Urteil des OLG Brandenburg vom 22.11.2006

OLG Brandenburg: bürge, bankguthaben, höchstbetrag, verbürgung, bürgschaftserklärung, sittenwidrigkeit, kontokorrentvertrag, sparkasse, nichtigkeit, darlehensvertrag

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 3.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 U 177/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 138 Abs 1 BGB, § 765 BGB, §
850c ZPO
Sittenwidrigkeit einer Bürgschaftserklärung
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom
22.11.2006 - 8 O 598/05 - abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass eine Bürgschaftserklärung von ihr gegenüber
der berufungsführenden beklagten Sparkasse nichtig sei.
Sie verbürgte sich am 22.08.1995 gemäß schriftlichem Bürgschaftsvertrag (Anlage K 3,
Bl. 14 GA) gegenüber der Beklagten bis zu einem Betrag von 30.000,00 DM für alle
bestehenden und künftigen Forderungen der Sparkasse gegen den Hauptschuldner,
ihren Ehemann. Diesem hatte die Beklagte mit Darlehensvertrag vom 14./25.08.1995
ein Darlehen über 600.000,00 DM für 6 % jährlich gewährt (vgl. Anlage 4, Bl. 104 d. GA)
und gemäß Kontokorrentkreditvertrag vom 25.08.1995 bis zu einem Höchstbetrag von
150.000,00 DM einen Kontokorrent für 11 % jährlich eingeräumt (vgl. Anlage 5, Bl. 105 d.
GA).
Die Klägerin, die in einer Selbstauskunft vom 08.08.1995 (vgl. Anlage 1, 51 GA) ein
hochgerechnetes jährliches Einkommen von 20.400,00 DM sowie ein Bankguthaben von
15.000,00 DM angegeben hatte, hat die Bürgschaft wegen krasser finanzieller
Überforderung für sittenwidrig gehalten, da ihr pfändbares Einkommen bei lediglich um
die 350,00 DM monatlich gelegen habe und sie daher keinesfalls in der Lage gewesen
sei, neben monatlichen Zinsbelastungen in Höhe von 262,50 DM das Darlehen in einem
angemessenen Zeitraum zurückzuzahlen.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
Mit dem angefochtenen Urteil, auf das der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des
erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, hat das Landgericht der Klage
stattgegeben. Die monatliche Zinslast betrage 175,00 DM, wie sich aus der anteiligen
Berücksichtigung der unterschiedlich zu verzinsenden Kreditvolumina ergebe. Wie der
Einkommenssteuerbescheid vom 20.11.1996 (vgl. Anlage 6, Bl. 106 GA) zeige, habe die
Klägerin aus ihrem Betrieb ein Jahreseinkommen von 18.667,44 DM erwirtschaftet und
von dem Monatsbetrag in Höhe von 1.555,62 DM ergäbe sich bei Einsatz in die
Pfändungstabelle für das Jahr 1995 kein pfändbarer Betrag, da von einer
Unterhaltspflicht der Klägerin für ihren Ehemann auszugehen sei.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches
Klageabweisungsbegehren uneingeschränkt weiter. Sie beanstandet Rechtsfehler des
Landgerichts.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Potsdam vom 22.11.2006 - 8 O
598/05 - die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes
verweist der Senat auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze sowie auf
sein Terminsprotokoll vom 10. September 2007.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Die
Feststellungsklage (§ 256 ZPO) ist unbegründet, denn die Bürgschaft der Klägerin vom
22.08.1995 gegenüber der Beklagten für die Verbindlichkeiten des Ehemannes der
Klägerin ist wirksam.
Die Voraussetzungen der Vermutung der Sittenwidrigkeit der Bürgschaftserklärung der
Klägerin wegen krasser finanzieller Überforderung liegen nicht vor. Eine krasse finanzielle
Überforderung liegt vor, wenn eine auf den Zeitpunkt der Abgabe der Bürgschafts- oder
Mithaftungserklärung abstellende, die Ausbildung, Fähigkeiten und familiären
Belastungen berücksichtigende Prognose ergibt, dass der Bürge allein voraussichtlich
nicht in der Lage sein wird, auf Dauer die laufenden Zinsen der gesicherten Forderung
mit Hilfe des pfändbaren Teils seines Einkommens und seines nach üblichen
Grundsätzen zu bewertenden Vermögens aufzubringen (vgl. Nobbe/Kirchhof,
Bürgschaften und Mithaftungsübernahmen finanziell überforderter Personen, BKR 2001,
5, 8, 9 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen schon nach dem Klägervorbringen nicht vor. Die Klägerin
hat in der Klagereplik vom 12.10.2006 die monatliche Zinsbelastung mit 262,50 DM
angegeben und ihr pfändbares Einkommen mit 350,00 DM (vgl. Bl. 92 d. GA).
