Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 13.03.2009

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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 13.03.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Kiel S 18 P 44/07
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 10 P 10/08
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 15. Juli 2008 wird zurückgewiesen. Die
Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines finanziellen Zuschusses für eine Maßnahme zur Verbesserung des
individuellen Wohnumfeldes der Klägerin (§ 40 Abs. 4 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XI]).
Die 1932 geborene Klägerin, die bei der Beklagten versichert ist, befand sich nach einer stationären Behandlung vom
8. Februar 2007 bis zum 7. März 2007 in Kurzzeitpflege. Seit dem 1. März 2007 ist sie Mieterin einer Wohnung in dem
Haus L B in K. Vermieterin ist die Ka GmbH & Co. KG, vertreten durch die Kb m.b.H ... In § 16 des abgeschlossenen
Mietvertrages heißt es, dem Mieter sei bekannt, dass er eine Wohnung in einer Altenwohnanlage miete, in der die
Arbeiterwohlfahrt (AWO) K eine Service-Einrichtung betreibe; es handele sich um ein sogenanntes Servicehaus.
Diejenigen Mieter, die eine Wohnung in diesem Haus bezögen, seien verpflichtet, die Serviceleistungen der AWO in
Anspruch zu nehmen und mit ihr einen Betreuungsvertrag abzuschließen.
Die Klägerin bezieht von der Beklagten Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I. Am 9.
Februar 2007 beantragte ihr Sohn für sie die Gewährung eines Zuschusses zum barrierefreien Badumbau als
Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes nach § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI. Beigefügt war eine
für "diverse Belegenheiten" erstellte Baubeschreibung der Kb m.b.H. vom Oktober 2006. Die Umbauarbeiten wurden
im Februar 2007 - vor dem Einzug der Klägerin - durchgeführt. Mit Bescheid vom 9. Juli 2007 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2007 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Zuschusses ab. Sie nahm
auf die Anmerkung in dem Gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 10. Oktober
2002, zuletzt geändert am 16. November 2004, zu § 40 SGB XI Bezug und führte aus, dass danach Maßnahmen zur
Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes in der Wohnung des Pflegebedürftigen oder in dem Haushalt, in dem er
aufgenommen worden sei, in Betracht kämen. Entscheidend sei, dass es sich um den auf Dauer angelegten,
unmittelbaren Lebensmittelpunkt des Pflegebedürftigen handele. In Alten- und Pflegeheimen sowie in
Wohnungseinrichtungen, die vom Vermieter gewerbsmäßig nur an Pflegebedürftige vermietet würden, liege eine
Wohnung bzw. ein Haushalt in diesem Sinne nicht vor. Aus § 16 des von der Klägerin abgeschlossenen Mietvertrages
gehe hervor, dass es sich vorliegend um eine Wohneinrichtung handele, die vom Vermieter gewerbsmäßig nur an
Pflegebedürftige vermietet werde. Eine Bezuschussung könne deshalb nicht erfolgen.
Die Klägerin hat am 31. Oktober 2007 bei dem Sozialgericht Kiel Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt: Die
Beklagte habe ihre Eintrittspflicht fehlerhaft verneint und damit ihr Ermessen falsch ausgeübt. Zum einen sei das
zitierte Rundschreiben der Spitzenverbände nicht maßgeblich; als gesetzesvertretende allgemeine Richtlinie sei es
wegen Verstoßes der von den Spitzenverbänden als Rechtsgrundlage herangezogenen Vorschrift des § 78 Abs. 2
Satz 1 SGB XI gegen Art. 84 Abs. 2 Grundgesetz (GG) nichtig. Zum anderen habe die Beklagte verkannt, dass es
sich bei ihrer - der Klägerin - Wohnung um ihren auf Dauer angelegten unmittelbaren Lebensmittelpunkt handele.
