Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 14.08.2009

LSG Shs: eintritt des versicherungsfalles, arbeitsentgelt, gewerbe, bemessungszeitraum, rahmenfrist, arbeitsamt, entstehung, erziehungszeit, firma, leistungsfähigkeit

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 14.08.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Itzehoe S 2 AL 209/04
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 3 AL 6/09
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 7. November 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin zustehenden Arbeitslosengeldes (Alg).
Die 1963 geborene verheiratete Klägerin stand seit dem 18. August 1980 in einem Beschäftigungsverhältnis als
Bürokauffrau bei der Firma H P in Ha. Vom 13. Mai 2000 bis zum 16. September 2000 bezog sie Mutterschaftsgeld
und anschließend bis zum 16. Dezember 2000 Erziehungsgeld. In der anschließenden Erziehungszeit bis 16. Juni
2003 bezog die Klägerin wegen anzurechnenden Ehegatteneinkommens keine Leistungen. Das Arbeitsverhältnis
wurde am 5. Mai 2003 zum 17. Juni 2003 durch Aufhebungsvertrag beendet. Hintergrund war, dass die Klägerin nach
Beendigung ihrer Elternzeit ab dem 17. Juni 2003 wegen der Pflege und Versorgung ihres am 17. Juni 2000 geborenen
Kindes nur noch in Teilzeit hätte arbeiten wollen; für eine solche Teilzeitbeschäftigung bestand in dem Betrieb keine
Möglichkeit.
Am 3. Juni 2003 meldete die Klägerin sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. Dabei gab sie an, wegen
der Betreuung ihres Kindes wöchentlich höchstens 20 Stunden jeweils in der Zeit von 13.00 bis 17.00 Uhr arbeiten zu
können. In einem Aktenvermerk der Beklagten (Bl. 28 der Verwaltungsvorgänge) werden als von der Klägerin
gewünschte Tätigkeiten und realisierbare Alternativen beschrieben:
"Tätigkeit in Kundenbetreuung, Kassiererin, Bürokauffrau z.B. im Ein- und Verkauf, Buchhalterin, offen für andere
Tätigkeiten, da der Verdienst momentan im Vordergrund steht".
Mit Bescheid vom 19. August 2003 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 25. und 29. September 2003
bewilligte die Beklagte ihr Alg für 360 Kalendertage ab dem 17. Juni 2003 auf der Grundlage eines
Bemessungsentgelts von wöchentlich 879,42 EUR (gerundet 880,00 EUR). Die Leistungshöhe betrug wöchentlich
215,74 EUR (Leistungsgruppe D, erhöhter Leistungssatz [67%]). Für das Bemessungsentgelt ging die Beklagte von
einem im Groß- und Außenhandel tariflich erzielbaren Einkommen als Bürokauffrau bei einer Arbeitszeit von 38,5
Wochenstunden aus. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin sich für 20 Wochenstunden zur
Verfügung gestellt hatte, errechnete die Beklagte hieraus ein fiktives Monatseinkommen von 879,42 EUR, das sie der
Leistungsberechnung versehentlich als wöchentliches Bemessungsentgelt zugrunde legte.
Nach Feststellung dieses Fehlers reduzierte die Beklagte die Leistungshöhe ab 1. Oktober 2003 mit
Änderungsbescheid vom 22. Oktober 2003 auf 78,40 EUR wöchentlich (Bemessungsentgelt gerundet 879,42 EUR x
13: 3 = 202,94 EUR, gerundet 205 EUR, Leistungsgruppe D, erhöhter Leistungssatz). Mit Schreiben vom 10.
November 2003 erläuterte die Beklagte die Änderung ab 1. Oktober 2003 und führte aus, dass das der Klägerin
zustehende Alg nicht wie üblich auf der Grundlage eines tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts habe berechnet werden
können, weil ein Bemessungszeitraum von mindestens 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt innerhalb der letzten drei
Jahre vor Entstehung des Anspruchs nicht feststellbar sei (§ 133 Abs. 4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III]).
