Urteil des OLG Brandenburg vom 26.05.2005

OLG Brandenburg: wiedereinsetzung in den vorigen stand, abänderungsklage, bad, geschiedene frau, einkünfte, verwirkung, erwerbseinkommen, unterhalt, erwerbstätigkeit, arbeitsmarkt

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 UF 85/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 313 BGB, § 1573 BGB, § 1579
Nr 3 BGB, § 1580 BGB, § 323
Abs 1 ZPO
Nachehelichenunterhalt: Verwirkung des Unterhaltsanspruch
wegen versuchten Prozessbetrugs und Nichtbeachtung der
Vermögensinteressen des Unterhaltsverpflichteten
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 14. Mai 2008 verkündete Urteil des
Amtsgerichts Bad Liebenwerda (22 F 2/08) abgeändert.
Es wird festgestellt, dass der Kläger in Abänderung des am 26. Mai 2005 vor dem
erkennenden Senat im Verfahren zu dem Az: 9 UF 8/05 geschlossenen Vergleichs der
Beklagten seit Oktober 2007 keinen Geschiedenenunterhalt mehr schuldet.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird sowohl für das Berufungsverfahren wie auch in Abänderung der
amtsgerichtlichen Streitwertfestsetzung in der angegriffenen Entscheidung für das
Verfahren 1. Instanz auf 8.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien haben 1965 geheiratet und sich im Jahre 1987 getrennt. Diese Ehe, aus der
zwei volljährige und wirtschaftlich unabhängige Kinder hervorgegangen sind, wurde mit
am 18. Oktober 1989 verkündetem Urteil des Amtsgerichts St. Ingbert, rechtskräftig seit
dem 29. August 1990, geschieden. In Ziffer 3. des Scheidungsurteils wurde der Kläger
gleichzeitig verurteilt, an die Beklagte Elementarunterhalt, Altersvorsorgeunterhalt und
Krankenvorsorgeunterhalt, insgesamt 838,31 DM nachehelichen Unterhalt, zu zahlen.
Bei der Ermittlung dieses Unterhalts wurden auf Seiten der Frau 792,85 DM netto an
Erwerbseinkommen aus einer Teilzeittätigkeit berücksichtigt. Die gegen den
Unterhaltsausspruch im Scheidungsurteil gerichtete Berufung der Beklagten endete am
29. August 1990 vor dem Oberlandesgericht Saarbrücken mit einem Vergleich, in dem
sich der Mann zur Zahlung von 749,22 DM Elementarunterhalt, 125 DM
Krankenvorsorgeunterhalt und 195,65 DM Altersvorsorgeunterhalt, insgesamt 1.070 DM,
verpflichtete. Außerdem vereinbarten die Parteien ausdrücklich eine
Unterhaltsneuberechnung bei Wegfall der Unterhaltsverpflichtung des Mannes für die
Tochter bzw. von in die Unterhaltsberechnung eingeflossenen Kreditverpflichtungen.
