Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: wohl des kindes, wiedereinsetzung in den vorigen stand, gemeinsame elterliche sorge, anhörung des kindes, getrennt leben, ärztliche behandlung, eltern, zukunft, beeinflussung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 UF 153/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1671 Abs 1 BGB, § 1671 Abs 2
Nr 2 BGB
Sorgerecht: Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts
auf einen Elternteil unter Berücksichtigung der eingeschränkten
Erziehungsfähigkeit beider Elternteile
Tenor
Die befristete Beschwerde und der Antrag auf Übertragung der alleinigen
Vermögenssorge werden zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens bei einem Wert von
3.000 € zu tragen.
Gründe
I.
Die Verfahrensbeteiligten zu 1. und 2. streiten hinsichtlich der Übertragung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts und nunmehr auch hinsichtlich der Vermögenssorge.
Die Kindeseltern haben im Jahr 1995 die Ehe miteinander geschlossen. Am 27. Februar
2006 haben sie sich getrennt. Zu diesem Zeitpunkt ist der Antragsteller aus der
gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen. Grund der Trennung waren körperliche
Übergriffe der Antragsgegnerin gegenüber ihrem Ehemann. Dieser hat im April 2006 ein
Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz eingeleitet (35 F 95/06 - Amtsgericht
Oranienburg), welches durch eine Vereinbarung der Parteien beendet worden ist.
Aus der Ehe ist die gemeinsame Tochter L., geb. am … 1997, hervorgegangen. Die
Tochter ist zunächst im Haushalt der Kindesmutter verblieben. Der Antragsteller hatte
mit der Tochter regelmäßig alle zwei Wochen Umgang gepflegt, so auch in der Zeit vom
28. April bis 2. Mai 2006. Anlässlich dieses Umganges hat die gemeinsame Tochter dem
Antragsteller erzählt, dass sie von der Antragsgegnerin auf die Brust geschlagen worden
sei. Auf Nachfrage hat sie erklärt, dass sie bereits während der intakten Ehe von der
Antragsgegnerin öfter angeschrien und geschlagen worden sei. Nach dem Auszug des
Antragstellers habe sich dieser Zustand verschlimmert.
Der Antragsteller hat sodann das Kind dem Kinderarzt Dr. Sch. am 1. Mai 2006
vorgestellt. Ihm gegenüber hat L. diese Äußerungen wiederholt; äußere Anzeichen einer
körperlichen Misshandlung konnte der Kinderarzt nicht feststellen. Darüber hinaus hat
der Antragsteller ebenfalls das Jugendamt des Landkreises O. informiert, dessen
Mitarbeiter haben insoweit zunächst einen Verbleib des Kindes bei ihm befürwortet.
Sodann hat der Antragsteller das vorliegende Verfahren auf Übertragung des alleinigen
Aufenthaltsbestimmungsrechts für das Kind L. auf ihn eingeleitet.
Der Antragsteller hat insoweit die Auffassung vertreten, dass es zum Wohl des Kindes L.
erforderlich sei, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein zu übertragen, da das Kind
infolge der körperlichen und seelischen Misshandlungen durch die Antragsgegnerin nicht
mehr zu dieser zurückkehren wolle. Neben den körperlichen Misshandlungen habe die
Antragsgegnerin das Kind auch einmal mehrere Stunden ohne Nahrung in einem Raum
eingesperrt und darüber hinaus mit einem gemeinsamen Suizid gedroht.
Der Antragsteller hat beantragt,
ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind L. zu übertragen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen und ihr das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind L. allein zu übertragen.