Es sei daher von dem tariflichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung auszugehen, auf die das Arbeitsamt (heute:
Arbeitsagentur) die Vermittlungsbemühungen in erster Linie zu erstrecken habe. Nach diesen Vorschriften sei der
Bemessung ein tarifliches Arbeitsentgelt von monatlich 1.692,89 EUR nach dem Groß- und Außenhandel zugrunde
gelegt worden, das die Klägerin als Bürokauffrau erzielen könne. Bei einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 20
Stunden errechne sich ein wöchentliches Arbeitsentgelt von 202,94 EUR, das nach § 132 Abs. 3 SGB III auf 205,00
EUR zu runden sei.
Gegen die Kürzung der Leistung erhob die Klägerin mit Schreiben vom 27. Oktober 2003 Widerspruch. Sie führte aus,
dass sie 1999 in Vollzeit (tarifliche Arbeitszeit 36 Stunden wöchentlich) zuletzt umgerechnet 37.558,16 EUR brutto im
Jahr verdient habe. Wenn die Beklagte zunächst von einem Bemessungsentgelt von 880,00 EUR ausgegangen sei
und hierfür 36 Wochenstunde zugrunde zu legen seien, errechne sich für eine Arbeitszeit von 20 Stunden ein
Bemessungsentgelt von 490,00 EUR, nicht jedoch von (nur) 205,00 EUR. Die von der Beklagten vorgenommene
Herabstufung könne nicht rechtens sein. Sie habe 20 Jahre als gelernte Bürokauffrau in der Lohn- und
Finanzbuchhaltung gearbeitet, davon mindestens die letzten 13 Jahre als Leiterin der Buchhaltung. Nunmehr werde
sie gewissermaßen dafür bestraft, dass sie während ihrer Erziehungszeit kein Einkommen bezogen habe. Das von
der Beklagten in Ansatz gebrachte Einkommen entspreche im Kfz-Gewerbe in etwa dem Einkommen einer
Bürokauffrau, die im zweiten Berufsjahr unter Anleitung arbeite.
Mit Änderungsbescheid vom 7. Januar 2004 änderte die Beklagte den ab 1. Oktober 2003 zu zahlenden
wöchentlichen Leistungsbetrag auf 99,82 EUR. Dabei legte sie bei im Übrigen unveränderten Berechnungsgrundlagen
ein Bemessungsentgelt von 285,00 EUR zugrunde. Mit nicht näher datiertem Änderungsbescheid vom Januar 2004
wurde die Leistungshöhe in Anwendung der Leistungsentgeltverordnung 2004 auf 84,07 EUR festgesetzt, wobei der
Berechnung wiederum das niedrigere Bemessungsentgelt von 205,00 EUR zugrunde gelegt wurde. Mit
Änderungsbescheid vom 9. Januar 2004 erhöhte die Beklagte den ab 1. Januar 2004 zu zahlenden Leistungsbetrag
bei Korrektur des Bemessungsentgelts (285,00 EUR) auf 101,85 EUR. Die vorgenannten Bescheide wurden
Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2004 wies die Beklagte den Widerspruch insoweit zurück, als damit höhere
Leistungen als das auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von wöchentlich 285,00 EUR gewährte Alg geltend
gemacht wurden. Die Beklagte erläuterte die Bestimmungen der §§ 129, 130, 132 und 133 SGB III und wiederholte,
dass hier für der Bemessung des erzielbaren Entgelts nicht die tatsächlichen beruflichen Tätigkeiten der Klägerin
maßgebend seien, weil die Klägerin in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung nicht versicherungspflichtig
beschäftigt gewesen sei. Vielmehr sei das Gehalt maßgebend, das die Klägerin derzeit auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt erzielen könne. In Änderung der ursprünglichen Einstufung sei mit den Änderungsbescheiden die
Gehaltsstufe 5 (Lohn- und Finanzbuchhaltung) nach dreijähriger Tätigkeit mit 2.367,28 EUR bei einer Arbeitszeit von
wöchentlich 38,5 Stunden zugrunde gelegt worden. Unter Berücksichtigung der eingeschränkten Verfügbarkeit der
Klägerin errechne sich hieraus ein gerundetes Bemessungsentgelt von 285,00 EUR.
Darüber hinaus bestätigte die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2004 einen den
Leistungszeitraum vom 17. Juni bis 30. September 2003 betreffenden Teilaufhebungs- und Rückforderungsbescheid
vom 19. Mai 2004, der aus ihrer Sicht ebenfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden war.
Die Klägerin hat am 30. August 2004 bei dem Sozialgericht (SG) Itzehoe Klage erhoben, mit der sie nur noch höhere
Leistungen geltend gemacht hat, nachdem die Beklagte den Teilaufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 19.
Mai 2004 im Juli 2006 aufgehoben hat. Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren
wiederholt und vertieft. Ergänzend hat sie geltend gemacht: Wenn in Anwendung von § 133 Abs. 4 SGB III
Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung sei, auf die das Arbeitsamt die
Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken habe, so sei hier eine ihrer früheren
Beschäftigung vergleichbare Tätigkeit im Kraftfahrzeuggewerbe heranzuziehen. Nach dem ab 1. März 2004 geltenden
Gehaltstarifvertrag sei sie dort angesichts ihrer Qualifikation mindestens in die Gehaltsgruppe V einzustufen. Für
Angestellte mit selbständiger und verantwortlicher Tätigkeit und entsprechendem Arbeitsbereich sei dort nach drei
Berufsjahren ab 1. April 2004 ein tarifliches Monatsgehalt von 3.180,00 EUR vorgesehen. Dabei sei zu
berücksichtigen, dass die Wochenarbeitszeit im Kfz-Gewerbe tarifrechtlich 36 Stunden umfasse. Hieraus errechne
sich ein wöchentliches Bemessungsentgelt von 407,69 EUR (3.180,00: 36 x 20 = 1.766,66 EUR monatlich; 1.766,66
EUR x 3: 13 = 407,69 EUR wöchentlich).
Des Weiteren hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass die in § 133 Abs. 4 SGB III vorgenommene
Beschränkung des Bemessungsrahmens auf drei Jahre wegen Verstoßes gegen Art. 6 Grundgesetz (GG)
verfassungswidrig sei und auch gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot von Frauen verstoße.
Die Klägerin hat wörtlich beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 18. August 2003, 29. September 2003, 22. Oktober 2003, Januar 2004, 7. Januar
2004 und 9. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2004 insoweit aufzuheben, als
Leistungen nach einem Bemessungsentgelt von weniger als 408,00 EUR gewährt wurden.
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend hat sie ausgeführt: Da nach Einschätzung der Vermittlung im Bereich des Groß- und Außenhandels
bessere Vermittlungschancen bestünden, sei die Bemessung hiernach vorgenommen worden. Der von der Klägerin
zitierte Ha er Gehaltstarifvertrag für das Kfz-Handwerk sei insoweit nicht maßgebend.
Die Klägerin hat erwidert, dass sie ihre Vermittlungsaussichten angesichts ihrer langjährigen Tätigkeit im Kfz-Gewerbe
Die Klägerin hat erwidert, dass sie ihre Vermittlungsaussichten angesichts ihrer langjährigen Tätigkeit im Kfz-Gewerbe
dort günstiger einschätze als im Groß- und Außenhandel, so dass sie an der Maßgeblichkeit der im Kfz-Gewerbe
gezahlten Tariflöhne festhalte. Die Beklagte habe auch nicht geltend gemacht, dass ihre - der Klägerin -
Wiedereinstellung im Kfz-Gewerbe zwischenzeitlich erschwert sei.
Nach mündlicher Verhandlung am 7. November 2006 hat das SG die Klage mit Urteil vom selben Tage abgewiesen
und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin habe
keinen Anspruch auf höheres Alg. Die Beklagte habe die maßgeblichen Bestimmungen - insbesondere auch § 133
Abs. 4 SGB III - rechtsfehlerfrei angewandt. Die Beklagte sei zu der Prüfung verpflichtet gewesen, für welche
Beschäftigung die Klägerin nach ihrem Lebensalter und ihrer Leistungsfähigkeit unter angemessener Berücksichtigung
ihres Berufs und ihrer Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht gekommen sei.
