Urteil des OLG Brandenburg vom 30.04.2010

OLG Brandenburg: vermögensrechtliche angelegenheit, ausschlagung der erbschaft, gesetzliche vertretung, genehmigungsverfahren, jugendamt, entziehung, vertretungsmacht, familie, rechtsmittelbelehrung

1
2
3
4
5
Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 UF 61/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1629 Abs 2 S 1 BGB, § 1643
Abs 2 S 1 BGB, § 1795 BGB, § 7
Abs 2 Nr 1 FamFG, § 151 Nr 1
FamFG
Ergänzungspflegerbestellung für ein Kind: Interessengegensatz
im Zusammenhang mit der Erbausschlagung durch den
sorgeberechtigten Elternteil
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg vom 30.4.2010 – Az.: 31 F 236/09 – wird
aufgehoben.
Von der Erhebung der Gerichtskosten wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden
nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der Gegenstandswert wird auf 3.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Das betroffene minderjährige Kind steht unter alleiniger elterlicher Sorge der
Kindesmutter. Nach Versterben der Frau S… L…, der Großmutter väterlicherseits des
Kindes, hat die Kindesmutter nach Erbausschlagung durch den Kindesvater und weitere
mögliche Erben für das Kind A… M… ebenfalls die Erbausschlagung wegen
Überschuldung des Nachlasses erklärt. Für diese Erklärung hat die Kindesmutter am
23.6.2009 bei dem Amtsgericht Senftenberg um Genehmigung des Familiengerichts
nachgesucht. Nach Durchführung verschiedener Ermittlungen zum Umfang des
Nachlasses und zur Erbausschlagung weiterer möglicher Erben hat das Amtsgericht
Senftenberg - die Rechtspflegerin – die Kindesmutter schriftlich am 9.4.2010 und das
Jugendamt mündlich am selben Tag davon informiert, dass eine Pflegerbestellung für
A… M… für notwendig gehalten werde. Der Kindesmutter wurde mitgeteilt, sie könne im
Genehmigungsverfahren ihre Tochter nicht wirksam vertreten. Es sei beabsichtigt, das
Jugendamt als „Verfahrenspfleger“ zu bestellen. Dem hat die Kindesmutter mit
Schreiben vom 21.4.2010 zugestimmt. Nach einem Vermerk der Rechtspflegerin soll
eine Mitarbeiterin des Jugendamtes telefonisch geäußert haben, man könne sich
dagegen nicht sperren.
Mit Beschluss vom 30.4.2010 hat sodann die Rechtspflegerin des Amtsgerichts
Senftenberg das Jugendamt des Landkreises … zum „(Verfahrens-) Ergänzungspfleger“
bestellt und zur Begründung angegeben, zur Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte
der Minderjährigen sei ein Ergänzungspfleger zu bestellen. Im Übrigen seien die
Ermittlungen hinsichtlich des Nachlasswertes „ziemlich schwierig“.
Eine Grundlage für die Entscheidung ist in dem Beschluss genauso wenig benannt, wie
eine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden ist.
Gegen diesen Beschluss hat das Jugendamt des Landkreises … mit am 20.5.2010
eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und in diesem Schriftsatz mitgeteilt,
der Beschluss sei am 6.5.2010 zugestellt worden. Das Jugendamt ist der Ansicht, es
bedürfe der Bestellung eines Ergänzungspflegers nicht, weil die Kindesmutter nicht
gehindert sei, das betroffene Kind im Verfahren zu vertreten.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
6
7
8
9
10
11
Auf das Verfahren sind die Vorschriften des FamFG anzuwenden, da das Verfahren
betreffend die Einsetzung eines Ergänzungspflegers nicht bereits mit dem vor dem
1.9.2009 eingeleiteten Verfahren auf Genehmigung der Erbausschlagung eingeleitet
worden ist, sondern erst durch Verfügung der Rechtspflegerin vom 9.4.2010. Es handelt
sich um eine Kindschaftssache gemäß § 151 Nr. 5 FamFG. Das Rechtsmittel der
Beschwerde ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft, da das Verfahren zur Anordnung
einer Ergänzungspflegschaft mit dem Beschluss abgeschlossen worden ist, sodass eine
Endentscheidung vorliegt (so auch: KG, FamRZ 2010, 117); FamVerf (Schael, 2. A., § 2
Rz. 131).