Der Antragsteller hat sodann beantragt,
den Antrag der Antragsgegnerin zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hat behauptet, L. niemals geschlagen zu haben. Sie hat jedoch
eingeräumt, das Kind angeschrien und zur Disziplinierung mehrfach kurzzeitig in sein
Zimmer verwiesen zu haben. Die gegenteiligen Äußerungen des Kindes seien lediglich
auf eine negative Beeinflussung durch den Antragsteller zurückzuführen, der im Übrigen
ungeeignet zur Erziehung des Kindes sei, da er zum einen nicht mit Geld umgehen
könne und zum anderen ein Alkoholproblem habe. Sie selbst sei die Hauptbezugsperson
für das Kind und könne dieses in der Zukunft besser fördern, da der Kindesvater
aufgrund seiner Arbeitszeiten zu einer ausreichenden Betreuung nicht in der Lage sei.
Das Amtsgericht Oranienburg hat mit einer einstweiligen Anordnung vom 15. Mai 2006
dem Antragsteller vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur
Regelung schulischer Angelegenheiten übertragen. Darüber hinaus hat es für das Kind
eine Verfahrenspflegerin bestellt und die Einholung eines schriftlichen
Sachverständigengutachtens zu einer eventuellen Alkoholabhängigkeit des Kindesvaters
angeordnet.
Der Sachverständige Dipl.-Med. H. ist in seinem Gutachten vom 7. Juni 2006 sodann zu
dem Ergebnis gelangt, dass von einer Alkoholabhängigkeit des Kindesvaters nicht
auszugehen sei, da hierfür keinerlei Anhaltspunkte gegeben seien.
Die Jugendämter des Landkreises O. und der Stadt P. haben in ihren Stellungnahmen
zum Ausdruck gebracht, dass es aus sozialpädagogischer Sicht erforderlich sei, dass die
Kindeseltern ihre trennungsbedingten Konflikte überwinden. Konkrete Anhaltspunkte
dafür, dass ein Elternteil nicht erziehungsgeeignet sei, konnten die Jugendämter nicht
feststellen.
Die Verfahrenspflegerin hat in ihrer Stellungnahme vom 6. Juni 2006 die Auffassung
vertreten, dass es dem Kindeswohl am ehesten entsprechen würde, wenn L. im Haushalt
des Kindesvaters verbliebe, da dies der Wunsch des Kindes L. sei. Dieser sei
insbesondere auf Ängste gegenüber der Kindesmutter zurückzuführen, die allerdings
(zumindest teilweise) auch ihren Ursprung in einer Beeinflussung durch den Antragsteller
hätten.
Das Amtsgericht Oranienburg hat sodann mit der angefochtenen Entscheidung das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. beim Kindesvater allein belassen, während es die
mit der einstweiligen Anordnung ergangene Entscheidung zum Recht bezüglich der
Regelung schulischer Angelegenheit aufgehoben hat. Die durch das
Sachverständigengutachten entstandenen Kosten hat es der Antragsgegnerin auferlegt,
da diese durch ihre Behauptung Veranlassung zur Einholung dieses Gutachtens
gegeben habe.
Gegen diese Entscheidungen richtet sich die befristete Beschwerde der
Antragsgegnerin, mit der sie ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft.
Insbesondere vertritt die Antragsgegnerin die Auffassung, dass ihr bereits deshalb das
Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen sei, weil sie in der Vergangenheit
ausschließlich die Erziehung und Versorgung des Kindes gewährleistet habe. Dies
insbesondere auch deshalb, weil der Kindesvater bis zum Jahr 2005 im Schichtdienst
tätig gewesen sei und schon aufgrund seiner Arbeitszeiten hierzu keine Möglichkeit
gehabt habe. Erst nach Aufnahme seiner jetzigen Tätigkeit als technischer Leiter eines
Krankenhauskomplexes in M. sei es ihm möglich gewesen, sich morgens um die
Versorgung des Kindes zu kümmern. Gleichwohl sei nur sie in der Lage, die Erziehung
bzw. Betreuung L. im Interesse des Kindeswohls zu gewährleisten. Ihre
Erziehungsfähigkeit sei auch nicht eingeschränkt, da sie das Kind niemals geschlagen
oder eingesperrt habe.
