Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 06.10.2009

LSG Shs: behandlung, krankenversicherung, innere medizin, arzneimittel, verordnung, medikament, zahl, lebenserwartung, anorexie, versorgung

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 06.10.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Kiel S 14 KA 39/05
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 4 KA 34/08
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 30. April 2008 wird zurückgewiesen. Der
Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Arzneikostenregress wegen der Verordnung eines für ein Krankheitsbild nicht
zugelassenen Arzneimittels (sog. Off-Label-Use).
Der Kläger ist Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes des Krankenhauses G – Zentrum für Pneumologie und
Thoraxchirurgie. Außerdem nimmt er als Arzt für innere Medizin und Pulmologie an der vertragsärztlichen Versorgung
teil.
Am 1. Juni 2001 stellte die zu 1. beigeladene Krankenkasse bei dem Prüfungsausschuss den Antrag auf Feststellung
eines sonstigen Schadens gemäß § 12.3 der in Schleswig-Holstein geltenden Prüfvereinbarung vom 15. März 1995
und machte zur Begründung geltend, dass der Kläger im Quartal IV/2000 und I/2001 einem bei ihr versicherten
männlichen Patienten das Arzneimittel Megestat verordnet habe. Megestat sei zur palliativen Behandlung von
fortgeschrittenen Karzinomen der Brust und der Gebärmutter zugelassen. Die Erprobung von Arzneimitteln auf Kosten
der Versicherungsträger sei nicht zulässig. Einen weiteren entsprechend begründeten Antrag auf Feststellung eines
Schadens stellte die Beigeladene zu 1. am 25. September 2001 für das Quartal II/2001.
Mit Bescheiden vom 18. Juli 2002 und vom 29. Juli 2002 setzte der Prüfungsausschuss für die Quartale IV/2000 bis
II/2001 einen Schadensersatz in Höhe von insgesamt 4154,51 EUR gegen den Kläger fest.
Zur Begründung des dagegen am 31. Juli 2002 eingelegten Widerspruchs machte der Kläger im Wesentlichen geltend,
dass er das Medikament Megestat bei Patienten mit fortgeschrittenen bösartigen Tumoren der Thoraxorgane oder
fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen mit bereits stattgehabter Metastasierung eingesetzt habe. Für die Patienten
hätten zum Zeitpunkt der Verordnung keine kurativen Behandlungsmöglichkeiten mehr bestanden. Die Patienten
hätten im Zusammenhang mit der Tumorerkrankung unter einer zunehmenden Tumorkachexie mit Asthenie,
Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust gelitten. Für die Behandlung dieser speziellen Tumorsymptomatik gebe es kein
zugelassenes Präparat, das in der Wirkung dem Präparat Megestat gleichzusetzen sei. Eine Ernährung mit
hochkalorischer Kost über eine Darmsonde oder eine PEG sei keine Alternative, weil das Problem nicht in einer
mechanischen Schluckstörung oder Behinderung bestehe, sondern in dem ausgeprägten tumorimmunologisch
bedingten Appetitmangel. Megestat führe bei mehr als 60 % der Tumorpatienten mit dieser Symptomatik zu einer
Appetitsteigerung und zu einer Gewichtszunahme und damit zu einer deutlichen Symptomverbesserung mit deutlich
verbesserter Lebensqualität. Ihm sei durchaus bewusst, dass Megestat nicht für diese Indikation zugelassen sei.
Dennoch sei die Literatur in Bezug auf die beschriebene Wirkung eindeutig. Dazu bezog sich der Kläger auf zahlreiche
Veröffentlichungen. Die Patienten hätten kurzfristig von der Einnahme von Megestat profitiert. Alle in der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelten Voraussetzungen für die Verordnung eines Medikaments
außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs (Off-Label-Use) seien erfüllt. Dazu bezog sich der Kläger auf das
Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. März 2002 zum Aktenzeichen B 1 KR 37/00 R (Sandoglobulin).
Der Beklagte zog ein Gutachten des Prof. Dr. H und des Dr. S , Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK)
N , Kompetenz Centrum Onkologie, vom 17. April 2003 bei und wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom
20. Januar 2005 zurück. Zur Begründung führte er aus: Die Verabreichung des Medikamentes Megestat habe gegen
die Zulassung verstoßen. Das habe der Kläger als anerkannter Facharzt für die Behandlung von bösartigen Tumoren
der Thoraxorgane selbstverständlich erkannt. Deshalb berufe er sich auch nicht auf eine Verschreibung des
Medikaments entsprechend seinem zugelassenen Anwendungsbereich, sondern führe aus, dass es sich um einen
individuellen Heilversuch gehandelt habe. Individuelle Heilversuche könnten aber nicht zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung durchgeführt werden. Die Anwendung eines Arzneimittels außerhalb der zugelassenen
Indikationen könne nur unter bestimmten Bedingungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen.
Diese Voraussetzungen lägen jedoch nicht vor. Zwar seien die Erkrankungen der behandelten Patienten
selbstverständlich lebensbedrohlich gewesen. Das Medikament habe aber nicht der Behandlung der Erkrankung als
solcher gedient, sondern nur die Folgen der Erkrankung betroffen. Deswegen könne allenfalls davon ausgegangen
werden, dass die begründete Aussicht bestanden habe, mit dem verordneten Präparat einen palliativen
Behandlungserfolg zu erzielen. Dieser sei nach der glaubhaften Darstellung des Klägers bei beiden behandelten
Patienten eingetreten. Für eine abschließende Beurteilung sei dies jedoch nicht ausreichend. Es hätte eines größeren
Patientenkreises bedurft. Deshalb könne die Verordnung des Präparates nur dann zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung gehen, wenn nach der Datenlage eindeutig eine begründete Erfolgsaussicht bestehe. Das sei
den vorliegenden Unterlagen nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen. Mit dieser Bewertung stütze sich
die Beklagte im Wesentlichen auf den Inhalt des Gutachtens des MDK N vom 17. April 2003, in dem die vom Kläger
im Widerspruchsverfahren vorgelegte Literatur sowie weitere Studien ausgewertet worden seien.
