Urteil des OLG Brandenburg vom 08.09.1998

OLG Brandenburg: rücktritt vom vertrag, drogenkonsum, versicherer, gespräch, berufungsschrift, hinweispflicht, beweislast, beweiswert, rente, versicherungsleistung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
13. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 U 111/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 280 BGB, § 652 BGB, § 93 HGB
Schadensersatz wegen Verletzung einer Aufkläungs- und
Hinweispflicht, Gesundheitsfragen im Versicherungsantrag
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 7.7.2006 verkündete Urteil des Landgerichts
Cottbus wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Am 8. 9.1998 unterzeichnete der Kläger unter Vermittlung des damals für die Beklagte
tätigen Streithelfers und dessen Vorgesetzten, des Zeugen G…, einen Antrag auf
Abschluss einer Risikolebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung bei
der … Lebensversicherungs AG. Obwohl der Kläger seinerzeit Drogen, überwiegend
Haschisch konsumierte, sind sämtliche Fragen nach ärztlichen Behandlungen und
Krankheiten, u. a. auch nach Drogenkonsum, im Antragsformular durch Ankreuzen des
dafür vorgesehenen Kästchens mit "nein" beantwortet worden. Die …
Lebensversicherungs AG nahm den Antrag des Klägers an. Am 15.4.2002 erlitt der
Kläger nach Herzkammerflimmern einen Herzstillstand. Bei der klinischen Behandlung
stellte sich heraus, dass er an einem hypoxisch bedingten hirnorganischen
Psychosyndrom erkrankt ist, welches trotz Rehabilitationsmaßnahmen zu einer
hirnorganischen Persönlichkeitsänderung führte. Der Grad der Behinderung des Klägers
ist mit 70 % festgestellt. Auf den Leistungsantrag des Klägers erklärte die …
Lebensversicherungs AG (künftig …) im November 2002 unter Bezugnahme auf einen
Arztbericht der Ärztin Dr. D… den Rücktritt vom Vertrag. Aus deren Bericht habe sich ein
Drogenkonsum des Klägers seit 1991 ergeben, der im Jahr 1994 zu einer vegetativen
Entgleisung geführt habe.
Der Kläger hat behauptet, ihm sei der Antrag vorausgefüllt zur Unterschrift vorgelegt
worden; die darin enthaltenen Gesundheitsfragen seien ihm weder gestellt noch
vorgelesen worden. Vielmehr habe der Streithelfer erklärt, der Versicherer werde im
Rahmen der Antragsprüfung Auskunft bei dem behandelnden Arzt einholen. Der
Streithelfer habe von dem Drogenkonsum gewusst.
Er hat beantragt,
Die Beklagte hat beantragt,
Sie hat die Auffassung vertreten, als Versicherungsvertreterin tätig gewesen zu sein.
Dazu hat sie vorgebracht, ihr Mitarbeiter habe dem Kläger erklärt, hinsichtlich der
nachgefragten Versicherung könne ausschließlich das Produkt der … angeboten werden.
Außerdem sei der Kläger über die Folgen unrichtiger Beantwortung der
Gesundheitsfragen von ihren Mitarbeitern belehrt worden.
Der Streithelfer der Beklagten hat sich dem Antrag der Beklagten angeschlossen.
Er hat behauptet, den Kläger darauf hingewiesen zu haben, dass die Frage nach
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Er hat behauptet, den Kläger darauf hingewiesen zu haben, dass die Frage nach
Drogenkonsum mit "ja" beantwortet werden müsse, da ihm bekannt gewesen sei, dass
der Kläger früher gelegentlich Haschisch geraucht habe. Der Kläger habe darauf
bestanden, mit "nein" zu antworten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei
schon ein Tätigwerden der Beklagten als Versicherungsmaklerin nicht festzustellen.
Vielmehr sei die Beklagte als Versicherungsvermittlerin im Sinne eines Vertreters des
Versicherers anzusehen, mit der Folge, dass die Kenntnis des Vertreters dem
Versicherer zuzurechnen sei. Ein durch Pflichtverletzung verursachter Schaden sei
mithin zu verneinen, weil dem Versicherer ein Recht zum Rücktritt nicht zugestanden
habe.