Der Antragsteller sei hingegen erziehungsungeeignet, da er das Kind gegen sie (die
Antragsgegnerin) beeinflusse. Darüber hinaus sei er aufgrund seiner beruflichen
Tätigkeit nicht in der Lage, die Versorgung und Betreuung des Kindes zu gewährleisten;
er könne aber auch nicht die für das Kind richtigen Entscheidungen treffen. Soweit L. den
Wunsch äußere, beim Antragsteller zu leben, sei dieser lediglich auf ihre Beeinflussung
durch den Kindesvater zurückzuführen und demzufolge für die zu treffende Entscheidung
unbeachtlich. Der Antragsteller habe darüber hinaus ein Sparkassenbuch des Kindes
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unbeachtlich. Der Antragsteller habe darüber hinaus ein Sparkassenbuch des Kindes
unberechtigterweise an sich genommen und in der Folge aufgelöst, ohne sie hiervon in
Kenntnis zu setzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
ihr in Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung das
Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Vermögensfürsorge für das Kind L. zu
übertragen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsteller vertritt weiterhin die Auffassung, dass der Antragsgegnerin nicht das
Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen sei, weil diese erziehungsungeeignet sei.
So habe sie in der Vergangenheit nicht nur ihn selbst, sondern auch L. geschlagen und
darüber hinaus angeschrien bzw. ungerechtfertigt in einen Raum eingesperrt. Aus diesen
Handlungen würden die Ängste des Kindes resultieren, die zum einen darin zum
Ausdruck kämen, dass das Kind keinen unbegleiteten Kontakt mit der Mutter haben und
zum anderen auch in Zukunft in seinem Haushalt leben wolle. Er selbst sei in der Lage,
die Erziehung und Betreuung des Kindes - auch unter Zuhilfenahme von Verwandten -
zu gewährleisten.
II.
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist nach § 621 e Abs. 1 ZPO als befristete
Beschwerde statthaft, da sie sich gegen eine Endentscheidung über eine Familiensache
gemäß § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO richtet. Die Antragsgegnerin ist als Kindesmutter auch
beschwerdeberechtigt im Sinne des § 20 FGG und beschwert (vgl. Zöller/Philippi, ZPO,
26. Auflage, § 620 e Rn. 14, 16), weil die angefochtene Entscheidung ihr das Recht zur
gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge hinsichtlich des Teilbereiches
Aufenthaltsbestimmung entzieht. Schließlich ist die Beschwerdeschrift aufgrund der
gewährten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Beschluss vom 16. Oktober 2006
nach § 621 e Abs. 3 ZPO i.V.m. §§ 517, 520 ZPO auch als form- und fristgemäß beim
Brandenburgischen Oberlandesgericht als Beschwerdegericht eingereicht anzusehen.
Die Beschwerde ist damit zulässig.
2. Die befristete Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Gemäß § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Ziffer 2 BGB ist bei Eltern, die nicht nur vorübergehend
voneinander getrennt leben, die elterliche Sorge einem Elternteil allein zu übertragen,
wenn bei widerstreitenden Anträgen zum Sorgerecht zu erwarten ist, dass die
Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl
des Kindes am besten entspricht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der
gesetzlichen Konzeption kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in dem Sinne besteht, dass
eine Priorität zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht und die Alleinsorge
eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als "ultima ratio" in Betracht kommen sollte
(BVerfG FamRZ 2004, 353; BGH NJW 2000, 203 m.w.N.).