Bereits zwei Jahre später erhob die Beklagte des vorliegenden Verfahrens nun vor dem
Amtsgericht Saarbrücken (41 F 360/92) erstmals eine Abänderungsklage. Im Rahmen
dieses Verfahrens erklärte die geschiedene Ehefrau, sie sei trotz gesundheitlicher
Beeinträchtigungen, die ihr keine Vollzeittätigkeit erlaubten, auf selbständiger Basis bei
der Firma R… B… als Propagandistin erwerbstätig und habe im Jahre 1991
durchschnittlich 650 DM brutto, im ersten Halbjahr 1992 520 DM brutto monatlich
verdient. Das Amtsgericht Saarbrücken veranlasste die Einholung eines medizinischen
Gutachtens zur Erwerbsfähigkeit der geschiedenen Ehefrau, das zu dem Ergebnis
gelangte, leichte körperliche Arbeiten seien ihr ganztags zumutbar. Vor diesem
Hintergrund verurteilte das Amtsgericht Saarbrücken mit am 11. August 1993
verkündetem Urteil den geschiedenen Ehemann in Abänderung des vorgenannten
Vergleichs zu geringfügig erhöhtem nachehelichen Unterhalt von insgesamt 1.213 DM
monatlich. Im Rahmen dieser Entscheidung wurde auf Seiten der Frau ein fiktives
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monatlich. Im Rahmen dieser Entscheidung wurde auf Seiten der Frau ein fiktives
Einkommen in Höhe von 1.200 DM netto, das sie beispielsweise als Verkäuferin,
Wirtschafterin oder auch Reinigungskraft erzielen konnte, berücksichtigt. Gegen diese
Entscheidung legten beide Parteien Berufung ein. Die Beklagte des vorliegenden
Verfahrens belegte ihr tatsächliches Einkommen für das Kalenderjahr 1993 bei R… M…
mit 7.150 DM brutto; ihr Nettoeinkommen gab sie mit „höchstens 400 DM monatlich„
an. Im Übrigen erklärte sie, „der Arbeitsmarkt sei ihr verschlossen„. Mit am 12. Oktober
1994 verkündetem Urteil sprach das Oberlandesgericht Saarbrücken der geschiedenen
Ehefrau 1.256 DM Elementarunterhalt und 355 DM Altersvorsorgeunterhalt zu. In dieser
Entscheidung hielt das Oberlandesgericht die Ehefrau für vollschichtig erwerbsfähig,
billigte ihr jedoch einen Aufstockungsunterhaltsanspruch zu. Bei der Berücksichtigung
eines fiktiven Nettoeinkommens von monatlich 1.200 DM abzüglich berufsbedingter
Aufwendungen verblieb es.
Im Jahre 2004 erhob nunmehr der geschiedene Ehemann vor dem Amtsgericht Bad
Liebenwerda (22 F 426/04) vor dem Hintergrund verringerter eigener Einkünfte wegen
Erreichens der Altersgrenze Abänderungsklage. Der Mann, ursprünglich beamteter
Fluglotse am Flughafen …, mittlerweile wiederverheiratet in Frankreich lebend, bezog
nun von der Deutschen Flugsicherung ein Altersruhegehalt und arbeitete gleichzeitig im
Angestelltenverhältnis am Flughafen Z… weiter. Er behauptete, die geschiedene
Ehefrau, inzwischen zu der Familie der gemeinsamen Tochter in deren Haus nach
Brandenburg verzogen, arbeite für mehrere, von ihm namentlich benannte Firmen als
Werbedame. In ihrer Erwiderung führte die geschiedene Ehefrau aus und bekräftigte dies
durch eine eidesstattliche Versicherung, seit 1. November 2003 kein Erwerbseinkommen
mehr erzielt zu haben und auf dem Arbeitsmarkt keinen Arbeitsplatz finden zu können.
Sie legte ihren Einkommenssteuerbescheid für das Kalenderjahr 2002 vor, aus dem
lediglich geringe Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1.600 € festgestellt wurden.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Bad Liebenwerda am 6. Dezember
2004 räumte die geschiedene Ehefrau ein, den ihr zugeflossenen Vorsorgeunterhalt
nicht zweckentsprechend verwandt zu haben. Mit am selben Tage verkündetem Urteil
wies das Amtsgericht Bad Liebenwerda die Abänderungsklage des Mannes unter Hinweis
darauf ab, dass veränderte Umstände nicht feststellbar seien. Im Rahmen des gegen
diese Entscheidung gerichteten Berufungsverfahrens des Mannes trug dieser vor, seine
geschiedene Frau sei seit 1994 als Werbedame erwerbstätig. Dem trat die Beklagte des
vorliegenden Verfahrens mit der Behauptung entgegen, sie lebe nun ausschließlich von
den Unterhaltsleistungen, nachdem auch die Aufträge für Werbemaßnahmen
zurückgegangen und seit Juni 2002 Aufträge gänzlich ausgeblieben seien. Zum Beleg
bezog sie sich auf die Steuererklärung für 2003. Der weiteren ausdrücklichen Auflage
des erkennenden Senats in der Ladungsverfügung vom 23. März 2005 zur Vorlage des
Einkommenssteuerbescheides 2004 und des Nachweises sonstiger Vermögenseinkünfte
seit Januar 2004 leistete sie keine Folge. Auf Anregung des Senats, der nach Aktenlage
von einer Verwirkung des Vorsorgeunterhalts ausging und der Frau in der Annahme
tatsächlich nicht erzielter Erwerbseinkünfte ein fiktives Einkommen zurechnete,
schlossen die Parteien am 26. Mai 2005 den nun streitgegenständlichen Vergleich, durch
den sich der Kläger verpflichtete, weiterhin monatlich 500 € an nachehelichem Unterhalt
an die Beklagte zu zahlen.
