Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 02.01.2009

LSG Shs: schutz der menschenwürde, heizung, vermieter, wohnung, rechtsschutz, kündigung, notlage, anteil, verfügung, leistungsanspruch

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Beschluss vom 02.01.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Schleswig S 22 AS 542/08 ER
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 11 B 541/08 AS ER
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozial- gerichts Schleswig vom 23. Oktober 2008
geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller im Januar 2009 Leistungen nach dem SGB II ohne
Anrechnung des Einkommens seiner Ehefrau in Höhe von monatlich 120,00 EUR zu gewähren. Die weitergehende
Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller 1/2 seiner
außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller bezieht zusammen mit seiner Ehefrau laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach
dem SGB II von dem Antragsgegner. Die Ehefrau des Antrag¬stellers verfügt über Einkünfte aus einer geringfügigen
Beschäftigung, monatlich schwankend in Höhe von bis zu 400,00 EUR. Dieses Einkommen rechnet der
Antragsgegner nach Abzug des Freibetrages von zuletzt 160,00 EUR bei dem Antragsteller und seiner Ehefrau bei der
Ermittlung des Bedarfs hälftig an. Mit mehreren Bescheiden kürzte der Antragsgegner die Leistungen an die Ehefrau
mit der Begründung, dass diese trotz Belehrung über die Rechtsfolgen zu diversen Meldeterminen nicht erschienen
sei, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben. Das führte zuletzt dazu, dass Leistungen ihr gegenüber nicht mehr
erbracht wurden. Hiergegen legte der Antrag¬steller Widerspruch ein und beantragte am 15. September 2008 zunächst
beim Verwaltungsgericht Schleswig und nach Verweisung an das Sozialgericht Schleswig bei diesem, ihm im Wege
des einstweiligen Rechtsschutzes ungekürzt Leistungen zu gewähren. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen,
dass seine Frau komme und gehe, wann sie wolle und er mit ihr bezüglich dieser Angelegenheit keine Einigung
erzielen könne bzw. kein vernünftiger Dialog mit ihr hinsichtlich der Erfüllung der Meldepflicht bei dem Antragsgegner
möglich sei. Er habe auch dem Antragsgegner mitgeteilt, dass sich der Streit mit seiner Ehefrau nicht gelegt habe und
ihn allein die verhängten Sanktionen träfen. Er wende sich dagegen, für seine Frau verantwortlich gemacht zu werden.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 23. Oktober 2008 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt,
das Gericht lege den Antrag als einen solchen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die
Widerspruchsbescheide aus. Diese Anträge hätten jedoch keine Erfolgsaussichten. Dies ergebe sich aus den
zwischenzeitlich bestandskräftig gewordenen Bescheiden, gegen die vom Antragsteller kein Widerspruch eingelegt
worden sei. Wegen dieser Bestandskraft sei eine sachliche Prüfung der Bescheide nicht möglich, obgleich diese sich
unter Umständen als rechtswidrig erwiesen hätten, da der Antragsteller nicht den für die teilweise Aufhebung
erforderlichen Sanktionstatbestand erfüllt habe. Soweit der Antragsteller selbst Bescheide angefochten habe, sei
diesen nicht zu entnehmen, dass über den Anteil der Leistungen für die Ehefrau hinaus Kürzungen vorgenommen
worden seien. Die Absenkung sei individuell den Leistungen der Ehefrau zugeordnet worden. Soweit ihm aufgrund der
Absenkung für die Kosten der Unterkunft nur noch 108,58 EUR monatlich zur Verfügung stünden, sei zu
berücksichtigen, dass ihm als Eigentümer der Wohnung keine Kündigung durch einen Vermieter drohe, die vorläufigen
Rechtsschutz rechtfertigte.