Die gemeinsam sorgeberechtigten Kindeseltern leben unzweifelhaft nicht nur
vorübergehend voneinander getrennt, sodass zunächst maßgebend ist, ob die
Voraussetzungen für eine weiterhin gemeinsame Ausübung des Sorgerechts nach den
Kriterien der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. November 1992
(FamRZ 1992, 1179) vorliegen. Danach ist in erster Linie zu prüfen, inwieweit beide
Eltern uneingeschränkt zur Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind, ob ein
gemeinsamer Wille zur Kooperation besteht sowie keine sonstigen Gründe vorliegen, die
es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu
übertragen. Das Kindeswohl hat sich dabei an den Grundsätzen der Kontinuität, der
Förderung, der Bindung des Kindes an seine Eltern und am geäußerten Willen des Kindes
zu orientieren (BGH FamRZ 1990, 393).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen
Sorge hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts für L. unabhängig von der
Erziehungseignung und Erziehungsbereitschaft der Eltern zu erfolgen. Es fehlt bereits an
der Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit der Eltern. Beide Elternteile
müssten insoweit gewillt sein, die Verantwortung für das Kind auch nach der Trennung
gemeinsam zu tragen (BGH FamRZ 1993, 314; KG FamRZ 1999, 616; 2000, 504; OLG
Celle FF 1999, 59; OLG Stuttgart FamRZ 1999, 1596), was nicht festgestellt werden
kann.
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So besteht zwischen ihnen seit der Trennung erheblicher Streit hinsichtlich des
Aufenthalts des Kindes, aber auch hinsichtlich einzelner Erziehungsfragen. Insbesondere
die Antragsgegnerin versucht permanent, dem Antragsteller vorzuschreiben, welche
konkreten Erziehungsmaßnahmen er wie vorzunehmen hat (ärztliche Behandlung,
Ernährung, Aktivitäten des Kindes usw.). Die Kindeseltern haben insoweit lediglich noch
über ihre Verfahrensbevollmächtigten kommuniziert. Absprachen, insbesondere auch
zur Regelung des Umgangs, sind nicht möglich; vielmehr ist auch insoweit ein
gerichtliches Verfahren beim Amtsgericht Potsdam (46 F 276/06) anhängig. Der
Antragsteller hat die Antragsgegnerin darüber hinaus mit mehreren
Ermittlungsverfahren überzogen. Zwar betonen beide Kindeseltern, in Zukunft zum Wohl
des Kindes zusammenarbeiten zu wollen. Jedoch ist eine tatsächliche Umsetzung dieser
Bekundungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwierig. Auch in der mündlichen
Anhörung ist deutlich geworden, dass die Kindeseltern die erforderliche
Kooperationsbereitschaft zurzeit nicht aufbringen.
Insgesamt besteht daher eine Basis zur Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen
Sorge bezüglich des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht, sodass hier eine
Entscheidung bezüglich der Alleinsorge im Sinne des § 1671 Abs. 2 Ziffer 2 BGB zu
erfolgen hat. Gleichwohl ist die Aufhebung der gemeinsamen Sorge auf diesen
Teilbereich als mildestes Mittel zu beschränken, da zum einen die begründete Hoffnung
besteht, dass die Kindeseltern nach der Regelung des Aufenthaltes - als den wichtigsten
Teil der elterlichen Sorge - zukünftig in der Lage sein werden, die weiteren
Entscheidungen für L. gemeinsam zu treffen und zum anderen zum gegenwärtigen
Zeitpunkt keine wichtigen Entscheidungen anstehen.
Scheidet danach eine gemeinsame elterliche Sorge teilweise aus, so ist sodann anhand
der o.g. Sorgerechtskriterien zu prüfen, ob es dem Kindeswohl von L. am ehesten
entspricht, wenn dem Kindesvater oder der Kindesmutter das alleinige
Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wird.
