Urteil des OLG Brandenburg vom 13.07.2005

OLG Brandenburg: treu und glauben, satzung, gesellschafterversammlung, genehmigung, handelsregister, eigenkapital, gesellschaftsvertrag, innenverhältnis, nichtigkeit, nebenpflicht

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 6.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 U 107/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 2 GmbHG, § 26 GmbHG
GmbH: Umfang einer gesellschaftsvertraglichen
Verlustausgleichsregelung
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13. Juli 2005 verkündete Urteil der Kammer
für Handelssachen des Landgerichts Neuruppin (6 O 140/04) abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die
Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages
leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Mit Beschluß des Amtsgerichts Neuruppin vom 12.1.1998 (15 N 540/97) wurde das
Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Entwicklungsgesellschaft T..
mbh, W.. eröffnet und der Kläger zum Verwalter über deren Vermögen bestellt.
Die Schuldnerin ist 1991 zum Zwecke der Projektierung, Erschließung und Realisierung
des Gewerbeparkes T.. gegründet worden. Gründungsgesellschafter waren u.a. die
Gemeinden G.., K.., R.., V.. und W.. 1993 übernahm auch die Gemeinde K..-L.. einen
Geschäftsanteil an der Schuldnerin. Diese Gemeinden sind später im Rahmen der
Kommunalreform des Landes Brandenburg in die beklagte Gemeinde eingegliedert
worden.
Der Kläger ließ zum Zeitpunkt der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über
das Vermögen der Schuldnerin, dem 12.1.1998, die Stichtagsbilanz vom 10.4.2000
erstellen, die einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von
21.013.342,93 DM = 10.743.951,64 Euro auswies.
Der Kläger macht gegen die Beklagte entsprechend ihrem Anteil (36.500 DM) am
Stammkapital der Schuldnerin (314.000 DM) einen seiner Auffassung nach unverjährten
Anspruch auf Verlustausgleich in Höhe von 1.248.898,84 Euro geltend gestützt auf § 8
Nr. 4 S. 2 des Gesellschaftsvertrages der Schuldnerin.
§ 8 des Gesellschaftsvertrages der Schuldnerin ist überschrieben mit "Jahresabschluß,
Ergebnisverwendung". Dessen Nr. 4 lautet:
"Soweit die gesetzlichen Vorschriften nichts anderes vorsehen und die
Gesellschafterversammlung nichts anderes beschließt, wird der Gewinn unter die
Gesellschafter nach dem Verhältnis ihrer Geschäftsanteile verteilt. Etwaig entstehende
Verluste werden von den Gesellschaftern nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile
übernommen."
§ 10 des Gesellschaftsvertrages der Schuldnerin, überschrieben mit "Anforderung von
Nachschüssen, Kapitalerhöhung" regelt in Nr. 1 die Nachschußpflicht wie folgt:
"Die Einzahlung von Nachschüssen kann nur gefordert werden, wenn alle
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"Die Einzahlung von Nachschüssen kann nur gefordert werden, wenn alle
Gesellschafter zustimmen."
Auf einer Gesellschafterversammlung der Schuldnerin am 12.6.1997 stimmten die
anwesenden Gesellschafter auch über den Tagesordnungspunkt "Neufassung
Gesellschaftsvertrag" ab.
Der Kläger hat gemeint, die nach Behauptung der Beklagten am 12.6.1997
beschlossene, die Verlustausgleichspflicht der Gesellschafter eliminierende Änderung
des Gesellschaftsvertrages sei mangels Eintragung in das Handelsregister unwirksam.
Eine aufsichtsbehördliche Genehmigung der streitgegenständlichen Klausel sei nicht
erforderlich. Sie sei überdies in dem Schreiben des Ministeriums … des Landes
Brandenburg vom 27.11.1997 zu sehen. Bei § 8 Nr. 4 S. 2 der Satzung handele sich um
eine statuarische Verlustausgleichsregelung nach § 3 II GmbHG, die entgegen der
Auffassung der Beklagten mit der Außenhaftung der Schuldnerin nichts zu tun habe.
Wegen der Vertragsklausel habe es keines Gesellschafterbeschlusses nach § 26 I
GmbHG zur Verlustzuweisung bedurft. Von der Stichtagsbilanz sei mangels konkreter
Einwendungen der Beklagten gegen einzelne Ansätze ohne weiteres auszugehen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.248.898,84 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.8.2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Gesellschaftsvertrag sei in der
Gesellschafterversammlung vom 12.6.1997 wirksam dahin abgeändert worden, dass
eine Verlustausgleichspflicht der Gesellschafter nicht mehr vorgesehen sei. Unabhängig
davon werde eine Verlustausgleichspflicht nach der alten Fassung des
Gesellschaftsvertrages nur unter denselben Voraussetzungen begründet, unter denen
der Gewinn nach § 8 Nr. 4 S. 1 des Vertrages verteilt werde. Ein sowohl danach als auch
nach § 26 I GmbHG erforderlicher Verlustzuweisungsbeschluß sei von der
Gesellschafterversammlung nicht gefaßt worden.
Die Haftungsklausel des § 8 Nr. 4 S. 2 des Gesellschaftsvertrages sei mit dem sich aus §
13 II GmbHG ergebenden Haftungsleitbild der GmbH nicht zu vereinbaren. Sie sei auch
mit Blick auf Verstöße gegen das sich aus dem gemeindlichen Haushaltsrecht
ergebende Gebot zur Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit nichtig bzw. wegen fehlender
aufsichtsbehördlicher Genehmigung schwebend unwirksam; eine Genehmigung der
Kommunalaufsichtsbehörde könne jetzt nicht mehr erwartet werden.
Die Zusammensetzung des Verlustes sei vom Kläger nicht im einzelnen erläutert
worden.
Schließlich hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Landgericht hat die Beklagte mit dem am 13. Juli 2005 verkündeten Urteil
antragsgemäß zur Zahlung verurteilt aus folgenden Gründen:
Dem Kläger stehe der geltend gemachte Zahlungsanspruch aus § 8 Nr. 4 S. 2 des
Gesellschaftsvertrages zu. Diese Klausel sei nicht aufgehoben worden, auch nicht im
Wege
satzungsändernden Beschlusses vom 12.6.1997. Ein etwa wirksam gefaßter Beschluß
habe jedenfalls mangels Eintragung in das Handelsregister gemäß § 54 III GmbHG keine
Wirkung entfalten können. Eine innergesellschaftliche Bindung der Gesellschafter an den
Beschluß hätte nur insoweit bestanden, als die behauptete Satzungsänderung durch
Eintragung in das Handelsregister hätte herbeigeführt werden müssen.
Die Haftungsklausel stehe nicht unter den Einschränkungen des Satzes 1 von § 8 Nr. 4,
der sich nur und ausschließlich auf die Gewinnerzielung beziehe. Sie sei auch mit dem
sich aus § 13 II GmbHG ergebenden Leitbild einer GmbH vereinbar, da sie lediglich das
Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter betreffe, nicht das
Außenverhältnis zwischen Gesellschaftern und Gläubigern der Gesellschaft.
Die Klausel sei nicht wegen Gesetzesverstößen oder Sittenwidrigkeit nichtig oder wegen
fehlender aufsichtsbehördlicher Genehmigung schwebend unwirksam. Denn die Beklagte
sei in entsprechender Anwendung von § 242 II 1 AktG wegen mehr als dreijähriger
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sei in entsprechender Anwendung von § 242 II 1 AktG wegen mehr als dreijähriger
Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister nicht mehr berechtigt, sich auf die
Nichtigkeit zu berufen.
Eines Gesellschafterbeschlusses über die Verlustzuweisung bedürfe es auch nicht nach §
26 I GmbHG, da es sich bei der Haftungsklausel um eine nach § 3 II GmbHG statuierte
Verlustausgleichsregel handele.
Darauf, ob der behauptete Verlust später überhaupt noch vorhanden gewesen sei,
komme es nicht an, weil maßgeblich für die Verlustzuweisung das Entstehen des
Verlustes zu einem bestimmten Zeitpunkt sei. Das Bestreiten bestimmter
Bilanzansätze durch die Beklagte mit Nichtwissen sei nach § 138 IV ZPO unbeachtlich.
Schließlich sei der Anspruch nicht verjährt.
Gegen dieses ihr am 1.8.2005 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am
30.8.2005 eingelegten und am 30.9.2005 begründeten Berufung.
Die Beklagte meint, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch mangels
Anspruchsgrundlage nicht zu. Eine Auslegung des § 8 Nr. 4 S. 2, die gemäß §§ 133, 157
BGB unter Berücksichtigung von Treu und Glauben auf den erkennbaren Willen der
Erklärenden abzustellen habe, könne nur zu dem Ergebnis führen, daß § 8 Nr. 4 S. 2 der
Satzung nicht als Haftungsklausel zu verstehen sei, sondern – ebenso wie § 8 Nr. 4 S. 1 -
lediglich als deklaratorischer Hinweis auf die gesetzlichen Vorschriften.
Die Beklagte ist unverändert der Auffassung, daß sie unabhängig davon nach § 8 Nr. 4
S. 2 der Satzung schon deshalb nicht hafte, weil diese Klausel durch
Gesellschafterbeschluß vom 12.6.1997 auch ohne Eintragung in das Handelsregister
wirksam abgeändert worden sei. Zum einen seien punktuelle Satzungsdurchbrechungen
auch ohne Einhaltung der formellen Voraussetzungen einer Satzungsänderung wirksam;
zum anderen habe die Änderung nur das Innenverhältnis der Gesellschaft betroffen, so
daß sie gegebenenfalls in eine die Gesellschafter bindende schuldrechtliche
Nebenabrede umzudeuten wäre.
Die Klausel sei jedenfalls wegen Verstoßes gegen gesetzliche Haushaltsvorschriften
sittenwidrig und deshalb nichtig bzw. mangels gemäß § 45 II, III KV-DDR erforderlicher
Genehmigung des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk schwebend unwirksam.
Sie, die Beklagte sei auch nicht wegen § 242 II 1 AktG daran gehindert, sich auf die
Nichtigkeit zu berufen. Diese in der ursprünglichen Satzung enthaltene Bestimmung sei
nach richtiger Auslegung schon deshalb nicht anwendbar, weil ansonsten gegen
zwingendes Gesetzesrecht verstoßende Satzungsbestimmungen auf ewig sanktioniert
würden. Auf nichtige Regelungen in der ursprünglichen Satzung sei § 242 II 1 AktG
seinem Wortlaut nach ohnehin nicht anwendbar. Eine für eine Analogie erforderliche
Gesetzeslücke bestehe nicht. Zudem sei § 242 II 1 AktG mangels hinreichender
Ähnlichkeit der AG und der GmbH nicht analog im GmbH-Recht heranzuziehen.
Die Beklagte wendet Mitverschulden der Hauptgläubigerin der Schuldnerin, der ILB,
wegen leichtfertiger Kreditvergabe in einer Größenordnung von knapp 30 Mio. Euro ein.
Die Beklagte macht weiter Verjährung geltend.
Die Beklagte beantragt,
das am 13.7.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Neuruppin (6 O 140/04)
abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Er meint, auf die in der Berufung von der
Beklagten vorgetragenen und nach deren Auffassung bei der Auslegung der
streitgegenständlichen Klausel zu berücksichtigenden Umstände komme es nicht an,
weil sie keinen Niederschlag in der Satzung gefunden hätten.
Wegen des Parteivorbringens im einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Die zulässige Berufung ist begründet. Dem Kläger steht ein Zahlungsanspruch aus § 8
Nr. 4 S. 2 des Gesellschaftsvertrages der Entwicklungsgesellschaft T.. mbH gegen die
Beklagte nicht zu.
1. § 8 Nr. 4 S. 2 des Gesellschaftsvertrages ist keine Anspruchsgrundlage für die
Klageforderung. Diese Klausel regelt lediglich die Verlustverteilung.
Aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt sich keine Pflicht der Gesellschafter zum
Verlust"-ausgleich". Denn danach haben die Gesellschafter den Verlust entsprechend
dem Verhältnis der Geschäftsanteile zu "übernehmen", nicht "auszugleichen". Der
auslegungsbedürftige Begriff der "Übernahme" kann auch nicht dahin verstanden
werden, daß damit bereits eine gesellschaftsvertragliche Verlustausgleichspflicht der
Gesellschafter gemäß § 3 II GmbHG ohne weitere Voraussetzungen begründet worden
ist. Gegen eine solche Auslegung spricht bereits, dass die Regelung im mit
"Jahresabschluß, Gewinnverwendung" überschriebenen § 8 enthalten ist. Diese
Überschrift impliziert, dass nachfolgend die Verwendung eines positiven Ergebnisses,
d.h. eines Gewinns geregelt wird, nicht jedoch der Verlust als Gegenteil des Gewinns.
Eine Bestimmung über die zeitlich und betragsmäßig unbegrenzte Verpflichtung von
Gesellschaftern zum Ausgleich von Verlusten im letzten Satz des § 8 wäre daher an
dieser Stelle systemwidrig und für die Gesellschafter überraschend. Üblicherweise wird
für Verlustübernahmen der Gesellschafter als Nebenleistungspflicht gemäß § 3 II
GmbHG eine eindeutige Formulierung gewählt, nach der der Gesellschafter zum
Ausgleich eines Jahresfehlbetrages/Verlustes verpflichtet ist. Dies geschieht regelmäßig
in einer besonderen Bestimmung des Gesellschaftsvertrages (vgl. Münchener
Vertragshandbuch Band 1, Gesellschaftsrecht, X.1, § 2; X.2, § 3). Die hier
streitgegenständliche Bestimmung informiert die Gesellschafter lediglich darüber, daß
im Falle eines im Jahresabschluß ausgewiesenen Verlustes dieser nach einem
bestimmten Schlüssel, nämlich entsprechend dem Verhältnis der Geschäftsanteile
verteilt wird.
Eine Verpflichtung zum tatsächlichen Verlustausgleich in dieser Höhe als
Nebenleistungspflicht gemäß § 3 II GmbHG wird dadurch nicht begründet.
Zwar können Gesellschafter einer GmbH zu Nebenleistungspflichten verpflichtet werden
(§ 3 II GmbHG), also zu zusätzlichen Leistungen, die anders als Stammeinlagen und
Nachschüsse nicht der Bildung und nur ausnahmsweise der Ergänzung des
Stammkapitals dienen. Sie unterliegen deshalb von Ausnahmen abgesehen nicht den
strengen Regeln für die Kapitalaufbringung und –bindung. Sie können daher
grundsätzlich frei gestaltet werden z.B. als einmalige oder wiederkehrende Leistungen,
wobei auch der Inhalt der Nebenleistungen keiner besonderen Beschränkung unterliegt.
Geldleistungen können deshalb auch in einmaligen oder regelmäßig, wie auch
unregelmäßig wiederkehrenden Zahlungen an die Gesellschaft außerhalb von
Stammeinlagen und Nachschüssen bestehen, wiederkehrend z.B. Beiträge zum
Ausgleich – allerdings bestimmter - Fehlbeträge (Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl.,
Rn. 36, 39 zu § 3). Im Unterschied zu Nachschußpflichten können
Nebenleistungspflichten im Gesellschaftsvertrag so ausgestaltet werden, dass die
Geschäftsführer sie auch ohne Beschlussfassung der Gesellschafter einfordern können.
Vor dem Hintergrund des gesellschaftsrechtlichen Gebotes der hinreichenden
Bestimmtheit von den Gesellschafter belastenden Klauseln ist dann jedoch zu erwarten,
daß eine jeden Zweifel ausschließende Formulierung gewählt wird, wonach Gesellschafter
den im Jahresabschluß ausgewiesenen Verlust anteilig entsprechend dem Verhältnis
ihrer Geschäftsanteile an die Schuldnerin ohne vorherige Beschlussfassung auf
Anforderung des Geschäftsführers auszugleichen haben. Das ist jedoch nicht der Fall.
