Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: internationale zuständigkeit, kasachstan, republik, treu und glauben, anwendung des rechts, gerichtliche zuständigkeit, eltern, aufenthalt, arbeitslohn, form

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 WF 307/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 2 Abs 1 EGV 44/2001, Art 18
BGBEG
Internationale Zuständigkeit bei Unterhaltsklage eines in
Kasachstan lebenden Kindes gegen in Deutschland lebenden
Kasachen
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das
Amtsgericht zurückverwiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde führt zu der aus der
Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Dem Kläger kann Prozesskostenhilfe nicht
aus den vom Amtsgericht angeführten Gründen versagt werden. Die Sache ist zur
anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen, da
dort noch Feststellungen dazu zu treffen sind, ob und gegebenenfalls in welchem
Umfang der Kläger in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung selbst aufzubringen, §
114 ZPO. Bislang liegt lediglich eine Erklärung der Mutter des Klägers über ihre
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 11.3.2005 vor. Das Amtsgericht wird
den Kläger auffordern, eine aktuelle Erklärung über seine eigenen persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Belegen vorzulegen, ferner eine
solche aktuelle Erklärung seiner Mutter nebst Belegen. Dabei wird zu prüfen sein, ob
nach dem Recht der Republik Kasachstan überhaupt ein Anspruch des Klägers auf
Prozesskostenvorschuss gegenüber seiner Mutter in Betracht kommt (vgl. zu der Frage
der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen nicht in Deutschland lebenden
Ausländer auch Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 114, Rz. 5 m. w. N.). Denn nur dann
käme es unter Umständen auch auf Einkommen und Vermögen der Mutter an. Unter
Berücksichtigung der vorzulegenden aktuellen Erklärungen wird das Amtsgericht unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Senats prüfen, ob die Voraussetzungen für die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe gegeben sind.
Zu Unrecht hatte das Amtsgericht dem Begehren des Klägers die hinreichende Aussicht
auf Erfolg abgesprochen, § 114 ZPO. Das Amtsgericht hat sich auf die Vorschrift des Art.
18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB gestützt, wonach das am jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt
des Unterhaltsberechtigten geltende Recht anzuwenden sei, hier also das Recht der
Republik Kasachstan. Der Entscheidung des Amtsgerichts ist zu entnehmen, dass es
davon ausgeht, der Kläger sei in der Lage, in Kasachstan einen Unterhaltstitel zu
erwirken, den er gegebenenfalls gegen den in Deutschland lebenden Beklagten
vollstrecken könne. Wenn dies so zu verstehen sein sollte, dass das Amtsgericht seine
internationale Zuständigkeit verneint, so hätte das Amtsgericht übersehen, dass die
Beantwortung der Frage, welchem Unterhaltsstatut der Rechtsstreit unterliegt, ob also
das materielle Unterhaltsrecht der Bundesrepublik Deutschland oder der Republik
Kasachstan Anwendung findet, nicht notwendig durchschlägt auf die Frage, ob deutsche
Gerichte international zuständig sind oder nicht.
Die Frage, welche internationale Zuständigkeit bei einem Unterhaltsrechtsstreit mit
Auslandsberührung gegeben ist, bestimmt sich vorrangig nach der Verordnung (EG) Nr.
44/2001 vom 22.12.2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen -
EuGVVO - (ABlEG Nr. L 12 vom 16.1.2001, S. 1, abgedruckt bei Zöller/Geimer, a.a.O., S.
2698 ff.). Gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO (abgedruckt bei Zöller/Geimer, a.a.O., S. 2706)
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2698 ff.). Gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO (abgedruckt bei Zöller/Geimer, a.a.O., S. 2706)
sind vorbehaltlich der Vorschriften der Verordnung Personen, die ihren Wohnsitz im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates haben, ohne Rücksicht auf ihre
Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedsstaates zu verklagen, und zwar
unabhängig davon, ob der Kläger einem Mitgliedsstaat angehört (vgl. Zöller/Geimer,
a.a.O., S. 2707, Rz. 13). Da andererseits Art. 5 Nr. 2 EuGVVO (abgedruckt bei
Zöller/Geimer, a.a.O., S. 2711) vorsieht, dass eine Person, die ihren Wohnsitz im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat, in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt
werden kann, wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Ort des Gerichts,
an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hat, nach beiden Vorschriften also vorrangig auf den Wohnsitz im Mitgliedsstaat
abgestellt wird, ist in Unterhaltsstreitigkeiten die internationale Zuständigkeit deutscher
Gerichte bereits dann gegeben, wenn entweder der Unterhaltspflichtige oder der
Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat (vgl.
