Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: wohl des kindes, elterliche sorge, gesetzliche vermutung, eltern, berechtigung, hauptsache, kindeswohl, haushalt, aufenthalt, tatsachenfeststellung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 WF 259/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 114 ZPO, § 1671 Abs 2 Nr 2
BGB , § 1666 BGB, § 1667 BGB
Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge, Erfolgsaussicht im
Prozesskostenhilfeverfahren
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin … in B…
beigeordnet.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Dem
Begehren der Antragstellerin kann die hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO, nicht
abgesprochen werden.
Gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag auf Übertragung der alleinigen
elterlichen Sorge bzw. des Aufenthaltsbestimmungsrechts als Teilbereich der elterlichen
Sorge stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen
elterlichen Sorge bzw. eines Teilbereichs davon und die Übertragung auf den Antrag
stellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am Besten entspricht. Diese Regelung
bedeutet nicht, dass dem Fortbestand der gemeinsamen Berechtigung ein Vorrang vor
der alleinigen eines Elternteils eingeräumt wird. Ebenso wenig besteht eine gesetzliche
Vermutung dafür, dass die gemeinsame Rechtsinhaberschaft beider Elternteile im
Zweifel die beste Form der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung ist (vgl. BVerfG,
FamRZ 2004, 77 f.). Vielmehr kommt es hier darauf an, ob eine Verständigung der
Eltern über wichtige Sorgerechtsfragen überhaupt noch in einer Art und Weise möglich
ist, die auch bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern keine dem Kindeswohl dienliche
Entscheidung gewährleistet, also Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern
vorhanden sind (Senat, FamRZ 2003, 1952; Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. Aufl.,
§ 1671, Rz. 36). Streiten sich Eltern bei Fortbestehen gemeinsamer Sorge fortwährend
über die das Kind betreffenden Angelegenheiten, kann dies zu Belastungen führen, die
mit dem Wohl des Kindes nicht vereinbar sind (vgl. BGH, FamRZ 2005, 1167 f.). Der
Antrag auf Übertragung der Alleinsorge bzw. des alleinigen
Aufenthaltsbestimmungsrechts signalisiert schon das Fehlen einer der
Grundvoraussetzungen für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Berechtigung,
nämlich der Kooperationsbereitschaft (Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671, Rz. 37).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann dem Antrag der Mutter, ihr das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter J… allein zu übertragen, die hinreichende
Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden. Dabei ist überdies zu berücksichtigen, dass
die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu dienen darf, die Rechtsverfolgung selbst in
das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des
Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Vielmehr darf Prozesskostenhilfe nur verweigert
werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die
Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, FamRZ 2005, 1893; Senat, FamRZ
2006, 1775).
Im vorliegenden Fall bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Eltern nicht in
der Lage sind, sachlich miteinander zu kommunizieren. Mutter und Vater haben je einen
Antrag gestellt, ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht (Mutter) bzw. die vollständige
elterliche Sorge (Vater) allein zu übertragen, und damit das Fehlen der
Kooperationsbereitschaft signalisiert. Hintergrund ist u. a., dass die Eltern nicht (mehr)
darüber einig sind, bei welchem Elternteil ihre Tochter J… leben soll. Das untersetzt die
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darüber einig sind, bei welchem Elternteil ihre Tochter J… leben soll. Das untersetzt die