Bereits ein Jahr nach diesem Vergleichsschluss erhob die geschiedene Ehefrau vor dem
Amtsgericht Bad Liebenwerda (22 F 190/06) Abänderungsklage, die letztlich durch Urteil
des erkennenden Senats vom 23. August 2007 jedoch abgewiesen wurde. Im Rahmen
dieses Verfahrens verwies der jetzige Kläger unter Angabe von Details auf das seines
Erachtens seitens der Beklagten schon im Vorprozess verschwiegene
Erwerbseinkommen. Diese erklärte in Erwiderung, zu keiner Zeit über ein höheres
Einkommen als die ihr fiktiv zugerechneten 920 € monatlich verfügt zu haben, legte
allerdings eine Bescheinigung ihres Hauptauftraggebers für die ersten zehn
Kalendermonate des Jahres 2006 vor, aus denen sich durchschnittliche Bruttoverdienste
über diesen Wert ergaben und fügte die Einkommenssteuerbescheide für die
Kalenderjahre 2003 und 2004 bei. Vor diesem Hintergrund wies der 1. Familiensenat des
Brandenburgischen Oberlandesgerichts die Abänderungsklage mangels substantiierten
Vorbringens zum eigenen tatsächlichen Einkommen zurück.
Nachdem der jetzige Kläger mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 19. September
2007 die Beklagte erfolglos auffordern ließ, auf ihre Rechte aus dem Unterhaltstitel in
Gestalt des Prozessvergleichs vom 26. Mai 2005 zu verzichten, begehrte er erneut vor
dem Amtsgericht Bad Liebenwerda unter Hinweis auf das seines Erachtens
betrügerische Verhalten der Beklagten im Rahmen der Vorverfahren und eine daraus
seiner Meinung nach resultierende Verwirkung sämtlicher Unterhaltsansprüche
wiederum die Abänderung des Unterhaltstitels und die Feststellung, dass er seit Oktober
2007 keinen Geschiedenenunterhalt mehr schulde.
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, wegen der unzutreffenden bzw. unterlassenen
Angaben der Beklagten zu ihren Erwerbseinkünften in den beiden letzten Vorverfahren
habe sie sich eines Prozessbetruges schuldig gemacht, um zu verschleiern, dass sie in
der Lage sei, bedarfsdeckende Einkünfte zu erzielen. Bei wahrheitsgemäßen Angaben
hätte sich herausgestellt, dass sie jedenfalls mehr als die ihr fiktiv zugerechneten
durchschnittlich 920 € monatlich realisieren könnte.
Die Beklagte hat sich weiterhin darauf berufen, in den letzten vier Jahren nie mehr als die
ihr fiktiv zugerechneten 920 € monatlich verdient zu haben. Im Zeitraum April 2004 bis
Juni 2005 habe sie tatsächlich keinerlei Tätigkeit ausgeübt. Im Übrigen sei dem Kläger
stets bekannt gewesen, dass sie als Selbständige tätig gewesen sei. Daher sei ihr
Vortrag immer auf das Verneinen einer rentenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit
bezogen gewesen.
Mit am 14. Mai 2008 verkündetem Urteil hat das Amtsgericht Bad Liebenwerda die
Abänderungsklage des Mannes abgewiesen und sich zur Begründung der Argumentation
der Beklagten angeschlossen.
Gegen diese ihm am 19. Mai 2008 zugestellte Entscheidung hat der Kläger eingehend
am 18. Juli 2008 Berufung eingelegt und gleichzeitig wegen der Versäumung der
Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, die ihm mit
Senatsbeschluss vom 4. August 2008 gewährt wurde. Nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 21. August 2008 ging seine
Berufungsbegründungsschrift am 20.8.2008 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht
ein.