Weinreich/Klein, Kompaktkommentar Familienrecht - KK-FamR -/Rausch, 2. Aufl., Art. 18
EGBGB, Rz. 25 f., 29; siehe auch Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der
familienrechtlichen Praxis, 6. Aufl., § 7, Rz. 229). Daher reicht es im vorliegenden
Rechtsstreit aus, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland
hat, um die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu begründen.
Soweit es um die Bestimmung des Unterhaltsstatuts geht, also darum, welches
materielle Unterhaltsrecht der Entscheidung zugrunde zu legen ist, gilt vorrangig das
Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom
2.10.1973 (HUA). Für die Anwendung kommt es nicht darauf an, ob der andere Staat,
der neben der Bundesrepublik Deutschland im konkreten Fall berührt ist, ebenfalls
Vertragsstaat nach dem HUA geworden ist. Die Vorschriften des HUA sind aber
identisch mit Art. 18 EGBGB (KK-FamR/Rausch, Art. 18 EGBGB, Rz. 2; Palandt/Heldrich,
BGB, 65. Aufl., Art. 18 EGBGB, Rz. 1 f.), sodass auch allein auf letztere Vorschrift
abgestellt werden kann.
Demnach sind auf Unterhaltspflichten grundsätzlich die Sachvorschriften des am
jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten geltenden Rechts
anzuwenden, Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB. Dies hat im vorliegenden Fall die Anwendung
des Rechts der Republik Kasachstan zur Folge.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Vorschriften des Art. 18 Abs. 1
Satz 2 EGBGB und des Art. 18 Abs. 2 EGBGB. Im ersteren Fall sind, wenn der
Berechtigte nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland vom Verpflichteten keinen
Unterhalt erhalten kann, die Sachvorschriften des Rechts des Staates anzuwenden, dem
sie gemeinsam angehören. Da vorliegend Kläger und Beklagter Staatsangehörige der
Republik Kasachstan sind, wäre unabhängig von der Frage, ob Unterhalt erhalten werden
kann, ebenso wie nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB das Kasachische Recht
anzuwenden. Die Anwendung deutschen Rechts nach Art. 18 Abs. 2 EGBGB unter dem
Gesichtspunkt, dass nach dem gemäß Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB anzuwendenden
Recht vom Verpflichteten kein Unterhalt zu erhalten ist, scheidet ebenfalls aus. Denn
diese Sondervorschriften sind nur dann anzuwenden, wenn das an sich berufene fremde
Recht dem Anspruchsteller einen Unterhaltsanspruch überhaupt versagt. Es reicht nicht,
dass wegen besonderer Umstände des konkreten Falles, z. B. eingeschränkter oder
fehlender Leistungsfähigkeit des Verpflichteten, kein oder nur ein geringerer Unterhalt
verlangt werden kann (KK-FamR/Rausch, Art. 18 EGBGB, Rz. 11). Das Recht der Republik
Kasachstan sieht aber in Art. 124 des Ehe- und Familiengesetzes vom 17.12.1998
(abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht,
"Kasachstan", S. 61 ff., 91 f.) ausdrücklich die Pflicht der Eltern zum Unterhalt ihrer
minderjährigen Kinder vor.
Nach alledem ist im vorliegenden Fall das materielle Unterhaltsrecht der Republik
Kasachstan anzuwenden. Gemäß Art. 125 Abs. 1 des dortigen Ehe- und
Familiengesetzes wird, wenn keine Vereinbarung über die Unterhaltszahlung an
minderjährige Kinder abgeschlossen wurde, die monatlich von den Eltern zu leistende
Zahlung in Höhe von ¼ des Arbeitslohnes und/oder einer anderen Einkommensart der
Eltern für ein Kind, 1/3 für zwei Kinder und der Hälfte für drei und mehr Kinder
festgesetzt. Die Höhe dieses Anteiles kann vom Gericht unter Berücksichtigung der
materiellen oder familiären Lage der Beteiligten und anderer relevanter Faktoren
verringert oder vergrößert werden, Art. 125 Abs. 2 des Ehe- und Familiengesetzes. Art.
127 Abs. 1 des Ehe- und Familiengesetzes sieht schließlich vor, dass, wenn die Eltern
keine Vereinbarung über Unterhaltszahlungen abgeschlossen haben, eine anteilsmäßige
Festsetzung der Alimente vom Arbeitslohn und (oder) einer anderen Einkommensart der
Eltern unmöglich ist und die Interessen eines der Beteiligten schwer oder nachhaltig
verletzt werden, das Gericht das Recht hat, die Höhe der monatlich zu leistenden
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verletzt werden, das Gericht das Recht hat, die Höhe der monatlich zu leistenden
Zahlungen in einem festen Geldbetrag oder auch gleichzeitig anteilmäßig (gemäß Art.