Annahme, dass Kooperationsfähigkeit und/oder -bereitschaft erheblich eingeschränkt
sind und sich dies auf das Kindeswohl auswirkt. Nähere Feststellungen hierzu wird das
Amtsgericht im Hauptverfahren zu treffen haben. In dessen Verlauf werden beide
Elternteile gemäß § 50 a Abs. 1 FGG und auch das gut 3 ½-jährige Kind gemäß § 50 b
Abs. 1 FGG persönlich anzuhören sein, das Kind u. a. auch zur Ermittlung seines
tatsächlichen Willens (vgl. BVerfG, FamRZ 2007, 105, 107). Zwar hat diese bei einem
Kleinkind eher geringes Gewicht in Bezug auf eine etwaige Selbstbestimmung der Frage,
welchem Elternteil das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht bzw. die alleinige
elterliche Sorge zustehen soll. Ein etwaiger dahingehend vom Kind ausdrücklich oder
indirekt geäußerter, gegebenenfalls auch durch einen Verfahrenspfleger in Erfahrung
gebrachter Wunsch könnte aber Ausdruck von Bindungen sein und so in die
Entscheidung einfließen (BVerfG, a.a.O.). Auch wird das Jugendamt gemäß § 49 a Abs. 1
Nr. 9 FGG gezielt im vorliegenden Verfahren im Zusammenhang mit der von beiden
Elternteilen begehrten Entscheidung gemäß § 1671 Abs. 1 BGB anzuhören sein. Die
Anhörung des Jugendamts in einem vom Amtsgericht von Amts wegen eingeleiteten
Verfahren gemäß § 1666 BGB und deren Verwertung im vorliegenden Verfahren gemäß
§ 1671 BGB reicht schon mit Rücksicht auf die unterschiedlichen
Tatbestandsvoraussetzungen beider Vorschriften nicht aus.
Der Tatbestand des § 1671 BGB hat die Frage zum Gegenstand, ob die gemeinsame
aufzuheben
allein zu übertragen
ausgeführt, auf Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit abzustellen. Für den Fall der -
hier durch gegensätzliche Antragstellung und Streit jedenfalls über den Aufenthalt des
Kindes im Sinne hinreichender Erfolgsaussicht signalisierten - Aufhebung der
gemeinsamen Berechtigung schließt sich die Frage an, ob die Übertragung auf den
Antragsteller dem Wohl des Kindes am Besten entspricht. In diesem Zusammenhang
sind der Förderungsgrundsatz, der Wille des Kindes, seine Bindungen an beide Elternteile
und der Kontinuitätsgrundsatz von Belang (Johannsen/Henrich/ Jaeger, a.a.O, § 1671, Rz.
51 ff.). Bei der Prüfung dieser Kriterien kommt es u. a. auf die von der Mutter
aufgeführten Hygieneprobleme und die Befürchtung nicht ausreichender Förderung des
Kindes im Haushalt des Vaters an. Diese Fragen und alle anderen
entscheidungserheblichen Tatsachen sind von Amts wegen aufzuklären, sodass die
Erfolgschance der Mutter nicht nur als eine entfernte erscheint. Eine Entscheidung zu
Lasten der Mutter bereits im Prozesskostenhilfeverfahren, die ihr - mangels
ausreichender finanzieller Mittel - die abschließende gerichtliche Prüfung und
Bescheidung des Sachverhalts verschließt, scheidet nach alledem aus.
Im Übrigen ist gemäß § 1671 Abs. 3 BGB dem Antrag nach § 1671 Abs. 1 BGB (nur),
soweit die elterliche Sorge auf Grund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden
muss, stattzugeben. Bei diesen anderen Vorschriften handelt es sich um die §§ 1666 bis
1667 BGB (Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671, Rz. 85). Schon diese gesetzliche
Zuordnung des § 1671 BGB einerseits und des § 1666 andererseits zueinander zeigt,
dass die Erfolgsaussicht eines Antrages gemäß § 1671 Abs. 1 BGB nicht verneint werden
kann, wenn die Voraussetzungen des § 1666 BGB nicht vorliegen. Auch kann die
Tatsachenfeststellung des einen Verfahrens nicht in das andere Verfahren verlagert
sowie die Prozesskostenhilfebewilligung des ersteren nicht auf diese Weise
hinausgeschoben und dann versagt werden (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., Rz. 21 a
zur Frage der Prozesskostenhilfeverweigerung auf Grund des Ergebnisses einer
Beweisaufnahme in der bereits laufenden Hauptsache).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO.
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