Insoweit ist zunächst davon auszugehen, dass der Grundsatz der Kontinuität für die
Antragsgegnerin spricht. Unbestritten hat sie hier in der Vergangenheit den Hauptteil
der Erziehung und Betreuung des Kindes erbracht. Insbesondere hat sie die
Erziehungszeit von drei Jahren mit dem Kind verbracht, während der Antragsteller bis in
das Jahr 2005 einer Tätigkeit im Dreischichtsystem nachgegangen ist und deshalb
insoweit nur in beschränkterem Maße zur Verfügung gestanden hat. Soweit sich L.
nunmehr seit ca. ½ Jahr durchgängig im Haushalt des Kindesvaters aufhält, vermag dies
keinen Bruch in der Kontinuität darzustellen, da dieser Zeitabschnitt im Vergleich zu der
bisher vergangenen Zeit als relativ kurz anzusehen ist.
Darüber hinaus spricht grundsätzlich auch das Förderungsprinzip, soweit hierunter die
organisatorischen Möglichkeiten zu verstehen sind, für die Antragsgegnerin. Insoweit
kann sie sich sowohl aufgrund ihrer Gleitzeit als auch der Möglichkeit einer
Teilzeittätigkeit besser auf die Bedürfnisse des Kindes hinsichtlich der Betreuung
einstellen. Im Übrigen ist es in der Vergangenheit auch die Kindesmutter gewesen, die
sich vorrangig um die schulischen als auch außerschulischen Belange und die Förderung
des Kindes gekümmert hat.
Hinsichtlich der Bindungen des Kindes ist - auch in Übereinstimmung mit den Aussagen
der Verfahrenspflegerin und im Ergebnis der persönlichen Anhörungen - davon
auszugehen, dass L. zu ihren Eltern jeweils eine enge emotionale und tragfähige
Beziehung aufgebaut hat, sodass wesentliche Unterschiede hinsichtlich dieses
Sorgerechtskriteriums nicht gegeben sind.
Gleichwohl stellt sich jedoch die angefochtene Entscheidung als richtig dar. Die
Antragsgegnerin weist erhebliche Einschränkungen in ihrer Erziehungsfähigkeit auf,
sodass es im Interesse des Kindeswohls erforderlich ist, dem Antragsteller das
Aufenthaltsbestimmungsrecht allein zu übertragen.
Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die Antragsgegnerin nicht immer in der Lage ist,
in Stresssituationen adäquat zu handeln. Hierfür sprechen sowohl die Gewalttätigkeiten
gegenüber dem Antragsteller, die zumindest teilweise zwischen den Parteien unstreitig
und im Übrigen von der Antragsgegnerin nur pauschal bestritten worden sind, als auch
ihr Verhalten gegenüber dem minderjährigen Kind. So steht unstreitig fest, dass L. in der
Vergangenheit mehrfach von der Antragsgegnerin massiv angeschrien und verbal unter
Druck gesetzt worden ist, was bereits zu einer psychischen Beeinträchtigung des Kindes
und zumindest auch zu einer Begünstigung der vorhandenen Ängste, von deren
Bestehen sich der Senat in der persönlichen Anhörung des Kindes selbst überzeugen
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Bestehen sich der Senat in der persönlichen Anhörung des Kindes selbst überzeugen
konnte, geführt hat. Darüber hinaus hegt der Senat nach dieser Anhörung aber auch
keinerlei Zweifel daran, dass es auch zu den geschilderten körperlichen Übergriffen
gegen das Kind gekommen ist. Insbesondere ist auszuschließen, dass die im gesamten
Verfahren getätigten Schilderungen L. auf eine Beeinflussung durch den Kindesvater
bzw. dessen Familie zurückzuführen sind.
Bereits diese Umstände sprechen gegen die Übertragung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Antragsgegnerin, da hier tieferliegende,
psychische Probleme der Antragsgegnerin nicht ausgeschlossen werden können, um
deren Aufarbeitung sich die Antragsgegnerin - auch im Interesse des Kindeswohls -
bemühen sollte.
Darüber hinaus ergeben sich aber auch aus dem mit ihrer Beschwerdeschrift
geschilderten Erziehungsverhalten in der Vergangenheit selbst erhebliche Bedenken, die
gegen eine uneingeschränkte Erziehungseignung der Antragsgegnerin sprechen.