125 des Gesetzes) festzusetzen. Zu diesen Fällen gehört die Festsetzung des
Unterhalts bei Eltern, die einen unregelmäßigen, veränderlichen Arbeitslohn und (oder)
andere Einkommensarten haben, oder von einem Elternteil, der seinen Arbeitslohn und
(oder) anderes Einkommen vollständig oder teilweise in Naturalien bezieht. Nach Art.
127 Abs. 2 des Ehe- und Familiengesetzes wird die Höhe des festen Geldbetrages unter
Berücksichtigung der materiellen und familiären Lage der Beteiligten und anderer
relevanter Faktoren vom Gericht im Interesse der maximalen möglichen
Aufrechterhaltung des vorherigen Versorgungsniveaus für das Kind festgelegt.
Bei der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung (vgl.
Zöller/Philippi, a.a.O., § 114, Rz. 19; Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -
/Gutjahr, § 1, Rz. 254) kann für die Bemessung des Bedarfs des Kindes auf die vom
Bundesfinanzministerium herausgegebene Länderübersicht zurückgegriffen werden (vgl.
Wendl/Dose, a.a.O., § 7, Rz. 22), auf die sich der Kläger in der Klageschrift auch bezogen
hat. Angesichts dessen kann zu Gunsten des Klägers angenommen werden, er könne
zumindest 25 % des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe nach § 1 Regelbetrag-VO
verlangen. Allerdings lässt sich den angeführten Vorschriften des Ehe- und
Familiengesetzes der Republik Kasachstan nicht entnehmen, dass, wie der Kläger in
Anlehnung an § 1612 a BGB beantragt hat, Unterhalt als Vomhundertsatz eines oder
des jeweiligen Regelbetrages verlangt werden kann. Anstelle des dynamisierten
Unterhalts wird der Kläger daher einen festen Zahlbetrag geltend machen müssen.
Zu Gunsten des Klägers muss auch angenommen werden, dass die von ihm selbst
schon mit der Klageschrift vorgelegte Vereinbarung zwischen seiner Mutter und dem
Beklagten vom 4.8.2000 der Geltendmachung von Unterhalt nicht entgegensteht.
Allerdings sind Unterhaltsvereinbarungen nach dem Recht der Republik Kasachstan
möglich, vgl. Art. 143 ff. des Ehe- und Familiengesetzes. Soweit der Beklagte die
geschlossene Vereinbarung aber der Unterhaltsforderung des Klägers entgegenhalten
will, muss er zunächst darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die gesetzliche Form
für die Unterhaltsvereinbarung eingehalten ist. Nach Art. 144 Abs. 1 des Ehe- und
Familiengesetzes werden Unterhaltsvereinbarungen in schriftlicher Form abgeschlossen
und müssen notariell beglaubigt werden. Außerdem ist hinsichtlich der Wirksamkeit der
Unterhaltsvereinbarung die Vorschrift des Art. 147 Abs. 2 des Ehe- und
Familiengesetzes zu beachten. Danach darf die Höhe der in eine Unterhaltsvereinbarung
für minderjährige Kinder festgesetzten Alimente nicht geringer sein als die Höhe des
Unterhalts, welchen diese im Falle der Festsetzung des Unterhalts auf gerichtlichem
Wege nach Art. 125 des Gesetzes hätten erhalten können. Damit sieht das Recht der
Republik Kasachstan ebenso wie § 1614 BGB ein Verbot des Unterhaltsverzichts vor.
Schließlich ist im Prozesskostenhilfeverfahren zu Gunsten des Klägers auch davon
auszugehen, dass er Unterhalt bereits ab Juni 2003 verlangen kann, auch wenn die Klage
erst im Mai 2005 beim Amtsgericht eingereicht worden ist. Denn bei summarischer
Betrachtung muss angenommen werden, dass eine Verwirkung des Anspruchs nach
Treu und Glauben wegen verspäteter Geltendmachung, die nach dem Recht des BGB
ohnehin nur für Zeitabschnitte eingetreten sein kann, die mehr als ein Jahr vor
Rechtshängigkeit der Klage oder einem erneuten Tätigwerden liegen (vgl.
Wendl/Gerhardt, a.a.O., § 6, Rz. 136), nach dem hier maßgeblichen Recht der Republik
Kasachstan nicht eingetreten ist. Im Hauptverfahren werden hierzu nähere
Feststellungen zu treffen sein. Zur Ermittlung des Rechts der Republik Kasachstan
insoweit sind alle zugängliche Erkenntnisquellen zu nutzen. In Betracht kommt auch die
Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens (vgl. Zöller/Geimer,
a.a.O., § 293, Rz. 20).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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