Unzutreffend sei auch die Annahme, dass ihre Vermieterin die Wohnungen nur an Pflegebedürftige vermiete. Zumeist
entschieden sich "junge Alte" (ab 60 Jahre) für ein Wohnen in dem Gebäudekomplex L B , um in späteren Jahren
einen weiteren Umzug in ein Pflegeheim zu vermeiden. Wohnraumanpassungsmaßnahmen würden dann von dem
jeweiligen Mieter in Eigenregie nach Bedarf durchgeführt. Nur bei erheblichen baulichen Veränderungen - wie im
vorliegenden Fall - schalte sich die Vermieterin ein und übernehme die Umsetzung der Maßnahme. Die
Voraussetzungen von § 40 Abs. 4 SGB XI seien hier erfüllt; bei dem Badumbau handele es sich um eine Maßnahme
zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes. Durch die Umbaumaßnahme werde die häusliche Pflege
erleichtert und eine möglichst selbständige Lebensführung des Pflegebedürftigen im Sinne von § 40 Abs. 4 SGB XI
wiederhergestellt. Der Wortlaut der Vorschrift stelle nicht darauf ab, ob sich die vom Versicherten angemietete
Wohnung in einem Servicehaus oder anderenorts befinde. Auch bei teleologischer Auslegung der Vorschrift stehe der
Umstand, dass die Wohnung sich in einem sogenannten Servicehaus befinde, der Bezuschussung nicht entgegen.
Sinn und Zweck der Norm sei es, die selbständige Lebensführung des Pflegebedürftigen soweit wie möglich
wiederherzustellen bzw. zu erhalten, um es dem Pflegebedürftigen zu ermöglichen, möglichst lange in einem
individuellen Wohnumfeld zu verbleiben. Dieses Ziel werde hier unabhängig davon erreicht, dass in dem Servicehaus
auch Pflegepersonal eingesetzt sei. Zu letzterem sei klarstellend darauf hinzuweisen, dass die Dienstleistungen der
AWO sich nicht auf Pflegemaßnahmen bezögen. Vielmehr gehe es vorrangig um eine besetzte Notrufanlage und
Hilfen bei Besorgungen und Behördengängen. Teilstationäre Dienstleistungen oder Tagespflege würden von der AWO
lediglich vermittelt.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2007
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu
bescheiden.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie den Inhalt der angefochtenen Bescheide weiter vertieft und ausgeführt, dass die von den
Spitzenverbänden auf der Grundlage von § 78 Abs. 2 Satz 1 SGB XI getroffenen Regelungen weit auszulegen seien.
Denn die Spitzenverbände hätten sicherstellen wollen, dass gewerbliche Vermieter nicht auf Kosten der
Pflegeversicherung den benötigten Wohnraum für ihre Klientel schaffen oder herrichten. Eine Ausschließlichkeit der
Vermietung an Pflegebedürftige sei deshalb nicht zu fordern. Vorliegend ziele die vertragliche Verpflichtung, neben
dem Mietvertrag einen Betreuungsvertrag abzuschließen, eindeutig darauf ab, den Wohnraum solchen Mietern zu
überlassen, bei denen sofort oder in absehbarer Zeit ein Fremdhilfebedarf gegeben oder zu erwarten sei. Die
Auffassung der Klägerin, wonach das Rundschreiben der Spitzenverbände nichtig sei, teile sie - die Beklagte - nicht.
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) akzeptiere dieses Rundschreiben als eine der einheitlichen
Rechtsauslegung der Pflegekassen dienende, nach innen gerichtete Rechtsnorm. Zwar seien die Gerichte nicht an die
Rechtsauslegung des Rundschreibens gebunden; ihr - der Beklagten - sei jedoch vorliegend keine andere als die
getroffene Entscheidung möglich.
Nach mündlicher Verhandlung am 15. Juli 2008 hat das Sozialgericht der Klage mit Urteil vom selben Tage stattgeben
und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zulässig und begründet. Der Bescheid vom 9. Juli
2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2007 sei ermessensfehlerhaft. Es liege ein Fall
des Ermessensfehlgebrauchs vor. Wenn die Beklagte sich auf das Gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände
der Pflegekassen beziehe, sei das im Grundsatz nicht zu beanstanden. Die Kammer habe aber schon Zweifel, ob hier
überhaupt eine Wohneinrichtung vorliege, die gewerbsmäßig nur an Pflegebedürftige vermietet werde.
Pflegebedürftigkeit sei nach dem Mietvertrag keine Voraussetzung für die Anmietung. Auch ließen die vom Mieter in
Anspruch zu nehmenden "Regeldienstleistungen" der AWO nicht erkennen, dass es sich dabei um Dienstleistungen
ausschließlich für Pflegebedürftige handele. Doch selbst wenn der Vermieter gewerbsmäßig nur an Pflegebedürftige
vermieten würde, liege bei den Servicehäusern der AWO gleichwohl eine eigene Wohnung bzw. ein eigener Haushalt
des Pflegebedürftigen vor. Die Servicehäuser unterlägen nicht dem Heimgesetz. Ein vom Vermieter vorzuhaltender
baulicher Mindeststandard sei nicht vorgeschrieben. Zwar möge es zutreffen, dass nach dem Auszug eines Mieters
eine Wohnung mit einem barrierefreien Bad besser zu vermieten sei und damit der Vermieter einen gewissen
finanziellen Vorteil erlange. Andererseits würden aber auch den Pflegekassen langfristig Aufwendungen erspart, wenn
in Wohnungen, die bereits mit einem barrierefreien Bad ausgestattet seien, wiederum Pflegebedürftige einzögen. Denn
pflegebedürftige Nachmieter würden insoweit einen Antrag auf einen Zuschuss nach § 40 Abs. 4 SGB XI gar nicht
mehr stellen.
Gegen das ihr am 29. Juli 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 22. August 2008 bei dem Schleswig-
Holsteinischen Landessozialgericht eingelegte Berufung der Beklagten. Zur Begründung wiederholt sie sinngemäß ihr
bisheriges Vorbringen und macht ergänzend geltend: Das Sozialgericht habe sich im Wesentlichen darauf gestützt,
dass - wie die Klägerin vorgetragen habe - eine Vermietung der Wohnräume innerhalb des Betreuten Wohnens nicht
ausschließlich gewerbsmäßig an Pflegebedürftige erfolge und damit die Voraussetzungen zur Bezuschussung im
Rahmen der wohnumfeldverbessernden Maßnahmen gegeben seien. Eine Ausschließlichkeit werde aber auch nicht
gefordert; anderenfalls wäre es zur Umgehung möglich, nur eine von mehreren Wohneinheiten an eine nicht
pflegebedürftige Person zu vermieten. Die vertragliche Regelung des Servicehauses ziele vielmehr eindeutig darauf
ab, den Wohnraum solchen Mietern zu überlassen, bei denen sofort oder in absehbarer Zeit ein Fremdhilfebedarf
gegeben oder zu erwarten sei. Soweit das Sozialgericht ausgeführt habe, dass zwar beim Auszug eines Mieters
insoweit ein gewisser finanzieller Vorteil beim Vermieter eintreten könne, als eine renovierte barrierefreie Wohnung
leichter zu vermieten sei, die Pflegekassen jedoch andererseits Aufwendungen sparen würden, wenn in solche
Wohnung wieder Pflegebedürftige einzögen, sei das als Begründung des erstinstanzlichen Urteils nicht
nachvollziehbar. Denn § 40 Abs. 4 SGB XI knüpfe ausdrücklich an das individuelle Wohnumfeld des Versicherten an;
eine generelle Bezuschussung von Umbaumaßnahmen zur Verbesserung des allgemeinen Wohnumfeldes
widerspreche der Intention des Gesetzes. Dass die Klägerin, die erst am 1. März 2007 in die Wohnung eingezogen
sei, einen an die Kb adressierten Kostenvoranschlag vom 12. Oktober 2006 vorgelegt habe, bestätige den Eindruck,
dass die Kosten für eine schon im Vorwege geplante Renovierung unrechtmäßig zu Lasten der Pflegekasse erfolgen
solle. Unabhängig von Vorstehendem habe das Sozialgericht verkannt, dass eine Überprüfung des von ihr ausgeübten
Ermessens nur dahingehend erfolgen dürfe, ob alle wesentlichen Umstände beachtet worden seien. Keinesfalls habe
das Sozialgericht an ihrer Stelle eine eigene Ermessensentscheidung treffen dürfen. Insgesamt sei sie weiterhin von
der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide überzeugt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 15. Juli 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie stützt das angefochtene Urteil und nimmt Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen, dessen Inhalt sie weiter vertieft.
Dem Senat haben die Gerichtsakten einschließlich der die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten
vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird
hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat
der Klage zu Recht stattgegeben. Denn der Bescheid vom 9. Juli 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 1. Oktober 2007 ist rechtswidrig. Die Beklagte durfte eine Zuschussgewährung nicht allein wegen der Belegenheit
der Wohnung der Klägerin in einem sog. Servicehaus der AWO versagen.