Zur Begründung seines Rechtsmittels vertieft der Kläger sein erstinstanzliches
Vorbringen und weist insbesondere darauf hin, dass ein Unterhaltsberechtigter generell
unabhängig von der unterhaltsrechtlichen Relevanz zur Offenlegung seiner tatsächlichen
Einkünfte verpflichtet sei. Im Übrigen habe die Beklagte wegen unterlassener
Altersvorsorge ihre Bedürftigkeit selbst herbeigeführt.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung und des am 26. Mai 2005 vor
dem Brandenburgischen Oberlandesgericht geschlossenen Vergleichs festzustellen,
dass er gegenüber der Beklagten seit dem Monat Oktober 2007 keinen
Geschiedenenunterhalt mehr schulde.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt weiterhin die Ansicht, ihre Angaben zu ihren Erwerbseinkünften seien deshalb
irrelevant, weil sie tatsächlich stets unter dem ihr fiktiv zugerechneten Einkommen
gelegen hätten.
Der erkennende Senat hat die Akten des Amtsgerichts Bad Liebenwerda zu den
Aktenzeichen 22 F 190/06 und 22 F 426/04 sowie diejenigen des Amtsgerichts
Saarbrücken zum Aktenzeichen 41 F 360/92 zu Informationszwecken beigezogen.
II.
Die Berufung des Klägers ist unter Berücksichtigung der ihm wegen der Versäumung der
Berufungsfrist gewährten Wiedereinsetzung form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden und demzufolge zulässig (§§ 519, 520 ZPO). Das Rechtsmittel führt in
der Sache auch zum Erfolg. Der Beklagten stehen Ansprüche auf nachehelichen
Unterhalt aus dem Prozessvergleich vom 26. Mai 2005 seit Oktober 2007 nicht mehr zu,
weil sie diese verwirkt hat.
An der Zulässigkeit der durch den geschiedenen Ehemann erhobenen
Abänderungsklage nach § 323 Abs. 1 und 4 ZPO bestehen keine Bedenken. Als
Abänderungsgrund beruft sich der Kläger auf die rechtsvernichtende Einwendung der
Verwirkung, wofür inzwischen höchstrichterlich die Abänderungsklage als zulässige
Klageform – jedenfalls neben der weiterhin diskutierten Vollstreckungsabwehrklage –
angesehen wird (vgl. BGH FamRZ 1990, 1095). Dabei gilt bei Prozessvergleichen als
Gegenstand von Abänderungsklagen die Zeitschranke des § 323 Abs. 2 ZPO nicht, weil
der Zweck dieser gesetzlichen Regelung, die Rechtskraftwirkung unanfechtbar
gewordener Entscheidungen zu sichern, bei gerichtlichen Vergleichen nicht in Betracht
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gewordener Entscheidungen zu sichern, bei gerichtlichen Vergleichen nicht in Betracht
kommt (BGH, a. a. O.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 323 Rn. 45 und 46 m. w. N.).
Auch das mit dem unmittelbaren Vorprozess geltend gemachte Abänderungsbegehren
der Beklagten steht dem deshalb nicht entgegen, weil es nicht zum Erfolg geführt hat
und damit eine Änderung des Titels nicht vorgenommen wurde (BGH NJW 1995, 536).
Der Kläger ist mit seinem jetzigen Vorbringen somit nicht präkludiert.
Die Abänderungsklage des geschiedenen Ehemannes ist auch begründet. Ein für die
Vergangenheit gegebener Anspruch der geschiedenen Ehefrau auf
Aufstockungsunterhalt im Sinne des § 1573 BGB besteht jedenfalls seit Oktober 2007
nicht mehr.
Die Begründetheit einer Abänderungsklage beurteilt sich nach den Regeln des
materiellen Rechts und damit letztlich nach den Grundsätzen über die Störung der
Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ein
Unterhalt betreffender Prozessvergleich in materieller Hinsicht an die veränderten
Verhältnisse anzupassen ist, ergibt sich nicht aus § 323 ZPO, sondern allein aus dem
materiellen Vertragsrecht (BGH, FamRZ 2001, 1687). Insoweit trifft den
Abänderungskläger die Darlegungs- und Beweislast dafür, was als Geschäftsgrundlage
des Unterhaltsvergleiches diente, inwieweit Veränderungen eingetreten sind und welche
Rechtsfolge daran zu knüpfen ist.
Im hier zu beurteilenden Fall sind die Grundlagen des Alttitels bekannt und zwischen den
Parteien auch unstreitig. Auf Seiten des geschiedenen Ehemannes wurde ein bereits um
die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bereinigtes Renteneinkommen von
rund 1.800 €, auf Seiten der geschiedenen Ehefrau ein fiktives Einkommen von 920 €
monatlich zu Grunde gelegt, wobei die Beteiligten davon ausgingen, dass die jetzige
Beklagte trotz bestehender Erwerbsobliegenheit keiner beruflichen Tätigkeit nachging
und den ihr zuvor zugeflossenen Altersvorsorgeunterhalt nicht zweckentsprechend
verwandt hat, weshalb dieser der Verwirkung unterlag.
Diesen Anspruch auf Elementarunterhalt hat die Beklagte jedenfalls gemäß § 1579 Nr. 3
BGB n. F. wegen versuchten Prozessbetruges und Nichtbeachtung der
Vermögensinteressen des Klägers verwirkt.
Insoweit entspricht es gefestigter Rechtsprechung, dass grundsätzlich bereits ein
versuchter Prozessbetrug, also eine Täuschung über das Ausmaß der eigenen
Bedürftigkeit, die Voraussetzungen des genannten Verwirkungstatbestandes erfüllt (vgl.
BGH FamRZ 1990, 1095; OLG Zweibrücken, FamRZ 1996, 220 jeweils m. w. N.). Dies
korrespondiert nicht nur mit der allgemeinen prozessualen Wahrheitspflicht nach § 138
ZPO, sondern auch mit der materiell-rechtlichen Obliegenheit, als Unterhaltsberechtigte
den Unterhaltsverpflichteten über die Erwerbseinkünfte und Vermögensverhältnisse
zutreffend und vollständig zu unterrichten, § 1580 BGB. Dabei spielt es keine Rolle, ob
die zu offenbarenden Tatsachen unterhaltsrechtlich relevant sind oder dem Bedürftigen
so erscheinen. Dies zu beurteilen ist einzig Aufgabe des Gerichtes. Unvollständige,
fehlerhafte oder bewusst falsche Angaben zum Einkommen und/oder Vermögen stellen
einen Prozessbetrug dar (BGH FamRZ 2007, 1532). Hierzu genügt die Einreichung eines
Schriftsatzes, mit dem notwendige Angaben verschwiegen werden.
Vorliegend hat die Beklagte bereits im Rahmen des Vorverfahrens (AG Bad Liebenwerda
22 F 426/04 = Brandenburgisches Oberlandesgericht 9 UF 8/05), das mit dem Abschluss
des streitgegenständlichen Vergleiches endete, wie nunmehr erwiesen ist,
wahrheitswidrig vortragen lassen, ab Juni 2002 keine Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt zu
haben. Sie selbst hat als Anlage zum Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 14.
Oktober 2004 eine eidesstattliche Versicherung dahingehend abgegeben, seit
November 2003 über kein Erwerbseinkommen mehr zu verfügen. In diesem
Zusammenhang ist sie der ausdrücklicher Aufforderung des Senats zur Vorlage ihrer
Einkommenssteuerbescheide für die Kalenderjahre 2003 und 2004 nicht
nachgekommen. Diese hat sie vielmehr erst im Rahmen des von ihr selbst betriebenen
nachfolgenden Abänderungsverfahrens (AG Bad Liebenwerda 22 F 190/06 =
Brandenburgisches Oberlandesgericht 9 UF 217/06) zur Akte gereicht; daraus ergibt sich
zwar nicht zwingend die Unrichtigkeit ihrer im Vorprozess gemachten Angaben zu ihren
tatsächlichen Einkünften, jedenfalls aber deren Unvollständigkeit. Im Übrigen erteilte sie
erst im Rahmen dieses Verfahrens und auf detaillierten Vorhalt durch den jetzigen
Kläger zum Umfang ihrer Tätigkeit und einzelnen Auftraggebern teilweise Auskünfte.
Hieraus konnte sich sowohl der geschiedenen Ehemann wie der erkennende Senat
jedoch zu keinem Zeitpunkt einen vollständigen und nachprüfbaren Überblick über das
zeitliche Ausmaß ihrer Erwerbstätigkeit und damit im Zusammenhang über das ihr
erzielbare Einkommen verschaffen.
