Urteil des OLG Brandenburg vom 04.06.2008

OLG Brandenburg: private krankenversicherung, selbstbehalt, anrechenbares einkommen, einkünfte, sozialhilfe, geschwister, zusammenleben, anteil, direktversicherung, erwerbseinkommen

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 4.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 UF 93/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1601 BGB, § 1603 Abs 1 BGB,
§ 94 SGB 12
Elternunterhalt: Unterhaltsberechnung unter Berücksichtigung
des Einkommens des Ehegatten des Unterhaltspflichtigen
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 2. September 2008 verkündete Urteil des
Amtsgerichts - Familiengericht – Nauen, Az.: 20 F 59/08, wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 489,- € nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 4. Juni 2008 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 36 % und die Beklagte 64 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 768,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger macht als Träger der Sozialhilfe aus übergegangenem Recht nach § 94 SGB
XII Ansprüche auf Elternunterhalt für das Jahr 2007 geltend. Die Rechtswahrungsanzeige
des Klägers datiert vom 29. Januar 2007.
Die am … 1927 geborene Mutter der Beklagten erhält ambulante Hilfe durch eine
Hauskrankenpflege. Da die Leistungen der Pflegeversicherung und die Renteneinkünfte
nicht ausreichen, um die Kosten zu decken, erhielt die Mutter der Beklagten im Jahre
2007 monatlich ergänzende Sozialhilfe durch den Kläger zwischen 977,13 € und
1.462,82 €. Die Beklagte hat noch vier Geschwister. Zwei davon sind nicht leistungsfähig.
Die beiden anderen Geschwister zahlen seit Januar 2007 jeweils einen monatlichen
Unterhaltsbetrag in Höhe von 12,85 € bzw. 141,- €.
Die Beklagte hatte im Jahre 2007 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von
monatlich 895,90 €. Ihr Ehemann erzielte ein monatliches Nettoeinkommen von
2.783,73 €. Die Eheleute erhielten außerdem eine Steuerrückerstattung in Höhe von
insgesamt 4.129,46 € (:12 Monate = 344,12 €). Sie bewohnen ein Eigenheim und
zahlten hierfür monatliche Darlehensraten von 865,11 €. Außerdem haben die Eheleute
ein gemeinsames Kind, den am … 1988 geborenen T., der sich im Jahre 2007 in einer
Berufsausbildung befand und noch bei den Eltern wohnte. Er erhielt eine
Ausbildungsvergütung von monatlich 266,- € sowie das staatliche Kindergeld von 154,-
€. Zudem hatte T. Aufwendungen für eine private
Krankenversicherung/Pflegeversicherung von monatlich 178,63 €. Der Ehemann der
Beklagten hat daneben noch eine volljährige Tochter, J. (geboren am … 1983), die 2007
von ihm einen monatlichen Unterhalt von 359,44 € erhielt. Sie machte eine Ausbildung
zur Osteopathin und Heilpraktikerin.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Beklagte sei ihrer Mutter
gegenüber in Höhe von monatlich 64,- € unterhaltspflichtig. Zu Zahlungen in dieser
Höhe sei sie unter Berücksichtigung des gesamten Familieneinkommens in der Lage.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hält sich nicht für leistungsfähig, da
ihre Einkünfte unter dem Selbstbehalt lägen.
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Das Amtsgericht - Familiengericht - hat der Klage in voller Höhe stattgegeben. Die
Beklagte sei leistungsfähig. Denn ihr Selbstbehalt sei insoweit gewahrt, als sie durch den
von ihrem Ehemann zu leistenden Familienunterhalt ihren Unterhaltsbedarf bestreiten
könne. Wegen der Berechnung des Unterhaltsanspruchs der Höhe nach bezieht sie sich
auf die Ausführungen in der Klageschrift.
Mit der Berufung wiederholt die Beklagte im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen
Vortrag. Vor allem seien ihre eigenen Unterhaltsansprüche nicht durch den Ehemann
vollständig gedeckt.
Sie beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Nauen vom 2. September 2008 aufzuheben und die
Klage zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er wiederholt und vertieft ebenfalls seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er meint, dass der
in den Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts ausgewiesene
Selbstbehalt zugunsten des Ehemannes wegen Ersparnissen im gemeinsamen Haushalt
zu kürzen sei.
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
Sie hat in der Sache selbst jedoch nur teilweise Erfolg. Die Beklagte schuldet dem Kläger
aus übergegangenem Recht nach § 94 SGB XII, § 1601 BGB für den
streitgegenständlichen Zeitraum Unterhalt in Höhe von 489,- €.
Die aus § 1601 BGB folgende Unterhaltspflicht der Beklagten für ihre Mutter steht dem
Grunde nach nicht im Streit. Der Unterhaltsbedarf der Mutter und deren
Angemessenheit wird von der Beklagten nicht bezweifelt. In Höhe der nicht durch das
Einkommen und Vermögen der Mutter gedeckten Kosten ist diese daher als
unterhaltsbedürftig anzusehen. Die monatlichen Zahlungen zwischen 977,13 € und
1.462,82 € des Klägers an die Mutter der Beklagten werden von ihr nicht bestritten.
Die Beklagte ist zur Zahlung von Elternunterhalt für das Jahr 2007 in Höhe von 489,- €
(40,75 € x 12 Monate) leistungsfähig im Sinne des § 1603 Abs. 1 BGB. Dem steht nicht
entgegen, dass die eigenen Einkünfte der Beklagten unter dem in den
Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts für das Jahr 2007
angesetzten Betrag von 1.190,- € (bei im Wesentlichen Nichterwerbseinkünften) liegen.
