nachgereicht hat, entgegen der Klägerbehauptung keine
Anhaltspunkte für eine Selbstnutzung durch die Beklagte nach Überschreiten des
banküblichen Kreditrahmens feststellen lassen (vgl. Anl. K6).
Die die Kontovollmacht überschreitenden Verfügungen des insoweit nicht mehr
kontobevollmächtigten Vertreters ab dem 16.11.1999 führten zu weiteren
Kontobelastungen von 5.342,86 € (7.834,11 € - 2.491,25 €).
2. In dieser Höhe kommt zunächst ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die
Beklagte in Betracht. Der Klägerin ist insoweit ein Schaden entstanden, als sie
gegenüber der Beklagten mangels wirksamer Bevollmächtigung keinen girovertraglichen
Ausgleichsanspruch erlangt hat. Dieser Schaden ist auf eine Pflichtverletzung der
Beklagten zurückzuführen, denn diese hat es entgegen Nr. 11 Abs. 4 der klägerischen
AGB unterlassen, die Kontoauszüge auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit unverzüglich
zu überprüfen und etwaige Einwendungen unverzüglich zu erheben (vgl. OLG Hamm,
NJW-RR 1986, 791; Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl., § 676 f Rn. 16 m.w.N.). Der
Schadensersatzanspruch der Klägerin ist auf Naturalrestitution gerichtet, § 249 Satz 1
BGB, also auf Wiederherstellung des girovertraglichen Ausgleichsanspruchs.
3. Er ist gemäß § 254 BGB um den Mitverschuldensanteil der Klägerin zu kürzen, der in
ihrem eigenen, oben dargestellten Verhalten liegt.
Der Senat bewertet die jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der
Parteien gleich hoch, so dass sich der girovertragliche Ausgleichsanspruch der Klägerin
im Ergebnis auf 5.162,68 € bemisst (2.491,25 € + 2.671,43 €).
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