Vorliegend sei nicht erkennbar, dass die Klägerin nicht mehr als Bürokauffrau habe arbeiten und entsprechenden
Verdienst erzielen können. Zwar habe sie sich auch für eine Beschäftigung als Kassiererin oder in der
Kundenbetreuung zur Verfügung gestellt; insoweit sei jedoch die höher qualifizierte und bezahlte
Vermittlungsmöglichkeit als Bürokauffrau maßgeblich. Die Klägerin könne indes nicht verlangen, nach einem
Tarifvertrag eingestuft zu werden, der nu ein sehr kleines Segment des für sie insgesamt in Frage kommenden
Arbeitsmarktes für Bürokaufleute abdecke. Maßgeblich sei vielmehr der Tariflohn in dem Segment, in dem die
Klägerin mit der größten Wahrscheinlichkeit vermittelt werden könnte. Dies sei der Bereich des Groß- und
Außenhandels, weil hier der zahlenmäßige Schwerpunkt der bestehenden Arbeitsplätze und folglich auch der
voraussichtlich zu vermittelnden Stellen bestehe. Da die Beklagte das Bemessungsentgelt auf der Grundlage dieser
Einschätzung berechnet habe, sei diese angefochtene Entscheidung rechtlich nicht zu beanstanden. Es sei weder
vorgetragen noch sonst ersichtlich, auf welcher Basis die Wahrscheinlichkeit einer voraussichtlichen Vermittlung
anders zu beurteilen sein solle. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen die hier angewandte
gesetzliche Regelung teile das Gericht nicht.
Gegen diese ihren Prozessbevollmächtigten am 23. November 2006 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 27.
Dezember 2007 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung der Klägerin. Auf
Antrag der Beteiligten ist mit Beschluss vom 8. August 2007 im Hinblick auf das seinerzeit bei dem
Bundessozialgericht (BSG) anhängige Verfahren B 11a/7a AL 64/06 R das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden.
Nachdem dieses Verfahren mit Urteil des BSG vom 29. Mai 2008 (veröffentlicht in juris) abgeschlossen worden ist,
hat die Klägerin die Fortführung des vorliegenden Rechtsstreits beantragt.
Zur Begründung ihrer Berufung wiederholt die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen und vertieft insbesondere ihre
verfassungs- und europarechtlichen Bedenken gegen die von der Beklagten angewandten Bestimmungen. § 133 Abs.
4 SGB III in der seinerzeit geltenden Fassung sei verfassungskonform dahin auszulegen, dass in Fällen wie dem
vorliegenden auch die im Berufsleben tatsächlich erbrachten Leistungen berücksichtigt werden müssten. Wenn einer
Mutter bei Nutzung der Erziehungszeit eine ungünstige fiktive Bemessung drohe, verstoße dies gegen Art. 6 Abs. 4
GG. Auch bestehe kein sachlicher Grund dafür, sie nach Eintritt ihrer mutterschaftsbedingten Arbeitslosigkeit einem
Langzeitarbeitslosen gleichzustellen. Es werde auch nicht hinreichend berücksichtigt, dass sie jahrelang Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung auf der Grundlage ihres tatsächlich erarbeiteten Einkommens geleistet habe. Wegen der
weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 3. April 2007 Bezug genommen. Zu der
BSG-Entscheidung vom 29. Mai 2008 macht die Klägerin geltend, dass sie in Kenntnis dieser Rechtsprechung
weiterhin von der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide ausgehe. Die BSG-Entscheidung könne
insbesondere im Hinblick auf gemeinschaftsrechtliche Bedenken nicht überzeugen. Die durch die fiktive Alg-
Bemessung für sie entstehende geschlechtsspezifische Diskriminierung sei geradezu offensichtlich. Die vom BSG
angenommene sachliche Rechtfertigung halte sie nicht für nachvollziehbar.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 7. November 2006 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 18.
August 2003, 29. September 2003, 22. Oktober 2003, Januar 2004, 7. Januar 2004 und 9. Januar 2004 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2004 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. Oktober
2003 Arbeitslosengeld nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 408,00 EUR zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie stützt das angefochtene Urteil und tritt den geltend gemachten verfassungs- und europarechtlichen Bedenken der
Klägerin unter Hinweis auf Rechtsprechung des BSG entgegen. Insbesondere sieht die Beklagte sich in ihrer
Rechtsauffassung durch die BSG-Entscheidung vom 29. Mai 2008 gestützt.
Ergänzend reicht die Beklagte seinerzeitige Stellenangebote zur Akte, die auch bereits dem Sozialgericht vorgelegt
worden sind.
Dem Senat haben die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Gerichtsakten
vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird
hierauf Bezug genommen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG) ist
zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, wobei der Senat das Begehren der
Klägerin allerdings über das vom SG zugrunde gelegte bloße Anfechtungsbegehren hinaus als kombinierte
Anfechtungs- und Leistungsklage auslegt. Dies führt inhaltlich indessen zu keiner anderen Beurteilung; die Klägerin
hat aus den bereits vom SG beschriebenen Gründen keinen Anspruch auf höheres Alg unter Zugrundelegung eines
wöchentlichen Bemessungsentgelts von 408,00 EUR.
In der Sache handelt es sich um einen Höhenstreit, bei dem nach ständiger Rechtsprechung des BSG (zuletzt Urteil
vom 21. Januar 2009, B 7 AL 46/07 R, veröffentlicht in juris, m.w.N.) Grund und Höhe des Alg-Anspruchs in vollem
Umfang gerichtlich zu überprüfen sind.
Maßgebend sind hier die Bestimmungen des SGB III in der 2003 geltenden Fassung (a.F.). Nach § 117 Abs. 1 SGB
III a.F. haben Anspruch auf Alg Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und die
Anwartschaftszeit erfüllt haben. Die Klägerin war nach der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch den
Aufhebungsvertrag vom 5. Mai 2003 ab 17. Juni 2003 arbeitslos; sie hat sich am 3. Juni 2003 mit Wirkung zum 17.
Juni 2003 bei der Beklagten arbeitslos gemeldet. Die Anwartschaftszeit (§§ 123, 124 SGB III a.F.) hat - soweit hier
von Bedeutung - erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis
gestanden hat (§ 123 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F.). Zum Versicherungspflichtverhältnis finden sich nähere
Bestimmungen in § 24ff. SGB III, wobei die Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt den Regelfall darstellt (vgl. § 24 Abs.
1 i.V.m. § 25 Abs. 1 SGB III). Die Rahmenfrist beträgt nach § 124 Abs. 1 SGB III a.F. drei Jahre; sie beginnt mit dem
Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg. Die (reguläre) Rahmenfrist begann
hier am 16. Juni 2003 und reichte bis zum 17. Juni 2000 zurück. Innerhalb dieses Zeitraums hat die Klägerin die
Anwartschaftszeit nicht bereits durch die Kindererziehungszeit erfüllt. Zwar sind nach § 26 Abs. 2a SGB III in der ab
1. Januar 2003 geltenden Fassung Personen in der Zeit, in der sie im Inland ein eigenes Kind erziehen, welches das
dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, versicherungspflichtig, wenn sie unmittelbar vor der Kindererziehung
versicherungspflichtig waren. Diese Vorschrift vermag allerdings für eine vor Januar 2003 liegende Versicherungszeit
keine Versicherungspflicht zu begründen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Januar 2005, B 11a/11 AL 35/04 R, SozR 4-4300 §
147 Nr. 3); die Erziehungszeit vom 1. Januar bis 16. Juni 2003 reicht zur Erfüllung einer Anwartschaft nicht aus.
Ob die Zeit des Bezugs von Mutterschaftsgeld vom 13. Mai 2000 bis 16. September 2000 hier nach § 427a SGB III in
der Fassung des Gesetzes vom 19. April 2007 (BGBl. I S. 538) einer versicherungspflichtigen Beschäftigung
gleichgestellt werden, kann offen bleiben, weil auch unter Berücksichtigung dieser Zeit in Zusammenrechnung mit der
Kindererziehungszeit im Jahre 2003 die erforderliche Anwartschaftszeit von mindestens zwölf Monaten nicht erfüllt
wäre.
