Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: fahrbahn, geschwindigkeit, fahrspur, betriebsgefahr, verkehrsunfall, mithaftung, sammlung, anhalten, form, unterlassen

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 W 11/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 1 StVO, § 25 StVO, § 7
Abs 1 StVG, § 7 Abs 2 StVG, §
11 S 2 StVG
Verkehrsunfallhaftung: Anscheinsbeweis gegen ein
Alleinverschulden eines auf der Fahrbahn angefahrenen
Fußgängers
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer -
Einzelrichter - des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az.: 11 O 448/06, wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage, mit der er die
Beklagten auf Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz unter
Berücksichtigung einer Haftungsquote von 50 % sowie auf Zahlung eines
angemessenen Schmerzensgeldes im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall in
Anspruch nehmen will, der sich am 13.10.2005 in F. auf der …-Straße ereignet hat.
Dabei beabsichtigte der Antragsteller, als Fußgänger gegen 14:45 Uhr die vierspurige …-
Straße zu überqueren. Links neben ihm beabsichtigte eine Gruppe von drei weiteren
Personen ebenfalls die …-Straße zu überqueren. Nachdem die Personengruppe die
rechte Fahrspur überquert hatte, blieb sie auf dem Mittelstreifen zwischen der rechten
und linken Fahrspur stehen, um den aus Richtung Stadtbrücke/Grenzübergang
herannahenden Antragsteller zu 2. mit seinem Pkw Citroen, der bei der Antragsgegnerin
zu 1. haftpflichtversichert ist, passieren zu lassen. Der Antragsteller hielt nicht nach
Überqueren der ersten Fahrspur an, sondern lief weiter, ohne zu bemerken, dass die
sich neben ihm befindlichen Personen stehen bleiben. Dabei wurde er von dem Pkw des
Antragsgegners zu 2. erfasst und erlitt einen Wadenbeinbruch am linken Bein sowie eine
komplizierte Ellenbogenfraktur links.
Der Antragsteller wurde ins Klinikum … verbracht und befand sich dort bis zum
17.11.2005 in stationärer Behandlung. Im Rahmen einer am 21.10.2005 durchgeführten
Operation wurden die Frakturen an Schien- und Wadenbein sowie leichtere Verletzungen
am Knie versorgt. Ein weiterer operativer Eingriff erfolgte am 03.11.2005. Im Zeitraum
vom 17.11.2005 bis einschließlich 28.11.2005 wurde der Antragsteller im … Krankenhaus
L. in F. weiterbehandelt. Nach Entlassung aus dem … Krankenhaus L. … war der
Antragsteller nach eigenen Angaben bis einschließlich Frühjahr 2006 auf einen Rollstuhl
angewiesen.
Der Antragsteller begehrt mit der beabsichtigten Klage die Zahlung eines
angemessenen Schmerzensgeldes, wobei er sich einen Betrag von 6.000,00 € als
Mindestgrenze vorstellt. Darüber hinaus begehrt er die Feststellung der Ersatzpflicht für
sämtliche künftige Schäden, wobei er sich eine Mithaftung in Höhe von 50 % anrechnen
lässt. Er ist der Auffassung, die Haftung der Antragsgegner sei aus dem Grunde
gegeben, weil der Antragsgegner zu 2. die Pflicht aus § 3 Abs. 1 S. 3 StVO zum Fahren
auf Sicht verletzt habe, indem er nicht seine Geschwindigkeit reduziert habe, als er an
der auf der Straße stehenden Personengruppe vorbeigefahren sei.
Die Antragsgegner sind dem Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers
entgegengetreten. Sie wenden ein, eine Verpflichtung für den Antragsgegner zu 2. zur
Herabsetzung der Geschwindigkeit habe nicht bestanden. Die rechts von der Fahrspur
wartende Personengruppe habe das Fahrzeug des Antragsgegners zu 2. offensichtlich
passieren lassen wollen. Sie behaupten, der Antragsgegner zu 2. habe seine
Geschwindigkeit von 30 km/h auf 15 km/h reduziert. Sie sind der Ansicht, der Unfall sei
allein auf das Verhalten des Antragstellers zurückzuführen.
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allein auf das Verhalten des Antragstellers zurückzuführen.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die beabsichtigte
Rechtsverfolgung habe keine Aussicht auf Erfolg. Zwar sei die Haftung der
Antragsgegner nicht nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, da ein Fall von höherer
Gewalt nicht gegeben sei. Der Antragsteller trage jedoch an dem streitgegenständlichen
Verkehrsunfall ein derartig hohes überwiegendes Mitverschulden, das demgegenüber die
Betriebsgefahr des Kfz gänzlich zurücktrete. Der Antragsteller sei nach § 25 StVO
verpflichtet gewesen, den Fahrzeugverkehr zu beachten, was er gänzlich unterlassen
habe. Dagegen habe sich der Antragsgegner zu 2. ausreichend sorgfältig verhalten, so
dass seine Betriebsgefahr zurücktrete.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner form- und fristgerecht eingelegten
sofortigen Beschwerde, mit der er seine Auffassung vertieft, dass eine Mithaftung der
Antragsgegner jedenfalls in Höhe von 50 % aufgrund eines Verstoßes des
Antragsgegners zu 2. gegen § 3 Abs. 1 S. 3 StVO bestehe, da der Antragsgegner zu 2.
nicht darauf habe vertrauen dürfen, dass sämtliche auf der Fahrbahn befindlichen
Personen anhalten würden.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 30.03.2007 nicht
abgeholfen und die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Entscheidung
vorgelegt.
II.
Die gem. §§ 127 Abs. 2, 567 Abs. 1 S. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige
sofortige Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Das Landgericht hat zu
Recht eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht der
beabsichtigten Klage gem. § 114 ZPO verneint. Dem Antragsteller stehen gegenüber
den Antragsgegnern keine Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus §§
7 Abs. 1, 11 S. 2 StVG, § 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB, 3 Nr. 1 PflVG zu.
Dem Antragsgegner zu 2. kann nach dem Vorbringen des Antragstellers kein Verstoß
gegen § 3 Abs. 1 StVO vorgeworfen werden. Grundsätzlich spricht in Fällen wie dem
vorliegenden, in denen ein Fußgänger von einem von links kommenden Fahrzeug auf
dessen rechter Fahrbahnseite angefahren wird, der Anscheinsbeweis gegen das alleinige
Verschulden des Fußgängers (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 25 StVO,
Rn. 54 m.w.N.). Umstände, die geeignet wären, den Anscheinsbeweis zu entkräften, hat
der Antragsteller nicht vorgetragen. Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller darauf, der
Antragsgegner zu 2. habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass sämtliche auf der
Fahrbahn befindliche Personen tatsächlich stehen blieben. Vielmehr durfte der
Antragsgegner zu 2. grundsätzlich darauf vertrauen, dass die auf der von ihm aus
gesehenen rechten Fahrspur stehen gebliebene Personengruppe, die ihn ersichtlich
bemerkt hatte, auch vorbeifahren lassen werde, sofern keine Anzeichen dafür
bestanden, dass die Gruppe abgelenkt war. Es handelte sich nicht um besonders
gefährdete Verkehrsteilnehmer wie Kinder, Jugendliche oder alte oder gebrechliche
Menschen. Im Übrigen war der Antragsgegner zu 2. nur verpflichtet, mit angepasster
Geschwindigkeit und ausreichendem Seitenabstand an der Gruppe vorbeizufahren (vgl.
KG VM 1993, 85). Unter diesen Umständen war die vom Antragsteller vorgetragene
Geschwindigkeit von 30 km/h nicht unangepasst.
Die somit allenfalls aus der Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Antragsgegners zu 2.
bestehende Haftung der Antragsgegner tritt im Streitfall hinter dem im Rahmen des
Mitverschuldens nach §§ 9 StVG, 254 BGB zu berücksichtigenden groben
Verkehrsverstoß des Antragstellers gegen die erhöhte Sorgfaltspflicht des § 25 Abs. 3
StVO in vollem Umfang zurück. Der grobe Verkehrsverstoß ergibt sich im Streitfall
bereits aus dem eigenen Vortrag des Antragstellers, indem er offensichtlich weder vor
dem Betreten der Fahrbahn noch als die neben ihm die Fahrbahn überquerende
Personengruppe anhielt, um den Antragsgegner zu 2. vorbeifahren zu lassen, sich
darüber vergewissert hat, dass kein Fahrzeug naht. Diese Verkehrssituation lässt sich
durchaus mit der Situation vergleichen, in der ein Fußgänger unachtsam hinter einem
parkenden Kraftfahrzeug auf die Fahrbahn tritt.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Pflicht des Antragstellers zur Tragung
der Gerichtsgebühren ergibt sich aus Nr. 1811 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu §
3 GKG), ohne dass es einer Aufnahme in den Beschlusstenor bedarf.
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Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, § 127 Abs. 4 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen. Im Verfahren über die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde beschränkt auf
Verfahrensfragen oder Fragen, die die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse
der Partei betreffen (vgl. BGH NJW 2003, 1126). Derartige Gründe liegen hier nicht vor.
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