Denn bei der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt kann der dem Unterhaltspflichtigen
zu belassende Selbstbehalt insoweit gewahrt sein, als er durch den ihm von seinem
Ehegatten zu leistenden Familienunterhalt sein Auskommen findet (vgl. BGH vom 17.
Dezember 2003 - Az.: XII ZR 224/00 - und vom 14. Januar 2004 - Az.: XII ZR 69/01 -).
Soweit das Einkommen eines Ehegatten zur Bestreitung des angemessenen
Familienunterhalts nicht benötigt wird, steht es ihm selbst zur Verfügung und kann
folglich für Unterhaltszwecke eingesetzt werden, sofern der angemessene Selbstbehalt
des Unterhaltspflichtigen insgesamt gewahrt ist (vgl. Urteil des BGH vom 17. Dezember
2003 - Az.: XII ZR 224/00 -). Danach ist für die Leistungsfähigkeit des
unterhaltsverpflichteten Kindes also auch das Einkommen des mit ihm
zusammenlebenden Gatten maßgeblich. Ein mit seinem Ehegatten zusammen
lebendes verheiratetes unterhaltspflichtiges Kind kann daher auch dann auf Zahlung von
Elternunterhalt in Anspruch genommen werden, wenn sein Einkommen unterhalb des
Selbstbehalts liegt, weil sein Lebensunterhalt durch den Familienunterhalt sichergestellt
ist. Diese Rechtsprechung spiegelt sich auch in Ziffer 21.5 der Unterhaltsleitlinien des
Brandenburgischen Oberlandesgerichts wider. Danach kann der Selbstbehalt
unterschritten werden, wenn der eigene Unterhalt des Pflichtigen ganz oder teilweise
durch den Ehegatten gedeckt ist.
Bei den Berechnungen ist zunächst von einem Selbstbehalt für die Beklagte von 1.190,-
€ und für ihren Ehegatten von 975,- € zuzüglich der Hälfte des darüber hinausgehenden
bereinigten Einkommens auszugehen. In den Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen
Oberlandesgerichts ist für den Ehegatten des unterhaltsverpflichteten Kindes - anders
als in den Unterhaltsleitlinien der Mehrheit der übrigen Oberlandesgerichte - kein
gesondert ausgewiesener konkreter Selbstbehalt genannt. Daher ist zunächst für den
Ehegatten der für den Unterhaltsverpflichteten ausgewiesene Betrag von 1.300,- €
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Ehegatten der für den Unterhaltsverpflichteten ausgewiesene Betrag von 1.300,- €
heranzuziehen. Dieser Betrag ist jedoch zu kürzen um 25 % (325,- €) für Ersparnisse
durch das häusliche Zusammenleben. Die in den Unterhaltsleitlinien genannten Beträge
sind bemessen für allein lebende Unterhaltsschuldner. Durch das häusliche
Zusammenleben entstehen jedoch Ersparnisse mindestens in vorgenannter Höhe, die
durch eine entsprechende Kürzung beim Selbstbehalt des Ehegatten zu berücksichtigen
sind.
Weiter ist bei den in den Unterhaltsleitlinien genannten Selbstbehalten für die Eheleute
ein Mietanteil (Kaltmiete) in Höhe von 300,- € für jeden Ehegatten, also insgesamt 600,-
€ enthalten. In Ziffer 21.3.2 „Elternunterhalt“ der Unterhaltsleitlinien des
Brandenburgischen Oberlandesgerichts für das Jahr 2007 ist zwar kein Mietanteil
genannt. Ein Betrag von 300,- € für jeden Ehegatten erscheint jedoch - entsprechend
der Regelung beim Selbstbehalt gegenüber einem volljährigen Kind - angemessen. Da
allerdings die monatlichen Darlehensraten für das von der Beklagten und ihrem
Ehegatten bewohnte Eigenheim 865,11 € betragen und dies die vorgenannte Summe für
die Kaltmiete im Selbstbehalt übersteigt, ist der Selbstbehalt um einen
Wohnmehrbedarfszuschlag von 265,11 € zu erhöhen (vgl. hierzu auch Jörn Hauß,
Elternunterhalt: Grundlagen und Strategien, 2. Aufl., Rdnr. 223).
Bei den Berechnungen sind die Unterhaltsleistungen für das Kind T. in Höhe von 294,63
€ zu berücksichtigen. Es kommt nur auf den konkreten Bedarf des Kindes an. Entgegen
der Auffassung der Beklagten mindern das Kindergeld und die Ausbildungsvergütung
den Bedarf des volljährigen Kindes und sind daher auch nicht zusätzlich vom Einkommen
des Unterhaltsverpflichteten abzuziehen. Die Unterhaltszahlungen des Ehegatten der
Beklagten für seine Tochter J. sind in Höhe von 359,44 € zu berücksichtigen. Nach den in
der mündlichen Verhandlung vom 29. April 2009 vorgelegten Studienbescheinigungen
befand sich J. im Jahre 2007 in einer laufenden Ausbildung. Die Höhe des Bedarfs ist von
dem Kläger nicht substantiiert bestritten worden.
Unter Zugrundelegung der vorgenannten tatsächlichen Verhältnisse der Beklagten und
ihres Ehemannes wird grundsätzlich aus den um die diversen Abzüge verminderten
Einkünften der Ehegatten das anrechenbare Einkommen der zusammenlebenden
Ehegatten gebildet und der prozentuale Anteil des unterhaltsverpflichteten Kindes an
diesem Einkommen ermittelt (vgl. hierzu Hauß, a.a.O., Rdnr. 246ff.). Danach ergibt sich
folgende Rechnung:
Nach alledem war die Beklagte für das Jahr 2007 in Höhe von monatlich 40,75 €
leistungsfähig. Soweit das Amtsgericht dem Kläger einen darüber hinaus gehenden
Betrag zugesprochen hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage
insoweit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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