Rechtsgrundlage des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs ist § 40 Abs. 4 SGB XI in der seit dem 1.
Januar 2002 geltenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 23. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2702). Danach können
die Pflegekassen subsidiär finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes
des (versicherten) Pflegebedürftigen gewähren, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt, wenn dadurch im
Einzelfall die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbständige Lebensführung
des Pflegebedürftigen wiederhergestellt wird (Satz 1). Die Zuschüsse dürfen einen Betrag von 2.557 EUR je
Maßnahme nicht übersteigen (Satz 3). Die Gewährung steht im Ermessen der Pflegekassen; auf pflichtgemäße
Ermessensausübung besteht ein Anspruch (§ 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I]).
Zu der Frage, ob der barrierefreie Badumbau die Leistungsvoraussetzungen im Sinne einer Beeinflussung der
Pflegesituation der Klägerin erfüllt, hat die Beklagte sich in den angefochtenen Bescheiden nicht im Einzelnen
geäußert. Nach den Ergebnissen der vorliegenden MDK-Gutachten hat der Senat allerdings keine Zweifel daran, dass
die Maßnahme die häusliche Pflege erheblich erleichtert bzw. eine möglichst selbständige Lebensführung der Klägerin
wiederhergestellt hat. Hierüber streiten die Beteiligten auch nicht; in der Berufungsverhandlung hat die Vertreterin der
Beklagten auch ausdrücklich erklärt, dass die Beklagte die Erforderlichkeit der Maßnahme zur Verbesserung des
individuellen Wohnumfeldes nicht bestreite. Zu weiteren Ausführungen besteht insoweit kein Anlass.
Die Beklagte hat eine Bezuschussung allein mit der Begründung abgelehnt, dass die Maßnahme sich nicht auf die
Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes der Klägerin beziehe. Dies ist rechtsfehlerhaft. Die Frage, ob das
individuelle Wohnumfeld der Klägerin betroffen ist, unterliegt auch nicht dem Ermessen der Beklagten; vielmehr
handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der Überprüfung durch das Gericht unterliegt (vgl. so zum
Begriff "Maßnahme zur Verbesserung des Wohnumfeldes" BSG, Urteil vom 3. Januar 1999, B 3 P 3/99 R, SozR 3-
3300 § 40 Nr. 1). Hiervon zu trennen ist allerdings die Frage, ob die Beklagte selbst bei einer Betroffenheit des
individuellen Wohnumfeldes im Sinne von § 40 Abs. 4 SGB XI in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens eine
Zuschussgewährung ablehnen kann. Hierüber wird die Beklagte noch zu entscheiden haben.
Das individuelle Wohnumfeld ist betroffen, wenn es sich um eine Maßnahme in der Wohnung des Pflegebedürftigen
oder zumindest in dem Haushalt, in den er aufgenommen ist und in dem er gepflegt werden soll, handelt (Leitherer in
Kasseler Kommentar, § 40 Rz 35). Die Regelung des § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI beschränkt sich allerdings nach der
Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, nicht darauf, dass nur der behindertengerechte Umbau der von dem
Pflegebedürftigen bereits bewohnten, normal ausgestatteten Wohnung bezuschusst werden kann; denn der Sinn und
Zweck der Vorschrift liegt nicht allein in der finanziellen Hilfe zum Verbleib in der vorhandenen Wohnung bzw. in der
gewohnten Umgebung. Die Vorschrift ist vielmehr dahin auszulegen, dass es sich um eine Hilfe der sozialen
Pflegeversicherung zur Vermeidung von Pflege in einem Pflegeheim handelt. Die Regelung ist Ausdruck des
allgemeinen Vorrangs der häuslichen Pflege vor der stationären Pflege (§ 3 SGB XI) und des Grundsatzes, dass die
Leistungen der Pflegeversicherung dem Pflegebedürftigen helfen sollen, trotz des Pflegebedarfs ein möglichst
selbständiges und selbstbestimmtes Leben führen zu können (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB XI), und dass die Pflegekassen
bei der Leistungsgewährung den Wünschen des Berechtigten im Rahmen der Angemessenheit und Wirtschaftlichkeit
nach Möglichkeit entsprechen sollen (§ 2 Abs. 2 und 3 SGB XI sowie § 33 SGB I). Der Begriff des "individuellen
Wohnumfeldes" des Pflegebedürftigen ist daher nicht auf die vorhandene Wohnung (Mietwohnung, Eigentumswohnung
oder Eigenheim) begrenzt, sondern umfasst - in Abgrenzung zum dauerhaften Aufenthalt in einer stationären
Einrichtung - jedes Wohnen in einem privaten häuslichen Bereich (BSG, Urteil vom 26. April 2001, B 3 P 24/00 R,
SozR 3-3300 § 40 Nr. 5).
