Urteil des OLG Brandenburg vom 12.02.2009

OLG Brandenburg: bewährung, diebstahl, persönlichkeit, durchschnitt, datum, vortat, quelle, sammlung, link, vergehen

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ss 48/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 47 Abs 1 StGB, § 242 StGB, §
248a StGB
Strafzumessung: Kurze Freiheitsstrafe bei Bagatelldelikt
Leitsatz
Sofern die Tat Bagatellcharakter trägt, ist die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nur
unter ganz außergewöhnlichen Umständen denkbar.
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des
Landgerichts Potsdam vom 12. Februar 2009 im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als offensichtlich unbegründet
verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts
Potsdam zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Potsdam hat mit Urteil vom 07. August 2008 gegen den Angeklagten
wegen Diebstahls (einer geringwertigen Sache) eine Freiheitsstrafe von vier Monaten
verhängt. Gegen diese Entscheidung hat der Angeklagte Berufung eingelegt mit dem
Ziel des Freispruchs.
Die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam hat mit Urteil vom 12. Februar
2009 die Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen. Hiergegen hat der
Angeklagte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19. Februar 2009 Revision eingelegt und
nach Zustellung des Urteils am 03. März 2009 mit anwaltlichem Schriftsatz vom 03. April
2009 sein Rechtsmittel begründet. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Seiner
Ansicht nach enthalte das Urteil keine ausreichenden Feststellungen zur subjektiven
Tatseite, insbesondere zur Zueignungsabsicht. Zudem sei die ausgesprochene Strafe
angesichts des Bagatellcharakters des vorgeworfenen Diebstahls unangemessen hart.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat am 19. Mai 2009 Stellung
genommen und hält die Revision des Angeklagten insoweit für begründet, als die
Rechtsfolgenentscheidung rechtlich fehlerhaft sei.
II.
Die Revision des Angeklagten ist teilweise begründet. Auf die zulässig erhobene
Sachrüge ist das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde
liegenden Feststellungen aufzuheben. Hingegen ist die weitergehende Revision des
Angeklagten aus den zutreffenden Gründen der dem Verteidiger des Angeklagten zur
Kenntnis gegebenen Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 19. Mai 2009
gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen steckte der
Angeklagte am 03. März 2008 in den Verkaufsräumen eines Supermarktes in Potsdam
einen Bremszug im Wert von 2,99 € in seine Hosentasche, um diesen, ohne ihn
bezahlen zu wollen, für sein Fahrrad zu verwenden. Beim Verlassen des Marktes wurde
er hinter der Sicherheitsschranke, die einen Alarm ausgelöst hatte, vom Detektiv des
Hauses gestellt.
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Der Angeklagte war zuvor bereits mehrfach, auch wegen Diebstahls, bestraft worden.
Letztmalig wurde er vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten am 23. März 2006, rechtskräftig
seit dem 31. März 2006, wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von acht
Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung für die Dauer von drei Jahren verurteilt.
Angesichts dieser wiederholten, bis ins Jahr 1989 zurückreichenden einschlägigen
Vorbelastungen, insbesondere der letzten einschlägigen Vorstrafe, wegen derer der
Angeklagte zum Tatzeitpunkt noch unter laufender Bewährung stand, hielt die
Strafkammer die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe für unerlässlich.
Diese Erwägungen tragen die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe, die nach der
gesetzgeberischen Grundentscheidung weitgehend zurückgedrängt werden soll (vgl.
BGHSt 24, 40), nicht.
Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten kann demnach regelmäßig
nur dann Bestand haben, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat
und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist. Dabei müssen
jene Umstände derart beschaffen sein, dass sie die Tat deutlich aus dem Durchschnitt
der typischerweise vorkommenden Straftaten gleichen Deliktstypus herausheben
(ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Urteil vom 29. Mai 2002 - 1 Ss 19/02 -; Beschluss
vom 2. Juli 2002 - 1 Ss 45/02 -; Beschluss vom 25. September 2006 - 1 Ss 68/06 -;
Beschluss vom 12. Februar 2007 - 1 Ss 03/07 -; Beschluss vom 19. Januar 2009 – 1 Ss
99/98 -).
Eine kurze Freiheitsstrafe belastet den Täter regelmäßig weitaus stärker als eine
Geldstrafe. Daher ist, sofern die Tat – wie hier - Bagatellcharakter trägt, die Verhängung
einer kurzen Freiheitsstrafe nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen denkbar.
Täterbezogene Umstände wie einschlägige Vorstrafen und Bewährungsversagen sind,
für sich genommen, ungeeignet, eine solche Sanktion zu legitimieren. Soweit ihnen eine
indizielle Bedeutung für die Beurteilung der Tatschuld zukommt, können sie zu einer
entscheidenden Erhöhung des Stellenwertes der Tat nur dann führen, wenn sie ein die
gewöhnlichen Fälle deutlich übertreffendes Ausmaß an Pflichtwidrigkeit belegen. Das
kann etwa bei Taten der Fall sein, die aus prinzipieller rechtsfeindlicher Gesinnung
begangen werden oder wenn Umstände festgestellt sind, die ausweisen, dass
Geldstrafen auf den Täter keine Wirkung entfalten (vgl. OLG Naumburg, StV 2008, 472;
OLG Nürnberg in StraFo 2006, 502 jeweils m.w.N. – zum Diebstahl geringwertiger
Sachen). Ausnahmslos steht der Bagatellcharakter der Verhängung einer Freiheitsstrafe
aber nicht entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09. Juni 1994 -2 BvR 710/04; OLG
Stuttgart NJW 2006, 122; Senatsbeschluss vom 19. Januar 2009 a.a.O.). Auch die
Überschreitung der Mindestfreiheitsstrafe von einem Monat ist bei Bagatelldelikten nicht
grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. BGH, NJW 2008, 672 f. – zum Diebstahl
geringwertiger Sachen -).