Gegen diesen Bescheid hat sich der Kläger mit seiner am 16. Februar 2005 bei dem Sozialgericht Kiel erhobenen
Klage gewandt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Die Beklagte habe verkannt, dass die nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu fordernde begründete Aussicht, dass mit dem betreffenden Präparat ein
Behandlungserfolg erzielt werden könne, bereits dann anzunehmen sei, wenn Forschungsergebnisse vorlägen, die
erwarten ließen, dass das Medikament für die betreffende Indikation zugelassen werden könne. Dies sei insbesondere
auch dann der Fall, wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die
über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich
nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund dieser in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen
voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne bestehe. Entgegen der Annahme des Beklagten sei eine solche
Datenlage sehr wohl gegeben. Die vorliegenden Studien seien nicht zutreffend bewertet worden. Der Beklagte
verkenne, dass die Gesamtheit der Studien, insbesondere der randomisierten Phase-III-Studien überwiegend ein Bild
positiver Ergebnisse bezüglich Anorexie und Gewichtszunahme ergäben. In diesem Sinne müsse auch das Gutachten
des MDK N vom 17. April 2003 interpretiert werden, weil dort die Datenlage positiv und als ausreichend für die
Begründung eines "individuellen Heilversuches" beschrieben werde. Ein gesetzlich Krankenversicherter, für dessen
lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem
Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe, dürfe nicht generell von der Gewährung einer von ihm
gewählten ärztlich angewandten Behandlungsmethode, die aber nicht allgemein anerkannt sei, ausgeschlossen
werden, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder spürbare positive Entwicklung auf den
Krankheitsverlauf bestehe. Dazu hat sich der Kläger auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6.
Dezember 2005 (1 BvR 347/98) bezogen. Damit seien die in der bisherigen Rechtsprechung gestellten Anforderungen
für die Anwendung eines Arzneimittels im Rahmen des sog. "Off-Label-Use" entscheidend vermindert worden.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 20. Januar 2005 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen, welchen er für zutreffend hält.
Die Beigeladene zu 1. hat sich der Auffassung des Beklagten angeschlossen. Diese decke sich im Übrigen mit den
Ausführungen in dem Artikel von Marlene Heckmayr, "Das Anorexie-Kachexie-Syndrom bei Bronchialkarzinom", in:
Pneumologie 2003; 57, S. 328 ff.:" Studien an Patienten mit metastasiertem Bronchialkarzinom zeigten ebenfalls eine
Verbesserung des Appetits. Allerdings waren die Ergebnisse über Gewichtsveränderungen widersprüchlich bzw.
statistisch nicht signifikant und wegen der kurzen Lebenserwartung dieser Patienten oftmals nicht aussagekräftig ".
Die Beigeladene zu 2. zu hat sich nicht geäußert.
Mit Urteil vom 30. April 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die verfügten Regresse seien formell und
materiell rechtmäßig. Der Kläger habe das Medikament Megestat außerhalb des Zulassungsrahmens (Off-Label)
verordnet. Die Voraussetzungen, unter denen eine Verordnung gleichwohl zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung erfolgen könne, seien nicht erfüllt. Voraussetzung wäre u. a., dass aufgrund der Datenlage die
begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt
werden könne. Davon habe sich die Kammer nicht überzeugen können. Es lägen keine Forschungsergebnisse vor, die
erwarten ließen, dass Megestat für die betreffende Indikation (pharmakologische Beeinflussung des
krankheitsbegleitenden Anorexie-Kachexie-Syndroms bei hormonunabhängigen Tumoren) zugelassen werden könne.
Die Erweiterung der Zulassung sei unstreitig nicht beantragt. Ferner seien auch keine außerhalb eines
Zulassungsverfahrens gewonnenen Erkenntnisse veröffentlicht, die über Qualität und Wirksamkeit des Medikaments
in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund derer
von einem Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne in den einschlägigen
Fachkreisen ausgegangen werden könne. Zwar scheine sich überwiegend, wenngleich im Unterschied zu
Placeboeffekten nicht immer signifikant, ein positiver Effekt hinsichtlich des Anorexie-Kachexie-Syndroms in Form
von Appetitsteigerung, Verbesserung der Nahrungsaufnahme und Gewichtssteigerung einzustellen. Auch die positiven
Studien hierzu seien indes nicht alle randomisiert und lediglich auf kleine Patientenzahlen bezogen. Die
Untersuchungen könnten daher noch nicht als abgeschlossen bezeichnet werden. Nach den in den Akten befindlichen
medizinischen Stellungnahmen seien bereits Wirkungsweise und –mechanismus, Wirksamkeit, Dosierung,
Therapiebeginn und –dauer sowie Nebenwirkungen einschließlich wachstumsstimulierender Wirkung auf Tumorgewebe
nicht ausreichend erforscht. Demzufolge werde auch die Indikation als weiter eingrenzungsbedürftig bezeichnet. Vor
allem erscheine die Wirksamkeit im Hinblick auf das eigentliche Ziel, die Verbesserung der nicht-spezifischen
Bereiche der Lebensqualität, nicht gesichert. Eine Erweiterung der Leistungspflicht der Krankenkassen auf
Behandlungsmethoden, die sich erst im Stadium der Forschung oder Erprobung befänden und (noch) nicht dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Forschung entsprächen, lasse das Gesetz auch bei schweren und
vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheiten grundsätzlich nicht zu. Dem Einwand des Klägers, in solchen Fällen
müsse ein – wie vorliegend vorgenommener – individueller Heilversuch zu Lasten der Krankenversicherung auch mit
noch nicht ausreichend gesicherten Therapieverfahren möglich sein, könne in dieser allgemeinen Form nicht
Rechnung getragen werden. Das SGB V verlange, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprächen. Das verbiete es, die Erprobung neuer Methoden und
die medizinische Forschung zu den Versicherungsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu zählen. Die
Einstandspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für eine nicht ausreichend geprüfte Behandlung sei demgemäß
nach geltendem Recht nicht damit zu begründen, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt eine anerkannte
Heilmethode für die Krankheit des Versicherten nicht gebe.
