Urteil des OLG Brandenburg vom 10.05.2010

OLG Brandenburg: wichtiger grund, steinbruch, unternehmen, vergabe von aufträgen, firma, vergabeverfahren, leistungsfähigkeit, fristlose kündigung, öffentliche bekanntmachung, ausführung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
Vergabesenat
Entscheidungsname:
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
Verg W 8/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 97 Abs 4 GWB, § 101b GWB, §
107 Abs 2 GWB
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 20.5.2010 gegen den Beschluss der
Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 10.5.2010, VK 13/10, wird
zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
Gründe
I.
Die Auftraggeberin schrieb im Amtsblatt der Europäischen Union vom 19.9.2008 die
Vergabe von Aufträgen für die Verlegung von Naturwerkstein-, Betonwerkstein sowie
Terrazzobelägen für das Fluggastterminal und die dazu gehörigen Piers des künftigen
Flughaftens B… in drei Losen im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem
Teilnahmewettbewerb europaweit aus. Es gingen drei Angebote auf die hier
streitbefangenen Lose 1 und 2 ein. Den Zuschlag für diese beiden Lose erhielt die
Antragstellerin am 24.7.2009.
Nach den Verdingungsunterlagen hatte der Bieter mit seinem Angebot losspezifisch u.
a. die Erklärungsvordrucke "Bietererklärung 1 - Angebot der Materialien" einzureichen. In
diese hatte der Bieter für die drei angebotenen Naturwerksteintypen insbesondere auch
... "Name und Anschrift des Steinbruchs bzw. der Steinbrüche (Rohmaterialsicherung I)"
und "Name und Anschrift des Naturwerksteinbetriebes (Rohmaterialsicherung II)" sowie
den "Zeitraum des jährlichen Abbruchzyklus (Rohmaterialsicherung III) einzutragen. Die
Antragstellerin gab zum Naturwerkstein Typ 1 - Jura Kalkstein beige - die Firma J… aus
E… (im folgenden J…) als Steinbruch/Steinbrüche an (Bl. 360-361 und 429-430 VK
13/10). Bereits ihrem ersten Angebot legte die Antragstellerin ein Schreiben der J… bei,
aus dem sich ergibt, dass diese das Rohmaterial als Vertriebsgesellschaft anbietet (Bl.
487 VK 13/10). Aus der Konformitätserklärung der J…, die den Angebotsunterlagen der
Antragstellerin ebenfalls beigefügt war, sind insgesamt acht Steinbruchunternehmen
genannt (Bl. 362 VK 13/10).
Am 17.3.2009 fand zwischen der Antragstellerin und der Auftraggeberin ein
Bietergespräch statt, in dem auch über die Rohmaterialsicherung gesprochen wurde.
Der Inhalt des Gesprächs insoweit ist streitig.
Der Auftraggeber änderte nach dem Bietergespräch in den Vorbemerkungen und
Erläuterungen zum Leistungsverzeichnis (VEL) die Vorgaben zur Rohmaterialsicherung in
Ziffer 3.4.2 (Bl. 573 VK 13/10). Darin hieß es in der Fassung vom 3.4.2009, dass bei
Angebotsabgabe Materialbezugsquellen wie Steinbrüche und Naturwerksteinbetriebe
nachgewiesen werden müssen. Gestrichen war die Passage, dass bei Angebotsabgabe
sichergestellt und bestätigt sein müsse, dass die notwendigen Mengen in der
bemusterten Qualität bereits gebrochen bzw. die Abbauebenen in der Qualität für dieses
Bauvorhaben reserviert sind. Die VEL mit Stand vom 3.4.2009 sehen in Punkt 3.3
"Bemusterung Naturwerksteinarbeiten" außerdem wie bisher drei Stufen für die
Bemusterung der Gesteinsarten vor, eine erste Stufe bei Angebotsabgabe, eine zweite
zu den Bietergesprächen und eine dritte nach Beauftragung (Bl. 570-571 VK 13/10).
Der zwischen der Auftraggeberin und der Antragstellerin abgeschlossene
Generalunternehmervertrag enthält in Ziffer 15.1 Regelungen zur Gestellung einer
Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10% der Nettoauftragssumme. Nach Ziffer 18
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Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10% der Nettoauftragssumme. Nach Ziffer 18
ist die Auftraggeberin zur Kündigung aus wichtigem Grund insbesondere dann
berechtigt, wenn der Auftragnehmer die Vertragserfüllungssicherheit auch nach Ablauf
einer Nachfrist nicht beigebracht hat (Bl. 465 ff., 472 VK 13/10).
Nach Zuschlagserteilung vom 24.7.2009 teilte die Antragstellerin der Auftraggeberin in
der Projektbesprechung zur Qualitätssicherung vom 27. August 2009 in Bezug auf die
zur Rohmaterialsicherung I (NWS Typ 1 - Jura beige) benannte Firma J… mit, dass es sich
bei dieser um eine Verkaufs- und Vermarktungsagentur, nicht um einen Steinbruch
handele. Die Steinbrüche stünden noch nicht fest. Sie benenne als weiteren Lieferanten
die Firma Z… (Bl. 484 ff. VK 13/10). In einer in diesem Termin übergebenen Unterlage
der Antragstellerin wird als weitere Lieferanten angegeben "Z+…/S…".
In der dritten Stufe der Bemusterung für den Typ 1, der Rohplattenvorstellung vom 16.
September 2009 und den Präsentationen der Musterfläche am 2. und 8. Oktober 2009
zeigte die Antragstellerin auch Material aus dem nicht von der Firma J… vermarkteten
Steinbruch der Firma S… (im Folgenden S…). Die am 8.10.2009 präsentierte,
verbesserte Musterfläche, die der Geschäftsführer der Auftraggeberin akzeptierte,
enthielt zu 90% Platten von S…, 10 % stammten aus einem von der J… vermarkteten
Steinbruch.
Mit Schreiben vom 20.11.2009 (Bl. 1032-1034 VK 13/10) teilte die Antragstellerin der
Auftraggeberin mit, dass die J… nicht bereit sei, die ihr gegenüber erteilten
Lieferzusagen einzuhalten, und dass sie im übrigen auch nicht in der Lage sei, die
ausgeschriebenen Qualitäten in der erforderlichen Menge durchgängig und rechtzeitig
bereitzustellen. Die Auftraggeberin erwiderte mit Schreiben vom 27.11.2009 (Bl. 583-
584 VK 13/10), dass sie dies als Verletzung der Vertragspflichten durch die
Antragstellerin betrachte und forderte sie auf, bis zum 2.12.2009 den Nachweis der
Sicherung des notwendigen vertraglich vereinbarten Natursteinmaterials zu führen.
Mit Schreiben vom 8.12.2009 (Bl. 606 VK 13/10) teilte die J… der Auftraggeberin mit, sie
sei von der Antragstellerin aufgefordert worden, von ihren Liefergarantien
zurückzutreten. Dem habe sie widersprochen.
In der Folgezeit entzündete sich zwischen der Antragstellerin und der Auftraggeberin ein
Streit darüber, ob es vergaberechtlich zulässig sei oder nicht, das Material von der S…
zu beziehen. Die Antragstellerin vertrat dabei die Auffassung, dass in dem
Bemusterungstermin eine Lieferung des Naturwerksteins aus dem Steinbruch S… statt
aus einem der von J… vermarkteten Steinbrüche vereinbart sei. Die nachträgliche
Zulassung eines weiteren oder der Austausch eines Lieferanten stelle im Übrigen keine
wesentliche Vertragsänderung mit vergaberechtlicher Relevanz dar. Die Auftraggeberin
vertrat demgegenüber den Standpunkt, die Antragstellerin verhalte sich vertragswidrig,
wenn sie das Rohmaterial nicht gemäß Bietererklärung 1 von der Firma J… beziehe.
Die Auftraggeberin forderte die Antragstellerin zum Abschluss einer
Ergänzungsvereinbarung/ Sideletter auf, um etwaige Risiken zu minimieren, sofern Dritte
erfolgreich gegen die Belieferung (auch) durch die Firma S… als Rohmateriallieferanten
für den NWS Typ 1 vorgingen. Diese Vereinbarung kam nicht zustande.
Mit dem Hinweis, ihr stehe ein Zurückbehaltungsrecht zu, trat die Antragstellerin
darüber hinaus der Aufforderung der Auftraggeberin entgegen, die
Vertragserfüllungsbürgschaft bis zum 25.1.2010 beizubringen. Mit Schreiben vom
29.1.2010 verwies die Auftraggeberin auf die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der
Firma J…, bestand auf einer vertragskonformen Leistungserbringung gemäß
Bietererklärung 1 und setzte der Antragstellerin bis zum 5.2. 2010 eine letzte Nachfrist,
die abgeforderte Bürgschaft beizubringen.
Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist erhielt die Auftraggeberin per Telefax am 9.2.2010
eine der Antragstellerin am 8.2.2010 von der Sparkasse … zugeleitete Bestätigung zur
Kenntnis, dass der Antragstellerin die in Rede stehende Bürgschaft zugesandt werde,
sobald sie diese abfordere.
Mit Schreiben vom 9.2.2010, der Antragstellerin am gleichen Tage per Telefax
übermittelt, kündigte die Auftraggeberin den Generalunternehmer-Vertrag vom
24.7.2009 aus wichtigem Grund unter Berufung auf Ziffer 15.1 des Vertrages
(Nichtvorlage der Vertragserfüllungsbürgschaft). Weiterer Grund sei die Weigerung die
Antragstellerin zur vertragskonformen Durchführung der geschuldeten Bauleistung, da
sie nicht das vertraglich vereinbarte Material und nicht den in der Bietererklärung 1
benannten Lieferanten einsetzen wolle. Infolgedessen sei das Vertrauensverhältnis
derart erschüttert, dass eine Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar sei.
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Die Antragstellerin erwiderte mit Schreiben vom 10. Februar 2010, dass die
vermeintlichen Kündigungsgründe nicht zuträfen und ersuchte die Auftraggeberin, die
Kündigung zurückzunehmen. Sie, die Antragstellerin, sei wegen der Dringlichkeit an einer
Neuvergabe des Generalunternehmer-Vertrages ebenfalls interessiert. Das erforderliche
Material werde nach wie vor vorgehalten. Mit der Neuvergabe würden alle
vergaberechtlichen Risiken, die die Auftraggeberin sehe, erledigt. Mit weiterem
Schreiben vom 11. Februar 2010 bat die Antragstellerin um Übersendung der
Verdingungsunterlagen für die Neuvergabe.
Am 13. Februar 2010 veröffentlichte die Auftraggeberin im Supplement zum Amtsblatt
der Europäischen Union die ohne vorherige Bekanntmachung im Verhandlungsverfahren
erfolgte Auftragsvergabe der hier streitgegenständlichen Leistungen an die Beigeladene.
Zur Begründung zur Wahl der Verfahrensart heißt es, dass zur Einhaltung der
vorgesehenen Eröffnung des Großflughafens B… zum 30. Oktober 2011 die
Vergabestelle aufgrund äußerster Dringlichkeit gemäß SektVO § 6 Abs. 2 Nr. 4 diese
Leistungen im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne vorgeschalteten
Teilnahmewettbewerb und ohne Bekanntmachung habe vergeben müssen, da bei
Durchführung eines Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb
unter Berücksichtigung der Mindestfristen eine fristgerechte Fertigstellung des Projektes
B… nicht mehr möglich wäre.
Dem vorausgegangen war eine Aufforderung der Auftraggeberin zur erneuten
Angebotsabgabe an die beiden weiteren Bieter der ursprünglichen Ausschreibung, die
sich im ursprünglichen Teilnahmewettbewerb vom 19. September 2008 als geeignet
herausgestellt hatten. Einer der Bieter sah aus Termingründen von einer
Angebotsabgabe ab. Die Beigeladene gab ihr überarbeitetes optimiertes Angebot
fristgerecht zum 5. Februar 2010 ab. Die Zuschlagserteilung an sie erfolgte am 9.
Februar 2010, unmittelbar nach Übermittlung der Kündigung des Vertrages mit der
Antragstellerin.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 11.3.2010, bei der Vergabekammer eingegangen am
12.3.2010, stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag. Andere Unternehmen
als die Antragstellerin haben keine Nachprüfungsanträge, die dieses Bauvorhaben
betreffen, gestellt.
Die Antragstellerin hat gemeint, dass die Auftraggeberin auch sie um die Abgabe eines
Angebotes hätte ersuchen müssen, da sie jedenfalls ihr weiterhin bestehendes Interesse
am Auftrag bekundet habe. Zu Unrecht gehe die Auftraggeberin davon aus, dass die
Antragstellerin - im Wesentlichen aus den Gründen, die zur Vertragskündigung
herangezogen worden seien - technisch und wirtschaftlich nicht leistungsfähig sei. Die
Antragstellerin habe gegenüber der Auftraggeberin sowohl ihre wirtschaftliche als auch
ihre technische Leistungsfähigkeit nachgewiesen. Die Sparkasse … habe die Gestellung
der Vertragserfüllungsbürgschaft ebenso bestätigt wie die Firma S… ihre umfassende
Leistungsfähigkeit.