Nach diesen Maßstäben hindert der Umstand, dass die Klägerin eine Wohnung im sog. Servicehaus der AWO
bewohnt, eine Zuschussgewährung nicht bereits auf tatbestandlicher Ebene; vielmehr betrifft die in Rede stehende
Maßnahme das individuelle Wohnumfeld der Klägerin. Denn die Klägerin bewohnt - wie auch der Vertrag mit der Ka
GmbH & Co KG belegt - eine private Mietwohnung. Dass es sich - wie auch in § 16 des Mietvertrages ausdrücklich
erwähnt - um eine Wohnung in einer Altenwohnanlage handelt, in der die AWO eine Service-Einrichtung betreibt,
ändert hieran zur Überzeugung des Senats nichts. Zwar bietet die AWO dort einen Grund- und einen Wahlservice an,
der die Wohnanlage allerdings nicht zu einem Pflegeheim macht. Die AWO beschreibt ihr Angebot in einer Internet-
Veröffentlichung (www.awo-pflege-sh.de) dahingehend, dass sie das Betreute Wohnen für Senioren weiterentwickelt
und eine neue Form des Wohnens geschaffen habe, nämlich das Wohnen mit Service/Servicehaus. Die Bewohner
könnten dort vielfältige Angebote und Fachkompetenz genießen und gleichzeitig selbstbestimmt und unabhängig in
einer eigenen Wohnung leben. Der Service, der den Häusern den Namen gebe, richte sich nach der Persönlichkeit und
den Bedürfnissen jedes einzelnen Mieters. Die AWO helfe und unterstütze, wenn die Kräfte durch Krankheit oder Alter
eingeschränkt seien. Der Grundservice, dessen Leistungen in einer monatlichen Servicepauschale inklusive seien,
umfasse u.a. eine Notrufanlage sowie Hilfen bei kleineren Einkäufen, Besorgungen und Behördenangelegenheiten.
Daneben gebe es einen Wahlservice, der über den Grundservice hinausgehe und individuell wählbare Dienstleistungen
wie Reinigung der Mietwohnung und der Wäsche, Teilnahme an Mahlzeiten und Pflegesachleistungen in der eigenen
Häuslichkeit bis zum Lebensende - rund um die Uhr - umfasse.
Bei der von der Klägerin in Anspruch genommenen Wohnform des Betreuten Wohnens handelt es sich nicht um den
dauerhaften Aufenthalt in einer stationären Einrichtung; vielmehr steht die selbstbestimmte und aktive
Lebensgestaltung in der selbst genutzten Mietwohnung im Vordergrund. Nach den Maßstäben der zitierten
Rechtsprechung des BSG muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die Maßnahme das individuelle
Wohnumfeld der Klägerin betrifft.
Eine andere Auslegung des Begriffs "individuelles Wohnumfeld" ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten
herangezogenen Gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 10. November 2002 in der
Fassung der Änderung vom 16. November 2004, in dem es heißt, Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen
Wohnumfeldes kämen in der Wohnung des Pflegebedürftigen oder in dem Haushalt, in den er aufgenommen worden
sei, in Betracht. Entscheidend sei, dass es sich um den auf Dauer angelegten, unmittelbaren Lebensmittelpunkt des
Pflegebedürftigen handele. In Alten- und Pflegeheimen sowie Wohneinrichtungen, die vom Vermieter gewerbsmäßig
nur an Pflegebedürftige vermietet würden, liege eine Wohnung/ein Haushalt in diesem Sinne nicht vor.
Gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 SGB XI regeln die Spitzenverbände der Pflegekassen (heute: der Spitzenverband Bund
der Pflegekassen) mit Wirkung für ihre Mitglieder das Nähere zur Bemessung der Zuschüsse für Maßnahmen zur
Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes der Pflegebedürftigen nach § 40 Abs. 4 Satz 2. Abgesehen davon,
dass § 78 Abs. 2 Satz 1 SGB XI nicht auf § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI Bezug nimmt und sich nur auf die Bemessung
der Zuschüsse, nicht aber auf deren Anspruchsvoraussetzungen bezieht, ist damit indessen nicht die Befugnis
verbunden, unbestimmte Rechtsbegriffe der anspruchsbegründenden Norm - hier: den Begriff des individuellen
Wohnumfeldes - in allgemeinverbindlicher Weise einzuschränken. Ebenso wie der in § 78 Abs. 2 Satz 2 SGB XI
enthaltene Auftrag zur Erstellung eines Hilfsmittelverzeichnisses die Spitzenverbände nicht befugt, Ansprüche der
Pflegebedürftigen einzuschränken (vgl. dazu BSG, Urteil vom 15. November 2007, B 3 P 9/06 R, SozR 4-3300 § 40
Nr. 7), ermächtigt auch die in § 78 Abs. 2 Satz 1 SGB XI enthaltene Regelung die Spitzenverbände nur, zur
Bemessung der Zuschüsse eine für die Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe zu schaffen. Unabhängig hiervon
liegt hier im Sinne des Rundschreibens weder ein Alten- oder Pflegeheim im herkömmlichen Sinne noch eine
Wohneinrichtung vor, die vom Vermieter gewerbsmäßig nur an Pflegebedürftige vermietet wird.
Soweit die Beklagte in Anlehnung an den Inhalt des Rundschreibens und in Ausübung des ihr zustehenden
Ermessens Unterkunftsarten wie die vorliegende generell von einer Zuschussgewährung ausnehmen will, ist die
Entscheidung ermessensfehlerhaft, weil die Beklagte - wie sich aus Vorstehendem ergibt - ihr Ermessen nicht
entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt hat (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Darüber hinaus hat sie
verkannt, dass für eine Zuschussversagung im Wege der Ermessensausübung stets die Umstände des Einzelfalles
maßgeblich sind (vgl. allg. Leitherer a.a.O. § 40 Rz 35). Den Einzelfallumständen hat die Beklagte jedoch hier keine
erkennbare Bedeutung beigemessen, indem sie ohne weitere Prüfung den Inhalt des Gemeinsamen Rundschreibens
übernommen und das von der Klägerin in Anspruch genommene Betreute Wohnen einem Altenheim in dem darin
erwähnten Sinne gleichgesetzt hat.
Das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsbegründung deutet darauf hin, dass sie sich letztlich dagegen wehrt, zu
den Kosten einer vom Vermieter generell geplanten Wohnungsmodernisierung - losgelöst vom Einzelfallbedarf ihrer
Versicherten - herangezogen zu werden. Der Umstand, dass die Klägerin ihrem Zuschussantrag im Februar 2007
Unterlagen über einen barrierefreien Badumbau aus dem Oktober 2006 für diverse Belegenheiten beigefügt hat, in
denen die Kb m.b.H. als Auftraggeber benannt war, könnte in diesem Sinne Hinweis auf eine missbräuchliche
Inanspruchnahme sein. Andererseits setzt jede Zuschussgewährung nach § 40 Abs. 4 SGB XI das Erfüllen der
tatbestandlichen Voraussetzungen in der Person des Hilfebedürftigen voraus, was wiederum gegen eine
missbräuchliche Inanspruchnahme schützen dürfte. Insoweit mag die Beklagte bei einer erneuten
Ermessensentscheidung eine Abwägung vornehmen, der der Senat im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits nicht
vorgreifen kann.
Die Ermessensfehlerhaftigkeit des Versagungsbescheides kann nicht im gerichtlichen Verfahren geheilt werden, weil
ein Nachschieben von Gründen bei Ermessensentscheidungen grundsätzlich unzulässig ist (vgl. Keller in Meyer-
Ladewig/ Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl. § 54 Rz 36; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, K § 41 Rz 11).
Nach allem kann die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Der Senat hat angesichts der vorliegenden BSG-Rechtsprechung zum Begriff des individuellen Wohnumfeldes im
Sinne von § 40 Abs. 4 SGB XI keinen Anlass gesehen, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen.