Urteil des LSG Thüringen vom 30.07.2009

LSG Fst: direkter vorsatz, kaufpreis, erlass, ergänzung, prozesskosten, rechtsschutzinteresse, verwertung, bestätigung, rückabwicklung, subsidiarität

Thüringer Landessozialgericht
Beschluss vom 30.07.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Gotha S 24 AS 4132/08 ER
Thüringer Landessozialgericht L 9 AS 1159/08 ER
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 2. Oktober 2008 wird
als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Eilverfahrens über Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 5. September 2008 bis 28. Februar 2009.
Die Mutter der im Jahre 1951 geborenen Beschwerdegegnerin übertrug ihrer Tochter und deren Ehemann, von dem sie
seit Februar 2001 dauernd getrennt lebt, im Oktober 1992 das Eigentum an dem Grundstück A. in G. Im dem
Überlassungsvertrag ist geregelt, dass der Mutter ein lebenslanges Wohnrecht, dessen Wert mit 2.4000 DM jährlich
beziffert ist, eingeräumt wird.
In der Folge bezog die Beschwerdegegnerin Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II von der ehemals
zuständigen ARGE SGB II Sömmerda. Zum 1. November 2007 nahm die Beschwerdegegnerin eine Halbtagsstelle bei
ihrem Sohn zu einem Bruttolohn in Höhe von 650,00 Euro monatlich auf und verzog nach I. in den
Zuständigkeitsbereich der Beschwerdeführerin. Das Anwesen in G. verkaufte sie am 7. November 2007 für einen
Preis von 79.000 Euro. In dem Notarvertrag ist geregelt, dass der Verkaufserlös direkt auf das Konto der Mutter
überwiesen werden soll.
Am 15. November 2007 beantragte die Beschwerdegegnerin Leistungen zur Grundsicherung bei der nunmehr
zuständigen Beschwerdeführerin. Diese versagte mit Bescheid vom 20. Dezember 2007 Leistungen unter Hinweis auf
§ 66 Abs. 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I). Die Beschwerdegegnerin habe ihre Mitwirkungspflichten
nach den §§ 60 ff. SGB I verletzt. Sie habe trotz Aufforderung nur eine geschwärzte Fassung des
Grundstückkaufvertrages ohne Angabe des Kaufpreises vorgelegt. Dagegen legte sie am 4. Januar 2008 Widerspruch
ein und beantragte Eilrechtsschutz beim Sozialgericht Gotha - Az.: S 24 AS 4/08 ER. Im Erörterungstermin vom 29.
Januar 2008 nahm die Beschwerdeführerin nach Kenntnis des Kaufpreises den Versagensbescheid vom 20.
Dezember 2007 zurück und erklärte sich bereit, einen neuen Bescheid zu erlassen.
Mit Bescheid vom 27. März 2008 lehnte sie den Antrag der Beschwerdegegnerin ab. Sie sei nicht hilfebedürftig im
Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II. Nach Abzug des Wohnrechts könne sie aus dem Erlös des Hausverkaufes über
ein Vermögen in Höhe von 71.317,13 Euro verfügen. Dieses übersteige den maßgeblichen Grundfreibetrag von
9150,00 Euro erheblich. Die Beschwerdegegnerin stellte am gleichen Tag abermals einen Antrag auf Leistungen zur
Grundsicherung und legte am 22. April 2008 Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein. Aus der Aktenlage ist
nicht ersichtlich, ob dieser zwischenzeitlich beschieden ist.
Auf den neuerlichen Antrag bewilligte die Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 2. Juni 2008 für die Monate Mai bis
August 2008 darlehensweise Leistungen nach dem SGB II. Die Beschwerdegegnerin verfüge zwar über Vermögen,
könne dies aber nicht sofort verwerten, sondern müsse den Kaufpreis nach § 528 des Bürgerlichen Gesetzbuches
(BGB) von ihrer Mutter zurückfordern. Hierfür werde eine Frist bis zum 31. August 2008 gesetzt. Ob über den
hiergegen gerichteten den Widerspruch vom 4. Juli 2008 entschieden wurde, ist aus der Aktenlage ebenfalls nicht
erkennbar.
Den Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen über den 31. August 2008 hinaus lehnte die Beschwerdeführerin mit
Bescheid vom 29. August 2008 wegen überschießenden Vermögens ab. Eine darlehensweise Gewährung scheide
auch aus. Die Beschwerdegegnerin sei offensichtlich nicht gewillt, den Anspruch aus § 528 BGB gegen ihre Mutter
geltend zu machen.
Die Beschwerdegegnerin hat dagegen am 5. September 2008 Widerspruch eingelegt und am gleichen Tag den Erlass
einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Gotha - Az.: S 24 AS 4132/08 ER beantragt. Dieses hat die
Beschwerdeführerin mit Beschluss vom 2. Oktober 2008 vorläufig verpflichtet, Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 5. September 2008 bis 28. Februar 2009 in gesetzlicher Höhe zu
zahlen. Die Beschwerdegegnerin habe einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ausreichend glaubhaft
gemacht. Nach summarischer Prüfung sei vorläufig von Hilfebedürftigkeit auszugehen. Sie habe kein Einkommen und
könne derzeit auch nicht über das aus dem Hausverkauf zugeflossene Vermögen verfügen. Dieses sei an die Mutter
ausgezahlt worden. Hinsichtlich der Einwände der Beschwerdeführerin sei anzumerken, dass auch eine schuldhaft
herbeigeführte Hilfebedürftigkeit einen Anspruch auf Leistungen nicht ausschließen würde. Gegebenfalls entstehe
dann ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Ob ein Verschulden bzw.
sozialwidriges Verhalten vorliege, könne im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend
entschieden werden und müsse der Hauptsache vorbehalten bleiben.
Gegen den am 14. Oktober 2008 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 10.
November 2008 - beim Sozialgericht am 12. November 2008 eingegangen - Beschwerde eingelegt. Der angefochtene
Beschluss des Sozialgerichts sei rechtswidrig. Durch die Auszahlung des Kaufpreises an die Mutter habe die
Beschwerdegegnerin die Hilfebedürftigkeit bewusst oder zumindest grob fahrlässig herbeigeführt. Das Geld aus dem
Grundstücksverkauf sei vorrangig zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes einzusetzen. Aus der Subsidiarität
der Fürsorgeleistungen folge, dass die Grundsicherung erst greifen solle, wenn der Hilfebedürftige die zur Verfügung
stehenden Mittel verbraucht habe. Der Beschwerdegegnerin stehe es frei, den Kaufpreisanspruch gegenüber ihrer
Mutter geltend zu machen. Auch wenn sie eine Geltendmachung ablehne, müsse sie sich so behandeln lassen, als
ob ihr der Kaufpreis zugeflossen sei. Es sei der Beschwerdegegnerin auch zumutbar, den Anspruch gegenüber ihrer
Mutter geltend zu machen. Eine Verlagerung des Prozessrisikos auf andere könne nicht Sinn und Zweck der Sache
sein.
Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 2. Oktober 2008 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung vom 5. September 2008 abzulehnen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für richtig. Für den von der Beschwerdeführerin angenommenen
Sanktionstatbestand sei direkter Vorsatz erforderlich. Einen solchen könne man ihr nicht unterstellen. Im Übrigen sie
ihr der Verkaufserlös niemals zugeflossen, so dass sie hierüber nicht verfügen könne. Eine fiktive
Vermögensberücksichtigung sei dem Gesetz unbekannt. Den Kaufpreis habe sie schon im März 2008 von ihrer Mutter
zurückgefordert. Sie habe eine Erstattung mit Schreiben vom 31. März 2008 energisch zurückgewiesen. Eine
gerichtliche Geltendmachung sei ihr schon wegen der anfallenden Prozesskosten nicht zumutbar. Dies sehe die
Beschwerdeführerin offensichtlich ähnlich. Sie könne von der ihr zustehenden Regelung des § 33 SGB II zulässig
Gebrauch machen.