Gegen das Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Er wiederholt und vertieft sein
erstinstanzliches Vorbringen und beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Senat hat aufgrund des Beweisbeschlusses vom 9.5.2007 und vom 16.7.2007
Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Gr…, H…, G… und W…. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf den Inhalt des Protokolls
der mündlichen Verhandlung vom 26.9.2007, Bl. 370 ff. d.A..
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie der Protokolle der mündlichen
Verhandlungen verwiesen.
II.
Die Berufung ist zulässig, §§ 511, 517, 519, 520 ZPO. Die in der Berufungsschrift
unrichtig vorgenommene Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung des
Landgerichts Cottbus als eine solche des Landgerichts Frankfurt am Main stellt nicht
einen zur Formunwirksamkeit der Berufung führenden Mangel im Sinne des § 519 Abs. 2
Nr. 1 ZPO dar.
Dies gilt unabhängig davon, ob der vor Ablauf der Berufungsfrist im Original
eingegangenen Berufungsschrift eine Kopie des angefochtenen Urteils beigefügt war
oder nicht. Die fehlerhafte Bezeichnung des angefochtenen Urteils ist hier deshalb
unschädlich, weil schon anhand der sonstigen Umstände zweifelsfrei festgestanden hat,
gegen welches Urteil die Berufung gerichtet war (vgl. BGHZ 165, 371 ff.; FamRZ 2006,
1317). Die Berufungsschrift enthielt sowohl zutreffende Angaben zu den Parteien wie
auch zum vorinstanzlichen Aktenzeichen und zum Verkündungszeitpunkt. Diese
Angaben haben eine zweifelsfreie Identifikation des angefochtenen Urteils ermöglicht.
Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht Frankfurt am Main am 7.7.2006 zum Az.: 3 O
373/05 ein Urteil in einem Rechtsstreit der Parteien erlassen haben könnte, sind nicht
ersichtlich.
Die Berufung ist indessen unbegründet.
Es besteht weder eine Haftung der Beklagten auf Zahlung der Versicherungssumme (1.)
noch auf Ersatz der vom Kläger geleisteten Versicherungsbeiträge (2.).
1. Ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz in Höhe der vereinbarten
Versicherungsleistung nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung wegen
Verletzung einer Aufklärungs- und Hinweispflicht, § 280 BGB a.F., würde neben einer
schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten aus einem Maklervertrag voraussetzen,
dass die … bei richtiger Belehrung des Klägers und zutreffenden Angaben zu seinem
Drogenkonsum seinen Antrag auf Abschluss einer Lebensversicherung einschließlich
einer Zusatzberufsunfähigkeitsversicherung angenommen und dieser Vertrag Bestand
gehabt hätte.
Entgegen der Auffassung der Beklagten neigt der Senat dazu, deren Mittlertätigkeit als
Maklertätigkeit iSd § 652 BGB bzw. § 93 HGB zu bewerten. Die Mittlertätigkeit beim
Abschluss von Versicherungsverträgen stellt sich entweder als eine Tätigkeit als
Versicherungsvertreter (§ 43 ff. VVG, 92 HGB) oder als eine solche als
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Versicherungsvertreter (§ 43 ff. VVG, 92 HGB) oder als eine solche als
Versicherungsmakler dar. Je nachdem, ob es sich um eine gewerbsmäßige Tätigkeit
handelt, würde sie nach § 93 HGB als Handelsmakler oder bei nicht gewerbsmäßiger
Tätigkeit als Zivilmakler gemäß § 652 BGB einzuordnen sein (vgl. BGHZ 94, 356, 358 f.;
NJW 1988, 60, 61 f.). Dabei ist Versicherungsvertreter im Sinne des § 92 Abs. 1 HGB
derjenige, der als Handelsvertreter damit betraut ist, Versicherungsverträge zu
vermitteln oder abzuschließen. Charakteristisch ist die als Handelsvertreter vertraglich
übernommene Pflicht zur ständigen Vermittlung von Geschäften für den Versicherer als
Unternehmer. Versicherungsmakler demgegenüber ist der nicht durch Vertrag mit der
ständigen Vermittlung betraute Mittler, der als Sachwalter des Versicherungsnehmers
dessen Interessen wahrzunehmen hat und typischerweise den Versicherungsnehmer bei
Abschluss des Vertrages vertritt.
Im Streitfall spricht bereits die Firmenbezeichnung der Beklagten für deren Tätigkeit als
Makler. Insbesondere der Namensbestandteil "allgemeine Vermittlung" deutet im
Verkehr darauf hin, dass das Unternehmen nicht für ein oder mehrere bestimmte
Versicherungsgesellschaften als deren Agent, sondern als von den
Versicherungsanbietern unabhängig tätiger Makler agiert (vgl. auch OLGR Oldenburg
1999, 8485). Die Beklagte hat auch selbst nicht geltend gemacht,
Versicherungsverträge nur bestimmter Gesellschaften zu vermitteln.
Letztlich kann die rechtliche Einordnung des Vertrages zwischen den Parteien jedoch
offen bleiben. Der Kläger hat den Nachweis, dass der Versicherungsvertrag auch bei
Offenlegung seines Drogenkonsums bei Antragstellung - ggf. gegen Erhebung eines
Risikozuschlages auf die vereinbarte Versicherungsprämie - zustande gekommen wäre,
nicht erbracht. Der dazu vernommene Zeuge W… hat das entsprechende Vorbringen
des Klägers nicht bestätigt. Seine Angaben zum konkreten Vertragsabschluss waren
unergiebig. An den Vorgang betreffend den Vertragsschluss mit dem Kläger hatte er
keine Erinnerung mehr. Allerdings kommt seinen Bekundungen zur generellen
Risikoeinschätzung und Verfahrensweise des Versicherers zum Zeitpunkt der
Antragstellung des Klägers ein gewisser, wenn auch geringerer Beweiswert als bei
konkreter Erinnerung des Zeugen an den Vorgang zu. Auf deren Grundlage lässt sich
indessen nicht mit der für eine Überzeugung des Senats erforderlichen Gewissheit
feststellen, dass die … den Vertrag mit dem Kläger, gegebenenfalls auch gegen
Erhebung eines Risikozuschlages geschlossen hätte. Zwar wird durch seine Angaben das
klägerische Vorbringen insoweit bestätigt, als „Drogenkonsum“ nicht automatisch zu
einem Ausschluss von der Versicherung führt; gleichzeitig legen die Ausführungen des
Zeugen zu der differenzierten Prüfung bei Mitteilung von Drogenkonsum im Fragebogen
aber nahe, dass der Vertrag mit dem Kläger bei wahrheitsgemäßer Beantwortung des
Fragebogens nicht zustande gekommen wäre. Wenn der Versicherer seinen
Bekundungen zufolge erst nach einigen Jahren Drogenabstinenz und kontinuierlicher
Drogentherapie eine Versicherung gegen Risikozuschlag abschließt, der Kläger sich zur
Zeit der Antragstellung jedoch weder einer Therapie unterzogen noch vom
Haschischkonsum losgesagt hatte, spricht wenig dafür, dass im Fall des Klägers eine
Ausnahme gemacht worden wäre. Diese Einschätzung des Senats bestätigt der Zeuge
durch seine Aussage, dass bei Kenntnis des im Nachhinein bekannt gewordenen
Datenmaterials über den Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung ein
Versicherungsverhältnis nicht zustande gekommen wäre. Die Nichterweislichkeit des
Zustandekommens eines Vertrages bei wahrheitsgemäßem Ausfüllen des Fragebogens
geht zu Lasten des Klägers. Ihn trifft die Beweislast für die ihm günstige Rechtsfolge des
Schadensersatzes in Höhe der Versicherungsleistung.
2. Die Beklagte haftet dem Kläger eben so wenig auf Ersatz seiner vergeblich
aufgewendeten Versicherungsprämien für die Zeit von Vertragsbeginn bis zu dem von
der … erklärten Rücktritt. Die Voraussetzungen für diesen - der Höhe nach bislang vom
Kläger nicht bezifferten - gegenüber dem auf Versicherungsleistungen geringeren
Schadensersatzanspruch sind ebenfalls nicht erwiesen. Es steht nicht zur Überzeugung
des Gerichts fest, dass die Beklagte bei Anbahnung des Vertrages mit der … die ihr
obliegenden Aufklärungspflichten verletzt hat. Keiner der zu der entsprechenden
Behauptung des Klägers gehörten Zeugen hat sein Vorbringen, bei Antragstellung seien
keinerlei Gesundheitsfragen gestellt worden, vielmehr sei darauf hingewiesen worden,
dass die … die Ermittlung nach dem Gesundheitszustand des Antragstellers durch
Erkundigungen beim behandelnden Arzt anstelle, bestätigen können. Die Angaben der
dazu vernommenen Zeugen waren wenig ergiebig. Die Zeugin Gr… hatte nach eigenem
Bekunden keine Erinnerung an Einzelheiten des Gesprächs zwischen dem Kläger und
dem Zeugen H…. Ihre Angaben beschränkten sich auf die äußeren Umstände und grobe
Inhalte des Gesprächs. So konnte sie sich nur noch an die ungefähre Zeit und den Ort
des Gesprächs - in der damaligen gemeinsamen Wohnung - erinnern. Zwar konnte sie
weiter angeben, dass es in dem Gespräch um eine Versicherung für den Kläger
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weiter angeben, dass es in dem Gespräch um eine Versicherung für den Kläger
gegangen war. Nähere Einzelheiten zum Inhalt und Verlauf des Gesprächs konnte sie
nach eigenen Angaben aber nicht mehr machen. Angesichts des großen zeitlichen wie
auch persönlichen Abstands von dem streitigen Gespräch erscheint diese Bekundung
plausibel.
Auch der Zeuge H… hatte nur noch eine vage Erinnerung an das bzw. die Gespräche mit
dem Kläger, die zur Antragstellung bei der … Versicherungs AG geführt haben. Er konnte
dazu lediglich angeben, dass er mehrere Gespräche mit dem Kläger geführt habe; die
genaue Anzahl wusste er nicht mehr. Darüber hinaus konnte er zum konkreten Inhalt
der Vermittlungsgespräche keine Angaben machen. Seine Angabe, dass
Gesundheitsfragen definitiv immer vom Mandanten beantwortet worden seien, spricht,
wenn überhaupt, gegen den klägerischen Vortrag. Allerdings kommt ihr insofern
geringerer Beweiswert zu, als diese Angabe nicht auf einer Erinnerung an das konkrete
Gespräch, sondern an seine generelle Praxis bei Vermittlungsgesprächen anknüpft. Dies
zeigt sich darin, dass er jedenfalls eine konkrete Erinnerung an ein Gespräch mit dem
Kläger über Gesundheitsfragen nicht mehr bekunden konnte.
Die Bekundung des Zeugen G… war ebenfalls wenig ergiebig. Zwar konnte er angeben,
bei dem ersten Informationsgespräch mit dem Kläger den Zeugen H… begleitet zu
haben. Allerdings konnte er genau so wenig wie der Zeuge H… Angaben zum konkreten
Inhalt des Gesprächs mit dem Kläger machen. Wie der Zeuge H… konnte er ebenfalls
nur auf eine generelle Praxis, dass nämlich die Frage nach Drogenkonsum üblicherweise
gestellt wird, verweisen.
Die Nichterweislichkeit des Inhalts des Vermittlungsgesprächs geht zulasten des Klägers.
Er trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Beklagte ihre Pflichten aus dem
Vermittlervertrag verletzt hat.
Daher war die Berufung zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die dafür gemäß § 543 Abs. 2 ZPO erforderlichen
Voraussetzungen nicht vorliegen.
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