Der Antragsteller hat gegen den Beschluss am 28. Oktober 2008 Beschwerde eingelegt und seine Begründung
ergänzt, er lebe mit seiner Frau im Streit und sie gingen getrennte Wege. Dann verstehe er nicht, warum gleichwohl
die Einnahmen seiner Ehefrau bei ihm angerechnet würden und der Antragsgegner lediglich 108,58 EUR
Unterkunftskosten auskehre. Im Übrigen habe das Bundessozialgericht entschieden, dass auch Leistungen auf
Tilgungsraten zu erbringen seien. Ihm stünden insgesamt nur 300,58 EUR monatlich zur Verfügung, was nicht einmal
dem Regelsatz entspreche. Der Antragsgegner sei bereits im Jahr 2006 von seiner Frau gebeten worden, die
Bedarfsgemeinschaft zu lösen. Dies habe er jedoch abgelehnt, weil das ein Verlassen des gemeinsamen Haushalts
durch seine Ehefrau vorausgesetzt hätte. Ein freiwilliges Ausscheiden aus der Bedarfsgemeinschaft sei nicht
möglich. Im Übrigen suche er zurzeit intensiv eine Wohnung.
Auf Anfrage des Senats hat der Antragsgegner die aktuellen Leistungsbescheide vorgelegt und zur Berechnung darauf
verwiesen, dass die Berücksichtigung des Einkommens der Ehefrau des Antragstellers § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II
entspreche. Werde nicht der gesamte Bedarf der Bedarfsgemeinschaft aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt,
erfolge eine Aufteilung im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf. Die Anrechnung des Einkommens der
Ehefrau des Antragstellers zur Hälfte bei dem Antragsteller selbst sei lediglich ein rechnerischer Schritt, um zum
gleichen Ergebnis zu kommen. Auch bei einer vollen Berücksichtigung des Erwerbseinkommens bei der Frau des
Antragstellers wäre der Anspruch der Bedarfsgemeinschaft insgesamt gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II zu je 50 %
aufzuteilen gewesen, so dass sich am Ergebnis nichts ändere. Die vorgelegten Lohnabrechnungen würden nach
Vorlage jeweils zeitnah berücksichtigt. Die Anrechnung erfolge jeweils um einen Monat zeitversetzt, da die Ehefrau
des Antragstellers die Lohnzahlungen jeweils im Folgemonat erhalte. Bei den höheren Kosten für Unterkunft sei im
Dezember 2008 eine Nachzahlung von Nebenkosten für Januar 2009 und die Erhöhung des Hausgeldes als Bedarf
jeweils zu Gunsten des Antragstellers berücksichtigt worden.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antrag¬stellers ist zulässig und im Rahmen der im Tenor
ausgesprochenen Verpflichtung des Antragsgegners auch begründet.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Antrag des Antragstellers nicht nur auf die Anordnung der
aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 22. August 2008 gerichtet, sondern
auch auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, höhere Leistungen als ihm zuletzt mit den
Leistungsbescheiden des Antragsgegners zugesprochen wurden zu erhalten. Dabei liegt dem Senat an aktuellen
Leistungsbescheiden lediglich der Änderungsbescheid vom 24. November 2008 vor, mit dem der Antragsgegner,
teilweise rückwirkend, Leistungen für die Zeit vom 1. August 2008 bis 31. Januar 2009 bewilligt hat. Wie sich aber aus
diversen Widersprüchen in der Verwaltungsakte des Antragsgegners ergibt, liegen für die Bewilligungszeiträume
weitere Leistungsbescheide vor, die sich allerdings nicht in den Verwaltungsakten des Antragsgegners wiederfinden.
Gleichwohl sieht sich der Senat in der Lage, im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes über den Leistungsanspruch
des Antragstellers eine Entscheidung zu treffen, da nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eine
Verpflichtung regelmäßig ohnehin nur gegenwarts- bzw. zukunftsbezogen ausgesprochen werden kann.
Für den Monat Januar 2009 erhält der Antragsteller aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 24. November 2008
Leistungen in Höhe von 312,08 EUR. Dieser Betrag setzt sich aus 196,00 EUR zur Sicherung des Lebensunterhalts
und 116,08 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung zusammen. 196,00 EUR Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts errechnen sich dabei aus 316,00 EUR Regelleistung für Partner einer Bedarfsgemeinschaft (hier der
Antragsteller und seine Ehefrau) abzüglich 120,00 EUR des zu berücksichtigenden Einkommens der Ehefrau und
Partners in der Bedarfsgemeinschaft. Im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes regelmäßig
gebotenen summarischen Prüfung ist der Antragsgegner jedoch nicht zum Abzug der 120,00 EUR berechtigt.
Zur Begründung der Berücksichtigung des Einkommens des Ehepartners verweist der Antragsgegner auf § 9 Abs. 2
Satz 3 SGB II. Ist danach in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln
gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als
hilfebedürftig. Aus dieser Vorschrift leitet der Antragsgegner die Befugnis zur gleichmäßigen Berücksichtigung des
Einkommens der Ehefrau bei beiden Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft ab. In der Literatur ist diese Auffassung
allerdings umstritten. Insoweit weisen etwa Brühl/Schoch (in LPK-SGB II, § 9 Rz. 36 bis 38) darauf hin, dass eine
Berücksichtigung von Einkommen anderer Personen in der Bedarfsgemeinschaft (dort genannt: Leistungserwartung)
erst dann in Betracht komme, wenn der Einkommensbezieher seinen persönlichen Bedarf gedeckt habe. Anderenfalls
würde eine Einsatzverpflichtung auferlegt, die über den Betrag hinausgehe, den diese Person selbst benötige, um den
eigenen Bedarf zu decken; das verstieße gegen das Grundrecht auf Achtung und Schutz der Menschenwürde aus Art.
1 Abs. 1 GG, weil sie denjenigen, der sich selbst helfen könne, verpflichte, seine Mittel für andere einzusetzen, mit
der Folge, dass er dadurch selbst mittellos werde und auf staatliche Hilfe angewiesen sei. Zur Begründung weist diese
Auffassung auch auf Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (vom 29. November 1998 – 5 C 37.97) und des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 87, 153, 172) hin. Auch andere Stimmen in der Literatur sehen eine
Anrechnung in den Fällen als verfassungsrechtlich problematisch an, in denen das Einkommen eines Mitglieds der
Bedarfsgemeinschaft nicht ausreicht, um diese insgesamt aus der Hilfebedürftigkeit herauszunehmen (Mecke in
Eicher/Spellbrink, SGB II, § 9 Rz. 30 ff.; Radüge in juris PK-SGB II, § 9 Rz. 47). Die Rechtsprechung des BSG
hingegen (vgl. Urt. v. 7. November 2006 – B 7b AS 8/06 R; Urt. v. 15. April 2008 – B 14/7b AS 58/06 R) geht
grundsätzlich von der Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II aus. Allerdings hat das BSG dabei in
seinem Urteil vom 7. November 2006 eine verfassungsrechtliche Problematik in der "Kürzung" der
Leistungsansprüche der bedürftigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft gesehen, wie es beim Antragsteller der Fall
ist. Bei ihm führt die Anrechnung eines Teils des Einkommens seiner Ehefrau zu einer Kürzung des Bedarfs und
damit gleichzeitig zu einer Kürzung seines Leistungsanspruchs. Die Auffassung des Antragsgegners, die Anrechnung
sei lediglich ein Rechenschritt ohne Auswirkung auf das Ergebnis, trifft nicht zu. Allerdings reicht wohl auch diese
Kürzung nach Auffassung des BSG in seinem Urteil vom 15. April 2008 grundsätzlich nicht aus, von einer
Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II auszugehen. Denn weiter hat das BSG ausgeführt, dass der
Gesetzgeber typisierend davon ausgehen dürfe, dass innerhalb familienhafter Beziehungen die Verteilung der für das
Existenzminimum der einzelnen Personen notwendigen Leistungen entsprechend den individuellen Bedarfen erfolge
und der Gesetzgeber auch einen gegenseitigen Willen, füreinander einzustehen, dabei voraussetzen dürfe, der über
bestehende Unterhaltspflichten hinausgehe. Das BSG selbst hat allerdings in realistischer Einschätzung diesen
Grundsatz in seinem Urteil vom 7. November 2006 nur dann als gültig angesehen und diese Rechtslage als solange
hinzunehmen erachtet, als es sich um eine "funktionierende Bedarfsgemeinschaft" handele, in der die bewilligten
Leistungen tatsächlich auch den bedürftigen Personen im Ergebnis zufließen (Rz. 15). Um eine solche
"funktionierende" Bedarfsgemeinschaft handelt es sich hier im Falle des Antragstellers offensichtlich jedoch nicht.
Das führt nach summarischer Überprüfung dazu, dass zwar der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft durch das
Einkommen der Ehefrau des Antragstellers verringert wird, der Bedarf des Antragstellers jedoch tatsächlich nicht, weil
er an dem Einkommen der Ehefrau nicht partizipiert, d. h., dass hier nicht von dem gegenseitigen Willen auszugehen
ist, füreinander einzustehen und Leistungen über bestehende Unterhaltspflichten dem anderen Partner gegenüber zu
erbringen. Hinzu kommt noch, dass gegen eine Bedarfsdeckung auch die umfangreiche Leistungskürzung
einschließlich der Kosten der Unterkunft durch den Antragsgegner spricht. Zwar ist diese, wie rechtlich geboten,
begrenzt auf den Individualanspruch der Ehefrau des Antrag¬stellers. Gleichwohl wirkt sich diese Kürzung zumindest
faktisch dergestalt auch auf den Antragsteller aus, dass er von seiner Ehefrau Leistungen nicht erhält, da diese ihr
Gesamteinkommen selbst für den eigenen Lebensbedarf benötigt.
Diese Situation führt nach Auffassung des Senats zu der Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes, dem Antragsteller die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Kürzung
auszuzahlen. Dass sich die tenorierte Verpflichtung allein auf Januar 2009 beschränkt, folgt aus dem grundsätzlich
zukunftsgerichteten einstweiligen Rechtsschutz, da die Beseitigung der den Anordnungsgrund begründenden Notlage
regelmäßig eine Leistung für die Vergangenheit nicht erforderlich macht, und der Tatsache, dass der letzte
Leistungsbescheid den Leistungszeitraum bis Januar 2009 erfasst.
Soweit der Antragsteller darüber hinaus auch höhere Leistungen hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung
begehrt, vermag der Senat diesem Anspruch im Wegen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zu entsprechen. Zwar
wirkt sich die sanktionsbedingte Kürzung auch der Kosten der Unterkunft und Heizung bei seiner Ehefrau letztlich
auch auf den Antragsteller selbst aus, indem seine Ehefrau ihren Anteil an diesen Kosten nicht mehr zu erbringen in
der Lage ist. Gleichwohl schließt sich hier der Senat der Auffassung des Sozialgerichts an, wonach der Antragsteller
hinsichtlich dieser Kosten einen Anordnungsgrund, also eine aktuelle Notlage, nicht hinreichend glaubhaft gemacht
hat. Da es sich um ein Eigenheim handelt, droht dem Antragsteller nicht die Kündigung durch einen Vermieter und
auch sonst hat der Antragsteller keine Gründe vorgetragen, die eine Wohnungslosigkeit unmittelbar bevorstehen
lassen. Ob Tilgungsraten zu berücksichtigen sind, ist zudem nach der neusten Rechtsprechung des BSG differenziert
zu beantworten (Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14/11b AS 67/06 R).
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1, Abs. 4 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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