Mit Bescheid vom 17. Oktober 2008 hat die Beschwerdeführerin den Beschluss des Sozialgerichts ausgeführt.
Der zuständige Berichterstatter des Senats hat am 12. Juni 2009 einen Erörterungstermin abgehalten. Wegen der
Erklärungen der Beteiligten in dem Termin wird auf die Niederschrift Bezug genommen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und denjenigen der Beschwerdeführerin Bezug
genommen.
II.
Die Beschwerde ist unzulässig (geworden) und damit zu verwerfen. Das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen
ist von Amts wegen zu prüfen. Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts.
Der Beschwerde fehlt das Rechtsschutzinteresse, denn vom angegriffenen Beschluss gehen keine Rechtswirkungen
mehr aus, die einer Überprüfung im einstweiligen Rechtsschutz bedürfen. Da der Beschluss der Beschwerdeführerin
(lediglich) auferlegte, vorläufig Leistungen bis 28. Februar 2009 zu erbringen, hat sich sein Regelungsgehalt durch
Zeitablauf erledigt. Für die Klärung der Frage, ob die der einstweiligen Regelung zugrundeliegende Rechtsauffassung
des Sozialgerichts zutreffend ist, besteht im Beschwerdeverfahren kein Anlass mehr. Die Bestätigung der vorläufigen
Maßnahme oder deren Rückabwicklung bleiben nach dem System des Prozessrechts dem Hauptsacheverfahren
vorbehalten, in dem zu klären ist, ob dem von einer einstweiligen Anordnung Begünstigten diese Leistung endgültig
zusteht.
Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses unter dem Gesichtspunkt eines
Fortsetzungsfeststellungsbegehrens kommt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht in Betracht (vgl. zum
Ganzen: den Senatsbeschluss vom 23. Juli 2009 - Az.: L 9 AS 31/09 ER und Thüringer Landessozialgericht,
Beschluss vom 16. Januar 2007 - Az.: L 8 SO 885/06 ER).
Im Übrigen weist der Senat informatorisch auf folgendes hin:
Der Verweis auf die Verwertung von Vermögen zur Abwendung der Hilfebedürftigkeit setzt voraus, dass der
Hilfesuchende über dieses tatsächlich verfügen kann. Derzeit besteht aber nur die Möglichkeit, dass die
Beschwerdegegnerin über den Erlös aus dem Hausverkauf tatsächlich verfügen kann.
Sofern die Beschwerdeführerin auf § 34 SGB II abstellt, ist diese Norm nicht einschlägig. Sie betrifft
Schadensersatzforderungen, die hier nicht im Streit stehen. Da die Hilfebedürftigkeit grundsätzlich
gegenwartsbezogen und unabhängig von den Gründen des Entstehens zu beurteilen ist, schließt auch eine schuldhaft
herbeigeführte Hilfebedürftigkeit einen Anspruch nach dem SGB II nicht aus.
Denkbar wäre vorliegend die Anwendung des § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II. Auf diese Norm hat die Beschwerdeführerin in
dem angefochtenen Bescheid aber erkennbar nicht abgestellt.
Hinsichtlich eines Rückforderungsanspruchs aus § 528 BGB weist die Beschwerdegegnerin zu Recht daraufhin, dass
die Beschwerdeführerin diesen Anspruch nach § 33 SGB II gegenüber der Mutter geltend machen kann. Nach der im
Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung spricht im Übrigen vieles dafür, dass der Rückforderungsanspruch
nach der Änderung des § 33 SGB II kraft Gesetzes (cessio legis) auf die Beschwerdeführerin übergegangen ist; die
Beschwerdegegnerin mithin gar nicht mehr Anspruchsinhaber ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).