Das Jugendamt hat die Beschwerde mangels abweichender Erklärung im eigenen
Namen erhoben. Dass im Interesse des Kindes Beschwerde eingelegt werden sollte,
wozu das Jugendamt als bestellter Ergänzungspfleger befugt gewesen wäre, kann der
Begründung im Schriftsatz vom 18.5.2010 jedenfalls nicht entnommen werden. Das
Beschwerderecht des Jugendamtes ergibt sich aus § 59 Abs. 3 i.V.m. § 162 Abs. 3 S. 2
FamFG. Die Monatsfrist gemäß § 63 Abs. 1 FamFG ist eingehalten worden, auch wenn
sich die förmliche Zustellung des Beschlusses nicht feststellen lässt. Auch die
Voraussetzung der Zulässigkeit nach § 61 FamFG liegt vor. Es mag hier dahingestellt
bleiben, ob das Verfahren für die Pflegerbestellung als solches eine vermögensrechtliche
Angelegenheit ist, weil sie hier im Wesentlichen wirtschaftlichen Interessen dienen soll,
nämlich der Prüfung, ob die Erbausschlagung wegen Überschuldung des Nachlasses
genehmigungsfähig ist, oder ob es sich um eine nicht vermögensrechtliche
Angelegenheit handelt. Sollte es sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit
handeln, ist von einem Wert in Höhe von 3.000 € auszugehen, da Anhaltspunkte für eine
abweichende Wertfestsetzung nicht bestehen.
Der kaum begründete und in sich widersprüchliche Beschluss vom 30.4.2010 bedarf
zunächst der Auslegung, um seinen Inhalt feststellen zu können. Aus dem letzten Satz
der Entscheidung ergibt sich im Gegensatz zu dem Anschreiben an die Kindesmutter
und zu dem Klammerzusatz im Entscheidungstenor, dass das Amtsgericht einen
Ergänzungspfleger gemäß § 1909 Abs. 1 BGB hat bestellen wollen. Die Reichweite der
damit verbundenen Entziehung des elterlichen Sorgerechts der Kindesmutter und der
Ergänzungspflegschaft lässt sich allerdings dem angefochtenen Beschluss selbst nicht
entnehmen. Aus dem Anschreiben an die Kindesmutter und dem Vermerk der
Rechtspflegerin vom 31.5.2010 lässt sich entnehmen, dass die Interessenvertretung des
Kindes im Genehmigungsverfahren sowie die Entgegennahme von Zustellungen in
diesem Verfahren durch den Pfleger wahrgenommen werden sollen. Der Wirkungskreis
des Pflegers ist damit die Vertretung des Kindes im Genehmigungsverfahren über die
Erbausschlagung.
Angesichts der äußerst dürftigen Begründung des Beschlusses und der Möglichkeit, ihn
ausschließlich anhand im Beschluss nicht genannter Vermerke und Schreiben auslegen
zu können, bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob er überhaupt Wirkung
entfalten kann oder jedenfalls wegen erheblicher Mängel aufzuheben ist. Diese Frage
kann aber dahinstehen, weil in der Sache ohnehin eine Pflegerbestellung zu Unrecht
erfolgt ist.
Im Genehmigungsverfahren für die Ausschlagung der Erbschaft gemäß § 1643 Abs. 2 S.
1 BGB, das zu den Angelegenheiten der elterlichen Sorge gemäß § 151 Nr. 1 FamFG
gehört (Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 2. Aufl., § 151, Rz. 6) ist das Kind
Verfahrensbeteiligter gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Das minderjährige Kind wird
grundsätzlich durch die sorgeberechtigten Eltern bzw. den sorgeberechtigten Elternteil
im gerichtlichen Verfahren einschließlich der Zustellungen vertreten, § 1629 Abs. 1 S. 3
BGB. Ein Ausschluss der Kindesmutter von der Vertretung des Kindes im vorliegenden
Verfahren gemäß § 1629 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 1795 BGB liegt hier nicht vor. Die
Kindesmutter ist damit nicht von Gesetzes wegen an der Ausübung der elterlichen Sorge
gehindert.
In Betracht kommt jedoch die Entziehung der Vertretungsmacht gemäß § 1629 Abs. 3 S.
2 i.V.m. § 1796 BGB. Nach diesen Vorschriften kann dem Elternteil die
Vertretungsmacht für das Kind als Bestandteil der elterlichen Sorge insoweit entzogen
werden, als ein erheblicher Interessengegensatz zwischen Kind und
vertretungsberechtigter Mutter vorliegt. Von einem solchen Interessengegensatz scheint
das Amtsgericht hier ausgegangen zu sein. In der Rechtsprechung wird dazu teilweise
vertreten, im Genehmigungsverfahren betreffend einer Erbausschlagung bestünde
grundsätzlich ein erheblicher Interessengegensatz zwischen Elternteil und Kind, sodass
immer die Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers zur Wahrnehmung
der Verfahrensrechte des Kindes geboten sei (KG, FamRZ 2010, 1171). Dieser
12
13
14
15
16
der Verfahrensrechte des Kindes geboten sei (KG, FamRZ 2010, 1171). Dieser
Bewertung vermag sich der Senat jedoch nicht anzuschließen.