Weiter spricht gegen die Qualifizierung der streitgegenständliche Klausel als
Nebenleistungspflicht, daß es hier nicht um punktuelle, aus konkretem Anlaß und zeitlich
begrenzte oder zwar zeitlich unbegrenzte, aber bestimmte (konkret begrenzte)
Zahlungsverpflichtungen geht.
Hinzu kommt, dass die Deckung von Verlusten der Schuldnerin durch deren
Gesellschafter ist damit über die in § 10 des Gesellschaftsvertrages statuierte
Nachschußpflicht möglich ist.
In § 10 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrages ist die Nachschußpflicht der Gesellschafter der
Schuldnerin gemäß § 26 GmbHG geregelt. Danach kann die Einzahlung von
Nachschüssen nur gefordert werden, wenn alle Gesellschafter zustimmen. Nachschüsse
im Sinne des § 26 GmbHG können nach dem Ermessen der Gesellschaft verwendet
werden; sie können damit nicht nur zur Deckung von Verlusten verwendet werden.
Nachschüsse dienen jedoch generell der Stärkung des Eigenkapitals, während Verluste
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Nachschüsse dienen jedoch generell der Stärkung des Eigenkapitals, während Verluste
das Eigenkapital schwächen. Dementsprechend sind Nachschüsse grundsätzlich gemäß
§ 272 II Nr. 4 HGB unter den Passiva zu bilanzieren.
Daß die Gesellschafter sich vor diesem Hintergrund der Nachschußpflicht einer auch der
Höhe nach unbegrenzten Haftung für Verluste durch eine statuarische Nebenpflicht
ausgesetzt hätten, ohne daß es der vorherigen Beschlußfassung der
Gesellschafterversammlung bedurft hätte, kann nach der Formulierung in § 8 Nr. 4 S. 2
des Gesellschaftsvertrages nicht angenommen werden. Allenfalls könnte diese
Formulierung im Zweifel als Regelung eines besonderen Falles der Nachschußpflicht
verstanden werden. Dann würde es aber an einem Einforderungsbeschluß der
Gesellschafter fehlen.
Der Kläger kann auch nicht mit dem Argument durchdringen, § 8 Nr. 4 S. 2 begründe
eine Verlustausgleichspflicht der Gesellschafter deshalb, weil die Schuldnerin mit
Krediten von einem Gesamtvolumen von ca. 40 Mio. Euro habe arbeiten sollen, die ihr
sonst ohne Stellung von Sicherheiten nicht gewährt worden wären. Da es sich um eine
zwingend satzungsmäßige und mithin körperschaftliche Bestimmung handelt, könnte
dieser außerhalb der Satzung liegende Umstand wegen des Erfordernisses objektivierter
Auslegung bei der rechtlichen Wertung der streitgegenständlichen Klausel nicht
berücksichtigt werden (vgl. Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl., Rn. 25, 27 zu § 2).
§ 8 Nr. 4 S. 2 des Gesellschaftsvertrages gibt damit die gesetzliche Lage informativ
wieder und klärt die Gesellschafter darüber auf, in welchem Umfang der Wert ihres
Geschäftsanteils durch Verluste im Verhältnis zu dem der anderen Geschäftsanteile
berührt wird.
2. Der vorstehenden Auslegung der streitgegenständlichen Klausel steht auch nicht die
Schutzbedürftigkeit der Gläubiger der Schuldnerin entgegen. Gläubiger einer GmbH
können grundsätzlich nur von einer beschränkten Haftung der Gesellschaft und davon
ausgehen, daß als Haftungsmasse nur das Vermögen der Gesellschaft zur Verfügung
steht. Eine zeitlich und betragsmäßig unbegrenzte Verlustausgleichspflicht aller
Gesellschafter, die in wirtschaftlicher Hinsicht einer Aufhebung der
Haftungsbeschränkung und einem Einstehen der Gesellschafter für
Gesellschaftsverbindlichkeiten wie bei einer OHG gleichkommt, kann dagegen allenfalls
bei entsprechenden, jeden Auslegungszweifel ausschließenden klaren
gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen angenommen werden. Diese
Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Geschäftspartner hätten, so sie ansonsten keine
Geschäfte mit der Schuldnerin getätigt hätten, sich wie sonst üblich andere Sicherheiten
stellen lassen können.
3. Selbst wenn man entsprechend der Ansicht des Klägers § 8 Nr. 4 S. 2 des
Gesellschaftsvertrages dahin auslegen wollte, damit werde eine statuarische
Nebenpflicht gemäß § 3 II GmbHG der Gesellschafter zum Verlustausgleich begründet,
wäre die Klage unbegründet. Denn dann wäre davon auszugehen, daß eine
Verlustausgleichspflicht nur zugunsten der lebensfähigen Gesellschaft, aber nicht mehr
im Insolvenzfall bestehen würde.
Die Bestimmung über die – hier nachfolgend unterstellte – Verpflichtung zum
Verlustausgleich in § 8 Nr. 4 S. 2 des Gesellschaftsvertrages ist ebenso wie die
Gewinnverteilung im mit "Jahresabschluß, Ergebnisverwendung" überschriebenen § 8
enthalten. Der Verlustausgleich wäre ebenso wie die Gewinnverteilung unter dem
Gesichtspunkt eines fortlaufenden Geschäftsbetriebes der Gesellschaft vorgenommen
worden. Mit dem Verlustausgleich hätte die finanzielle Grundlage für die Erfüllung der der
Gesellschaft übertragenen Aufgaben sichergestellt werden sollen. Anliegen dieser
Bestimmung wäre die Sicherung und Stärkung des Eigenkapitals im Falle von Verlusten.
Das Eigenkapital sollte ungeschmälert im Rahmen des laufenden Geschäftsbetriebes zur
Verfügung stehen. Damit wäre die Erfüllung der der Gesellschaft übertragenen Aufgaben
gewährleistet worden. Diese gesellschaftsvertragliche Anspruchsgrundlage für die
Eigenkapitalzuführung im Wege des Verlustausgleiches ist mit der Insolvenz der
Schuldnerin entfallen. Der Verlustausgleich im Innenverhältnis hat nicht den Zweck, die
Gläubigerbefriedigung im Insolvenzfall zu gewährleisten.
Daraus folgt weiter, dass die Schuldnerin nach Treu und Glauben nicht von ihren
Gesellschaftern die Erfüllung einer Verlustausgleichspflicht im Insolvenzfall verlangen
kann.
§ 8 Nr. 4 S. 2 des Gesellschaftsvertrages stellt auf eine lebensfähige Gesellschaft ab.
Der Schuldnerin ist es im Insolvenzfalle verwehrt, zum Zwecke der Gläubigerbefriedigung
die Gesellschafter auf Verlustausgleich in Anspruch zu nehmen.
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Ohne Erfolg wendet der Kläger dagegen ein, dass die Nichterfüllung von
Nebenleistungspflichten durch die Gesellschafter und die dadurch eingetretene Insolvenz
nicht dadurch "prämiert" werden dürfe, dass die Gesellschafter von der
Nebenleistungspflicht frei werden. Das greift jedenfalls dann nicht durch, wenn wie hier
die Gesellschafter mit außerordentlich hohen Ausgleichsforderungen konfrontiert
werden, die ihre Liquidität deutlich übersteigt und deren Erfüllung für sie unzumutbar ist.
4. Auf die Frage, ob bei dieser Bewertung der Rechtslage die Schuldnerin bereits früher
bilanziell überschuldet gewesen ist, kommt es nicht mehr an.
Der nachgelassene Schriftsatz des Klägers vom 13.3.2006 ist berücksichtigt worden.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird zugelassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung im Hinblick
darauf hat, dass weitere Gesellschafter der Schuldnerin auf Grund der hier
streitgegenständlichen Klausel dem Kläger nach dessen Rechtsauffassung auf
Verlustausgleich haften und zudem auf Grund vergleichbarer Formulierungen in
Gesellschaftsverträgen das Auftreten der hier behandelten Rechtsfragen in einer
unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist (§ 543 II Nr. 1 ZPO).
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