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Mit ihrem mehrfach wiederholten Vorbringen, ihre tatsächlichen Einkünfte hätten
niemals den ihr fiktiv zugerechneten Betrag überschritten, kann die Beklagte nicht
gehört werden. Zum einen fehlt es gerade an einer systematischen und vollständigen
Übersicht des tatsächlich realisierten Erwerbseinkommens. Zum anderen basiert die
Zurechnung fiktiven Einkommens gerade auf demjenigen, das dem
Unterhaltsberechtigten erzielbar ist. Ersichtlich hat der erkennende Senat seiner damals
ständigen Rechtsprechung folgend die Klägerin gerade auf Grund ihrer unvollständigen
Information bei Ansatz eines fiktiven Nettoeinkommens in Höhe von lediglich 920 € für
eine ihr zumutbare Vollzeittätigkeit der untersten Einkommensstufe für ungelernte
weibliche Arbeitskräfte zugeordnet. Nachdem nunmehr von der Beklagten
unwidersprochen davon auszugehen ist, dass sie in der Lage war, arbeitstäglich 100 €
brutto zu erwirtschaften, steht fest, dass ihr jedenfalls ein erheblich höheres fiktives
Einkommen als erzielbar zuzurechnen gewesen wäre. Im Übrigen hat die Beklagte bis
zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht offen gelegt, in welchem zeitlichen Umfang sie tätig
war bzw. hätte tätig sein können. Gerade die Beantwortung dieser Frage wäre jedoch
erforderlich gewesen, um bei der Bemessung des ihr fiktiv zuzurechnenden Einkommens
zu einem angemessenen Ergebnis zu gelangen.
Es steht dabei nicht dem Unterhaltsberechtigten zu, selbst darüber zu entscheiden, ob
und in welchem Umfang tatsächlich erzieltes Einkommen für die Unterhaltsberechnung
zu berücksichtigen ist oder außer Ansatz zu bleiben hat. Die Beantwortung dieser
Rechtsfrage ist dem Gericht zu überlassen. Diesem gegenüber sind – zumal wenn
insoweit ausdrückliche Auflagen erteilt werden – Erwerbs- und sonstige Einkünfte
vollständig zu offenbaren, wobei es dem Unterhaltsberechtigten unbenommen bleibt,
seine Auffassung zur Anrechnung dieser Einkünfte vorzutragen. Dies hat die Beklagte
jedoch unterlassen und vielmehr wiederholt ausgeführt, ihr sei angesichts ihres Alters
und ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen „der Arbeitsmarkt gänzlich
verschlossen„. Sie hat damit wahrheitswidrig den Eindruck erweckt, ihr sei – außer in
dem zugestandenen Umfang – die Erzielung von Erwerbseinkommen nicht möglich.
Dieses Verhalten der Beklagten stellt eine schwerwiegende Verletzung der
nachehelichen Solidarität dar. Es war geeignet, eine unzutreffende Beurteilung der
unterhaltsrechtlichen Lage und damit überhöhte Unterhaltsansprüche zu erwirken. Vor
diesem Hintergrund erscheint es unbillig und dem Kläger nicht zumutbar, auf Grund des
streitgegenständlichen Prozessvergleichs fortgesetzt Elementarunterhalt in der
vereinbarten Höhe von monatlich 500 € zu zahlen. Denn das Verhalten der Beklagten
wiegt in der Weise schwer, dass es das Einkommen und Vermögen des
Unterhaltsverpflichteten jedenfalls nicht unerheblich und nachhaltig gefährdet hat.
Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des
Klägers als gesichert und relativ günstig anzusehen sind.
Ob der Kläger aufgrund des Verhaltens der Beklagten tatsächlich einen
Vermögensschaden erlitten hat, ist unerheblich. Die Frage, ob der weitere
Verwirkungsgrund gemäß § 1579 Nr. 5 BGB ebenfalls vorliegt, kann offen bleiben.