Die Vertretung des Kindes kann dem sorgeberechtigten Elternteil nur dann und nur
insoweit entzogen werden, als ein erheblicher Interessengegensatz besteht und wenn
zusätzlich nicht zu erwarten ist, dass die Kindesmutter trotz des Interessengegensatzes
im Interesse des Kindes handelt (Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Aufl., § 1629, Rz. 24;
OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 51; OLG Stuttgart, FamRZ 1983, 831; Münchener
Kommentar/Huber, BGB, 51 § 1629, Rz. 63). Derartige Interessengegensätze dürfen
nicht allgemein vermutet werden, sondern müssen jeweils im Verfahren konkret
festgestellt werden. § 1796 BGB setzt einen sich aus dem Einzelfall ergebenden
Interessenwiderstreit voraus (BGH, FamRZ 2008, 1156; OLG Stuttgart, FamRZ 2010,
223; FamVerf (Schael; a.a.O. Rz. 93).
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht anlässlich einer Entscheidung, in der es im
Wesentlichen um den gerichtlichen Schutz gegen Entscheidungen des Rechtspflegers
bei nachlassgerichtlichen Genehmigungen ging, ausgeführt, im Regelfall könne das
rechtliche Gehör nicht durch denjenigen vermittelt werden, dessen Handeln im
Genehmigungsverfahren überprüft werden solle (BVerfGE 101, 397). Diese nicht in
Bezug auf die gesetzliche Vertretung eines Kindes durch seine Eltern getroffene
Entscheidung mag insoweit auch hier von Bedeutung sein, als in entsprechenden
Genehmigungsverfahren ein besonderes Augenmerk auf die Feststellung eines evtl.
Interessengegensatzes zwischen gesetzlichem Vertreter und Kind gerichtet werden
muss. Allein die Annahme eines „typischen Interessengegensatzes“ besagt jedoch
nicht, dass es auch im Einzelfall zu Konfliktsituationen kommen kann. Sie kann nicht
zwangsläufig zur Anordnung einer Pflegschaft führen, wie der Bundesgerichtshof im
Rahmen einer Entscheidung betreffend die Testamentsvollstreckung durch einen
Elternteil ausgeführt hat (BGH, FamRZ 2008, 1156). Es sind vielmehr in jedem Einzelfall
die Umstände zu ermitteln, die für einen Interessengegensatz sprechen können. Sodann
sind diese gegen das Elternrecht auf Vertretung des Kindes und das Kindesinteresse
abzuwägen, was im Einzelfall zur Entziehung der Vertretungsmacht und zur Bestellung
eines Pflegers führen kann (anders KG, a.a.O., ohne Interessenabwägung im Einzelfall).
Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht keinerlei Feststellungen dazu getroffen, worin
der konkrete Interessengegensatz zwischen Kindesmutter und Kind bestehen soll und
aufgrund welcher Umstände nicht zu erwarten sein soll, dass die Kindesmutter
unabhängig vom Ausgang des Genehmigungsverfahrens die Interessen des betroffenen
Kindes wahrzunehmen bereit und in der Lage ist. Insbesondere ist es hier nicht
ersichtlich, dass andere als wohlverstandene wirtschaftliche Interessen des Kindes eine
Rolle für die Entscheidung spielen könnten. So haben bereits der Witwer der
Verstorbenen, deren drei Kinder, darunter der Vater des hier betroffenen Kindes, sowie
die Mutter eines weiteren Kindes des Kindesvaters die Erbschaft wegen Überschuldung
ausgeschlagen. Dass irgendwelche Erwägungen nicht wirtschaftlicher Art die
Kindesmutter geleitet haben könnten, die Erbschaft auszuschlagen, ist nicht ersichtlich.
Insbesondere ist über das persönliche Verhältnis von A… M… zur Familie ihres Vaters
nichts bekannt. Dass sie im Falle der Annahme der Erbschaft überhaupt mit Mitgliedern
der väterlichen Familie in Erbengemeinschaft erben könnte, ist nach dem derzeitigen
Sachstand ebenfalls nicht ersichtlich. Anhaltspunkte für die Feststellung eines
erheblichen Interessengegensatzes bestehen danach über eine allgemeine typische
Risikolage hinaus nicht. Jedenfalls sind irgendwelche Feststellungen dazu vor der
Entscheidung nicht getroffen worden. Sie war deshalb aus formellen und materiellen
Gründen aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG, die Entscheidung über den
Gegenstandswert auf § 45 Abs. 1 S. 1 FamGKG.
Der Senat hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 FamFG zugelassen, da dies zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Das Kammergericht geht
angesichts der bereits zitierten Entscheidung von einer grundsätzlichen Pflicht zur
Bestellung eines Ergänzungspflegers aus. Gleiches dürfte für das Oberlandesgericht
Oldenburg gelten, das grundsätzlich die Bestellung von Ergänzungspflegern für an
Familienverfahren beteiligte Kinder für notwendig hält (vgl. OLG Oldenburg, FamRZ 2010,
660). Die Rechtsfrage ist im Übrigen auch in der Literatur umstritten (vgl. nur: DIJuF
Rechtsgutachten vom 16.12.2009, JAmt 2010, 79).
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum