Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 27.04.2009

LSG Shs: gerichtshof für menschenrechte, wirksamer rechtsbehelf, vorhersehbarkeit, ausnahme, rechtsgrundlage

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Beschluss vom 27.04.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Schleswig S 9 AS 109/09
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 11 B 45/09 AS
Die Untätigkeitsbeschwerde des Antragstellers wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Gründe:
Die am 2. März 2009 von dem Antragsteller erhobene Beschwerde wegen Untätigkeit im
Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren zu dem Klageverfahren S 9 AS 109/09 ist mangels Rechtsgrundlage
unzulässig.
Nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) findet die Beschwerde an das Landessozialgericht gegen die
Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser
Gerichte statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. Eine solche beschwerdefähige Entscheidung des
Sozialgerichts liegt bisher nicht vor. Rechtsmittel gegen ein "Nichtentscheiden" sieht § 172 SGG nicht vor. Weitere
gesetzliche Rechtsgrundlagen existieren nicht.
Die Untätigkeitsbeschwerde kann auch nicht durch richterrechtliche Rechtsfortbildung entwickelt oder begründet
werden. Mit ihr wäre im Ergebnis ein außerordentlicher Rechtsbehelf geschaffen, dessen Voraussetzung und
Folgewirkung unklar wären und der deshalb den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Rechtsmittelklarheit nicht
genügen würde. Das ist sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) als auch nach der
des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeschlossen. Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und
Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns gebietet es nämlich, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung
gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen (BVerfG, Beschl. v. 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107,
395). Die rechtliche Ausgestaltung des Rechtsmittels soll dem Bürger die Prüfung ermöglichen, ob und unter welchen
Voraussetzungen es zulässig ist, welche Ziele er damit erreichen kann und wie er vorgehen muss. Es verstößt
deshalb gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen der Rechtsmittelklarheit, wenn von der Rechtsprechung
außerordentliche Rechtsbehelfe außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffen werden, um tatsächliche oder
vermeintliche Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen (BVerfG, Beschl. v. 16. Januar 2007 – 1 BvR
2803/06; BSG, Beschl. v. 6. Februar 2008 – B 6 KA 61/07 B, m. w. N.). Im Übrigen hat auch der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 8. Juni 2006 (NJW 2006, 2389) entschieden, dass eine lediglich
richterrechtlich begründete außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde kein wirksamer Rechtsbehelf gegen eine
überlange Verfahrensdauer ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
- - - Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Richter am Landes- sozialgericht Richter am Landes- sozialgericht