Danach ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass die Antragsgegnerin durch das
(durchaus gutgemeinte) Bemühen, immer das Beste für ihre Tochter zu erreichen, nicht
den Aufbau einer eigenständigen Persönlichkeit gefördert hat, sondern insoweit eine
(Ideal-)Person, die ihren eigenen Vorstellungen und Wünschen entspricht, schaffen
wollte. Hierbei ist eine Überforderung für L. entstanden.
Ausdruck hierfür ist insbesondere die Tatsache, dass die Antragsgegnerin - ausweislich
ihres gesamten Vortrages, aber auch des von ihr vermittelten Eindruckes in der
mündlichen Anhörung vor dem Senat - davon ausgeht, dass ausschließlich sie in der
Lage ist, die richtigen Entscheidungen für L. zu treffen. Sie ist offensichtlich nicht in der
Lage, andere Auffassungen zu akzeptieren. Eigene Fehler vermag die Antragsgegnerin
insoweit nicht zu reflektieren und demzufolge auch nicht abzustellen. Selbst die
Tatsache, dass der Antragsteller nach der Übertragung des
Aufenthaltsbestimmungsrecht alltägliche Entscheidungen eigenständig zu treffen hat,
vermag sie nicht zu respektieren.
Dies ergibt sich anschaulich aus ihrem Schreiben an den Antragsteller vom 18. August
2006, mit dem sie ihm vorzuschreiben versucht, wie er sich angemessen mit L. zu
beschäftigen habe, welche Sachen er zum Anziehen erwerben dürfe und wie er L. zu
ernähren habe. Obwohl die Antragsgegnerin darüber hinaus zunächst darauf hinweist,
dass sie hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge gemeinsame Entscheidungen zu treffen
hätten, erklärt sie sodann, dass sie selbst eine rein schulmedizinische Behandlung
ablehne, und auf einer homöopathischen bestehe, sodass von vornherein vorgegeben
ist, wie diese gemeinschaftliche Entscheidung auszusehen habe.
Zwar kann bei der Abwägung der Sorgerechtskriterien nicht unberücksichtigt bleiben,
dass auch der Antragsteller Einschränkungen in seiner Erziehungsfähigkeit aufweist und
bei der Betreuung und Versorgung des Kindes in erheblichem Umfang auf die Mitwirkung
von Familienangehörigen angewiesen ist. Jedoch sind diese negativen Kriterien nicht so
gravierend, um der Antragsgegnerin das Aufenthaltsbestimmungsrecht zuweisen zu
können.
Die Einschränkungen in der Erziehungseignung resultieren zum einen insbesondere
daraus, dass er (zumindest) in der Vergangenheit L. negativ gegenüber der
Kindesmutter beeinflusst hat, indem er dem Kind an Begebenheiten, die ausschließlich
die Paarebene der Eltern betreffen, hat teilhaben lassen. Zum anderen sind sie darin
begründet, dass der Antragsteller nur wenig dazu beiträgt, die Kontakte zwischen Kind
und Mutter aufrechtzuerhalten bzw. ein möglichst positives Verhältnis des Kindes zu
seiner Mutter wiederherzustellen. In der Zukunft wird er daher insoweit positiv auf das
Kind einzuwirken haben, um seiner Elternverantwortung gerecht werden zu können.
Darüber hinaus hat er aber auch alles zu unterlassen, was das Verhältnis Kind-Mutter
belasten könnte.
Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass die erheblichen Einschränkungen in der
Erziehungseignung gegen eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die
Antragsgegnerin sprechen.
