Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 27.08.2003

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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Beschluss vom 27.08.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lübeck S 21 RJ 69/03 PKH
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 5 B 73/03 RJ PKH
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 24. Juni 2003 wird
zurückgewiesen.
Gründe:
Im Beschwerdeverfahren geht der Streit darum, ob dem Kläger ein Rentenberater und Prozessagent im Wege der
Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordnet werden kann. Das Sozialgericht hat den entsprechenden Antrag des Klägers
mit Beschluss vom 24. Juni 2003 abgelehnt, weil § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 121 Abs. 2
Zivilprozessordnung (ZPO) nur die Beiordnung von Rechtsanwälten oder in die Rechtsanwaltskammer
aufgenommenen Erlaubnisinhabern (so genannte Kammerrechtsbeistände im Sinne von § 25 EGZPO) vorsehe. Der
Prozessbevollmächtigte des Klägers erfülle diese Voraussetzungen nicht.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde. Der Kläger trägt vor: Der
von ihm bevollmächtigte Rentenberater besitze die Erlaubnis zum mündlichen Verhandeln vor den Sozialgerichten. Es
sei davon auszugehen, dass Personen wie er zumindest in sozialgerichtlichen Verfahren den gleichen Wissensstand
wie Rechtsanwälte hätten. Es ergäben sich auch verfassungsrechtliche Bedenken, dass Rentenberater und
Prozessagenten von der Beiordnung im Sinne der PKH-Vorschriften ausgeschlossen seien.
Der Kläger beantragt,
ihm den bevollmächtigten Rentenberater im Wege der PKH beizuordnen.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem zuständigen Senat des Schleswig-Holsteinischen
Landessozi-algerichts vorgelegt. Auf den weiteren Inhalt der Beschwerdeakte wird verwiesen.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 73 a SGG und § 121 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 25 EGZPO werden nur Rechtsanwälte und so genannte
Kammerrechtsbeistände im Wege der PKH beigeordnet. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist aber weder
Rechtsanwalt noch Kammerrechtsbeistand.
Es ist nicht möglich, die zitierten Vorschriften erweiternd auszulegen. Sie sind von ihrem Wortlaut her eindeutig und
daher nicht weiter auslegbar.
Eine analoge Anwendung dieser Vorschriften auf Rentenberater und Prozessagenten verbietet sich. Die analoge
Anwendung von Vorschriften ist nur dann rechtlich zulässig, wenn der Gesetz-geber eine unbewusste Lücke im
Gesetz gelassen hat. Davon kann keine Rede sein. Als der Gesetzgeber das PKH-Gesetz vom 13. Juni 1980
(Bundesgesetzblatt I Seite 677) erließ, war ihm die Prozessvertretung durch andere Personen als Rechtsanwälte
bekannt und er hat sich mit dem Problem, ob diese einer bedürftigen Partei beigeordnet werden sollen, auseinander
gesetzt. So hat er z. B. die im Gesetzesentwurf ursprünglich vorgesehene Beiordnung von Referendaren im Verlauf
des Gesetzgebungsverfahrens gestrichen (Bundestagsdrucksache 8/3694 Seite 21). Die Beiordnung von
Steuerberatern im finanzgerichtlichen Verfahren hat er dagegen als Ausnahmevorschrift ausdrücklich in § 142 Abs. 2
Finanzgerichtsordnung aufgenommen Bundestagsdrucksache 8/3068 Seite 38 und 39). Für das sozialgerichtliche
Verfahren hat er die so genannten Verbandsvertreter im Sinne von § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG berücksichtigt und bei
ihrer Bevollmächtigung Prozesskostenhilfe verweigert (§ 73 a Abs. 2 SGG). Eine entsprechende Regelung findet sich
in §§ 11 a und 11 Abs. 3 Arbeitsgerichtsgesetz. Beide Verweisungsketten beziehen sich auf § 157 Abs. 1 ZPO, der
andere Personen als Rechtsanwälte vom mündlichen Verhandeln ausschließt. Wenn sich aber der Gesetzgeber mit §
157 Abs. 1 ZPO befasst hat, hat er auch dessen Abs. 3 gesehen, wonach anderen Personen als Rechtsanwälten das
mündliche Verhandeln ausnahmsweise durch die Justizverwaltung gestattet werden kann. Lässt er mit all diesen
Überlegungen gleichwohl nur Rechtsanwälte zu, die im Wege der PKH beigeordnet werden können
(Bundestagsdrucksache 8/3068 Seite 22 und 23), verdeutlicht das klar seinen Willen. Eine unbewusste
Gesetzeslücke liegt demnach nicht vor.
Der Ausschluss der Rentenberater und Prozessagenten von der Beiordnung nach § 121 Abs. 2 ZPO ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ist nicht verletzt, weil die
Beschränkung der Beiordnung auf Rechtsanwälte den grundgesetzlich garantierten Zugang zu den Gerichten nicht
erschwert. Eine sachgemäße Vertretung vor Gericht ist durch die Möglichkeit garantiert, einen Rechtsanwalt
beigeordnet zu bekommen.
Auch Artikel 12 GG ist nicht verletzt. § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO trifft eine Berufsausübungsregelung, die
verfassungsrechtlich nur Zweckmäßigkeitsüberlegungen erfordert. Solche Überlegungen rechtfertigen hier die
getroffenen Regelungen. Denn die juristisch qualifizierte Ausbildung der Rechtsanwälte garantiert im Allgemeinen die
sachgerechte Prozessvertretung einer bedürftigen Partei. Diese Verallgemeinerung ist erlaubt. Beim Erlass von
Gesetzen kann der Gesetzgeber die betroffenen Personenkreise nur pauschalierend betrachten. Es ist deshalb
unerheblich, dass es Rentenberater und Prozessagenten gibt, die über ein ausgesprochen großes sozialrechtliches
Spezialwissen verfügen. Rentenberater und Prozessagenten haben auch ohne die Möglichkeit, sich im Wege der PKH
beiordnen zu lassen, ein ausreichendes Betätigungsfeld. Eine Erdrosselung ihres Berufsstandes durch § 121 Abs. 2
ZPO ist nicht anzunehmen.
Ein Verstoß gegen Artikel 3 GG ist ebenfalls nicht zu erkennen. Auf Grund ihrer unterschiedlichen juristischen
Ausbildung dürfen Rechtsanwälte und Rechtsbeistände, Rentenberater und Prozessagenten vom Gesetzgeber
unterschiedlich behandelt werden. Eine willkürliche unterschiedliche Behandlung ist besonders deswegen nicht zu
erkennen, weil die Rechtsbeistände die Möglichkeit haben, sich nach § 25 EGZPO einem Rechtsanwalt gleichstellen
zu lassen.
Mit seiner Rechtsauffassung schließt sich der Senat der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur an
(LSG Niedersachsen rv 1985 Seite 178; LSG Rheinland-Pfalz Breithaupt 1985 Seite 710; OVG Münster Der
Rechtsbeistand 1987 Seite 54; OLG Düsseldorf MDR 1989 Seite 1108; OVG Münster in NVwZ?RR 1996 Seite 620;
von Maydell NJW 1981 Seite 1182; Bley Die Angestelltenversicherung 1980 Seite 409; Zöller ZPO 23. Aufl. § 121
Rdz. 2; Münchener Kommentar zur ZPO § 121 Anm. I 1; Musielak ZPO 3. Aufl. § 121 Rdz. 7; Stein-Jonas ZPO 21.
Aufl. § 121 Rdz. 1; Peters/Sautter/Wolff SGG Anm. 1 d zu § 73 a; Hennig SGG § 73 a Rdz. 47; Krasney?Udsching
Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens 3. Aufl. VI Rdz. 67).
Auf den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Januar 2002 - 20 B 181/01 RJ PKH - kann sich
der Kläger nicht stützen. Entgegen den dortigen Ausführungen lässt der Wortlaut des § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO die
Beiordnung von Rechtsbeiständen im Wege der PKH nicht zu und auch Artikel 1 Abs. 1 Satz 1
Rechtsberatungsgesetz stellt den Rechtsbeistand einem Rechtsanwalt nicht gleich.
Nach alldem kommt die beantragte Beiordnung nicht in Betracht.