Gegen das ihm am 3. Juli 2008 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 30. Juli 2008 beim Schleswig-
Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung, zu deren Begründung er sein Vorbringen aus dem
erstinstanzlichen Verfahren wiederholt und vertieft. Das Sozialgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es an
der Behandlung einer schwerwiegenden Krankheit fehle, weil es bei dem Einsatz von Megestat letztlich um die
Verlängerung einer lebenswerten Zeit bzw. die Palliation mit Verbesserung der Qualität der verbleibenden
Lebensspanne gegangen sei. Eine Differenzierung zwischen Behandlungen schwerwiegender Krankheiten im engeren
und im weiteren Sinne kenne das Gesetz nicht. Auch das Bundessozialgericht nehme eine solche Unterscheidung
nicht vor, wenn es in seiner Rechtsprechung zum Off-Label-Use ausdrücklich auf die Beeinträchtigung der
Lebensqualität und auf den Behandlungserfolg, sei er auch nur palliativ erzielt worden, abstelle. Eine
Behandlungsalternative habe nicht bestanden. Die Verabreichung von hochkalorischer Kost per Sonde oder PEG
komme nicht in Betracht, da es sich bei der Tumorkachexie von Bronchialkarzinompatienten nicht um das Problem
der Zufuhr von ausreichenden Kalorien, sondern um ein endokrinologisch-immunologisches Problem handele, das
medikamentös angegangen werden müsse. Dessen ungeachtet habe der Allgemeinzustand der in der Terminalphase
befindlichen Patienten eine solche Behandlung per Sonde/PEG ohnehin nicht mehr zugelassen. Entgegen der
Auffassung des Sozialgerichts habe nach der Datenlage die begründete Aussicht bestanden, dass mit dem Präparat
ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Die Gesamtheit der vorliegenden Studien ergebe
überwiegend ein Bild positiver Ergebnisse bei der Behandlung mit Megestat bezüglich Anorexie und
Gewichtszunahme. Das Sozialgericht habe sich zu Unrecht den zum Teil widersprüchlichen Schlussfolgerungen des
Gutachtens des MDK N vom 17. April 2003 angeschlossen. Das Gutachten des MDK N habe die insoweit
einschlägige Literatur nur zu einem Bruchteil ausgewertet. Nach der Fachinformation der Herstellerfirma sei eine
Gewichtszunahme die häufigste Nebenwirkung bei der Behandlung mit Megestat. Diese Gewichtszunahme stehe mit
einem gesteigerten Appetit im Zusammenhang. Dass diese Wirkung nicht nur bei der arzneimittelrechtlich
zugelassenen palliativen Behandlung fortgeschrittener Mammakarzinome, sondern auch bei der Behandlung von
Karzinomen der hier zur Diskussion stehenden Art auftrete, sei gesicherte Erkenntnis und werde durch die von der
Beigeladenen zu 1. im Berufungsverfahren vorgelegte Zusammenfassung der Metastudie von Berenstein und Ortiz
aus dem Jahr 2005 bestätigt. Die zum Zeitpunkt der Behandlung vorliegende Zahl von Phase-II-Studien wäre bereits
ausreichend für eine Zulassung gewesen. Berücksichtige man die allenfalls nach Wochen zu bemessende
Lebenserwartung der Patienten, so liege es auf der Hand, dass die Vorteile durch die Verabreichung von Megestat im
Hinblick auf die bestehende Tumorkachexie und das Fatiguesyndrom etwaige Nachteile durch potentielle
Nebenwirkungen derart überwögen, dass sie wegen der kurzen Lebenserwartung praktisch überhaupt nicht ins
Gewicht fielen. Außerdem habe das Sozialgericht verkannt, dass sich die Leistungspflicht der Krankenkasse aus den
im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 entwickelten Grundsätzen zur
grundrechtsorientierten Auslegung der einer solchen Leistungspflicht entgegenstehenden Normen ergebe. Es dürfe
nicht danach unterschieden werden, ob die ärztlich verordneten Maßnahmen kurativ oder palliativ indiziert seien.
Megestat sei nur in Einzelfällen bei einer kleinen Zahl von Patienten angewendet worden, die auf andere zugelassene
Medikamente, wie z.B. Cortison, nicht angesprochen hätten. Der beabsichtigte Behandlungserfolg sei tatsächlich
eingetreten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 30. April 2008 sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. Januar 2005
aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat sich ebenfalls auf die von der Beigeladenen zu 1. vorgelegte Zusammenfassung der Metastudie von Berenstein
und Ortiz bezogen und geltend gemacht, dass danach kein Hinweis auf das Vorliegen von Phase-III-Studien oder eine
Zulassungsreife von Megestat für die hier diskutierte Anwendung bestehe.
Die Beigeladene zu 1. hat vorgetragen, dass etwaige Studienergebnisse augenscheinlich nicht so überzeugend
gewesen seien, dass sie – neun Jahre nach der Verordnung von Megestat – zu einer Zulassungserweiterung hätten
führen können. Megestat sei weiterhin nur zur palliativen Behandlung von Karzinomen der Brust und der Gebärmutter
zugelassen. In der Fachinformation mit Stand vom August 2008 werde ausgeführt: "Die Anwendung von Megestat zur
Behandlung anderer neoplastischer Erkrankungen wird nicht empfohlen." Ergänzend bezieht sich die Beigeladene zu
1. auf die Zusammenfassung einer Metastudie von Berenstein und Ortiz aus dem Jahr 2005 ("Megestrol acetate for
the treatment of anorexia-cachexia syndrome") sowie die Zusammenfassung einer Metaanalyse von
Lesniak/Bala/Jaeschke/Krzakowski aus dem Jahre 2008 ("Effects of megestrol acetate in patients with cancer
anorexia-cachexia syndrome – a systematic review and meta-analysis"). Danach könne eine signifikante Steigerung
der Lebensqualität oder der Überlebenszeit bislang nicht nachgewiesen werden.
Die Beigeladene zu 2. hat sich auch im Berufungsverfahren nicht geäußert.
Die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten und die Prozessakten zu den unter den Aktenzeichen L
4 KA 34/08 und L 4 KA 35/08 geführten Verfahren haben dem Senat vorgelegen. Diese sind Gegenstand der
mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf ihren Inhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der
angefochtene Bescheid, mit dem der Beklagte gegenüber dem Kläger einen Regress für durchgeführte
Arzneimitteltherapien festgesetzt hat, nicht zu beanstanden ist.
Gemäß § 106 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in den hier maßgebenden Fassungen des GKV-
Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22. Dezember 1999, BGBl. I S. 2626 wird die Wirtschaftlichkeit der
Versorgung u. a. durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, und zwar entweder
nach Durchschnittswerten oder anhand von Richtgrößenvolumina und/oder auf der Grundlage von Stichproben geprüft.
Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen mit den Kassenärztlichen
Vereinigungen gemäß § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (vgl. BSG, Urt. v.
27. Juni 2007 – B 6 KA 44/06 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 17). Von dieser Kompetenz haben die Partner der
Gesamtverträge in Schleswig-Holstein in § 12 Abs. 3 der hier noch maßgebenden (vgl. BSG, Urt. v. 9. April 2008 – B
6 KA 34/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 18) "Gemeinsame Prüfvereinbarung vertragsärztliche Versorgung" vom 15. Mai
1995 bezogen auf Einzelfallprüfungen bei unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln Gebrauch gemacht. Nach dieser
Regelung entscheidet der Prüfungsausschuss auf begründeten Antrag im Einzelfall auch über einen Anspruch auf
Schadensersatz wegen unzulässiger Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Für die Entscheidung über derartige Anträge sind die Gremien der
Wirtschaftlichkeitsprüfung umfassend zuständig (BSG, Urt. v. 14. März 2001 – B 6 KA 19/00 R, SozR 3-2500 § 106
Nr. 52).
Die Beigeladene zu 1. hat die Anträge auf Prüfung jeweils innerhalb der in § 12 Abs. 4 der Prüfvereinbarung geregelten
Frist von neun Monaten nach Eingang der Überweisungsscheine gestellt. Dies ist auch von den Beteiligten nicht in
Zweifel gezogen worden.
Auch die materiellen Voraussetzungen eines Regresses nach § 12 Abs. 3 der Prüfvereinbarung liegen vor. Der Kläger
durfte das Medikament Megestat nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnen, weil die
Versicherten keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem Arzneimittel hatten und eine Leistungspflicht der
beigeladenen Krankenkasse nicht bestand. Ein Verschulden des Vertragsarztes setzt die Feststellung eines
Arzneimittelregresses wegen Unwirtschaftlichkeit voraus (ständige Rspr., vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 6. Mai 2009 – B 6
KA 3/08, m. w. N.). Der Regress ist zutreffend in Höhe des der Krankenkasse entstandenen Schadens (vgl. BSG, a.
a. O.) festgesetzt worden.
1. Ein Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln besteht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nur nach
Maßgabe des § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 SGB V. Aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V folgt,
dass im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nur solche Verordnungen zulässig sind, die die Gewähr für
Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit jeweils nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der
medizinischen Erkenntnisse bieten. Die Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfolgt bei
Fertigarzneimitteln durch das Zulassungsverfahren nach dem Arzneimittelgesetz. Arzneimittel, denen die erforderliche
arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt, sind deshalb grundsätzlich mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit
nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst (BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1
KR 15/07 R, SozR 4-2500 § 13 Nr. 16, m. w. N.). Dies ist bezogen auf das Medikament Megestat der Fall. Megestat
ist ein Fertigarzneimittel, das zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Brustkrebserkrankungen und zur palliativen
Behandlung rezidivierender hochdifferenzierter Gebärmutterkrebserkrankungen zugelassen ist. Die Zulassung
erstreckt sich nicht auf die Behandlung anderer Tumorerkrankungen. Damit waren die vom Kläger vorgenommenen
Verordnungen nicht vom zugelassenen Anwendungsbereich des Medikaments umfasst. Das wird auch vom Kläger
nicht in Abrede gestellt.
2. Auch die Voraussetzungen einer zulassungsüberschreitenden Anwendung des Fertigarzneimittels Megestat auf
Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung (sog. Off-Label-Use) sind nicht erfüllt. Nach ständiger Rechtsprechung
(BSG, Urt. v. 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R, BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8; vgl. BSG, Urt. v. 28.
Februar 2008, a.a.O.) setzt ein zulassungsüberschreitender Einsatz eines Arzneimittels auf Kosten der gesetzlichen
Krankenversicherung voraus, dass es a) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die
Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, b) dass keine andere Therapie verfügbar ist
und c) dass aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein
Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
Dass die Patienten des Klägers, die mit Megestat behandelt wurden, an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten
haben, unterliegt keinem Zweifel. Zweifelhaft ist jedoch, ob keine andere Therapie verfügbar war. Wie in dem
Gutachten des MDK N vom 17. April 2003 nachvollziehbar dargelegt wird, kann zur Behandlung der tumorinduzierten
Kachexie eine Ernährung mit hochkalorischer Kost erfolgen. Wie der Kläger jedoch ebenfalls nachvollziehbar
dargelegt hat, ist die Gabe hochkalorischer Kost insbesondere nicht geeignet, dem durch die Tumorerkrankung
bedingten Appetitverlust entgegenzuwirken. Außerdem ist bekannt, dass die Gabe hochkalorischer Kost in größeren
Mengen nicht selten zu Verdauungsproblemen (Diarrhoe) führt. Für den Senat ist es in jeder Hinsicht nachvollziehbar,
dass es für die Lebensqualität eines an Krebs erkrankten Patienten in seiner letzten Lebensphase einen erheblichen
Unterschied bedeuten kann, ob er hochkalorische Kost zu sich nehmen muss, um sein Gewicht und seinen
Kräftezustand günstig zu beeinflussen oder ob er mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nehmen kann. Insofern
spricht einiges dafür, dass bezogen auf das Therapieziel, den krankhheitsbedingt bestehenden Appetitverlust zu
bekämpfen, eine Therapiealternative nicht besteht.
Im Ergebnis kommt es darauf jedoch nach Auffassung des Senats nicht an. Die Voraussetzungen eines
zulassungsüberschreitenden Einsatzes auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung liegen jedenfalls deshalb
nicht vor, weil es zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Behandlung (vgl. BSG, Urt. v. 15. Februar 2007, a.a.O.,
juris Rz. 21, m.w.N.) an einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht gefehlt hat. Dabei geht der Senat
mit der ständigen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urt. v. 28. Februar 2008, a.a.O., juris Rz. 23, m. w. N.) davon aus, dass
von einer hinreichenden Erfolgsaussicht dann ausgegangen werden kann, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die
erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann
angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse
einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und
eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder
(b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und
Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare
Aussagen zulassen, aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen
in dem vorgenannten Sinne besteht.
Diese Voraussetzungen knüpfen an die arzneimittelrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen der §§ 21 ff.
Arzneimittelgesetz (AMG) an und berücksichtigen u. a., dass für den Regelfall des § 22 Abs. 2 AMG das Arzneimittel
nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichend geprüft und die angegebene
therapeutische Wirkung nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller
zureichend begründet sein muss, um mit den Zulassungsunterlagen Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des
Mittels hinreichend darzutun (vgl. § 25 Abs. 2 AMG). Von einer ausreichenden Prüfung entsprechend dem "jeweils
gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" wird bei Arzneimitteln ausgegangen, wenn sie die klinische
Prüfung bis zur Zulassungserteilung, die sich regelmäßig in drei Phasen gliedert, durchlaufen haben (vgl. dazu OVG
Berlin, Urt. v. 25. November 1999 – 5 B 11.98, veröffentlicht in juris; BSG, Urt. v. 26. September 2006 B 1 KR 14/06
R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 6). Dabei wird zunächst die Verträglichkeit der Substanz beim Menschen an einer kleinen
Zahl gesunder Probanden untersucht. Wenn die Befunde dieser Phase die weitere Untersuchung der Prüfsubstanz
rechtfertigen, wird in einer Phase II an einer begrenzten Zahl von in der Regel bis etwa 200 Patienten versucht, die
pharmako-dynamische Wirkung des Arzneimittels zu objektivieren. Diese Studien der Phase II dienen dazu, Hinweise
auf erwünschte und unerwünschte Wirkungen, Indikationen und Kontraindikationen zu finden sowie die optimale
Dosierung des Arzneimittels zu ermitteln. Auf der Grundlage der gewonnenen Daten erfolgt in einer Phase III-Studie
der eigentliche Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der neuen Substanz an einer
größeren Zahl von in der Regel mehr als 200 Patienten. Dabei sind Vergleichsgruppen mit Patienten zu bilden, denen
Placebos oder andere Wirkstoffe verabreicht werden und die Zuteilung zu Gruppen hat nach dem Zufallsprinzip zu
erfolgen (randomisierte Studien).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe fehlte es im Zeitraum der durchgeführten Behandlung an der Zulassungsreife
von Megestat bezogen auf die Verordnung bei anderen Krebserkrankungen als denen, auf die sich die Zulassung
bisher bezieht (Mamma- und Endometriumkarzinome).
Mit dieser Bewertung bezieht sich der Senat zunächst auf das Gutachten der Ärzte für innere Medizin Dr. S und Prof.
Dr. H , Kompetenz Centrum Onkologie des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung N vom 17. April 2003. In
diesem Gutachten werden die vom Kläger auch im vorliegenden Verfahren in Bezug genommenen Veröffentlichungen
sowie weitere Studienergebnisse nachvollziehbar und überzeugend ausgewertet. Forschungsergebnisse, die erwarten
lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation (bösartige unheilbare Lungentumore) zugelassen werden
kann, lagen danach bis in das Jahr 2003 nicht vor. Voraussetzung wäre das Vorliegen zumindest einer doppelblinden
placebokontrollierten Phase III-Studie an einem größeren Patientenkollektiv mit einheitlicher Vorbehandlung und
standardisierter Erfassung der Parameter zu Lebensqualität und Toxizität. Diesen Anforderungen entsprechen die vom
Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegten und die weiteren von den Gutachtern ermittelten Studien nicht. Teilweise
handelt es sich um nicht randomisierte Studien. Die randomisierten Studien sind überwiegend an kleineren
Patientenzahlen mit unterschiedlichen Tumorarten durchgeführt worden. Auch eine unter Beteiligung des Klägers
veröffentlichte Studie (Heckmayr/Gatzemeier, Dosisfindungs-Studien mit Megestrolacetat bei Patienten mit
Bronchialkarzinom, Bl. 56 der Verwaltungsakte) bezieht sich auf eine verhältnismäßig kleine Zahl von 33 Patienten.
Die Ergebnisse bezogen auf die Steigerung von Appetit und Allgemeinbefinden werden darin als vielversprechend
bezeichnet. Gleichzeitig wird konzediert, die Studie werfe "eine Reihe von Fragen auf, die in weitergehenden Studien
beantwortet werden sollten". In diesem Zusammenhang wird die Überprüfung der subjektiv angegebenen positiven
Therapieeffekte in einer Placebo-kontrollierten Doppelblindstudie für erforderlich gehalten. Diese Beurteilung in der
vom Kläger mitverfassten Veröffentlichung deckt sich weitgehend mit der aus dem Gutachten des MDK N vom 17.
April 2003. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die bei der Behandlung mit Megestat in vielen Studien
angegebene signifikante Verbesserung der tumorassoziierten Anorexie und Kachexie anders als in der vom Kläger
mitveröffentlichten Studie – nicht unbedingt mit einer Verbesserung der Lebensqualität einhergehen muss. Zumindest
zeigen einige randomisierte Studien keine Verbesserung gegenüber der Kontrollgruppe (vgl. die vom Kläger vorgelegte
Veröffentlichung von Tchekmedyian/Hickman/Zahyna/Cella, Wirkung von Megestrolacetat bei Krebspatienten:
Einfluss in der palliativen Behandlung und auf die Lebensqualität, Bl. 44 der Verwaltungsakte). Hinzuweisen ist
außerdem auf das nicht unerhebliche Nebenwirkungsprofil von Megestrolacetat. Als häufige Nebenwirkungen werden
in der zu dem Medikament herausgegebenen Fachinformation z. B. Übelkeit/Erbrechen, Diarrhoe, Sodbrennen,
Muskelkrämpfe, Müdigkeit, Kopfschmerzen angegeben. Von besonderer Bedeutung können im vorliegenden
Zusammenhang die ebenfalls als häufige Nebenwirkungen angegebene Thrombose sowie Embolie sein. Wie in dem
Gutachten des MDK N vom 17. April 2003 nachvollziehbar dargelegt wird, besteht bei Tumorpatienten im Vergleich
zur Normalbevölkerung ohnehin ein bereits erhöhtes Risiko für die Entwicklung derartiger Komplikationen. Daher ist zu
fordern, dass in einer doppelblind durchgeführten, Placebo-kontrollierten Phase III-Studie sichergestellt wird, dass
aufgrund dieser Nebenwirkungen nicht eine erhöhte Rate tödlicher thrombotischer oder vaskulärer Komplikationen
verursacht wird, die die Lebenserwartung der Patienten ungünstig beeinflusst.
Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vom Kläger vertretenen Auffassung lässt auch die von der Beigeladenen
zu 1. vorgelegte Zusammenfassung einer Metaanalyse von Berenstein und Ortiz aus dem Jahre 2005 nicht den
Schluss auf die Zulassungsreife von Megestat für die Behandlung von Bronchialkarzinomen zu. In diesem
Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es hier auf die Frage der Zulassungsreife zum Zeitpunkt der
durchgeführten Behandlung ankommt (BSG, Urt. v. 15. Februar 2007, a.a.O., juris Rz. 21, m.w.N.). Maßgebend ist
hier deshalb der Stand der Erkenntnisse in den Jahren 2000 bzw. 2001, während die in Bezug genommene
Metaanalyse erst im Jahre 2005 veröffentlicht wurde. Unabhängig davon belegt die Metaanalyse, dass eine
Zulassungsreife für die Behandlung anderer Krebserkrankungen als die, auf die sich die Zulassung erstreckt, auch im
Jahre 2005 noch nicht gegeben war. Zwar trifft es zu, dass sich die Metaanalyse von Berenstein und Ortiz, die sich
mit 30 Studien auseinandersetzt, auf die Behandlung einer großen Zahl, nämlich über 4.000 Patienten beziehen kann.
Die in dem Gutachten des MDK N vom 17. April 2003 näher begründete Forderung nach zumindest einer
doppelblinden placebokontrollierten Phase III-Studie an einem größeren Patientenkollektiv mit einheitlicher
Vorbehandlung wird damit jedoch nicht erfüllt. Außerdem werden nicht nur Studien ausgewertet, die sich auf Patienten
mit unterschiedlichen Krebserkrankungen beziehen, sondern auch Studien an Patienten mit AIDS und anderen
Erkrankungen. Zwar bestätigt die Analyse von Berenstein und Ortiz die Ergebnisse aus einer Reihe vom Kläger
vorgelegter Untersuchungen, nach der Megestat zu einer Verbesserung bezogen auf Appetit und Gewichtszunahme
bei Krebspatienten führt. Bezogen auf die Frage, ob eine Steigerung der Lebensqualität erreicht werden kann, waren
die Studienergebnisse jedoch auch nach dieser Analyse heterogen. Es gab keine ausreichenden Informationen, um
die optimale Dosis definieren zu können. Vor diesem Hintergrund kommen die Autoren der Metaanalyse zu dem Fazit,
dass Megestat Appetit und Gewichtszunahme bei Patienten mit Krebserkrankungen verbessere, dass aber nicht
allgemein der Schluss auf eine Verbesserung der Lebensqualität gezogen werden könne. Die geringe Zahl der
Patienten, methodische Unzulänglichkeiten und dürftige Berichterstattung hätten es den Autoren nicht ermöglicht,
Megestrolacetat zur Behandlung von Aidspatienten oder Patienten mit anderen zu Grunde liegenden Erkrankungen zu
empfehlen. Auch die von der Beigeladenen zu 1. vorgelegte Zusammenfassung einer Metaanalyse von
Lesniak/Bala/Jaeschke/Krzakowski aus dem Jahre 2008 (Effects of megestrol acetate in patients with cancer
anorexia-cachexia syndrome – a systematic review and meta-analysis) kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis:
Danach konnte eine vorteilhafte Auswirkung der Behandlung mit Megestat auf die gesamte Lebensqualität nicht
bestätigt werden. Wegen der niedrigen Qualität der einbezogenen Studien wird eine neue randomisierte, kontrollierte
Studie für eine valide Beurteilung für erforderlich gehalten.
Gegen die Zulassungsreife von Megestat für die Behandlung von Anorexie und Kachexie bei
Bronchialkrebserkrankungen in den Jahren 2000/2001 spricht auch die Tatsache, dass das Medikament nach der
aktuellen zu dem Medikament herausgegebenen Fachinformation mit Stand von Januar 2009 weiterhin ausschließlich
für die palliative Behandlung fortgeschrittener Mammakarzinome und die palliative Behandlung rezidivierender, hoch
differenzierter Endometriumkarzinome angezeigt ist und dass die Anwendung von Megestat zur Behandlung anderer
neoplastischer Erkrankungen ausdrücklich nicht empfohlen wird. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der vom
Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten umfangreichen Auflistung von Studien. Der Kläger hat nicht konkret
dargelegt, dass sich darunter Studien finden würden, die zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen
bezogen auf Qualität und Wirksamkeit von Megestat in dem neuen Anwendungsgebiet zuließen und aus denen der
Schluss gezogen werden könnte, dass bereits zum Zeitpunkt der Behandlung in den Jahren 2000/2001 Konsens über
den Nutzen von Megestat in dem neuen Anwendungsgebiet bestünde. Dafür bestehen auch sonst keine
Anhaltspunkte.
3. Die Behandlung von Anorexie und Kachexie im Endstadium von (Bronchial-)Krebserkrankungen mit Megestat kann
auch nicht nach den in der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen eines sog. Seltenheitsfalles der
Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterfallen. Als Seltenheitsfall werden Erkrankungsfälle
verstanden, die weltweit nur extrem selten auftreten und die deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen
weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden können und bei denen somit für den
Wirksamkeitsnachweis positive Forschungsergebnisse bzw. einen bestimmten Standard entsprechende
wissenschaftliche Fachveröffentlichungen nicht verlangt werden können (vgl. dazu BSG, Urt. v. 19. Oktober 2004 – B
1 KR 27/02 R, BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1). Wie in dem Gutachten des MDK N vom 17. April 2003
ausgeführt wird und dem fachkundig besetzten Senat auch bekannt ist, handelt es sich bei dem Bronchialkarzinom
um eine häufige Tumordiagnose. Dass im Endstadium derartiger Erkrankungen häufig Appetitlosigkeit und
Gewichtsverlust auftreten und dass es sich dabei nicht um ein weltweit nur extrem selten auftretendes
Krankheitssymptom handelt, ist allgemein bekannt. Etwas anderes ist von dem Kläger auch nicht geltend gemacht
worden.
4. In Übereinstimmung mit der Auffassung des Sozialgerichts geht der Senat davon aus, dass sich der Anspruch der
vom Kläger behandelten Patienten auf Versorgung mit dem Arzneimittel Megestat auch nicht aus der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts zum Erfordernis einer verfassungskonformen Auslegung leistungsbeschränkender
Vorschriften des SGB V ergibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR
4-2500 § 27 Nr. 5). Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem genannten Beschluss vom 6. Dezember 2005
entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem
Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für
dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem
Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich
angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder
auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Das Bundessozialgericht hat diese
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sinngemäß auch auf die Versorgung mit nicht zugelassenen
Arzneimitteln angewandt und die Maßstäbe dabei weiter konkretisiert (vgl. BSG, Urt. v. 4. April 2006 – B 1 KR 7/05 R,
BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4). Danach müssen folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
1) Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. 2) Bezüglich dieser Krankheit
steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. 3)
Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode
besteht eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare
positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. 4) Es liegt kein Verstoß gegen das Arzneimittelrecht vor. 5) Unter
Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes überwiegt bei der vor der Behandlung erforderlichen
sowohl abstrakten als auch speziell auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen
und Risiken der voraussichtliche Nutzen. 6) Die - in erster Linie fachärztliche - Behandlung wird auch im Übrigen den
Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert.
Der Senat ist der Auffassung, dass jedenfalls die unter 3) genannte Voraussetzung nicht vorliegt. Eine "nicht ganz
fern liegende Aussicht auf Heilung" bestand bei den behandelten Patienten nach menschlichem Ermessen auch nach
den Darlegungen des Klägers nicht. Die Behandlung mit Megestat hatte erklärtermaßen nicht die Heilung zum Ziel.
Auch eine Verlängerung der Lebensdauer wird als Behandlungsziel vom Kläger nicht angegeben und die Verlängerung
der Lebensdauer wird auch nicht als Fragestellung in einer der vom Kläger vorgelegten Studien zur Wirksamkeit der
Behandlung mit Megestat formuliert. Vielmehr geht es ausschließlich um die Verbesserung der Lebensqualität der
Patienten in der verbleibenden Lebensspanne. Damit stellt sich die Frage, ob die bezweckte Verbesserung der
Lebensqualität insbesondere in Gestalt einer Appetitsteigerung und damit verbunden einer Gewichtssteigerung als
"spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf" im Sinne der oben unter c) genannten Voraussetzung
angesehen werden kann. Nach Auffassung des Senats ist dies nicht der Fall.
Der Senat verkennt nicht die hohe Bedeutung der Lebensqualität gerade für todkranke Menschen in der Endphase
ihrer Erkrankung. Ob die Voraussetzung der angestrebten "spürbaren positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf"
als erfüllt angesehen werden kann, muss jedoch auch berücksichtigen, dass es hier um die Frage geht, ob eine
Konstellation vorliegt, in der eine grundrechtsorientierte, erweiternde Auslegung der Vorschriften des Rechts der
gesetzlichen Krankenversicherung geboten ist. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts setzt dies das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr
gekennzeichneten individuellen Notlage (BVerfG, Beschl. vom 30. Juni 2008 – 1 BvR 1665/07, juris Rz. 10) bzw. einer
notstandsähnlichen Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik
voraus, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist (BSG, Urt. v. 14.
Dezember 2006 - B 1 KR 12/06, SozR 4-2500 § 31 Nr. 8, juris Rz. 20). Eine damit vergleichbare Situation besteht bei
der Behandlung von Patienten mit Arzneimitteln, die nicht die Lebenserhaltung, sondern ausschließlich die Erhaltung
der Lebensqualität zum Ziel haben, nach Auffassung des Senats nicht.
a) Dass an das Vorliegen einer notstandsähnlichen Situation hohe Anforderungen zu stellen sind, findet seinen
Ausdruck bereits in der Voraussetzung, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung
vorliegen muss. Dabei verlangt das Bundessozialgericht, dass nach den Umständen des Falles ein voraussichtlich
tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit droht
oder dass der Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder einer herausgehobenen Körperfunktion akut droht (vgl.
BSG, Urt. v. 5. Mai 2009 – B 1 KR 15/08 R, zur Veröffentlichung vorgesehen für SozR 4, Rz. 15, m. w. N.). Das
Vorliegen dieser Voraussetzung und damit einer notstandsähnlichen Situation hat das Bundessozialgericht z.B. bei
einem Prostatakarzinom im Anfangsstadium (BSG, Urt. v. 4. April 2006 B 1 KR 12/05 R, SozR 4-2500 § 27 Nr. 8), bei
massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen durch ein
Restless-Legs-Syndrom (BSG, Urt. v. 26. September 2006 B 1 KR 14/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 6), bei der
Behandlung eines Schmerzsyndroms (BSG, Urt. v. 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R) oder bei der Behandlung von
multipler Sklerose im Hinblick auf den langen, verzögerten Krankheitsverlauf (BSG, Urt. v. 27. März 2007 - B 1 KR
17/06 R) verneint. Entsprechendes gilt bei einer drohenden Erblindung in 20 bis 30 Jahren (BSG, Beschl. v. 26.