Vorliegend verlängerte sich die Rahmenfrist allerdings nach § 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III in der bis Ende 2002
geltenden Fassung, die nach § 434d Abs. 2 für Betreuungs- und Erziehungszeiten vor dem 1. Januar 2003 weiterhin
anzuwenden ist, um die berücksichtigungsfähigen Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes (vgl. dazu allg.
BSG, Urteil vom 19. Januar 2005, a.a.O.). Berücksichtigungsfähig sind dabei Zeiten, in denen das Kind das dritte
Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die Rahmenfrist hat sich danach im vorliegenden Fall um die Dauer des
Zeitraums vom 17. Juni 2000 bis zum 31. Dezember 2002 verlängert und reicht somit bis in das Jahr 1997 zurück. In
dieser verlängerten Rahmenfrist war die Klägerin länger als zwölf Monate versicherungspflichtig bei der Firma H P in
Ha beschäftigt, so dass die erforderliche Anwartschaftszeit in jedem Fall erfüllt war.
Nach § 129 Nr. 1 SGB III a.F. beträgt das Alg für Arbeitslose, die - wie die Klägerin - mindestens ein Kind im Sinne
von § 32 Abs. 1, 3 bis 5 Einkommenssteuergesetz haben, 67% (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten
Nettoentgelts (Leistungsentgelt), welches sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im
Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. umfasst der
Bemessungszeitraum die Entgeltabrechnungszeiträume, die in den letzten 52 Wochen vor der Entstehung des
Anspruches, in denen Versicherungspflicht bestand, enthalten sind und beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem
Versicherungspflichtverhältnis vor der Entstehung des Anspruches abgerechnet waren. Enthält der
Bemessungszeitraum weniger als 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt, so verlängert er sich um weitere
Entgeltabrechnungszeiträume, bis 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt erreicht sind (§ 130 Abs. 2 Satz 1 SGB III
a.F.). Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt, bei Saisonarbeitnehmern
von 20 Wochen mit Anspruch auf Entgelt, innerhalb der letzten drei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs nicht
festgestellt werden, ist Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die das
Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat (§ 133 Abs. SGB III
a.F.). Nach diesen Maßstäben ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass das von der Klägerin vor Beginn
ihrer Mutterschaft erzielte Arbeitsentgelt bei der Firma H P nicht als Bemessungsentgelt zugrunde gelegt werden
kann, weil die entsprechenden Entgeltabrechnungszeiträume außerhalb des Bemessungsrahmens liegen. Denn der
Bemessungsrahmen konnte nach den genannten Bestimmungen maximal drei Jahre vor dem 17. Juni 2003
umfassen; § 133 Abs. 4 SGB III a.F. legte insoweit der Sache nach eine absolute Höchstdauer fest. Innerhalb dieses
Rahmens lässt sich kein ausreichend langer Bemessungszeitraum mit mindestens 39 Wochen mit Anspruch auf
Entgelt feststellen. Aus diesem Grunde haben - wie die Beklagte und das Sozialgericht zutreffend festgestellt haben -
die Voraussetzungen für eine fiktive Bemessung nach § 133 Abs. 4 SGB III a.F. vorgelegen. Das von der Klägerin bis
Mai 2000 erzielte Arbeitsentgelt musste deshalb für die Höhe des Alg-Anspruchs unberücksichtigt bleiben.
Abzustellen ist somit auf das erzielbare (fiktive) Entgelt. Dazu bestimmt der Gesetzeswortlaut, dass erzielbar das
tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung ist, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen in erster
Linie zu erstrecken hat. Nach § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB III sind bei der Vermittlung Neigung, Eignung und
Leistungsfähigkeit der Arbeitsuchenden sowie die Anforderungen der angebotenen Stellen zu berücksichtigen.
Insofern ist zunächst festzustellen, für welche Beschäftigungen der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner
Leistungsfähigkeit unter angemessener Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung nach Lage und
Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt, wobei auch zu prüfen ist, ob der Arbeitslose bundesweit
vermittelbar oder in seiner Vermittlungsfähigkeit eingeschränkt ist (vgl. zu Vorstehendem Brand in Niesel, SGB III, 2.
Aufl. § 133 Rz 15). Schließlich ist festzustellen, welches tarifliche oder ortsübliche Arbeitsentgelt dieser
Beschäftigung zuzuordnen ist.
Nach diesen Maßstäben ist die von der Beklagten vorgenommene Einstufung nach dem Groß- und Außenhandelstarif
Schleswig-Holstein (Gehaltsgruppe 5 [Lohn- und Finanzbuchhaltung] nach dreijähriger Tätigkeit) mit monatlich
2.367,28 EUR bei einer Arbeitszeit von monatlich 38,5 Stunden nicht zu beanstanden. Unter Berücksichtigung des
Umstands, dass die Klägerin sich der Arbeitsvermittlung lediglich für 20 Wochenstunden zur Verfügung gestellt hat,
errechnet sich hieraus - wie im Widerspruchsbescheid im Einzelnen dargelegt - ein gerundetes Bemessungsentgelt
von 285,00 EUR.
Die Auffassung der Klägerin, dass angesichts ihrer früheren Tätigkeit auf das Kfz-Gewerbe abzustellen sei, teilt der
Senat nicht. Denn die Beklagte hat im gerichtlichen Verfahren unter Vorlage von Übersichten über die zur damaligen
Zeit vorliegenden Stellenangebote überzeugend dargelegt, dass für Bürokaufleute im Bereich des Kfz-Gewerbes keine
Beschäftigungsmöglichkeiten in nennenswertem Umfang vorhanden waren. Der Senat macht sich deshalb die von der
Beklagten vertretene Auffassung zur fiktiven Einstufung der Klägerin zu Eigen und nimmt auf die hierzu gegebene
Begründung ausdrücklich Bezug.
Der Senat teilt auch die Auffassung der Klägerin nicht, wonach die hier einschlägigen gesetzlichen Regelungen und
die von der Klägerin als Herabstufung empfundene fiktive Bemessung verfassungswidrig seien und gegen
Europarecht verstießen. In seinem Urteil vom 29. Mai 2008 (B 11a/7a AL 64/06 R) hat das BSG sich in einem ähnlich
gelagerten Fall mit der Frage der Rechts- bzw. Verfassungswidrigkeit der Regelungen ausführlich auseinandergesetzt
und die einschlägigen Regelungen letztlich nicht beanstandet. Insbesondere hat das BSG im Einzelnen ausgeführt,
dass es nicht gegen Verfassungsrecht (Art. 6 Abs. 1 und 4 GG, Art. 3 Abs. 1 GG) verstoße, wenn ein Arbeitsentgelt,
das eine Frau wegen einer Schwangerschaft und daran anschließenden Kindererziehungszeiten länger als drei Jahre
vor Eintritt des Versicherungsfalles erzielt hat, nicht als Bemessungsentgelt für die Alg-Bemessung herangezogen
wird. Ebenso hat das BSG gemeinschaftsrechtliche Bedenken diskutiert und die Regelungen nicht für
gemeinschaftsrechtswidrig gehalten. Der Senat schließt sich der vom BSG vertretenen Rechtsauffassung an und
nimmt auf die hierzu gegebene Begründung in dem den Beteiligten bekannten Urteil vom 29. Mai 2008 ausdrücklich
Bezug. Die Klägerin macht sinngemäß nur noch geltend, dass sie diese Rechtsprechung nicht für überzeugend halte;
neue Argumente, mit denen der Senat sich im vorliegenden Verfahren ergänzend auseinanderzusetzen hätte, enthält
die Berufungsbegründung indessen nicht. Weitere Ausführungen zur verfassungsrechtlichen und/oder
gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung erübrigen sich insoweit.
Nach allem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Der Senat hat insbesondere im Hinblick auf die vorliegende BSG-Entscheidung vom 29. Mai 2008 keinen Anlass
gesehen, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen.