Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 09.10.2009

LSG Shs: möbliertes zimmer, wohnraum, unterkunftskosten, zusicherung, heizung, verfügung, ausbildung, alter, erlass, sicherheit

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Beschluss vom 09.10.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Schleswig S 9 AS 469/09 ER
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 11 B 465/09
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozial- gerichts Schleswig vom 31. August 2009
aufgehoben und der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Kosten sind für
beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter
Beiordnung von Rechtsanwältin , K., bewilligt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung.
Der 1990 geborene Antragsteller zog Ende Juli 2009 von seiner Mutter aus B. zur Aufnahme eines Praktikums zu
seinem Vater und dessen sechsköpfiger Familie mit Zustimmung der ARGE B. nach K. um. Nachdem der
Antragsteller am 27. Juli 2009 beim Antragsgegner Arbeitslosengeld II für die Zeit ab dem 1. August 2009 beantragt
hatte, legte der Antragsteller dem Antragsgegner am 29. Juli 2009 ein Mietangebot für eine Wohnung am K.-S.-Platz 1
vor, wobei die Bruttokaltmiete 301,50 EUR und die Mietkaution 694,47 EUR betragen sollte. Der Antragsgegner
verweigerte die Zustimmung zur Anmietung der Wohnung mit der Begründung, dass in K. die Mietobergrenze für junge
Erwachsene unter 25 Jahren 205,00 EUR brutto warm betrage. Es seien keine Gründe ersichtlich, von der
Mietobergrenze abzusehen und stattdessen die sich am K.er Mietspiegel 2008 orientierende Mietobergrenze für Ein-
Personen-Haushalte in Höhe von 301,50 EUR heranzuziehen. Nach Aufforderung durch das daraufhin vom
Antragsteller angerufene Sozialgericht Schleswig hat der Antragsgegner 16 Mietangebote für einzelne Zimmer in
Wohnungen bzw. Wohngemeinschaften übermittelt.
Das Sozialgericht Schleswig hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 31. August 2009 im Wege der einstweiligen
Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller eine Zusicherung für den Abschluss eines Mietvertrages für die
betreffende Wohnung K.-S.-Platz 1 in K. zu erteilen und dem Antragsteller die Mietkaution in Höhe von 694,47 Euro
als Darlehen zu gewähren. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Annahme einer Mietobergrenze für
unter 25-jährige Hilfeempfänger begegne erheblichen rechtlichen Bedenken. Dem Wortlaut des § 22 Abs. 2a SGB II
ließen sich keine weiteren Einschränkungen hinsichtlich einer abweichenden Beurteilung der Angemessenheit der
insoweit maßgeblichen Kosten der Unterkunft entnehmen. Darüber hinaus dürfte ein Hilfebedürftiger grundsätzlich
Anspruch auf eine nur von ihm bewohnte Wohnung haben und könne nicht auf das Zusammenleben mit Fremden,
etwa in einer Wohngemeinschaft, verwiesen werden. Davon abgesehen habe der Antragsgegner nicht nachgewiesen,
dass zu der von ihm als angemessen zu Grunde gelegten Miete konkret ausreichend Wohnraum vorhanden sei. Der
vom Antragsgegner durch eingereichte Mietangebote dargelegte Wohnraum stehe dem Antragsteller überwiegend
nicht zur Verfügung.
Gegen den Beschluss des Sozialgerichts richtet sich die am 8. September 2009 eingelegte Beschwerde des
Antragsgegners. Der Antragsgegner geht weiterhin von der Rechtmäßigkeit der von ihm herangezogenen
Mietobergrenze aus. Dieser liege der Gedanke zugrunde, dass junge Erwachsene ohne Ausbildung, die noch nicht
wirtschaftlich nachhaltig auf eigenen Füßen gestanden und deshalb keinen eigenen Hausstand hätten, im Falle der
Bedürftigkeit nur angemessene Unterkunftskosten für ein möbliertes Zimmer, nicht aber für eine vollständige
Wohnung beanspruchen könnten. Dies beruhe auf der Anschauung, dass sich in jungem Alter einen eigenen
Hausstand nur leisten könne, wer dies aus eigenen Kräften zu bewerkstelligen vermöge. Hilfe der Allgemeinheit zur
Erlangung eines eigenen Hausstandes benötige danach nur, wem es auch in einem fortgeschrittenen Alter nicht
gelungen sei, sich wirtschaftlich auf eigene Füße zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt bestehe in der Regel keine
Abhängigkeit vom Elternhaus und von der Ausbildungszeit mehr.
Mit Beschluss vom 16. September 2009 hat der Senat die Vollstreckung aus dem angefochtenen Beschluss
ausgesetzt.
II.
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Zutreffend hat das
Sozialgericht im angefochtenen Beschluss die sich aus der gesetzlichen Regelung des § 86b Abs. 2 SGG
ergebenden Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung genannt. Hierbei handelt es sich einerseits
um den Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Anordnung, andererseits um den Anordnungsanspruch, d.h.
einen gewissen Grad an Sicherheit, dass der materielle Anspruch besteht. Zutreffend hat das Sozialgericht auch
darauf hingewiesen, dass im Falle grundsicherungsrechtlicher Regelungsanordnungen zu Lasten der Behörde die
zugesprochenen Leistungen in aller Regel verbraucht werden und deshalb nach einer etwaigen Aufhebung der
Anordnung oder gegenteiligen Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr erfolgreich zurückgefordert werden
können. Da auf diese Weise faktisch vollendete Tatsachen geschaffen werden, muss die Wahrscheinlichkeit des
Bestehens eines materiellen Anspruchs auf die begehrte Leistung hoch sein.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sieht der Senat die Voraussetzungen der beantragten einstweiligen
Anordnung als nicht gegeben an. Die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, die auch im Rahmen einer
Entscheidung über eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2a SGB II zu beachten ist, bestimmt, dass Leistungen für
Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden, soweit diese angemessen sind.
Letzteres ist, bezogen auf das vorgelegte Wohnungsangebot, nicht der Fall. Der Senat hält nach der im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Rechtslage an seiner Auffassung fest, dass für
junge Erwachsene unter 25 Jahren hinsichtlich der Bewertung des angemessenen Wohnraums nach § 22 Abs. 2 SGB
II ein Unterkunftsbedarf besteht, der sich an den Gewohnheiten von Schülern, Studenten und Auszubildenden dieser
Altersgruppe mit geringen finanziellen Mitteln orientiert (Beschluss vom 21. Dezember 2006 - L 11 B 561/06 AS ER).
Maßgebend für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sind diejenigen Aufwendungen, die ein
vergleichbarer Personenkreis, hier junge Volljährige, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen und sich noch in der
beruflichen Orientierungsphase oder der Ausbildung befinden, für Wohnraum aufzubringen vermögen. Da diese
Personen, Studenten, Auszubildende oder – wie der Antragsteller – Praktikanten, ganz überwiegend nur über ein
geringes Einkommen verfügen, müssen sie sich auf preiswerte Unterkünfte beschränken, insbesondere kleine
möblierte Wohnungen, einzelne Zimmer, auch in Wohnheimen oder Wohngemeinschaften. Nichts anderes gilt bei
jungen Erwachsenen, die Leistungen nach § 22 SGB II beanspruchen (vgl. Beschluss des Senats a.a.O. mit Verweis
auf die Rechtsprechung des 6. Senats, Beschluss vom 30. November 2005 - L 6 B 314/05 AS ER; anders
Piepenstock, in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 114 mit Verweis auf LSG Hamburg, Beschluss vom 25. August 2005 - L 5 B
201/05 ER AS). Soweit hiergegen eingewendet wird, die Übernahme der Unterkunftskosten diene der Befriedigung
eines menschlichen Grundbedürfnisses, des Wohnens, und beinhalte grundsätzlich auch die Möglichkeit, sich in
einem abgeschlossenen, von Einflüssen Dritter freien Bereich aufzuhalten (so LSG Hamburg, a.a.O.), ist
anzumerken, dass ein solcher geschützter Bereich grundsätzlich auch innerhalb eines einzelnen Zimmers besteht.
Der Senat stützt sich bei seiner Rechtsauffassung auch auf die gesetzgeberische Wertung, wonach der
kostenträchtige Erstbezug einer eigenen Wohnung durch Personen begrenzt werden soll, die bisher wegen
Unterstützung innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft keinen eigenen Anspruch oder als Teil einer
Bedarfsgemeinschaft niedrigere Leistungen bezogen hatten (vgl. BT-Drucks. 16/688, S. 14). Dieser Gedanke hat
Niederschlag in verschiedenen gesetzlichen Vorschriften gefunden, insbesondere in § 22 Abs. 2a SGB II (eingefügt
durch Gesetz vom 24. März 2006, BGBl. I S. 558; siehe hierzu Berlit, info also 2006, S. 51 ff.). Hiernach werden
Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und umziehen wollen, Leistungen für Unterkunft und
Heizung grundsätzlich nur nach vorheriger Zusicherung des Leistungsträgers gewährt, wobei die Zusicherung nur unter
den Voraussetzungen des § 22 Abs. 2a Satz 2 SGB II zu erteilen ist. Diese Vorschrift zeigt, dass der Gesetzgeber
die zeitliche Grenze, bis zu der Einschränkungen hinzunehmen sind, bei der Vollendung des 25. Lebensjahres sieht.
Auf der anderen Seite wird durch die Begrenzung der Höhe der angemessenen Unterkunftskosten dem
gesetzgeberischen Ziel, die mit dem Erstbezug von eigenem Wohnraum verbundenen Kosten zu mindern,
entsprochen.
Vom Antragsteller werden keine Gründe vorgetragen, die in Abweichung von dem dargestellten Grundsatz einen
Anspruch auf höherwertigen Wohnraum zu rechtfertigen vermögen. Seinem Einwand, es stünde in K. kein
entsprechender Wohnraum zur Verfügung, vermag der Senat nicht zu folgen. Es ist gerichtsbekannt, dass der
Wohnungsmarkt einer mittelgroßen Universitätsstadt wie K. kleine möblierte Wohnungen im Einzelbezug, aber auch
Zimmer, auch in Wohngemeinschaften und Wohnheimen aufweist. Darüber hinaus belegen die vom Antragsgegner
vorgelegten Mietangebote, dass ausreichender Wohnraum auch unter Zugrundelegung der Mietobergrenze tatsächlich
zur Verfügung steht. Soweit die angebotenen Wohnungen inzwischen teilweise anderweitig vergeben sind, vermag
dies hieran nichts zu ändern. Der Einwand, der Antragsteller gehöre aufgrund seines sozialen Hintergrundes nicht zur
Zielgruppe von Studenten-Wohngemeinschaften, mag in einigen Fällen den Zugang erschweren. Eine
Verallgemeinerung dergestalt, dass der Eintritt in ein entsprechendes Mietverhältnis durchweg ausgeschlossen ist,
lässt sich dem jedoch nicht entnehmen.
Da sich die mit dem vorgelegten Wohnungsangebot verbundenen Unterkunftskosten als unangemessen darstellen,
konnte auch ein Anspruch auf darlehensweise Übernahme der Mietkaution nach § 22 Abs. 3 SGB II nicht glaubhaft
gemacht werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Prozesskostenhilfe ist dem Antragsteller ohne Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung bzw.
Rechtsverteidigung im Beschwerdeverfahren für dieses zu gewähren, da der Antragsgegner das Rechtsmittel
eingelegt hat (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 73a SGG). Der Antragsteller erfüllt die wirtschaftlichen
Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung (§§ 114, 115 ZPO i.V.m. § 73a
SGG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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