September 2006 - B 1 KR 16/06 B). Damit hat das Bundessozialgericht auch bei Behandlungen, die große Bedeutung
für die Lebensqualität der Patienten haben können, eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach
den Vorgaben aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 abgelehnt.
b) Von den o.g. durch das Bundessozialgericht entschiedenen Fallgestaltungen unterscheidet sich die vorliegende
dadurch, dass die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung der behandelten Patienten, die inzwischen auch verstorben
sind, außer Zweifel steht. Allerdings ging es hier bei der durchgeführten Behandlung mit dem für den
Anwendungsbereich nicht zugelassenen Arzneimittel Megestat von vornherein nicht um die Lebenserhaltung oder
zumindest Verzögerung des Krankheitsverlaufs, sondern ausschließlich um die Behandlung eines
Krankheitssymptoms, nämlich der Appetitlosigkeit und damit verbunden der Tumorkachexie. Die Hoffnung auf Heilung
oder auch nur der Verzögerung des Krankheitsverlaufs in Gestalt einer Verlängerung des Lebens der Patienten war
damit nicht verbunden. Dies wäre nach Auffassung Senats jedoch erforderlich, um das Vorliegen einer
notstandsähnlichen Situation annehmen zu können. Davon geht soweit ersichtlich auch das Bundessozialgericht in
der Tomudex-Entscheidung aus (BSG, Urt. v. 4. April 2006, a.a.O., juris Rz. 31; a.A. jedoch ausdrücklich Zuck,
MedR 2009, 256 ff, 262), indem es im Zusammenhang mit der Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht der
Behandlung prüft, ob "zumindest eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs hätte erreicht werden können." Die
Situation der vom Kläger behandelten Patienten war nicht mit der von Patienten vergleichbar, die mit der Verwendung
eines nicht zugelassenen Arzneimittels die letzte Hoffnung auf Rettung aus einer unmittelbar lebensbedrohlichen
Situation verbinden. Nur in dieser Situation ist die vom Bundessozialgericht (vgl. Urt. v. 4. April 2006, a. a. O., juris
Rz. 40) befürwortete Differenzierung im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade in dem Sinne zu rechtfertigen,
dass " je schwerwiegender die Erkrankung und ’hoffnungsloser’ die Situation, desto geringere Anforderungen an die
’ernsthaften Hinweise’ auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg " zu stellen sind. Während bei der
Behandlung schwerwiegend erkrankter Menschen, die die berechtigte Hoffnung auf letzte Rettung aus einer nahezu
aussichtslos erscheinenden Situation haben, auch höhere Risiken bei dem Einsatz eines für die konkrete Anwendung
nicht zugelassenen Medikaments akzeptabel sein mögen, wenn auch nur "ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz
entfernt liegenden Behandlungserfolg" in Gestalt einer Heilung oder wenigstens Verzögerung des Krankheitsverlaufs
bestehen, kann dies nach Auffassung des Senats nicht in gleicher Weise für die Behandlung von
Krankheitssymptomen mit dem alleinigen Ziel der Verbesserung der Lebensqualität und ohne Aussicht auf Heilung
oder Verzögerung des Krankheitsverlaufs gelten. Dies wird gerade bei der hier angestrebten Behandlung von
Appetitlosigkeit und Kachexie bei Patienten mit Krebserkrankungen deutlich. Die vorliegenden Studien haben sich mit
der Frage, ob eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs in Gestalt einer Lebensverlängerung durch die Behandlung mit
Megestat erreicht werden kann, von vornherein nicht befasst oder keinen positiven Effekt feststellen können.
Allerdings geben sie Hinweise darauf, dass eine Verbesserung von Appetit und Gewichtszunahme zu erreichen ist.
Ein eindeutiger Beleg dafür, dass damit auch eine Steigerung der Lebensqualität verbunden war, fehlt dagegen. Umso
stärker fallen vor dem Hintergrund des Behandlungsziels (Erhöhung der Lebensqualität) die Nebenwirkungen ins
Gewicht, die nicht nur die Lebensqualität (häufiges Auftreten von Übelkeit/Erbrechen, Diarrhoe, Sodbrennen, u. a.),
sondern die auch die Lebenserwartung der Patienten ungünstig beeinflussen können. In diesem Zusammenhang sind
die bei der Anwendung von Megestat häufig auftretenden thromboembolischen und vaskulären Komplikationen von
besonderer Bedeutung.
c) Die hier vorgenommene Auslegung dahin, dass die Behandlung der Heilung oder einer spürbaren positiven
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf mit dem Ziel einer Verlängerung der Lebensdauer dienen muss, vermeidet, dass
bei der ambulanten Palliativversorgung von Versicherten mit einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit
fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung (vgl. § 37b Abs. 1 Satz 1 SGB V) das
Erfordernis der Zulassung der angewandten Arzneimittel weitgehend an Bedeutung verliert. Dabei geht der Senat
davon aus, dass gerade lebensbedrohlich erkrankte Versicherte mit begrenzter Lebenserwartung nicht inakzeptablen
und unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt werden dürfen. Der Vermeidung dieser Risiken dient gerade die
arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität. Deshalb geht der Senat mit dem BSG (vgl.
Urt. v. 28. Februar 2008, a.a.O., Rz. 33) davon aus, dass Ausnahmen vom Zulassungserfordernis der verordneten
Arzneimittel nur in engen Grenzen aufgrund einer Güterabwägung anerkannt werden können. Diese Grenzen würden
überschritten, wenn das Zulassungserfordernis für verordnete Arzneimittel in der gesamten Palliativversorgung
erheblich an Bedeutung verlieren würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig,
weil diese sich nicht durch die Stellung eigener Sachanträge an dem Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt haben (§
162 Abs. 3 in Verbindung mit § 154 Abs. 3 VwGO).
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Frage,
ob eine notstandsähnliche Situation bei der palliativen Behandlung von Versicherten mit begrenzter Lebenserwartung
in Betracht kommt, wenn die Behandlung allein die Steigerung der Lebensqualität, nicht dagegen eine Beeinflussung
des Krankheitsverlaufs im Sinne wenigstens einer Verzögerung oder gar eine Heilung bezweckt, ist in der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, soweit ersichtlich, bisher nicht geklärt.
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