Die Heranziehung des § 850 c Abs. 1 ZPO ohne Berücksichtigung des Absatzes 4 in der
1995 gültigen Fassung durch das Landgericht erfolgte verfahrens- und rechtsfehlerhaft.
Die vom Landgericht zugrunde gelegte Pfändbarkeitssituation findet im Klägervortrag
keinerlei tatsächliche Grundlage. Auch rechtlich ist sie unzutreffend. Das Einkommen
des Hauptschuldners, mit dem der Bürge verheiratet ist, führt dazu, dass sich der
pfändungsfreie Betrag nicht durch Unterhaltspflichten erhöht (vgl. BGH, Urteil vom
28.05.2002 - XI ZR 190/01, Juris Tz. 16 = NJW 2002, 2634; OLGR Rostock 2004, 356).
Dass der Hauptschuldner im Jahre 1995, zum Zeitpunkt der Verbürgung der Klägerin,
ohne Einkommen war, hat diese schon nicht behauptet. Ebenso wenig existiert ein zu
Lasten eines gewerblichen Kreditgebers wirkender Erfahrungssatz, dass ein
Hauptschuldner nach Eintritt des Sicherungsfalles ohne Einkommen ist und bleibt. Die
Angaben der Klägerin zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen belegen
im Übrigen das Gegenteil, jedenfalls im hier zu beurteilenden Fall.
Darüber hinaus hat das Landgericht die für die Vermutung einer sittenwidrigen
Gesinnung des gewerblichen Kreditgebers geltenden Voraussetzungen mehrfach und
überwiegend zu Lasten der Beklagten rechtsfehlerhaft angewandt. Das monatlich
verfügbare Einkommen der Klägerin ergibt sich aus Sicht der Bürgschaftsgläubigerin aus
der Selbstauskunft vom 08.05.1995, deren Vollständigkeit und Wahrheitsgemäßheit die
Klägerin versichert hat, mit 1.700,00 DM. Hierauf darf die Bank vertrauen (vgl. BGH,
Urteil vom 16.12.1999 - XI ZR 36/98 = NJW 2000, 1179; OLG Brandenburg, WM 2006,
1014). Der sich aus dem Steuerbescheid vom 20.11.1996 ergebende Gewinn ist
demgegenüber unmaßgeblich, zumal ihn die Beklagte zum Zeitpunkt des Abschlusses
des Darlehensvertrages, auf den es für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit allein
ankommt, nicht gekannt haben konnte.
Das Landgericht hat das von der Klägerin in der Selbstauskunft angegebene
Bankguthaben von 15.000,00 DM rechtsfehlerhaft unberücksichtigt gelassen. Insoweit
handelt es sich mangels entgegenstehender Anhaltspunkte um pfändbares Vermögen
der Klägerin. Dieses ist bei der Beurteilung der krassen finanziellen Überforderung von
Bürgen und Mithaftenden in der Weise zu berücksichtigen, dass der ermittelte Wert des
pfändbaren Vermögens von der Bürgschafts- oder von der mit übernommenen Schuld
abgezogen wird. Nur wenn der pfändbare Teil des Einkommens des Bürgen oder
Mithaftenden die auf den so ermittelten Schuldbetrag entfallenden laufenden Zinsen
voraussichtlich nicht abdeckt, kann eine krasse finanzielle Überforderung vorliegen (vgl.
Nobbe, Kirchhof, a.a.O., S. 10 m.w.N.). Als zu verzinsendes Kapital ist insoweit mithin
nicht der von der Klägerin übernommene Höchstbetrag anzusetzen, sondern die sich
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nicht der von der Klägerin übernommene Höchstbetrag anzusetzen, sondern die sich
um ihr pfändbares Bankguthaben vermindernde Differenz, hier also nur die
verbleibenden 15.000,00 DM.
Diese sind sodann nicht quotal auf unterschiedlich verzinsliche Darlehen zu verteilen,
sondern auf die am höchsten verzinsende Pflicht, die von der Höchstbetragsbürgschaft
erfasst ist. Diese erfasst in Anwendung der Anlassrechtsprechung gleichermaßen
Forderungen der Klägerin gegen den Hauptschuldner aus dem hoch verzinsenden
Kontokorrentvertrag, wie aus dem niedriger verzinsenden Darlehensvertrag und die
Bürgschaftsvereinbarung lässt es der Beklagten als Bürgschaftsgläubigerin frei, in
welcher Höhe sie die Bürgschaft den beiden erfassten Forderungen zuordnet. Daher
muss die Klägerin als Bürgin damit rechnen, im Rahmen ihrer Bürgschaftshaftung in
voller Höhe für Ansprüche der Gläubigerin gegen den Hauptschuldner aus dem
Kontokorrentvertrag herangezogen zu werden.
Die maßgebliche monatliche Zinslast beträgt somit 137,50 DM (15.000,00 DM x 0,11 :
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Einkommen von 350,00 DM zu bestreiten.
Auch die weiteren erstinstanzlichen Klägerangriffe, mit denen sich das Landgericht - aus
seiner Sicht konsequent - nicht auseinandergesetzt hat, greifen nicht durch.
Die Haftungserklärungen vom 01.07.1991 über 30.000,00 DM (vgl. Bl. 45, 46 d. GA) und
vom 25.08.1995 über 454.000,00 DM (vg. Anl. K 15, Bl. 42, 43 d. GA) hat die Klägerin
schon nicht gegenüber der Beklagten abgegeben, sondern gegenüber der D..
Zusammen zu rechnen wären nach der von der Klägerin herangezogenen
Rechtsprechung allenfalls Bürgschaften/Haftungsübernahmen zu Gunsten der Beklagten
(vgl. OLG Köln, ZIP 2002, 844).
Soweit die Klägerin einzuwenden versucht, der Kredit sei mehrfach übersichert gewesen,
dringt sie hiermit nicht durch. Anderweitige Sicherheiten des Gläubigers können den
Bürgen allenfalls entlasten, begründen indessen - abgesehen von einer sittenwidrigen
Benachteiligung anderer Gläubiger, für die hier nichts ersichtlich ist - keine Nichtigkeit,
und erst Recht keine Nichtigkeit einer weiteren Bürgschaft. Ein Kreditgeber darf
vorsichtig sein.
Die Ansicht der Klägerin, die Beklagte habe durch die Gestaltung des
Bürgschaftsformulars (vgl. Anlage K 3, Bl. 14 d. GA) das Bürgschaftsrisiko verharmlost
und verschwiegen, erscheint außerordentlich fern liegend; es handelt sich um ein
übliches Standardbürgschaftsformular, dass die gesicherten Forderungen klar
bezeichnet und Haftungsrisiken an keiner Stelle herabspielt.
Ihre erstinstanzlichen Hilfsanträge auf Feststellung hat die Klägerin schon vor dem
Landgericht nicht mehr weiter verfolgt (vgl. Terminsprotokoll vom 01.11.2006, Bl. 112
GA) und auch vom dem Senat nicht mehr erneuert. Im Übrigen gilt dazu in der Sache
Folgendes:
Auch der Höchstbetragsbürge haftet nur für diejenigen Forderungen, die Anlass zur
Verbürgung gaben (vgl. BGH, Urteil vom 07.03.1996 - XI ZR 43/95 = NJW 1996, 1470;
Urteil vom 28.10.1999 - IX ZR 364/97 = BGHZ 143, 95). Welche Verbindlichkeiten Anlass
für die Verbürgung gaben, ist objektiv nach dem aktuellen Sicherungsinteresse des
Gläubigers zu bestimmen. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Bürge einen
bestimmten Kredit (oder eine sonstige Hauptschuld) vor Augen hatte, als er die
Verpflichtung einging (BGH NJW 1996, 924; NJW 1998, 450, 452; Nobbe, Bankrecht -
aktuelle höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung, 1999, Rn. 1353). Das aktuelle
Sicherungsinteresse der Beklagten bestimmte sich hier ersichtlich nach den nahezu
zeitgleich abgeschlossenen Verträgen für das Abzahlungsdarlehen über 600.000,00 DM
und über den Kontokorrentkredit mit dem Limit bei 150.000,00 DM, die der
Hauptschuldner jeweils am 25.08.1995 unterzeichnete (vgl. Bl. 104 R, 105 R GA).
Bildet ein Kontokorrentkredit den Anlass für die Erteilung der Bürgschaft, begrenzt sich
die Haftung auf das im Zeitpunkt der Willenserklärung vereinbarte Kreditlimit (BGH,
Urteil vom 13.11.1997, IX ZR 296/96, juris Tz. 16 = NJW 1998, 450), wobei der
Höchstbetragsbürge verpflichtet ist, für die gesamte Forderung des Gläubigers
einzustehen, allerdings mit der Maßgabe, dass er nur bis zu dem vertraglich
vereinbarten Höchstbetrag in Anspruch genommen werden kann (vgl. Reinicke/Tiedtke,
Bürgschaftsrecht, 2. Aufl., Rn. 145).
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO..
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben. Die
Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und gibt keine Veranlassung, in den
berührten Rechtsgebieten neue Leitsätze aufzustellen, Gesetzeslücken zu füllen oder
von höchst- oder obergerichtlicher Rechtsprechung abzuweichen. Im Übrigen beruht sie
auf einer Würdigung der Umstände des Einzelfalles.
Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.338,76 € festgesetzt.
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