Was die Rechtsfolgen der somit anzunehmenden Verwirkung der Unterhaltsansprüche
angeht, so kommt nach der Überzeugung des Senats lediglich eine Herabsetzung oder
zeitliche Begrenzung auf Grund folgender Überlegungen nicht in Betracht. Bereits im
Hinblick auf die seit 1.1.2008 in Kraft getretene Reform des Unterhaltsrechts hätte die
Beklagte selbst bei pflichtgemäßem Verhalten mit einer Befristung oder Kürzung des
nachehelichen Unterhalts auf Grund der Vorschrift des § 1578 b BGB unabhängig davon
rechnen müssen, dass sie selbst im Dezember diesen Jahres die gesetzliche
Altersgrenze überschreitet und sich die Unterhaltsbemessung bei beiderseitigem
Rentenbezug gänzlich anders dargestellt hätte. Der vom Gesetzgeber nun in den
Vordergrund gerückte Grundsatz der Eigenverantwortung wäre auch vorliegend zum
Tragen gekommen. Im Rahmen der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden
Billigkeitsprüfung verkennt der Senat keineswegs, dass es sich angesichts einer
24jährigen Dauer um eine langjährige Ehe der Parteien handelt und die geschiedene
Ehefrau schon wegen der in Folge der Berufstätigkeit des Mannes hauptsächlich von ihr
erbrachten Betreuung der beiden gemeinsamen Kinder zu ehebedingten Nachteilen der
Beklagten gekommen sein mag. Andererseits hat der inzwischen wiederverheiratete
Kläger über einen Zeitraum von 19 Jahren seiner Unterhaltsverpflichtung zeitweise in
ganz erheblichem Umfang genügt. Schon von daher hätte jedenfalls zum gegenwärtigen
Zeitpunkt eine Fortwirkung der nachehelichen Solidarität nicht mehr erwartet werden
können, so dass der nun noch in dem streitgegenständlichen Prozessvergleich mit
monatlich 500 € titulierte Unterhaltsanspruch ohnehin herabzusetzen und/oder zu
befristen gewesen wäre.
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Wenn nun aber zu diesen Überlegungen die Annahme einer Verwirkung der
Unterhaltsansprüche wegen eines gravierenden Fehlverhaltens der
Unterhaltsberechtigten hinzutritt, so können die Rechtsfolgen nicht hinter denen der
Unterhaltsrechtsneuordnung zurückbleiben. Hinzu kommt, dass der Kläger die Beklagte
schon unmittelbar nach Erlass des Senatsurteils im Vorprozess vom 23. August 2007, in
dem eine Verletzung der Informationspflichten der Unterhaltsberechtigten klar
angesprochen wurde, mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 19. September 2007
zu der Bestätigung auffordern ließ, aus dem angefochtenen Prozessvergleich keine
Rechte mehr herzuleiten. Damit musste der Beklagten sowohl ihr eigenes Fehlverhalten
wie auch dessen Relevanz zumindest seit Oktober 2007 bewusst sein. Dies führt nach
der Überzeugung des Senats dazu, dass ihr ab diesem Zeitpunkt weitere
Unterhaltsansprüche gegenüber dem Kläger zu versagen sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; der Ausspruch zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 42
Abs. 1, 5; 47 Abs. 1 Satz 1¸63 Abs. 3 GKG.
Der Inhalt des nicht nachgelassenen Schriftsatzes vom 30.4.2009, eingegangen per Fax
ohne Anlagen am 4.5.2009, gab keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung, § 156 ZPO).
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen gemäß § 543
Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Entscheidung weicht nicht von übergerichtlicher
Rechtsprechung ab und beruht auf einer Würdigung der Umstände des Einzelfalles.
Auf eine angebliche Abweichung von der Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand kann die Revisionszulassung schon deshalb nicht gestützt werden,
weil sie durch das übergeordnete Rechtsmittel nicht überprüft werden kann, § 238 Abs. 3
ZPO (Baumbach/Hartmann, ZPO, 66. Auflage, § 238 Rz. 12; BVerfG, NJW 1980, 1095).
Als Gegenvorstellung wären die Ausführungen nicht fristgerecht, da die 2-Wochen-Frist
nicht eingehalten worden ist (BGH/MDR 2007, 1276) im Übrigen besteht kein Anlass zur
Abänderung der getroffenen Entscheidung.
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