Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 10.12.2008

LSG Shs: vergütung, funktionelle zuständigkeit, form, fremder, meinung, supervision, akte, qualifikation, daten, gegengutachten

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Beschluss vom 10.12.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Schleswig S 26 R 276/06
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 1 SK 14/08
Die Vergütung des Antragstellers wird auf 71,90 EUR festgesetzt.
Gründe:
Der Antragsteller erstattete nach schriftlicher Aufforderung und nach telefonischer Rücksprache mit dem
Senatsvorsitzenden in freier Form den Behandlungs- und Befundbericht vom 28. Au¬gust 2008. Der Bericht umfasste
2,5 Seiten und bezog sich auf zwei stationäre Behandlungen sowie die ambulante Nachsorge eines türkisch-
stämmigen Klägers, der an erheblichen neurologisch-psychiatrischen Gesundheitsstörungen litt. Der Bericht schloss
mit einer gutachtlichen Aussage zur Teilnahme am Arbeitsleben.
Nachdem die Kostenbeamtin dem Antragsteller eine Vergütung von 50,00 EUR und 0,90 EUR Porto zugestanden
hatte, beantragte dieser die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 JVEG. Hierzu nahm der Kostenprüfungsbeamte des
Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts am 11. November 2008 Stellung. Er schlug eine Vergütung von 44,90
EUR vor, weil die Tätigkeit des Antragstellers nicht außergewöhnlich umfangreich gewesen sei. Deshalb sei der
Bericht mit 38,00 EUR und Porto sowie Schreibaufwand nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 JVEG mit insgesamt 6,90
EUR zu vergüten. Hierzu äußerte sich der Antragsteller am 29. November 2008. Auf den Schriftwechsel wird
verwiesen.
Der Antragsteller ist mit 71,90 EUR zu vergüten.
Der Senat ist im Verfahren nach § 4 JVEG nicht an die Feststellungen der Kostenbeamtin und des
Kostenprüfungsbeamten gebunden. Deren Abrechnungen sind hinfällig, wenn der Antragsteller – wie hier – den Antrag
auf gerichtliche Festsetzung stellt. Dieser Antrag ist kein Rechtsbehelf gegen die Feststellungen der Kostenbeamtin
und des Kostenprüfungsbeamten. Mit dem Antrag geht die funktionelle Zuständigkeit für die Festsetzung auf das
Gericht über. Konsequenterweise gilt dann das so genannte Verböserungsverbot nicht (herrschende Meinung: LSG
Hamburg, NJW 64, 1243; BGH NJW 69, 556; LSG Baden-Württemberg, Der Rechtspfleger 74, 374;
Landesarbeitsgericht Hamm, Juristisches Büro 76, 491; OLG Karlsruhe, Juristisches Büro 88, 390). Dieses
Rechtsproblem braucht der Senat indessen nicht zu vertiefen, da er einen höheren Betrag als in den
Vergütungsabrechnungen vom 18. September und 11. November 2008 festsetzt. Das hat folgende
Gründe:
Die Vergütung für einen Behandlungs- und Befundbericht ist in § 10 JVEG und in der Anlage 2 zu dieser Vorschrift
geregelt. Da die kurze gutachtliche Äußerung des Antragstellers nachträglich vom Senat gebilligt worden ist, ist der
Bericht mit 38,00 EUR zu vergüten (Nr. 202). Nur dann, wenn die Leistung außergewöhnlich umfangreich ist, kann die
Vergütung bis zu 75,00 EUR ausmachen (Nr. 203). Nach der Systematik dieser Vorschriften setzt eine Vergütung von
mehr als 38,00 EUR schon eine außergewöhnlich umfangreiche Leistung voraus. Das heißt, die erbrachten Leistungen
müssen das gewöhnliche Maß ganz erheblich überschreiten. Danach ist weiter abzustufen, bis dann mit einem extrem
umfangreichen Bericht die Höchstvergütung von 75,00 EUR erreicht ist.
Der Begriff "umfangreich" ist dabei nicht nur nach der Zeilen- oder Seitenzahl zu bestimmen. Da es in § 10 und der
Anlage 2 um die Vergütung von Leistungen geht, kommt es auf das Ausmaß der Arbeit an, die der Arzt mit der
Berichterstattung hat. Diese Arbeit ist von Fall zu Fall verschieden. Die Rechtsprechung hat aber Kriterien entwickelt,
an Hand derer der Arbeitsaufwand bestimmt werden kann. Solche Kriterien sind die Ausführlichkeit der
Beschreibungen und die Schwierigkeit, die berichtenswerten Befunde zusammenzustellen. Diese Arbeiten können mit
einem besonders hohen Zeitaufwand verbunden sein, wenn z. B. fachübergreifend eine Vielzahl eigener und fremder
Befunde zusammenzufassen sind. Insbesondere gilt das auch für die Auswertung fremder Arztbriefe auf
medizinischen Gebieten, in denen regelmäßig eine große Zahl technischer Befunde oder Funktionsdiagramme
anfallen. Ebenso kann es einen erhöhten Arbeitsaufwand bedeuten, wenn ein komplexes wechselhaftes
Krankheitsbild über Jahre hinweg aus schwer überschaubaren Unterlagen darzustellen ist (Beschluss des Senats vom
17. Oktober 2000 – L 1 SF 5/98 SK -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Januar 2003 L 10 SB 71/02 -).
Auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet kann auch die erforderliche Rücksprache mit Familienangehörigen oder dem
Patienten Zeitaufwand produzieren, wenn ein schwer überblickbarer Krankheitsverlauf zu schildern ist. Schließlich
kann auch die straffe und übersichtliche Darstellung der Befunde und Aussagen eine zeitintensive Arbeit glaubhaft
machen. Die inhaltliche Qualität des Berichts und der kurzen gutachtlichen Äußerung sind unerheblich (LSG
Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 28. Februar 2001 L 10 SB 50/00 und vom 29. Januar 2003 – L 10 SB 71/02 -).
An diesen Kriterien gemessen überschreitet der Bericht vom 28. August 2008 jedenfalls den gewöhnlichen Umfang
eines Behandlungs- und Befundberichtes ganz erheblich. Der reine Text umfasst zwei eng beschriebene Seiten mit
besonders engem Zeilenabstand. Schon deshalb ist die Nr. 203 anwendbar. Inhaltlich bezieht sich der Bericht auf
einen stationären Aufenthalt von einem Monat und einem weiteren von neun Tagen sowie auf die ambulante
Nachsorge über drei Monate. Der Antragsteller hatte deshalb Krankenblätter über diese Zeiträume auszuwerten. In
dem betrachteten Zeitraum war der türkische Kläger depressiv gestört und machte eine schwere Episode mit
deutlichen Denkstörungen durch. Es handelte sich auf neurologisch-psychiatri¬schem Gebiet um ein komplexes
Krankheitsgeschehen. Zu dessen Verständnis hat der Antragsteller die Aufnahmesituation und die Vorgeschichte
sowie einige technische Befunde geschildert. Fachübergreifend finden sich auch Hinweise zu Störungen auf
innermedizinischem Gebiet. Ausgewertet wurden schließlich ein Einweisungsbericht des ambulant behandelnden
Nervenarztes und Schilderungen von Familienangehörigen in belastender Situation. Zur besseren Aufklärung des
Krankheitsgeschehens waren Rücksprachen mit dem Kläger und seinen Familienangehörigen erforderlich. Die
Schwierigkeit bei der Erhebung und Übermittlung neurologisch-psychiatrischer Daten hat der Antragsteller dadurch
überwunden, dass er seinen Bericht verständlich und straff gegliedert hat. Insgesamt ist daher ein ganz
außergewöhnlicher Zeitaufwand glaubhaft.
In der Abwägung, dass es aber durchaus noch umfangreichere Darstellungen, schwierigere Krankheitsbilder und
Behandlungen über noch längere Zeiträume gibt und dass hierfür der Höchstsatz von 75,00 EUR reserviert bleiben
muss, hält der Senat eine Vergütung von 65,00 EUR für angemessen. Mit der nicht zu beanstandenden Festsetzung
des Schreibaufwandes und des Portos ist der Antragsteller daher mit 71,90 EUR zu vergüten.
Wenn der Antragsteller demgegenüber 97,00 EUR für seinen Bericht begehrt, muss er sich entgegenhalten lassen,
dass eine solche Vergütung nach den gesetzlichen Vorschriften nicht möglich ist und dass Gerichte nun einmal an
Gesetze gebunden sind. Außerdem muss der Senat darauf hinweisen, dass der Antragsteller offensichtlich aus
ärztlichem Pflichtgefühl heraus mehr getan hat, als ihm abverlangt worden war. Es gibt aber keinen
Entscheidungsspielraum für das Gericht, solche nicht in Auftrag gegebenen Leistungen zu vergüten.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist es keine juristische Spitzfindigkeit, zwischen Befundbericht und
Gutachten zu unterscheiden. Die Aufgabe, im Rahmen eines Rechtsstreits zu bestimmten Fragen des Gerichts eine
ärztliche Meinung abzugeben und dies in die Form eines Gutachtens zu bringen, obliegt den gerichtlich bestellten
Sachverständigen. Sie werden dementsprechend höher vergütet. Der Arzt, der einen Befundbericht zu erstellen hat,
referiert dagegen grundsätzlich nur Fakten, es sei denn, er ist zusätzlich zu einer kurzen gutachtlichen Stellungnahme
zu diesen Fakten beauftragt. Es mag hier medizinisch sinnvoll gewesen sein, einen "unnötigen Kleinkrieg unter
Fachkollegen" zu vermeiden und sich zu diesem Zweck einer Oberarztintervision sowie einer Supervision zu
unterziehen. Aber dieser Zeitaufwand lag außerhalb des erteilten Auftrages. Es ergibt sich auch nicht aus der Akte,
dass der Antragsteller ein "Gegengutachten in der Form eines Befundberichtes" erstellen sollte. Die vom Antragsteller
geltend gemachte hohe fachliche Qualifikation und die Güte seiner bislang erstellten Gutachten zweifelt der Senat mit
seiner Festsetzung nicht an. Im Gegenteil, der Senat berücksichtigt, dass der Antragsteller einen außergewöhnlich
umfangreichen und gründlichen Bericht erstellt hat, der die Annäherung an den oberen Vergütungsrahmen rechtfertigt.
Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei; Kosten sind nicht zu erstatten (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Dr. S B T