Darüber hinaus spricht auch der Wille des Kindes L., in Zukunft seinen Aufenthalt beim
Kindesvater haben zu wollen, für die amtsgerichtliche Entscheidung. Der Senat konnte
sich in der Anhörung von der Festigkeit des insoweit durchgängig geäußerten Wunsches
überzeugen. Anhaltspunkte für eine Beeinflussung haben sich nicht ergeben. Zwar ist
insoweit der Kindesmutter zuzustimmen, dass eine Sorgerechtsentscheidung nicht
ausschließlich auf dem geäußertem Willen eines minderjährigen Kindes beruhen sollte.
Jedoch ist dieser Wille zumindest bei der Abwägung aller Sorgerechtskriterien mit zu
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Jedoch ist dieser Wille zumindest bei der Abwägung aller Sorgerechtskriterien mit zu
berücksichtigen. Insbesondere dann, wenn - wie hier - ein Alter und eine Intelligenz des
Kindes erreicht sind, die auf vorherige allumfassende Meinungsbildung schließen lassen
und der Wille - wie im vorliegenden Fall - mit einem besonders starken Nachdruck
geäußert wird.
Unter Abwägung sämtlicher Kriterien und nach der mündlichen Anhörung der
Kindeseltern war daher die befristete Beschwerde zurückzuweisen. Der Einholung eines
kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Erziehungseignung
der Kindeseltern bedurfte es nicht, da der Senat aufgrund seiner eigenen Sachkenntnis
eine Entscheidung treffen konnte.
Soweit die Antragsgegnerin darüber hinaus die Übertragung der Vermögenssorge auf
sich allein begehrt, war ihr Antrag zurückzuweisen. Zwar ist ihr insoweit zu folgen, dass
die Kindeseltern Entscheidungen hinsichtlich der dem Kind gehörenden
Vermögenswerte, wozu unzweifelhaft auch die Auflösung eines Sparbuches zählt,
gemeinsam zu treffen haben, sodass sich die vom Antragsteller getroffene
Entscheidung zur Auflösung des Sparbuches als Verstoß gegen diese Verpflichtung
darstellt. Gleichwohl rechtfertigt dieser einmalige Vorfall nicht die Auflösung der
gemeinsamen Vermögenssorge, da sich das Fehlverhalten nicht als erheblich darstellt.
Durch die Entscheidung, das Sparguthaben auf einem anderen Konto zu deponieren, ist
keine Gefährdung des Vermögens eingetreten. Vielmehr ist lediglich die tatsächliche
Verfügungsgewalt der Antragsgegnerin (ungerechtfertigt) eingeschränkt worden; ihr
Recht zur Mitentscheidung hinsichtlich der Verwendung des Geldes jedoch nicht.
Insgesamt rechtfertigt das Vorgehen des Antragstellers die Aufhebung und Übertragung
der Vermögenssorge auf die Antragsgegnerin allein nicht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a FGG, § 2 Nr. 1 KostO. Die
Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 30 Abs. 2 und 3, 131 a KostO.
Soweit sich die Antragsgegnerin auch gegen die Auferlegung der durch das Gutachten
des Sachverständigen Dipl.-Med. H. entstandenen Kosten wendet, hat sie hiermit keinen
Erfolg. Das Amtsgericht hat insoweit die Antragsgegnerin gemäß § 94 Abs. 3 Satz 2
KostO nach billigem Ermessen zur Kostentragung bestimmt, da das
Sachverständigengutachten Anhaltspunkte für einen Alkoholmissbrauch des
Antragstellers nicht ergeben hat.
Diese Entscheidung kann durch den Senat nur bezüglich der Frage, ob ein
Ermessensfehlgebrauch vorliegt, also begrenzt überprüft werden. Anhaltspunkte für ein
Überschreiten des dem Amtsgericht eingeräumten Ermessen sind jedoch nicht
ersichtlich, da die getroffene Entscheidung aufgrund dar Tatsache, dass das
Sachverständigengutachten keinerlei Anhaltspunkte für den von der Antragsgegnerin
substanziiert behaupteten Alkoholmissbrauch des Antragstellers erbracht hat, durchaus
nachvollziehbar ist.
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