Die Kündigung des Generalunternehmer-Vertrages sei unbegründet und beruhe auf
einem Rechtsirrtum der Auftraggeberin hinsichtlich der Einbeziehung der S… als
weiteren Lieferanten für das Rohmaterial NWS Typ 1 (Jura beige). Die
Verdingungsunterlagen beinhalteten keine Erklärungen zur "Verbindlichkeit" der
Eintragungen in der Bietererklärung 1. Im Wege der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB
ergebe sich, dass diese Erklärung keine "Beschaffenheitsvereinbarung" des Inhaltes
darstelle, dass Gegenstand der geschuldeten Leistung die Lieferantin J… sei. Die
Auftraggeberin habe zu Unrecht die anlässlich der Bemusterung vom 8. Oktober 2009
getroffenen Vereinbarungen unbeachtet gelassen und auf einer Belieferung durch J…
bestanden. Eine wesentliche Änderung des Vertrages könne die Hinzunahme des
Lieferanten S… jedenfalls nicht begründen.
Soweit die Kündigung aus der rechtsfehlerhaften Sicht der Auftraggeberin auf die
fehlende Übergabe der Vertragserfüllungsbürgschaft gestützt werde, hätte die
Auftraggeberin diesem Umstand bereits nach erster Abforderung mit Schreiben vom 19.
November 2009 Geltung verschaffen können und müssen.
Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Ziffer 4 SektVO, speziell das Merkmal der
"äußersten Dringlichkeit", hätten für eine Vergabe ohne vorherige öffentliche
Bekanntmachung nicht vorgelegen. Im Ergebnis hätte die Auftraggeberin die Bieter und
Interessenten über die beabsichtigte Neuvergabe gemäß § 101a Abs. 1 GWB informieren
müssen.
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Die Antragstellerin hat beantragt,
festzustellen, dass der im Amtsblatt der Europäischen Union am 13. Februar 2010 -
2010/S 31-044127 - bekannt gemachte Vertrag zwischen der Auftraggeberin und der
Beigeladenen über die Ausführung der Verlegung von Natur-, Betonwerkstein- und
Terrazzobelägen einschließlich der zugehörigen Nebenleistungen wie z.B. Fugenprofile,
Einfassungswinkel etc. - Az. der Auftraggeberin: A35 000253 - von Anfang an unwirksam
ist.
Die Auftraggeberin hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
Die Auftraggeberin hat gemeint, der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da der
Antragstellerin für die begehrte Feststellung unter Berücksichtigung beider rechtlichen
Aspekte des § 101 b Abs. 1 GWB das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die Antragstellerin
habe sich nach Zuschlag als nicht geeignet herausgestellt, sodass sich ihr Ausschluss
bei der Neuvergabe nicht als vergaberechtswidrig erweise. Die Antragstellerin sei nicht
mehr als Bewerber mit Chancen auf Teilnahme am Wettbewerb in Betracht gekommen,
sodass die Neuvergabe, sei es mit oder ohne vorherige Bekanntmachung, sie in ihren
Rechten nicht verletzen könne.
Die Erwägungen der Antragstellerin zum Aussagegehalt und zur mangelnden
Verbindlichkeit der Bietererklärung 1, seien nicht nachvollziehbar. Im
Bemusterungstermin am 8. Oktober 2009 habe der Geschäftsführer der Auftraggeberin
zwar dem optischen Erscheinungsbild der Natursteinplatten aus dem Steinbruch der
Firma S… zugestimmt, nicht jedoch einer Abweichung von der Bietererklärung 1. Diese
sei als Beschaffenheitsvereinbarung zu qualifizieren, sodass die Zulassung eines
anderen als des angebotenen Materiallieferanten eine vergaberechtswidrige wesentliche
Vertragsänderung darstelle. Zwar werde der Natursteintyp nicht geändert, aber die
Herkunft des Materials - aus einem anderen Steinbruch - und damit dessen
Eigenschaften. Das hätte nach den Bestimmungen des gekündigten Vertrages
ausdrücklich und schriftlich angeordnet bzw. vereinbart werden müssen.
Bei der Auftraggeberin bestehe der Eindruck, dass die Behauptungen der Antragstellerin
zur fehlenden Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft der Firma J… nicht zuträfen; auch der
mehrfachen Aufforderung unter Fristsetzung, die vertraglich geschuldete Bürgschaft
beizubringen, sei die Antragstellerin nicht gefolgt.
Die Kündigung habe die Auftraggeberin nicht zu vertreten. Die dadurch eingetretene
Situation sei der des § 3 a Nr. 6 lit. a) und b) VOB/A nach Scheitern eines Offenen oder
Nichtoffenen Verfahrens vergleichbar. Die vonseiten der Auftraggeberin angenommene
Dringlichkeit der Vergabe der gekündigten Leistungen folge aus der Verzahnung zum
Ablaufplan der einzelnen Gewerke des Großprojektes B… und den bei nennenswerten
Verzögerungen drohenden erheblichen finanziellen Verlusten.
Durch Verfügung vom 14. April 2010 hat der Vorsitzende der Vergabekammer die
Entscheidungsfrist nach § 113 Abs. 1 GWB bis zum 14.5.2010 verlängert.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 10.5.2010 den Nachprüfungsantrag als
unzulässig verworfen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der mit der Beigeladenen
geschlossene Vertrag sei wirksam. Zwar habe die Antragstellerin ihr
Nachprüfungsbegehren fristgerecht bei der Vergabekammer angebracht, jedoch fehle
ihr das Rechtsschutzbedürfnis, im Wege des Primärrechtsschutzes zu erreichen, erneut
als Bieterin die Chance zu erhalten, für denselben Auftrag ein Angebot einreichen zu
können, der ihr gegenüber gekündigt worden sei. Sie sei nicht antragsbefugt. Sie gehöre
nicht zu dem Personenkreis, der nach § 101a GWB geschützt werde, weil sie nicht
Bieterin in dem Verhandlungsverfahren gewesen sei, dessen Beendigung am 13.2.2010
bekannt gemacht wurde. Fragen der Rechtmäßigkeit einer vorzeitigen
Vertragsbeendigung durch außerordentliche Kündigung seien nicht vor den
Vergabenachprüfungsinstanzen zu klären. Die Auftraggeberin würde sich jedoch
widersprüchlich verhalten, wenn sie die Antragstellerin zur Angebotsabgabe auffordern
und sogleich wegen mangelnder Eignung ausschließen würde. Der mit Zuschlag vom
9.2.2010 geschlossene Vertrag könne auch nicht auf der Grundlage des § 101b GWB für
unwirksam erklärt werden. Dem stehe nach nunmehr erfolgter gesetzlicher Regelung der
de-facto-Vergaben bereits der Wortlaut der Vorschrift entgegen. Die Auftraggeberin
habe den Auftrag nicht unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, sondern beide
geeigneten Unternehmen der Ausgangsausschreibung beteiligt.
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Gegen diesen Beschluss, ihr zugestellt am 10.5.2010, hat die Antragstellerin mit am
21.5.2010 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Der
Vergabesenat hat die Beigeladene mit Beschluss vom 13.7.2010 beigeladen.
Die Antragstellerin beanstandet im Detail, die Vergabekammer habe ihre Entscheidung
aufgrund von zu Unrecht getroffenen tatsächlichen Feststellungen getroffen. Die
Kündigung des Generalunternehmervertrages sei unwirksam, weil kein wichtiger Grund
vorgelegen habe.
Sie meint, die Auftraggeberin habe kein Verhandlungsverfahren durchgeführt, sondern
den Zuschlag im Wege der De-facto-Vergabe an die Beigeladene erteilt. Im Übrigen
habe die Vergabekammer ihr zu Unrecht die Antragsbefugnis abgesprochen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 10.5.2010 - VK
13/10 - aufzuheben und festzustellen, dass der im Amtsblatt der Europäischen Union
am 13.2.2010 - 2010/S 31-044127 - bekannt gemachte Vertrag zwischen der
Auftraggeberin und der Beigeladenen über die Ausführung der Verlegung von Natur-,
Betonswerkstein- und Terrazzobelägen einschließlich der zugehörigen Nebenleistungen
wie z. B. Fugenprofile, Einfassungswinkel etc. - Az. der Auftraggeberin A35 000 253 - von
Anfang an unwirksam ist.
Die Auftraggeberin und die Beigeladene beantragen,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Die Auftraggeberin hält den Beschluss der Vergabekammer für richtig. Zu Recht habe
die Vergabekammer auch das Vorliegen einer unzulässigen de-facto-Vergabe verneint.
Zum einen habe die Auftraggeberin zwei und nicht nur ein Unternehmen am
nachfolgenden Verhandlungsverfahren beteiligt. Zum anderen sei aufgrund der
konkreten Umstände und der Notwendigkeit einer möglichst termingerechten
Fertigstellung der Bodenbelagsarbeiten nur die Beigeladene als Anbieterin in Betracht
gekommen. Dass die Auftraggeberin dann das Verfahren zur Neuvergabe nur noch mit
der Beigeladenen durchgeführt habe, sei vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
Die Auftraggeberin behauptet, sie habe der Antragstellerin im Bietergespräch am
17.3.2009 weder zugesagt noch auch nur in Aussicht gestellt, dass die mit der
Bietererklärung abgefragten Angaben zum angebotenen Material, insbesondere zur
Herkunft im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr verbindlich sein sollten. Ihr
Geschäftsführer habe im Rahmen der Bemusterung im Oktober 2010 keine Festlegung
zur Herkunft des zu verwendenden Materials getroffen, sondern nur das optische
Erscheinungsbild der mit dem angebotenen Material zu erstellenden Bodenbeläge
bestimmt.
Auch die Beigeladene meint, die Vergabekammer habe den Nachprüfungsantrag zu
Recht als unzulässig angesehen. Der ihr erteilte Zuschlag sei wirksam.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten
wird auf die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß den §§ 116, 117 GWB zulässig.
Sie hat das Rechtsmittel fristgerecht eingelegt und begründet.
Die sofortige Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Denn der Nachprüfungsantrag der
Antragstellerin ist unbegründet.
I.) Der Nachprüfungsantrag ist allerdings entgegen der Auffassung der Vergabekammer
zulässig.
1.) Die Antragstellerin hat die Frist des § 101b Abs. 2 GWB eingehalten, innerhalb derer
die Unwirksamkeit eines Vertrages, durch den von einem öffentlichen Auftraggeber ein
Auftrag vergeben worden ist, geltend gemacht werden kann. Da die Auftraggeberin die
Auftragsvergabe im Amtsblatt der EU bekannt gemacht hat, endete die Frist zur
Geltendmachung der Unwirksamkeit 30 Kalendertage nach Veröffentlichung. Die
Veröffentlichung erfolgte am 13.2.2010, der Nachprüfungsantrag ist am 12.3.2010 bei
der Vergabekammer eingegangen und der Auftraggeberin am selben Tag per Telefax
zugestellt worden. Damit ist die 30-Tages-Frist eingehalten worden.
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2.) Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt.
Die Vorschrift des § 107 Abs. 2 GWB gilt auch für die Feststellungsverfahren nach § 101b
GWB. Denn § 107 GWB befindet sich am Beginn des Abschnitts der Normen, die das
Verfahren vor der Vergabekammer regeln. Als grundlegende Norm gilt sie damit auch in
dem Nichtigkeitsfeststellungsverfahren nach § 101b GWB. Auch bei diesen Verfahren gilt
der Grundsatz, dass die Unterbrechung eines Vergabeverfahrens durch einen
Außenstehenden, der eventuell nur an der Klärung einer Rechtsfrage oder der
Behinderung der Beteiligten, nicht aber am Vertragsschluss interessiert ist, nicht
gerechtfertigt ist.
Nach § 107 Abs. 2 GWB muss der Antragsteller eines Nachprüfungsverfahrens zum
einen ein Interesse am Auftrag haben, zum anderen die Verletzung in eigenen Rechten
gemäß § 97 Abs. 7 GWB geltend machen. Darüber hinaus muss ihm durch die
behauptete Verletzung von Vergabevorschriften ein Schaden drohen.
Wegen des verfassungsrechtlichen Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, dürfen
an die in § 107 Abs. 2 GWB genannten Voraussetzungen keine allzu hohen
Anforderungen gestellt werden; die Darlegungslast insoweit darf nicht überspannt
werden (BVerfG, NZBau 2004, 564, 566, zitiert nach Juris Rn 27; BGH, Beschluss vom
1.2.2005, X ZB 27/04, zitiert nach Juris Rn 17).
Wird wie hier vom Antragsteller eines Nachprüfungsverfahrens behauptet, dass ein nach
Maßgabe des § 97 Abs. 1 GWB geregeltes Vergabeverfahren bislang nicht stattgefunden
habe, genügt grundsätzlich für die Annahme, dass dem Antragsteller infolge der
Missachtung von § 97 Abs. 1 GWB zumindest ein Schaden zu entstehen drohe, dass der
behauptete Vergaberechtsverstoß geeignet ist, die Aussichten auf den Zuschlag zu
beeinträchtigen (BVerfG, a. a. O.; BGH, a. a. O.). Dies ist bei einem am
Vergabeverfahren nicht beteiligten Unternehmen immer dann der Fall, wenn nicht
ausgeschlossen werden kann, dass es bei einem geregelten Vergabeverfahren, das
unter für alle Bieter gleichen Bedingungen und ohne weitere Vertragsverhandlungen mit
lediglich einem Unternehmen stattfindet, den Zuschlag hätte erhalten müssen.
Vergaberechtlich liegt der Schaden, der dem Bieter entstehen kann und dessen Eintritt
durch das Nachprüfungsverfahren vermieden werden soll, mithin in der Beeinträchtigung
der Chancen auf den Zuschlag. Das Nachprüfungsverfahren hat dagegen nicht den
Zweck, den erfolgreichen Bieter in einem Vergabeverfahren vor einer nach
Auftragserteilung erfolgten Kündigung der Auftraggeberseite zu schützen und es ihm zu
ermöglichen, den erhaltenen Auftrag auch tatsächlich auszuführen. Aus diesem Grund
kann der erfolgreiche Zuschlagbieter auch nicht in zulässiger Weise ein
Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel einleiten, es dem Auftraggeber zu untersagen, den
ihm erteilten Auftrag erneut zu vergeben (Senat, Beschluss vom 5.10.2004, Verg W
12/04, zitiert nach Juris Rn 25 ff.).
Hier geht es der Antragstellerin jedoch nicht darum, die erneute Vergabe des Auftrages
zu unterbinden. Ihr geht es vielmehr darum, im Rahmen der Neuvergabe berücksichtigt
zu werden. Denn nach den Darlegungen der Antragstellerin besteht die Möglichkeit, dass
ihr die durch den bereits erteilten Zuschlag eingeräumte Rechtposition genommen
worden ist. Sie verfolgt mit ihrem Nachprüfungsantrag das Ziel, den Zuschlag - erneut -
zu erhalten. Dies reicht aus, um im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des
Nachprüfungsantrages die Antragsbefugnis zu bejahen (so im Ergebnis auch OLG
München, Beschluss vom 7.6.2005, Verg 4/05; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4.2.2009,
VII-Verg 65/08; OLG Naumburg, Beschluss vom 18.7.2006, 1 Verg 4/06, jeweils zitiert
nach Juris).
II. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch nicht begründet.
Die Antragstellerin kann nicht die Feststellung gemäß § 101b Abs. 2 Satz 1 GWB
erreichen, dass der zwischen Auftraggeberin und Beigeladener geschlossene Vertrag
unwirksam ist. Die Antragstellerin bleibt mit ihrem Begehren deshalb ohne Erfolg, weil
die Auftraggeberin sie bei der erneuten Vergabe des ihr erteilten Auftrages nicht
berücksichtigen musste. Sie hatte aus diesem Grund keinen Anspruch auf Erteilung
einer vorherigen Information, dass die Auftraggeberin den - erneuten - Zuschlag an die
Beigeladene erteilen wolle. Sie kann sich deshalb auch nicht mit Erfolg darauf berufen,
der Auftrag sei unmittelbar an ein Unternehmen erteilt worden, ohne dass andere
Unternehmen am Vergabeverfahren beteiligt worden wären.
Der öffentliche Auftraggeber muss nach § 97 Abs. 4 GWB nur fachkundige,
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Der öffentliche Auftraggeber muss nach § 97 Abs. 4 GWB nur fachkundige,
leistungsfähige, gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen bei der Vergabe
berücksichtigen. Die Auftraggeberin hat hier der Antragstellerin durch ihre
Nichteinbeziehung in die Neuvergabe des Auftrages diese Eignung abgesprochen. Als
unbestimmte Rechtsbegriffe unterliegen diese Eignungskriterien einer lediglich
eingeschränkten Nachprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen auf Einhaltung der
Grenzen des Beurteilungsspielraums. Hier hat die Auftraggeberin keine sachfremden
Erwägungen herangezogen, indem sie das Verhalten der Antragstellerin bei der Vergabe
und der gescheiterten Durchführung des letztlich gekündigten Vertrages zur Prüfung
ihrer Eignung herangezogen hat. Sie hat dabei eine nachvollziehbare
Prognoseentscheidung dahingehend getroffen, dass sie die Antragstellerin als nicht
zuverlässig und nicht leistungsfähig angesehen hat.
1.) Die Auftraggeberin durfte die Antragstellerin vergaberechtlich als nicht zuverlässig
ansehen.
Für die Bewertung der Zuverlässigkeit im Vergabeverfahren ist maßgebend, inwieweit die
Umstände des einzelnen Falles die Aussage rechtfertigen, ein Bieter, Interessent oder
Verhandlungspartner werde die Leistungen, die Gegenstand des Vergabeverfahrens
sind, vertragsgerecht und reibungslos erbringen. Dabei handelt es sich um eine
Prognoseentscheidung aufgrund des in der Vergangenheit liegenden Geschäftsgebarens
des Bewerbers. Dabei muss der Auftraggeber auch das frühere Vertragsverhalten eines
Unternehmen berücksichtigen, um dessen Eignung es geht. Dies gilt insbesondere
dann, wenn es sich um Erfahrungen des Auftraggebers mit dem Bewerber wegen
desselben Auftrages handelt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4.2.2009, VII-Verg 65/08,
zitiert nach Juris Rn 23).
Dabei muss nicht abschließend geprüft werden, ob der Vertrag, den die Antragstellerin
und die Auftraggeberin zunächst zur Durchführung desselben Vorhabens abgeschlossen
haben, von der Auftraggeberin wirksam gekündigt worden ist oder nicht. Insbesondere
braucht der Senat den Streit zwischen Auftraggeberin und Antragstellerin zu der Frage,
ob der Lieferant des Rohmaterials bei Vertragsschluss bereits verbindlich festgelegt war
oder nicht, und die Frage, ob die Parteien den Vertragsinhalt hinsichtlich des
Materiallieferanten in der dritten Bemusterungsstufe erstmalig festgelegt haben oder
aber, wenn er bereits vereinbart worden wäre, formlos geändert haben, und die weitere
Frage, ob eine solche Festlegung trotz bestehender Schriftformklausel auch formlos
wirksam wäre, nicht abschließend zu entscheiden.
Unzweifelhaft werden allerdings die Grenzen des Beurteilungsspielraums nicht
überschritten, wenn der Auftraggeber den Antragsteller des Nachprüfungsverfahrens für
unzuverlässig hält, weil er ihm gegenüber den erteilten und nunmehr erneut zu
vergebenden Auftrag fristlos gekündigt hat und für die außerordentliche Kündigung ein
wichtiger Grund bestanden hat (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4.2.2009, VII-Verg
65/08, zitiert nach Juris).
Jedoch muss im Nachprüfungsverfahren von den Nachprüfungsinstanzen in einem Fall
wie dem vorliegenden nicht abschließend festgestellt werden, ob eine außerordentliche
Vertragskündigung des Auftraggebers gerechtfertigt war oder nicht. Denn § 97 Abs. 7
GWB gewährt den Bewerbern um einen öffentlichen Auftrag allein einen Rechtsanspruch
auf Einhaltung der Vergabebestimmungen. In einer Vertragskündigung kann jedoch kein
Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften liegen (vgl. Senat, Beschluss vom
5.10.2004, Verg W 12/04, zitiert nach Juris). Vergaberechtlich nachprüfbar ist allein die
Frage, ob der Auftraggeber zu Recht oder Unrecht einen Bieter als unzuverlässig und
damit als nicht geeignet i. S. von § 97 Abs. 4 GWB angesehen hat oder nicht. Die
Nachprüfbarkeit insoweit ist wegen des dem Auftraggeber zustehenden
Beurteilungsspielraums stark eingeschränkt.
Ausreichend für die Berechtigung der Annahme, ein Bewerber sei unzuverlässig, ist nicht
nur eine auf der Hand liegende Vertragsverletzung, die den Auftraggeber zur fristlosen
Kündigung berechtigt, sondern auch solche Umstände des Einzelfalles, die die Besorgnis
rechtfertigen, die reibungslose Durchführung des Auftrages könne nicht erwartet werden.
So liegt der Fall hier. Die Auftraggeberin hat mit der Antragstellerin bei der Durchführung
des Auftrags, den sie nunmehr erneut vergeben hat, Erfahrungen gemacht, die es für
sie als nicht zumutbar erscheinen lassen, gerade die Antragstellerin erneut mit der
Durchführung der maßgeblichen Leistungen zu beauftragen.
Zwar rechtfertigt nicht jede negative Erfahrung des Auftraggebers in der Vergangenheit
die Annahme mangelnder Zuverlässigkeit des Bewerbers. Dies gilt insbesondere für
vergleichsweise kleine - auch gerichtliche - Auseinandersetzungen zwischen öffentlichem
Auftraggeber und Bewerber über Teile von großen durchgeführten Aufträgen (so OLG
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Auftraggeber und Bewerber über Teile von großen durchgeführten Aufträgen (so OLG
Celle, Urteil vom 26.6.1998, 6 U 21/97, zitiert nach Juris).
Um derartige untergeordnete Meinungsverschiedenheiten hat es sich im vorliegenden
Fall jedoch nicht gehandelt. Antragstellerin und Auftraggeberin haben hier über die
Auslegung des geschlossenen Generalunternehmer-Vertrages derartig grundlegende
Meinungsverschiedenheiten entwickelt, dass mit der Ausführung der beauftragten
Leistungen nicht einmal begonnen werden konnte. Die Auftraggeberin verlangte von der
Antragstellerin die Verwendung des Materials des von ihr benannten
Rohmateriallieferanten, die Antragstellerin stellte sich demgegenüber auf den
Standpunkt, die Parteien hätten sich einvernehmlich dahingehend verständigt, dass
auch Material eines anderen Lieferanten für die Ausführung des Auftrages verwendet
werden dürfe. Diese beiden Positionen sind miteinander unvereinbar. Sie betreffen nicht
nur ein Detail des Auftrages, sondern mit dem Streit um das zu verwendende
Rohmaterial eine wesentliche Voraussetzung seiner Durchführung. Im praktischen
Ergebnis hat die Meinungsverschiedenheit zwischen Auftraggeberin und Antragstellerin
zur Unausführbarkeit des vergebenen Auftrages geführt. Diese
Meinungsverschiedenheiten haben sich zu einem so frühen Zeitpunkt gezeigt, dass mit
der Ausführung der nach dem Vertrag geschuldeten Leistungen nicht einmal begonnen
werden konnte.
Bei einer derartigen Sachlage konnte die Auftraggeberin, die eines der größten
Bauvorhaben in Deutschland durchführt und die an einen engen Zeitplan gebunden ist,
vergaberechtlich nicht gezwungen werden, gerade die Antragstellerin an einem neuen
Vergabeverfahren zu beteiligen. Sie durfte vielmehr ihre Erfahrungen mit der
Antragstellerin zum Anlass nehmen, diese als unzuverlässig anzusehen und sie bei der
erneuten Vergabe des der Antragstellerin erteilten, aber nicht zur Ausführung gelangten
Auftrages nicht zu berücksichtigen.
Die von der Auftraggeberin gegenüber der Antragstellerin vertretene Rechtsposition, die
die Bewertung der Verbindlichkeit der Angabe des Rohmateriallieferanten betrifft und die
letztlich zum Scheitern der Vertragsdurchführung führte, ist vergaberechtlich
nachvollziehbar und vertretbar. Bei einer derartigen Sachlage liegt die Annahme
fehlender Zuverlässigkeit der Antragstellerin für das nachfolgende Vergabeverfahren,
das Gegenstand des vorliegenden Nachprüfungsverfahrens ist, innerhalb ihres
Beurteilungsspielraums.
Gegenstand des Auftrages an die Antragstellerin waren die Vorbemerkungen und
Erläuterungen zum Leistungsverzeichnis mit Stand vom 3.4.2009. Darin heißt es unter
Ziffer 3.4.2, dass nur "Angebote bewertet werden, die den Nachweis einer
Rohmaterialsicherung gemäß den Angaben in der Bietererklärung 'Materialien' mit
Angebotsabgabe erbracht haben". In Ziffer 3.4.2 wird ausdrücklich die Forderung
erhoben, dass alle beschriebenen Gesteine in den jeweiligen Steinbrüchen so abgebaut
werden, dass die optischen und technischen Voraussetzungen entsprechend den
Beschreibungen in den Verdingungsunterlagen erfüllt werden. Zwar hat die
Auftraggeberin die ursprünglich gestellte Anforderung gestrichen, dass der Auftraggeber
jederzeit in den Liefervertrag zwischen Bieter und Steinbruchbesitzer eintreten können
müsse. Sie hat auch auf die Forderung verzichtet, bei Angebotsabgabe müsse
sichergestellt sein und bestätigt werden, dass die notwendigen Mengen in der
bemusterten Qualität bereits gebrochen sein sollen. Insofern enthalten die
Vorbemerkungen und Erläuterungen zum Leistungsverzeichnis mit Stand vom 3.4.2009
gegenüber ihrer ursprünglichen Fassung vom 2.12.2008 Streichungen. Allerdings kann
der Generalunternehmervertrag unter Auslegung dieser Bestimmungen und der
Forderung der Benennung eines Steinbruchs in der Bietererklärung
"Rohmaterialsicherung" zwanglos dahingehend verstanden werden, dass die vom Bieter
zu beschaffenden Rohmaterialien aus dem von ihm benannten Steinbruch stammen
müssen bzw., da die Antragstellerin die J… als Vermarkter verschiedener Steinbrüche
benannt hat, aus diesen Steinbrüchen. Diese Rechtsauffassung hat zur Folge, dass die
Antragstellerin verpflichtet gewesen wäre, der Auftraggeberin in der dritten
Bemusterungsstufe ausschließlich solches Material vorzustellen, dass von der J…
vermarktet wird.
Unter Zugrundelegung dieser Auffassung musste die Auftraggeberin das Angebot der
Antragstellerin, einen weiteren, nicht von der J… vermarkteten Steinbruch als Lieferanten
zu stellen, als ein Angebot zur Vertragsänderung ansehen, dass sie angesichts des
bedeutenden wirtschaftlichen Anteils des Rohmaterials am Gesamtauftrag nur mit
vergaberechtlichen Risiken annehmen konnte.
Zwar können nach der Rechtsprechung des EuGH Änderungen an bereits vergebenen
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Zwar können nach der Rechtsprechung des EuGH Änderungen an bereits vergebenen
Aufträgen nur ausnahmsweise dann eine erneute Ausschreibung erfordern, wenn die
Änderungen so wesentlich sind, dass sie Auswirkungen auf den Wettbewerb haben.
Allerdings ist die Auffassung der Auftraggeberin nachvollziehbar, dass in dem Austausch
des Lieferanten eine derart wesentliche Änderung des Vertrages liegt. Denn auch nach
Auffassung der Antragstellerin war die Angabe eines Steinbruchs in der Bietererklärung
zur Rohmaterialsicherung Voraussetzung für die Wertbarkeit des Angebots und damit
dafür, dass sich ein Unternehmen überhaupt um den zu vergebenden Auftrag bewerben
konnte. Wer keinen Steinbruch angeben konnte, konnte sich am Vergabeverfahren nicht
beteiligen. Denn es konnten nur Angebote bewertet werden, die neben dem preislichen
Aspekt auch den Nachweis einer Rohmaterialsicherung erbracht haben. Die
Antragstellerin hat im Übrigen selbst vorgetragen, dass die Benennung der J… auch für
ihre eigene Teilnahme wesentlich war. Denn sie hat einige Steinbrüche nicht als
Lieferanten benennen können, weil die J… diese bereits vertraglich gebunden hatte und
damit den Markt der potentiellen Materiallieferanten wesentlich verkleinert hatte. Damit
ist der Standpunkt der Auftraggeberin zumindest nachvollziehbar, dass sie keinen
anderen Steinbruch als Lieferanten akzeptieren wollte als einen solchen, der zu den von
der J… vermarkteten gehört.
Demgegenüber erscheint die Rechtsauffassung der Antragstellerin zu der
vergaberechtlichen Bedeutung der Angabe des Steinbruchs in der Bietererklärung zur
Rohmaterialsicherung kaum vertretbar. Wenn diese Angaben wirklich, wie sie meint, nur
dazu dienen sollen, ihr Angebot wertbar zu machen, hätte die Auftraggeberin auf die
Forderung einer derartigen Bietererklärung unter konkreter Angabe eines Steinbruchs
und des Zeitraums des jährlichen Abbruchzyklus und der Fördermenge pro Saison
verzichten und eine allgemeine Erklärung genügen lassen können. Denn diese
Eintragungen hätten für den Vertragsinhalt keine Bedeutung gehabt. Auch die Forderung
nach Prüfzertifikaten, die sich nach Ziffer 3.4.3 der Vorbemerkungen und Erläuterungen
zum Leistungsverzeichnis auf der Bietererklärung "Angebot der Materialien" wieder
finden sollen, die sich mithin auf den dort angegebenen Steinbruch bezogen, wären im
Ergebnis für den Vertragsinhalt irrelevant gewesen. Dass die Auftraggeberin einerseits
Prüfzeugnisse verlangt und andererseits das Material, auf das sich die Prüfzeugnisse
nicht zwingend Vertragsgegenstand werden soll, erscheint in sich widersprüchlich. Der
Rechtsauffassung der Antragstellerin steht auch entgegen, dass diese Bietererklärung
mit der Angabe des Steinbruchs unter der Überschrift "Angebot der Materialien" erfolgt
und darin auf den "angebotenen Naturwerksteintyp" Bezug genommen wird, so dass die
Bietererklärung ohne weiteres dahingehend ausgelegt werden kann, dass der Bieter mit
der Ausfüllung der Bietererklärung den jeweiligen Naturwerksteintyp aus dem benannten
Steinbruch zum Angebotsinhalt macht und mit dem Zuschlag dieses Angebot
Vertragsinhalt wird. Auch der Umstand, dass die Auftraggeberin in der Aufforderung zur
Abgabe eines optimierten Angebots vom 17.4.2009, anders als in der ersten
Aufforderung zur Abgabe eines Angebots vom 18.12.2008 diese Bestimmung nicht
mehr ausdrücklich als "verbindlich" bezeichnet hat, ändert daran nichts. Vertragliche
Bestimmungen binden die Vertragsparteien per se, nicht nur dann, wenn sie zusätzlich -
und überflüssigerweise - noch einmal als verbindlich vereinbart werden.
Richtig ist allerdings, dass mit Abschluss des Generalunternehmervertrages das zu
liefernde Material noch nicht festgelegt war, weil eine dritte und abschließende
Bemusterung erst nach Vertragsschluss vorgesehen war. Dies barg auch das Risiko,
dass der vom jeweiligen Bieter benannte Steinbruch bzw. hier die von der Antragstellerin
benannte Vermarkterin mehrerer Steinbrüche das gewünschte Material nicht bzw. nicht
in den gewünschten Mengen würde liefern können. Ob dies die Antragstellerin allerdings
berechtigte, noch vor der dritten Bemusterung und noch bevor die Auftraggeberin
überhaupt aus dem angebotenen Material eine Auswahl treffen konnte - quasi
vorsorglich - einen weiteren Steinbruch zu benennen, erscheint zweifelhaft.
Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass diese Unwägbarkeiten dadurch beseitigt worden
sind, als Auftraggeberin und Antragstellerin anlässlich der dritten Bemusterungsstufe
eine formlose Vereinbarung dahingehend getroffen haben, dass die Antragstellerin auch
Material der S… verwenden darf. Fraglich ist allerdings, ob die Erklärungen des
Geschäftsführers der Auftraggeberin überhaupt einen entsprechenden Aussagegehalt
haben und ob formlose Vereinbarungen allerdings angesichts der Schriftformklausel in
dem Generalunternehmervertrag vom 24.7.2009 Wirksamkeit erlangen konnten.
Die von der Auftraggeberin gegenüber der Antragstellerin hierzu vertretenen
Rechtsauffassungen sind vertretbar. Ob sie richtig sind, kann in einem ordentlichen
Verfahren vor den Zivilgerichten, ggfs. nach Durchführung einer Beweisaufnahme,
geklärt werden. Sie rechtfertigen jedenfalls die Annahme der fehlenden Zuverlässigkeit
der Antragstellerin in dem hier streitgegenständlichen Vergabeverfahren, weil die
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der Antragstellerin in dem hier streitgegenständlichen Vergabeverfahren, weil die
Meinungsverschiedenheiten in eine für beide Seiten ausweglose Situation geführt haben,
die für die Auftraggeberin nur durch einen Ausstieg aus dem Vertragsverhältnis lösbar
waren.
Hinzu kommen hier noch folgende, bei der Zuverlässigkeitsprüfung zu berücksichtigende
Umstände. Bei dem zu vergebenden Auftrag handelt es sich um einen solchen, dessen
Ausführung wegen der erheblichen Materialmengen und des Umstandes, dass das
Material nicht in einer Steinbruchsaison allein gewonnen werden kann, erhebliche Zeit in
Anspruch nimmt, so dass eine auf lange Sicht angelegte und auf Verständigung
ausgerichtete Zusammenarbeit mit dem Vertragspartner notwendig ist. Daran, dass
dies mit der Antragstellerin zu bewerkstelligen ist, durfte die Auftraggeberin hier Zweifel
haben. Denn hier haben sich die gravierende Meinungsverschiedenheiten bereits zu
Beginn der vertraglichen Zusammenarbeit gezeigt.
Im übrigen handelt es sich um einen Auftrag, bei dem bei einem Streit um die
Vertragsauslegung - weil es um den Bodenbelag im Fluggastterminal geht - und daraus
resultierenden Verzögerungen erhebliche nachteilige Folgen für die Fertigstellung des
Gesamtbauvorhaben entstehen können. Die Auftraggeberin hatte auch aus diesem
Grund, aufgrund der mit der Antragstellerin gewonnenen Erfahrungen zu zweifeln, ob der
Auftrag reibungslos abgewickelt werden wird.
Bei einer derartigen Sachlage ist die Annahme des Auftraggebers gerechtfertigt, dem
bisherigen Vertragspartner fehle die Zuverlässigkeit.
2.) Die Auftraggeberin hatte auch nachvollziehbare Gründe, die Antragstellerin als nicht
leistungsfähig anzusehen.
Die Antragstellerin hatte nach ihrem eigenen Vortrag schon vor Abschluss des
Generalunternehmervertrages Meinungsverschiedenheiten mit der J… über den Sinn der
Vorlage Prüfzeugnissen, deren Vorlage die Auftraggeberin verlangte. Sie musste aus
diesem Grund Sorge haben, sie werde von dieser das benötigte Material nicht erhalten.
Der Streit mit dem Materiallieferanten führte letztlich dazu, dass sie der Auftraggeberin
mitteilen musste, dass die J… sie nicht beliefere.
Derartige Streitigkeiten zwischen der J… und der Antragstellerin begründen bei der
Auftraggeberin nachvollziehbare Zweifel daran, ob die Antragstellerin überhaupt
leistungsfähig ist. Hier hat sich die Antragstellerin mit einer Erklärung der J… an der
Ausschreibung beteiligt und damit ihre Leistungsfähigkeit belegt. Sie wusste aber bereits
vor Abgabe ihres letzten überarbeiteten Angebots im April 2009, dass es mit diesem
Unternehmen Schwierigkeiten geben würde, weil es - aus welchen Gründen auch immer
- sich bereits seit Februar 2009 weigerte, die vom Auftraggeber geforderten weiteren
Prüfzeugnisse zur Verfügung zu stellen. Dies hat die Antragstellerin der Auftraggeberin
mit Schreiben vom 2.12.2009 mitgeteilt. Die Auftraggeberin konnte daraus den Eindruck
gewinnen, die Antragstellerin habe hier bewusst einen entweder nicht leistungsfähigen
oder nicht leistungswilligen Rohmateriallieferanten benannt und damit den Auftrag
erhalten. Wenn sie dann, noch bevor es zur Vertragsausführung kommt, den Lieferanten
austauschen möchte, berechtigt dies zu der Annahme, die Antragstellerin sei
möglicherweise bei Vertragsabschluss nicht leistungsfähig gewesen und versuche im
Nachhinein, eine zunächst nicht vorhandene Leistungsfähigkeit erst herzustellen. Dies
rechtfertigt auf Seiten der Auftraggeberin auch die Prognose, die Eignung der
Antragstellerin zur Durchführung des Auftrages mangels Leistungsfähigkeit zu
verneinen.
Auch die unterlassene Gestellung der Vertragserfüllungsbürgschaft ist grundsätzlich
geeignet, berechtigte Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Vertragspartners zu
begründen. Hier ist trotz gesetzter Nachfrist bis zur Vertragskündigung die Bürgschaft
nicht zur Verfügung gestellt worden. Ob die Antragstellerin hier ausnahmsweise
berechtigt war, die Vertragserfüllungsbürgschaft zurückzuhalten, weil wegen der
konträren Rechtsauffassungen der Parteien zum Bezug des zu verwendenden
Rohmaterials bei der Nachfristsetzung zur Vorlage der Bürgschaft eine fristlose
Kündigung des Vertrages auch unabhängig von der Vorlage oder Nichtvorlage der
Bürgschaft zu erwarten war, kann hier offen bleiben.
Denn bereits aus anderen Gründen war die Auftraggeberin berechtigt, in Bezug auf die
Antragstellerin eine fehlende Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit zu prognostizieren.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 120 Abs. 2, 78 Satz 2 GWB. Es entspricht der
Billigkeit, dass die Antragstellerin die notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen
trägt, weil diese sich mit Schriftsätzen, der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung
trägt, weil diese sich mit Schriftsätzen, der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung
und durch die Stellung von Anträgen am Verfahren beteiligt hat, §§ 120 Abs. 2, 78 Satz
1 GWB.
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