Diese grundsätzlichen Erwägungen entheben das Tatgericht aber nicht von der Pflicht,
im konkreten Einzelfall unter Abwägung aller maßgeblichen
Strafzumessungsgesichtspunkte zu prüfen, ob die Verhängung einer Freiheitsstrafe in
den Fällen eines Bagatelldelikts noch einen gerechten Schuldausgleich darstellt und
nicht gegen das Übermaßverbot verstößt.
Diesen Vorgaben wird das angegriffene Urteil nicht gerecht.
Solche - die Tat kennzeichnenden - besonderen Umstände hat die Strafkammer nicht
festgestellt. Im Gegenteil – das Tatunrecht liegt in dem hiesigen Fall des typischen
Ladendiebstahls einer geringwertigen Sache deutlich unter dem Durchschnitt der
praktisch vorkommenden Vergehen des § 242 StGB.
Aber auch besondere Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten, welche die
Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe als unerlässlich erscheinen lassen, sind den
Feststellungen nicht zu entnehmen.
Die Strafkammer hat hier allein auf die – einschlägigen – Vorstrafen abgestellt. Zwar
kann – wie bereits ausgeführt - zu den in der Persönlichkeit des Täters liegenden
besonderen Umständen auch gehören, dass jener sich durch die Warnfunktion von
Vorstrafen nicht hat beeindrucken lassen. Doch ist dabei nicht rein schematisch zu
verfahren. Vielmehr ist auch in diesen Fällen das Vorliegen der
Ausnahmevoraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB nach den besonderen Umständen des
Einzelfalls festzustellen. Dabei sind Anzahl, Gewicht und zeitlicher Abstand der
Vorstrafen darzulegen und in die Gesamtbewertung einzubeziehen (vgl. Fischer, StGB,
55. Aufl., § 47, Rn. 11; Senatsbeschluss vom 25. Januar 2008 – 1 Ss 03/08 -).
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Damit leidet das angefochtene Urteil an einem Darlegungsmangel, weil es zu den
Vorverurteilungen über das Datum der Entscheidungen, den jeweils verwirklichten
Tatbeständen sowie Art und Höhe der verhängten Strafen hinaus keine Feststellungen
enthält, welche dem Senat die Nachprüfung ermöglichten, ob und inwieweit die
Vorstrafen im Hinblick auf ihre Bedeutung und Schwere richtig bewertet wurden (OLG
Karlsruhe a.a.O.). Auch genügt der summarische Hinweis auf einschlägige, zum Teil über
viele Jahre zurückliegende, Vorbelastungen nicht, die ausnahmsweise und deshalb im
Einzelfall zu erörternde Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zu begründen
(Senatsbeschluss vom 25. Januar 2008, a.a.O.). Dies gilt im Besonderen für die aktuell
letzte Vorverurteilung des Angeklagten durch das Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom
23. März 2006 wegen Diebstahls mit Waffen zu einer zur Bewährung ausgesetzten
Freiheitsstrafe, weil das in der verfahrensgegenständlichen Tat liegende
Bewährungsversagen ganz wesentlich von der Strafkammer für die Unerlässlichkeit der
Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gewertet wurde. Die Kammer hätte deshalb –
gegebenenfalls unter Beiziehung der Vorstrafenakte – durch nähere Angaben zur Vortat
des § 242 Abs. 1 Nr. 1 StGB eine Beziehung zum hiesigen Diebstahl herstellen müssen.
Ungeachtet dieses Darlegungs- und Erörterungsmangels steht zudem angesichts des
geringfügigen Tatunrechts zu besorgen, dass die Strafkammer – zumindest bei der
Bemessung der Höhe der kurzen Freiheitsstrafe - unter Verkennung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dem Gesichtspunkt der Vorstrafen ein
unangemessenes Gewicht beigelegt und diesen täterbezogenen Umstand in seiner
indiziellen Bedeutung überbewertet hat.
Da die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung des Senats nach § 354 Abs. 1 a)
StPO nicht vorliegen (vgl. hierzu BVerfG, NJW 2007, 2977), ist das landgerichtliche Urteil
im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und
zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des
Landgerichts Potsdam zurückzuverweisen. Diese wird, sollte sie – auch unter
Berücksichtigung der hier dargelegten Grundsätze – die Verhängung einer kurzen
Freiheitsstrafe für unerlässlich halten, im Rahmen der Prüfung einer etwaigen
Strafaussetzung zur Bewährung wiederum den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu
beachten und das geringe Gewicht der verfahrensgegenständlichen Tat zu bedenken
haben.
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